Wiltraut Rupp-von Brünneck war eine der profiliertesten Juristinnen der Bonner Republik. Von 1963 bis 1977 amtierte sie als Richterin des Bundesverfassungsgerichts - als einzige Frau unter fünfzehn Männern. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie in den Siebzigerjahren durch ihre pointiert formulierten Sondervoten bekannt, in denen sie die Entscheidungen ihrer mehrheitlich konservativen Richterkollegen kritisierte. Ihr Sondervotum zum umstrittenen Abtreibungsurteil machte sie zu einer Identifikationsfigur der Frauenbewegung. Auf der Grundlage umfangreicher Archivbestände schildert Fabian Michl den außergewöhnlichen Lebensweg einer Spitzenjuristin und streitbaren Vorkämpferin für Gleichberechtigung, Sozialstaat und Demokratie - von der Jugend im Adelsmilieu der Weimarer Jahre über das Studium in Zeiten des politischen Umbruchs, die ersten beruflichen Schritte im Nationalsozialismus, die Neuorientierung in der Nachkriegszeit, die Ministeriallaufbahn im »roten Hessen« der Fünfzigerjahre bis hin zur Tätigkeit am Bundesverfassungsgericht.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wolfgang Janisch liest Fabian Michls gut informierte Biografie über die sozialdemokratische Verfassungsrichterin Wiltraut Rupp-von Brünneck mit Interesse. Dass RichterInnen-Biografien so spannend und von so allgemeiner Gültigkeit sein können, hält er für eine Seltenheit. Überzeugend findet er nicht nur die Nachzeichnung einer Karriere mit Brüchen und Fragezeichen (so zum Verhalten der Richterin im Nationalsozialismus), sondern auch Michls ergebnisoffenen Ansatz, der es den Lesern überlässt, sich ein eigenes Bild zu machen und zu urteilen, und sich auf Lesbarkeit und Ausführlichkeit konzentriert.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.04.2022Auf dornigen Pfaden von der Diktatur in die Demokratie
Fabian Michl proträtiert eindrucksvoll die Verfassungsrichterin Wiltraut Rupp-von Brünneck. Doch ihre Karriere in der NS-Zeit ließ sie bis zum Schluss nicht los
Kurz nach der Urteilsverkündung schickte die Frankfurter „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen“ ein Telegramm nach Karlsruhe. Wiltraut Rupp-von Brünnecks Sondervotum zum Abtreibungsurteil sei ein „Beweis von Klugheit, Vernunft und Menschlichkeit“, lobten die Frauen. Und die halbe Republik applaudierte mit. Das Bundesverfassungsgericht hatte die liberale Fristenlösung zum Schwangerschaftsabbruch gekippt, aber die Frau im hohen Richteramt hatte dazu eine fulminante abweichende Meinung formuliert, gemeinsam mit Helmut Simon. Das war, obwohl sie gewonnen hatten, ein harter Schlag für die Konservativen im Gericht; bevor Rupp-von Brünneck ihr „Dissenting“ vortrug, verließ ihr Kollege Werner Böhmer den Gerichtssaal.
Man schrieb das Jahr 1975, und ihr beherztes Nein sollte ihr Bild für die Nachwelt prägen: als eine für Gleichberechtigung und Liberalität streitende Richterin. Dabei war sie keineswegs eine Verfechterin der Abtreibungsreform, wie aus ihrer privaten Korrespondenz hervorgeht. Im Abtreibungsurteil ging es ihr zuvorderst um die Demokratie. Die Entscheidung des gewählten Parlaments für eine Fristenlösung müsse vom Gericht respektiert werden, forderte sie.
Der Jurist Fabian Michl, Juniorprofessor in Leipzig, hat ein umfangreiches Buch über die so begabte und erfolgreiche Juristin geschrieben, die sich gleich zwei Mal ihre berufliche Karriere im frauenfeindlichen Umfeld erkämpfen musste. Zuerst im NS-Regime mit seiner Mutterideologie, dann in der jungen Bundesrepublik, in der die Gleichberechtigung zunächst nur auf dem Papier stand. Beide Male ist es ihr gelungen; man ahnt, dass so ein Leben tiefe Brüche aufweist.
