Sie ist Mitte zwanzig, gerade fertig mit dem Studium und genauso frisch verheiratet wie getrennt. Was tun, nachdem eine erste große Liebe krachend gescheitert ist? Die Erzählerin von Esther Schüttpelz' Roman sucht. Nach dem Grund für die Trennung. Nach einem Plan für die Zukunft. Nach Freundschaft und nach Nähe und Rausch und Vergessen. Scharfzüngig, verletzlich und komisch erzählt sie von einem Jahr des Danach und Dazwischen, von der Sehnsucht nach Verbundenheit in einer distanzierten Welt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Carlota Brandis lässt sich gern ein auf den komplizierten Lebensstatus einer 25-jährigen Jurastudentin in Münster, die frisch geschieden Fragen von Karriere und kritischem Dasein klären muss. Darf sie die guten Seiten erfolgreichen Lebens genießen, wenn sie doch eigentlich die Verhältnisse anprangern will? Wie die Autorin Esther Schüttpelz von der Zerrissenheit ihrer namenlosen Heldin erzählt, mit einer Mischung aus scharfer Gesellschaftskritik und "zynischen Bobachtungen", scheint der Rezensentin zu gefallen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»'Ohne mich' ist ein gelungenes, überaus unterhaltsames Debüt.« Jan Drees / Deutschlandfunk Deutschlandfunk
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.07.2023Als Zukunftsfrau in der Gegenwart
Esther Schüttpelz zeigt, was es bedeuten kann, zwischen eigenen Idealen und der Realität festzustecken
Sie ist Mitte zwanzig, studiert Jura in Münster und hat sich gerade von ihrem Ehemann getrennt - ein Jahr nach der Hochzeit. Die Scheidung soll so kurzweilig sein wie die Ehe selbst. Dabei hilft die Website "Scheidungsportal 24" der Hauptfigur im Debütroman von Esther Schüttpelz, "Ohne mich". Es dauert nicht lange, bis die Protagonistin, deren Namen der Leser nie erfahren wird, herausfindet, dass eine Scheidung nicht nur rechtlich eine zähe Angelegenheit ist. Denn die Folgen der zerbrochenen Beziehung mit dem "Ehemann" werden ihr erst später klar, als sie mit dem Alleinsein zurechtkommen muss.
Dabei hilft auch ihr Umfeld nicht. In der ehemaligen Wohnung des Paares wohnt die Erzählerin nun allein, der "Ehemann" ist zurück in die Wohngemeinschaft gezogen, in der sich die beiden Eheleute kennengelernt haben. Auf den Straßen Münsters begegnen sie sich trotzdem noch genauso oft wie auch gemeinsamen Freunden. Das zwingt die Protagonistin zur Flucht nach vorne, was eigene Schwierigkeiten mit sich bringt; nämlich die ganz normalen Schwierigkeiten einer Mitte zwanzig Jahre alten Studentin. Da ist die Frage nach der Karriere, nach dem Platz im Leben oder auch nach dem politischen Selbstverständnis. Die Hauptfigur versteht sich nämlich als Feministin, was mit einigen Aspekten ihres Alltags als Juristin kollidiert. "Als ich jünger war, da habe ich die ganze Sache mit dem Frausein falsch verstanden." Nun sei ihr klar geworden, dass die Alternative zur weiblichen Abhängigkeit nicht der Aufstieg in männliche Machtwelten sein könne. Vorerst bleibt die Erzählerin jedoch in solchen juristischen Machtwelten hängen.
Was eine mögliche Alternative für sie ist, verrät die Hauptfigur nicht. Das scheint auch nicht der Anspruch des Romans zu sein. Esther Schüttpelz paart eine scharf eingesetzte Gesellschaftskritik mit zynischen Beobachtungen aus dem eigenen Alltag. Dabei ist ihre Protagonistin selbstkritisch; sie sieht sich nicht über den Dingen, sondern als Komplizin des von ihr verurteilten Systems. Schließlich bedient sie sich an den "überdimensionalen Mayofässern" und drückt damit "den Hebel der Überflussgesellschaft". Sie selbst sei "eine Frau in einem Hosenanzug, Kinderwunsch offen, und damit ein interessantes Hybrid zwischen kapitalistischem Arschloch und durchsetzungsstarker Zukunftsfrau". Auch an Ironie mangelt es ihr nicht: Sie habe natürlich ihr Leben im Griff, denn "mein Handy sagt, ich gehe im Schnitt 10.000 Schritte am Tag".
