Der Papst der Herzen
Für mich ist Papst Franziskus ein Geschenk Gottes, bekennt Kardinal Woelki. Papst Franziskus ist durch und durch Seelsorger. (...) Die Überlegung, ob man auch einen Nichteuropäer wählen könne, spielte keine Rolle, so Kardinal Lehmann.
Also haben die Kardinäle den neuen Papst vom anderen Ende der Welt geholt, wie Jorge Mario Bergoglio als neuer Papst scherzte. Der Erzbischof von Buenos Aires war der Kardinal der Armen in Argentinien. Die Katholische Kirche wagt mit ihm einen Neuanfang. Deshalb urteilt Kardinal Marx: Papst Franziskus will die Kirche erneuern! Von Anfang an beeindrucken sein neuer Stil, seine Offenheit, seine Bescheidenheit und seine Demut.
In seinem profunden Porträt des neuen Papstes analysiert der ZDF-Journalist und Vatikankenner Jürgen Erbacher nicht nur den 265. Nachfolger des Heiligen Petrus, sondern auch die Lage der Kirche nach dem Rücktritt Benedikts XVI. Exklusiv in diesem Buch äußern sich deutschsprachige Konklave-Kardinäle über die Beweggründe der Wahl von Papst Franziskus.
Für mich ist Papst Franziskus ein Geschenk Gottes, bekennt Kardinal Woelki. Papst Franziskus ist durch und durch Seelsorger. (...) Die Überlegung, ob man auch einen Nichteuropäer wählen könne, spielte keine Rolle, so Kardinal Lehmann.
Also haben die Kardinäle den neuen Papst vom anderen Ende der Welt geholt, wie Jorge Mario Bergoglio als neuer Papst scherzte. Der Erzbischof von Buenos Aires war der Kardinal der Armen in Argentinien. Die Katholische Kirche wagt mit ihm einen Neuanfang. Deshalb urteilt Kardinal Marx: Papst Franziskus will die Kirche erneuern! Von Anfang an beeindrucken sein neuer Stil, seine Offenheit, seine Bescheidenheit und seine Demut.
In seinem profunden Porträt des neuen Papstes analysiert der ZDF-Journalist und Vatikankenner Jürgen Erbacher nicht nur den 265. Nachfolger des Heiligen Petrus, sondern auch die Lage der Kirche nach dem Rücktritt Benedikts XVI. Exklusiv in diesem Buch äußern sich deutschsprachige Konklave-Kardinäle über die Beweggründe der Wahl von Papst Franziskus.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.07.2013Der barmherzige
Fremde
Papst Franziskus hat sich im Nu Ansehen erworben.
Aber wer ist der Mann? Einige Annäherungen
VON MATTHIAS DROBINSKI
Die Welt lebt immer schneller, der Buchmarkt erst recht, und wenn ein Weltereignis wie der Rücktritt des ersten Papstes der Neuzeit und die Wahl eines neuen, dazu noch so ungewöhnlichen Papstes eintritt, darf man sich nicht wundern, wenn nur wenige Wochen nach dem Konklave die ersten Bücher über den Neuen auf den Markt kommen. Das Deutungswettrennen ist also seit zwei Monaten eröffnet, es gibt natürlich auch einigen Bedarf an Information und Exegese.
Als 2005 die Kardinäle Joseph Ratzinger zum höchsten Repräsentanten der katholischen Kirche wählten, da hatte er schon so manchen Regalmeter vollgeschrieben, jeder Theologiestudent hatte sich mit ihm beschäftigt, der Schar der Vatikan-Korrespondenten war er altvertraut.
Jorge Mario Bergoglio dagegen war in Europa weitgehend unbekannt, nur wenig hatte er selber geschrieben, wer ihn in den Tagen nach der Wahl porträtierte, fand das Material dazu in zwei Gesprächsbüchern auf Spanisch, die nun schlaflose Übersetzer in die Sprachen der Welt transferierten.
Das erste Manuskript, das in die Redaktionen gemailt wurde, war „Der neue Papst“ von Simon Biallowons, dem jungen Theologen und Religionswissenschaftler, der in Rom und in München als Journalist für das Magazin Cicero und den Internet-Auftritt „The European“ schreibt. Kurz danach kamen 176 Seiten von Heiko Haupt; „Der Papst der Armen“ sind sie überschrieben und erheben den gewagten Anspruch, „die exklusive Biografie“ zu sein – vor allem, weil der Autor bislang als Motor- und Technikjournalist gearbeitet hat.