Wiltraut von Brünneck wurde im Jahr 1912 in eine uradlige Familie hineingeboren, ansässig in Brandenburg und Westpreußen, mit einem Staatsminister und mehreren Juristen in der Ahnenreihe. Das Umfeld war deutschnational geprägt, in der Schule im Berliner Stadtteil Lankwitz wurden die Schüler mit Konzepten wie „Deutschtum“ und „Volksgemeinschaft“ vertraut gemacht. Die Familie lehnte die Weimarer Republik ab, hegte aber zugleich wenig Sympathie für die erstarkenden Nazis – freilich vor allem wegen ihres proletarischen Habitus, schreibt Michl.
Im Jurastudium, das sie 1932 in Berlin begann, zeigte sich rasch ihre außerordentliche Begabung; 1941 sollte sie als Jahrgangsbeste abschließen. In der „Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen“ in Heidelberg und Berlin engagierte sie sich, wenn man so will, frauenpolitisch. Allerdings mit einer völkisch vergifteten Argumentation, die halb nach Strategie, halb nach Überzeugung klingt. Die Wahrung des Rechts obliege dem Manne, aber der Frau komme eine „ergänzende“ Rolle zu. Es ging also gerade nicht um „Gleichberechtigung“, sondern um ihren Platz in der „Volksgemeinschaft“. Kein Geschlechterkampf, aber eben auch keine Reduktion auf die Mutterrolle. Und ihr erster Job in der Grundbuchabteilung im Reichsjustizministerium führte sie mitten ins NS-System. Die Aufgabe war nur scheinbar unpolitisch. Es galt, bei der „Arisierung“ jüdischer Grundstücke Lasten aus den Grundbüchern zu tilgen. Also dem Raub einen legalen Anstrich zu geben.
Fabian Michl ist ein detailverliebter Biograf, der auf die Aussagekraft der gründlich recherchierten Fakten vertraut. Er verzichtet auf die Pose moralischer Überlegenheit, was eine große Stärke des Buches ist. Aber irgendwann stellt er die Frage: „War Wiltraut von Brünneck eine Nationalsozialistin?“ War die Juristin, deren Einsatz für die Grundrechte später bejubelt werden sollte, eine Anhängerin des NS-Regimes? Sie selbst gab sich wortkarg, als sie sich im Mai 1945 bei der US-Kommandantur um eine Stelle am Amtsgericht Sangerhausen bemühte: „I never belonged to the NS-Party.“ Tatsächlich war sie nie Parteimitglied. Aber eben auch nicht nur ein Blatt im Wind. Michl überlässt die Antwort den Lesern: „Sie spielte zwar keine Hauptrolle, war aber doch mehr als nur eine Statistin.“
Dass sie nach 1945 umgehend in der jungen Bundesrepublik Fuß fasste, mag ein Beispiel für die oft beschriebene Anpassungsfähigkeit der Juristen sein. Aber vielleicht ist es auch die Geschichte einer Läuterung. Brünneck schaffte den Einstieg ins Justizministerium im „roten“ Hessen. Also unter der Ägide eines Ministers, der über jeden Verdacht erhaben war: Georg August Zinn, ein gestandener Sozialdemokrat, hatte sich im NS-Staat für Verfolgte des Regimes eingesetzt. Vermutlich habe er bei ihrer Einstellung ein Auge zugedrückt, schreibt Michl. Jedenfalls erlebte die Oberregierungsrätin, die einst bei einem Professor in NS-Uniform Staatsrecht gelernt hatte, ihre zweite Sozialisation; sie lernte, was Demokratie bedeutet.
Und dieses Mal setzte sie sich für wirkliche Gleichberechtigung ein. Im Parlamentarischen Rat war sie im Hintergrund an der Formulierung des Artikels 117 Grundgesetz beteiligt, eine Art Ultimatum für die Umsetzung der Gleichberechtigung. Da arbeitete sie an der Seite von Elisabeth Selbert, einer der wenigen Grundgesetz-Mütter. Und als die die patriarchale Politik in den 50er-Jahren immer noch bremste, schrieb die Spitzenbeamtin vom hessischen Ministerium aus an einer Verfassungsbeschwerde mit, die 1959 einen spektakulären Erfolg erzielte. Die Vorrechte des Mannes in der Erziehung wurden gekippt. Auch in Karlsruhe war eine Frau am Werk: Erna Scheffler, Brünnecks Vorgängerin am Bundesverfassungsgericht.