Wegen dieser Gegensätze zwischen eigener Wahrnehmung und eigenem Handeln steht die Protagonistin im Zwiespalt mit sich selbst und mit anderen. Erst zum Schluss erfahren die Eltern und der Leser, dass sie vom "Ehemann" verlassen wurde und nicht andersherum, wie ihr schlechtes Gewissen zuvor suggeriert hatte.
Der Leser muss der überspitzten Gesellschaftskritik von Schüttelpelz nicht immer zustimmen, um die Zerrissenheit dahinter nachvollziehen zu können. Die Protagonistin bewegt sich in einem schwammigen Bereich der politischen Korrektheit und findet sich dabei mit lebensnahen Fragen ihrer Generation konfrontiert: Kann man feministisch sein und sich trotzdem auf die Suche nach dem richtigen Mann konzentrieren? Wenn man das angeprangerte Übel der Welt bekämpfen will, darf man die guten Teile nicht genießen? Inwiefern müssen die hochgehaltenen politischen Ideale auch das Umfeld beeinflussen? Abermals werden keine Antworten gegeben; der Roman bleibt pragmatisch - und gibt das als Lehre weiter. Denn wie so viele jener Generation steckt die Protagonistin irgendwo zwischen der Realität und ihren Idealen fest. Als die Erzählerin sagt, dass sie kein Ziel mehr habe und nichts mehr, was ihr etwas bedeute, erklärt ihre ältere Freundin Jennifer, dass das Leben ab jetzt nicht leichter werde. Seit sie Kinder habe, fehle ihr sogar die Zeit für ihre Depression. Der Roman beginnt und endet mit dem "Ehemann", die Erzählerin hat die Trennung noch nicht verarbeitet. Aber auf der letzten Seite beginnt sie, ehrlich zu sich zu sein; zum ersten Mal wird jener Jonathan beim Namen genannt.
Die Protagonistin bleibt hingegen bis zum Schluss ohne Namen, allerdings können autobiographische Parallelen des Romans eventuelle Lücken füllen. Eva Schüttpelz selbst ist Ende zwanzig und hatte auch in Münster Jura studiert, bevor sie sich gegen die Kanzlei entschieden hat, um Romane zu schreiben. Schüttpelz war schon immer Musikerin, wie auch die Protagonistin in ihrem Debütroman. Diese findet für sich schlussendlich heraus, dass sie "einfach keinen Bock" habe, "den ganzen Tag an irgendeinem Schreibtisch zu sitzen". Sie fühle sich dann grau und leise und fremd. Es ist das erste Eingeständnis - ein Wendepunkt. CARLOTA BRANDIS
Esther Schüttpelz: "Ohne mich". Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2023. 206 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Esther Schüttpelz zeigt, was es bedeuten kann, zwischen eigenen Idealen und der Realität festzustecken
Sie ist Mitte zwanzig, studiert Jura in Münster und hat sich gerade von ihrem Ehemann getrennt - ein Jahr nach der Hochzeit. Die Scheidung soll so kurzweilig sein wie die Ehe selbst. Dabei hilft die Website "Scheidungsportal 24" der Hauptfigur im Debütroman von Esther Schüttpelz, "Ohne mich". Es dauert nicht lange, bis die Protagonistin, deren Namen der Leser nie erfahren wird, herausfindet, dass eine Scheidung nicht nur rechtlich eine zähe Angelegenheit ist. Denn die Folgen der zerbrochenen Beziehung mit dem "Ehemann" werden ihr erst später klar, als sie mit dem Alleinsein zurechtkommen muss.