Beiden Werken merkt man die Eile an, in der sie geschrieben sind. Simon Biallowons hat das immerhin auch mit Schwung und Emphase getan, sein Buch ist eine Mischung aus Reportage, Hintergrundbericht und Tagebuch. Er beginnt am 11. Februar, dem Tag, an dem Papst Benedikt XVI. zurücktritt, und blickt noch einmal auf das Pontifikat des Joseph Ratzinger zurück, nicht unfreundlich und mit Respekt für seinem Schritt, er räsoniert über die Lage der Weltkirche (gibt schon Probleme), setzt sich beim Konklave vor die Tür und erzählt die Biografie des Neugewählten, füllt ein paar Seiten mit dem Heiligen Franziskus und den Jesuiten, um schließlich die Herausforderungen des Neuen zu benennen: die Globalisierung, die Neuevangelisierung, das Verhältnis von Moderne und Tradition, die Reform der Kirchenstrukturen und der Kurie, ihrer obersten Verwaltung. Man hat das alles irgendwo schon einmal gelesen, aber wer sich eine ordentliche und durchaus kundige Zusammenfassung der aufregenden Tage gebunden ins Regal stellen will, der tätigt keinen Fehlkauf.
Heiko Haupt dagegen geht auf halbem Weg die Luft aus. Er geht strikt chronologisch vor, bei der Auswanderung von Bergoglios piemontesischen Eltern nach Argentinien und endet bei dem, was den neuen Papst wohl im Amt erwarten wird. Er sortiert, was er aus zweiter Hand erfahren und sich schnell angelesen hat, die Sprache holpert, und dann steht da auf einmal die Liste aller Kardinäle, und Seite um Seite folgen Zitate von wichtigen Menschen, wie sie nun die Wahl von Kardinal Jorge Mario Bergoglio zum Papst finden – und die Wichtigen sehen das alle positiv. Da musste jemand schnell und dringend Seiten füllen. Auffällig ist, dass Heiko Haupt das Verhalten des Jesuiten-Provinzials Bergoglio gegenüber der argentinischen Militärdiktatur deutlich kritischer sieht als viele Kirchenexperten. Auch er betrachtet Bergoglio nicht als einen Freund der Junta, hält aber doch die Frage für ungeklärt, inwieweit der Jesuiten-Chef zwei Mitbrüder im Stich gelassen und inwieweit er vom Verschwinden einer Frau und der Zwangsadoption ihres Kindes gewusst hat.
Der Radio-Vatikan-Redakteur Stefan von Kempis hat sich etwas mehr Zeit gelassen und den Exklusivitätsanspruch erst gar nicht erhoben; herausgekommen ist ein hübsch aufgemachtes, großformatiges Buch mit vielen guten Fotos und einem kundigen, gut geschriebenen Text, der allerdings letztlich das Gleiche macht wie der von Biallowons: Er erzählt den historischen Augenblick nach (und enthüllt dabei die schöne Anekdote, dass der frisch gewählte Papst vom Technikraum des Radio Vatikan aus mit seinem zurückgetretenen Vorgänger telefonierte); er wagt wenig Deutung und enthüllt wenig Vergangenes.
Der Papst aus Argentinien ist den Vatikan-Journalisten (und überhaupt den meisten Journalisten in Europa) sympathisch in seiner Bescheidenheit und Menschennähe – aber dann doch fern. Jorge Mario Bergoglio fängt tatsächlich als Papst Franziskus ein neues Leben an, wie damals, 1978, Papst Johannes Paul II., Karol Wojtyla aus dem fernen Polen jenseits des Eisernen Vorhangs. Und alles, was so bald nach seiner Wahl gesagt wurde, hatte eine kurze Halbwertszeit.
Eine gute Nachricht ist, dass – gegen das ganze Beschleunigungsgewese – jenes Buch das beste ist, das zuletzt gekommen ist. Auch Jürgen Erbacher, der Vatikan-Korrespondent des ZDF, erfindet in seinem 168 Seiten schmalen Buch den Pontifex nicht neu. Aber er hatte Zeit zur Recherche und zum Nachdenken. So zeichnet er präzise und gut informiert die Zeit vor dem Konklave nach, wie sich der Ärger der Kardinäle über die mehltauverklebte Kurie und die korruptionsanfällige Vatikanbank entlud, wie Kardinal Bergoglio mit einer dreiminütigen programmatischen Rede die Mitbrüder überzeugte.