Als sie 1963 zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts gewählt wurde, war aus Wiltraut von Brünneck längst eine Sozialdemokratin geworden, wenn auch ohne Parteibuch. Sie ließ die hessische Politik nur widerstrebend hinter sich. Doch in Karlsruhe fand sie, was sie dort nicht erwartet haben wird – ihr privates Glück. An einem festlichen Abend lernte sie – Mitglied im Ersten Senat – Hans Rupp kennen, der dem Zweiten Senat des Gerichts angehörte. 1965 heirateten die Richterin und der Richter, eine Premiere in Karlsruhe. Georg August Zinn war Trauzeuge.
Im Gericht sollte sie im Familienrecht fortsetzen, was sie in Hessen begonnen hatte. Sie brachte die reformunwillige konservative Politik auf Trab. Nur ein Beispiel: Das Grundgesetz verpflichtete den Gesetzgeber zwar, gleiche Bedingungen für, wie es damals hieß, „uneheliche“ Kinder zu schaffen, doch die Wirklichkeit blieb dahinter zurück. Die neue Richterin trieb entsprechendes Verfahren im Gericht voran, und ein Beschluss vom Januar 1969 setzte die Politik unter Zugzwang. Vier Monate später wurde die Reform im Bundestag beschlossen. Am Ende ihres Lebens – sie war noch im Amt, als sie 1977 starb – hatte sie sich den Ruf einer Demokratin erworben, die sich für Gleichberechtigung und für die soziale Frage engagierte.
Fabian Michl ist ein eindrucksvolles Buch gelungen, für das es eigentlich kein Genre gibt. Über hohe Richter werden so gut wie nie Biografien geschrieben. Insofern füllt seine Nahsicht auf eine Karlsruher Protagonistin jener Jahre eine Lücke. Doch sein gut lesbares, aber manchmal zu ausführliches Werk ist mehr als ein Juristinnenporträt. Er beschreibt ein geradezu paradigmatisches deutsches Leben, durch das sich der tiefe Graben zwischen Diktatur und Demokratie zieht wie eine hässliche Narbe. Das blieb bis zum Schluss so. Unter den Menschen, die Wiltraut Rupp-von Brünneck von ihrem Tod benachrichtigt wissen wollte, waren Verfolgte des Naziregimes. Und schwer belastete NS-Funktionäre.
WOLFGANG JANISCH
Sie war nicht Parteigenossin,
aber sie stand nicht abseits.
Später vertrat sie Werte der SPD
Fabian Michl:
Wiltraut Rupp-von Brünneck (1912–1977).
Juristin, Spitzenbeamtin, Verfassungsrichterin. Campus-Verlag, Frankfurt 2022. 558 Seiten, 39 Euro.
E-Book: 35,99 Euro.
Der Tag, der sie berühmt machte: Wiltraut Rupp-von Brünneck (Zweite von rechts) bei der Urteilsverkündung zur Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbrüchen am 25. Februar 1975 in Karlsruhe.
Foto: Michael Dick/dpa
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Fabian Michl proträtiert eindrucksvoll die Verfassungsrichterin Wiltraut Rupp-von Brünneck. Doch ihre Karriere in der NS-Zeit ließ sie bis zum Schluss nicht los
Kurz nach der Urteilsverkündung schickte die Frankfurter „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen“ ein Telegramm nach Karlsruhe. Wiltraut Rupp-von Brünnecks Sondervotum zum Abtreibungsurteil sei ein „Beweis von Klugheit, Vernunft und Menschlichkeit“, lobten die Frauen. Und die halbe Republik applaudierte mit. Das Bundesverfassungsgericht hatte die liberale Fristenlösung zum Schwangerschaftsabbruch gekippt, aber die Frau im hohen Richteramt hatte dazu eine fulminante abweichende Meinung formuliert, gemeinsam mit Helmut Simon. Das war, obwohl sie gewonnen hatten, ein harter Schlag für die Konservativen im Gericht; bevor Rupp-von Brünneck ihr „Dissenting“ vortrug, verließ ihr Kollege Werner Böhmer den Gerichtssaal.