Dabei hilft auch ihr Umfeld nicht. In der ehemaligen Wohnung des Paares wohnt die Erzählerin nun allein, der "Ehemann" ist zurück in die Wohngemeinschaft gezogen, in der sich die beiden Eheleute kennengelernt haben. Auf den Straßen Münsters begegnen sie sich trotzdem noch genauso oft wie auch gemeinsamen Freunden. Das zwingt die Protagonistin zur Flucht nach vorne, was eigene Schwierigkeiten mit sich bringt; nämlich die ganz normalen Schwierigkeiten einer Mitte zwanzig Jahre alten Studentin. Da ist die Frage nach der Karriere, nach dem Platz im Leben oder auch nach dem politischen Selbstverständnis. Die Hauptfigur versteht sich nämlich als Feministin, was mit einigen Aspekten ihres Alltags als Juristin kollidiert. "Als ich jünger war, da habe ich die ganze Sache mit dem Frausein falsch verstanden." Nun sei ihr klar geworden, dass die Alternative zur weiblichen Abhängigkeit nicht der Aufstieg in männliche Machtwelten sein könne. Vorerst bleibt die Erzählerin jedoch in solchen juristischen Machtwelten hängen.
Was eine mögliche Alternative für sie ist, verrät die Hauptfigur nicht. Das scheint auch nicht der Anspruch des Romans zu sein. Esther Schüttpelz paart eine scharf eingesetzte Gesellschaftskritik mit zynischen Beobachtungen aus dem eigenen Alltag. Dabei ist ihre Protagonistin selbstkritisch; sie sieht sich nicht über den Dingen, sondern als Komplizin des von ihr verurteilten Systems. Schließlich bedient sie sich an den "überdimensionalen Mayofässern" und drückt damit "den Hebel der Überflussgesellschaft". Sie selbst sei "eine Frau in einem Hosenanzug, Kinderwunsch offen, und damit ein interessantes Hybrid zwischen kapitalistischem Arschloch und durchsetzungsstarker Zukunftsfrau". Auch an Ironie mangelt es ihr nicht: Sie habe natürlich ihr Leben im Griff, denn "mein Handy sagt, ich gehe im Schnitt 10.000 Schritte am Tag".
Wegen dieser Gegensätze zwischen eigener Wahrnehmung und eigenem Handeln steht die Protagonistin im Zwiespalt mit sich selbst und mit anderen. Erst zum Schluss erfahren die Eltern und der Leser, dass sie vom "Ehemann" verlassen wurde und nicht andersherum, wie ihr schlechtes Gewissen zuvor suggeriert hatte.
Der Leser muss der überspitzten Gesellschaftskritik von Schüttelpelz nicht immer zustimmen, um die Zerrissenheit dahinter nachvollziehen zu können. Die Protagonistin bewegt sich in einem schwammigen Bereich der politischen Korrektheit und findet sich dabei mit lebensnahen Fragen ihrer Generation konfrontiert: Kann man feministisch sein und sich trotzdem auf die Suche nach dem richtigen Mann konzentrieren? Wenn man das angeprangerte Übel der Welt bekämpfen will, darf man die guten Teile nicht genießen? Inwiefern müssen die hochgehaltenen politischen Ideale auch das Umfeld beeinflussen? Abermals werden keine Antworten gegeben; der Roman bleibt pragmatisch - und gibt das als Lehre weiter. Denn wie so viele jener Generation steckt die Protagonistin irgendwo zwischen der Realität und ihren Idealen fest. Als die Erzählerin sagt, dass sie kein Ziel mehr habe und nichts mehr, was ihr etwas bedeute, erklärt ihre ältere Freundin Jennifer, dass das Leben ab jetzt nicht leichter werde. Seit sie Kinder habe, fehle ihr sogar die Zeit für ihre Depression. Der Roman beginnt und endet mit dem "Ehemann", die Erzählerin hat die Trennung noch nicht verarbeitet. Aber auf der letzten Seite beginnt sie, ehrlich zu sich zu sein; zum ersten Mal wird jener Jonathan beim Namen genannt.
Die Protagonistin bleibt hingegen bis zum Schluss ohne Namen, allerdings können autobiographische Parallelen des Romans eventuelle Lücken füllen. Eva Schüttpelz selbst ist Ende zwanzig und hatte auch in Münster Jura studiert, bevor sie sich gegen die Kanzlei entschieden hat, um Romane zu schreiben. Schüttpelz war schon immer Musikerin, wie auch die Protagonistin in ihrem Debütroman. Diese findet für sich schlussendlich heraus, dass sie "einfach keinen Bock" habe, "den ganzen Tag an irgendeinem Schreibtisch zu sitzen". Sie fühle sich dann grau und leise und fremd. Es ist das erste Eingeständnis - ein Wendepunkt. CARLOTA BRANDIS
Esther Schüttpelz: "Ohne mich". Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2023. 206 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main