Man schrieb das Jahr 1975, und ihr beherztes Nein sollte ihr Bild für die Nachwelt prägen: als eine für Gleichberechtigung und Liberalität streitende Richterin. Dabei war sie keineswegs eine Verfechterin der Abtreibungsreform, wie aus ihrer privaten Korrespondenz hervorgeht. Im Abtreibungsurteil ging es ihr zuvorderst um die Demokratie. Die Entscheidung des gewählten Parlaments für eine Fristenlösung müsse vom Gericht respektiert werden, forderte sie.
Der Jurist Fabian Michl, Juniorprofessor in Leipzig, hat ein umfangreiches Buch über die so begabte und erfolgreiche Juristin geschrieben, die sich gleich zwei Mal ihre berufliche Karriere im frauenfeindlichen Umfeld erkämpfen musste. Zuerst im NS-Regime mit seiner Mutterideologie, dann in der jungen Bundesrepublik, in der die Gleichberechtigung zunächst nur auf dem Papier stand. Beide Male ist es ihr gelungen; man ahnt, dass so ein Leben tiefe Brüche aufweist.
Wiltraut von Brünneck wurde im Jahr 1912 in eine uradlige Familie hineingeboren, ansässig in Brandenburg und Westpreußen, mit einem Staatsminister und mehreren Juristen in der Ahnenreihe. Das Umfeld war deutschnational geprägt, in der Schule im Berliner Stadtteil Lankwitz wurden die Schüler mit Konzepten wie „Deutschtum“ und „Volksgemeinschaft“ vertraut gemacht. Die Familie lehnte die Weimarer Republik ab, hegte aber zugleich wenig Sympathie für die erstarkenden Nazis – freilich vor allem wegen ihres proletarischen Habitus, schreibt Michl.
Im Jurastudium, das sie 1932 in Berlin begann, zeigte sich rasch ihre außerordentliche Begabung; 1941 sollte sie als Jahrgangsbeste abschließen. In der „Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen“ in Heidelberg und Berlin engagierte sie sich, wenn man so will, frauenpolitisch. Allerdings mit einer völkisch vergifteten Argumentation, die halb nach Strategie, halb nach Überzeugung klingt. Die Wahrung des Rechts obliege dem Manne, aber der Frau komme eine „ergänzende“ Rolle zu. Es ging also gerade nicht um „Gleichberechtigung“, sondern um ihren Platz in der „Volksgemeinschaft“. Kein Geschlechterkampf, aber eben auch keine Reduktion auf die Mutterrolle. Und ihr erster Job in der Grundbuchabteilung im Reichsjustizministerium führte sie mitten ins NS-System. Die Aufgabe war nur scheinbar unpolitisch. Es galt, bei der „Arisierung“ jüdischer Grundstücke Lasten aus den Grundbüchern zu tilgen. Also dem Raub einen legalen Anstrich zu geben.
Fabian Michl ist ein detailverliebter Biograf, der auf die Aussagekraft der gründlich recherchierten Fakten vertraut. Er verzichtet auf die Pose moralischer Überlegenheit, was eine große Stärke des Buches ist. Aber irgendwann stellt er die Frage: „War Wiltraut von Brünneck eine Nationalsozialistin?“ War die Juristin, deren Einsatz für die Grundrechte später bejubelt werden sollte, eine Anhängerin des NS-Regimes? Sie selbst gab sich wortkarg, als sie sich im Mai 1945 bei der US-Kommandantur um eine Stelle am Amtsgericht Sangerhausen bemühte: „I never belonged to the NS-Party.“ Tatsächlich war sie nie Parteimitglied. Aber eben auch nicht nur ein Blatt im Wind. Michl überlässt die Antwort den Lesern: „Sie spielte zwar keine Hauptrolle, war aber doch mehr als nur eine Statistin.“
Dass sie nach 1945 umgehend in der jungen Bundesrepublik Fuß fasste, mag ein Beispiel für die oft beschriebene Anpassungsfähigkeit der Juristen sein. Aber vielleicht ist es auch die Geschichte einer Läuterung. Brünneck schaffte den Einstieg ins Justizministerium im „roten“ Hessen. Also unter der Ägide eines Ministers, der über jeden Verdacht erhaben war: Georg August Zinn, ein gestandener Sozialdemokrat, hatte sich im NS-Staat für Verfolgte des Regimes eingesetzt. Vermutlich habe er bei ihrer Einstellung ein Auge zugedrückt, schreibt Michl. Jedenfalls erlebte die Oberregierungsrätin, die einst bei einem Professor in NS-Uniform Staatsrecht gelernt hatte, ihre zweite Sozialisation; sie lernte, was Demokratie bedeutet.
Und dieses Mal setzte sie sich für wirkliche Gleichberechtigung ein. Im Parlamentarischen Rat war sie im Hintergrund an der Formulierung des Artikels 117 Grundgesetz beteiligt, eine Art Ultimatum für die Umsetzung der Gleichberechtigung. Da arbeitete sie an der Seite von Elisabeth Selbert, einer der wenigen Grundgesetz-Mütter. Und als die die patriarchale Politik in den 50er-Jahren immer noch bremste, schrieb die Spitzenbeamtin vom hessischen Ministerium aus an einer Verfassungsbeschwerde mit, die 1959 einen spektakulären Erfolg erzielte. Die Vorrechte des Mannes in der Erziehung wurden gekippt. Auch in Karlsruhe war eine Frau am Werk: Erna Scheffler, Brünnecks Vorgängerin am Bundesverfassungsgericht.
Als sie 1963 zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts gewählt wurde, war aus Wiltraut von Brünneck längst eine Sozialdemokratin geworden, wenn auch ohne Parteibuch. Sie ließ die hessische Politik nur widerstrebend hinter sich. Doch in Karlsruhe fand sie, was sie dort nicht erwartet haben wird – ihr privates Glück. An einem festlichen Abend lernte sie – Mitglied im Ersten Senat – Hans Rupp kennen, der dem Zweiten Senat des Gerichts angehörte. 1965 heirateten die Richterin und der Richter, eine Premiere in Karlsruhe. Georg August Zinn war Trauzeuge.
Im Gericht sollte sie im Familienrecht fortsetzen, was sie in Hessen begonnen hatte. Sie brachte die reformunwillige konservative Politik auf Trab. Nur ein Beispiel: Das Grundgesetz verpflichtete den Gesetzgeber zwar, gleiche Bedingungen für, wie es damals hieß, „uneheliche“ Kinder zu schaffen, doch die Wirklichkeit blieb dahinter zurück. Die neue Richterin trieb entsprechendes Verfahren im Gericht voran, und ein Beschluss vom Januar 1969 setzte die Politik unter Zugzwang. Vier Monate später wurde die Reform im Bundestag beschlossen. Am Ende ihres Lebens – sie war noch im Amt, als sie 1977 starb – hatte sie sich den Ruf einer Demokratin erworben, die sich für Gleichberechtigung und für die soziale Frage engagierte.
Fabian Michl ist ein eindrucksvolles Buch gelungen, für das es eigentlich kein Genre gibt. Über hohe Richter werden so gut wie nie Biografien geschrieben. Insofern füllt seine Nahsicht auf eine Karlsruher Protagonistin jener Jahre eine Lücke. Doch sein gut lesbares, aber manchmal zu ausführliches Werk ist mehr als ein Juristinnenporträt. Er beschreibt ein geradezu paradigmatisches deutsches Leben, durch das sich der tiefe Graben zwischen Diktatur und Demokratie zieht wie eine hässliche Narbe. Das blieb bis zum Schluss so. Unter den Menschen, die Wiltraut Rupp-von Brünneck von ihrem Tod benachrichtigt wissen wollte, waren Verfolgte des Naziregimes. Und schwer belastete NS-Funktionäre.
WOLFGANG JANISCH
Sie war nicht Parteigenossin,
aber sie stand nicht abseits.
Später vertrat sie Werte der SPD
Fabian Michl:
Wiltraut Rupp-von Brünneck (1912–1977).
Juristin, Spitzenbeamtin, Verfassungsrichterin. Campus-Verlag, Frankfurt 2022. 558 Seiten, 39 Euro.
E-Book: 35,99 Euro.
Der Tag, der sie berühmt machte: Wiltraut Rupp-von Brünneck (Zweite von rechts) bei der Urteilsverkündung zur Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbrüchen am 25. Februar 1975 in Karlsruhe.
Foto: Michael Dick/dpa
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»Fabian Michl ist ein eindrucksvolles Buch gelungen, für das es eigentlich kein Genre gibt. [...] [Es] ist mehr als ein Juristinnenportrait. Es beschreibt ein geradezu paradigmatisches deutsches Leben, durch das sich der tiefe Graben zwischen Diktatur und Demokratie zieht wie eine hässliche Narbe.« Wolfgang Janisch, Süddeutsche Zeitung, 19.04.2022»Ab 1963 kämpfte Wiltraut Rupp-von Brünneck als einzige Richterin am Bundesverfassungsgericht gegen die Benachteiligung von Frauen, für Pressefreiheit und den Sozialstaat. ... Fabian Michl hat nun eine Biografie der Juristin geschrieben, für die er erstmals auch das Leben vor der großen Karriere recherchiert hat. Das Ergebnis schockiert.« Klaus Wiegrefe, Der Spiegel, 11.04.2022»Das klug bebilderte Buch ist gut geschrieben, es zu lesen ist für den Interessierten ein Vergnügen. Die Auswahl an Literatur und Archivalien [...] beeindruckt. Das Projekt einer juristischen Biographie gelingt ausgezeichnet. Insbesondere erliegt Michl nicht der Versuchung mancher Biographen, sich dem Sog ihrer Protagonisten nicht mehr entziehen zu können.« Christian Waldhoff, Archiv des öffentlichen Rechts (AöR), März 2022»Fabian Michl hat eine Biografie über Wiltraut Rupp-von Brünneck [...] vorgelegt, die ihresgleichen sucht. Nüchtern im Stil, hin und wieder pointiert, genau in der Darstellung und mit beeindruckendem Zugriff auf alle nur denkbaren Quellen [...]« Frank Bleckmann, Deutsche Richterzeitung 11/2022»Fabian Michl ist ein sehr eindrucksvolles Buch gelungen, dies zu einem erstaunlich geringen Verkaufspreis. [...] Sein gut lesbares [...] Werk ist so mehr als ein Juristinnenportrait geworden. Er beschreibt, geradezu paradigmatisch, ein deutsches Leben, durch das sich der tiefe Graben zwischen Diktatur und Demokratie zieht wie eine hässliche Narbe«. Jörg Berkemann, Das Deutsche Verwaltungsblatt, 1.11.2022»Ein differenziertes, perspektivenreiches und beinahe akribisch recherchiertes Buch mit anschaulichem Bildmaterial. Und nicht zuletzt erweitert Fabian Michl mit seiner Studie die dünn bestückte Reihe zeithistorischer Frauenbiografien.« Elisabeth Perzl, sehepunkte, 15.10.2022»Mit alldem hat Michl ein anregendes und lesenswertes Buch geschrieben. Es bietet das Lebensbild einer in vierlerlei Hinsicht faszinierenden Juristin: Michl zeichnet seine Heldin nie in schwarz und weiß, sondern in fein differenzierten Graustufen. Man legt das Buch nicht mehr aus der Hand, wenn man mit der Lektüre begonnen hat.« Reinhard Zimmermann, JuristenZeitung, 05.10.2022»Ein akribisch recherchiertes Meisterwerk über den steinigen Weg von der Diktatur in die Demokratie.« sueddeutsche.de, 27.04.2022»Eine fulminante Biografie über die Ausnahme-Juristin mit all ihren Kontinuitäten und Brüchen.« Annette Wilmes, Deutschlandfunk Kultur, 25.05.2022»Fabian Michl hat ein Buch über die zweite Verfassungsrichterin in Karlsruhe geschrieben - Wiltraut Rupp-von Brünneck. Eine Juristin aus adeliger Familie, mit einer für ihre Zeit höchst ungewöhnlichen Karriere und viel Einfluss.« Legal Tribune Online, 08.05.2022»Fabian Michl ist ein außergewöhnlich gutes Buch gelungen, das man ungerne aus der Hand legt.« Markus Vasek, Journal für Rechtspolitik, Heft 2, August 2022»Bestens geeignet als Basistexte zu Lehr- und Fortbildungsveranstaltungen, die dem [...] Ziel des 5 a DRiG in seiner Neufassung gerecht werden, wir möchten in Zukunft Juristinnen und Juristen haben, die zeitgeschichtlich gebildet sind« Hans-Ernst Böttcher, Recht und Politik, Heft 1, 2023»Dem Anspruch, 'über die individuelle Lebensbeschreibung hinaus einen Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte zu leisten' (S. 14), ist Fabian Michl gerecht geworden und die Studie kann hier als gutes Beispiel dienen, was eine Biografie leisten kann.« Nils Bennemann, Neue Politische Literatur (2023), 68: 174-176