Jürgen Erbacher kann schon über die ersten Amtshandlungen schreiben, weil es sie, als er an seinem Manuskript saß, schon gab. Vor allem aber nähert er sich den theologischen Grundlagen, die Bergoglio geprägt haben: Es ist die argentinische Form der Befreiungstheologie, die „Theologe des Volkes“, die Bergoglios Lehrer Lucio Gera in den 60er-Jahren entwickelt hat. Sie blieb, dem stärker bürgerlichen Kontext Argentiniens geschuldet, marxistischen Ideen ferner als die Befreiungstheologie aus Nicaragua, Guatemala oder El Salvador. Die Konsequenzen sind aber ähnlich: Die Kirche ist nicht um ihrer selbst willen da, sie hat nicht – Bergoglio verwendet den Begriff „mondän“ – nach weltlicher Macht und weltlichem Status zu streben, sie muss bei den Armen sein, zu den Rändern gehen. Wer das liest, versteht, warum des Papstes erste Reise zur Flüchtlingsinsel Lampedusa führte, wo er die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ geißelte: Das war mehr als eine fromme Geste, es ist die Umsetzung eines Programms.
Auch Jürgen Erbachers Buch wird seine Halbwertzeit haben, aber es könnte sich lohnen, es in vier, fünf Jahren sich noch einmal vorzunehmen und zu sehen, was aus dem geworden ist, was damals, 2013, begonnen hat – so offen war die Geschichte der katholischen Kirche seit dem Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils vor
50 Jahren nicht mehr. Wer ein bisschen Zeit hat, sollte neben der Papstdeutung auch den Papst selber lesen: das Interview mit den Journalisten Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti und das Gespräch mit dem Rabbiner von Buenos Aires, Abraham Skorka. Nein, es sprüht nicht auf jeder Seite vor Intellektualität, aber da entsteht das Bild eines warmen und klugen Mannes, konservativ, was Bildung, Familie, Erziehung angeht, und scharf kapitalismuskritisch, wenn es um die Wirtschaft geht, fromm und fußballbegeistert. Ja, auch ihm geht es um die ersten und letzten Fragen, um Leben und Tod, Himmel und Hölle, Wahrheit und Irrtum. Aber es mus ja nicht gleich alles so ernst daherkommen. Wie das einer so sieht, der, gerade zum Papst gewählt, den Leuten erst einmal „Guten Abend“ sagt.
Papst Franziskus : Mein Leben – mein Weg. El Jesuita. Die Gespräche mit Jorge Mario Bergoglio. Von Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti. Aus dem Spanischen von Elisabeth Münzebrock und Ulrich Ruh. Herder, Freiburg 2013. 224 S., 19. 99 Euro.
Papst Franziskus : Über Himmel und Erde. Jorge Bergoglio im Gespräch mit Rabbiner Abraham Skorka. Das persönliche Credo des neuen Papstes. Übersetzt von Silke Kleemann, Matthias Strobel. Bertelsmann, München 2013. 256 S.,19.99 Euro.
Simon Biallowons : Franziskus, der neue Papst. Kösel, München 2013. 158 Seiten, 14,99 Euro.
Heiko Haupt : Franziskus. Der Papst der Armen. Riva-Verlag, München 2013. 176 Seiten, 9,99 Euro.
Stefan von Kempis : Papst Franziskus. Herder, Freiburg 2013. 153 Seiten, 19,99 Euro.
Jürgen Erbacher : Papst Franziskus. Aufbruch und Neuanfang. Pattloch, München 2013. 175 Seiten, 16,99 Euro .
Die Kardinäle waren verärgert
über die mehltauverklebte Kurie.
Franziskus steht für etwas Neues
Franziskus denkt teils sehr
konservativ und teils
ausgesprochen progressiv
Joseph Ratzinger ist sehr belesen. Er liest praktisch alles, wie hier zu sehen ist. Seine Entscheidung, zu Lebzeiten einem Nachfolger Platz zu machen, ist ein Novum in der Neuzeit und hat ihm Respekt eingetragen.
ZEICHNUNG: HADERER
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Fremde
Papst Franziskus hat sich im Nu Ansehen erworben.
Aber wer ist der Mann? Einige Annäherungen
VON MATTHIAS DROBINSKI
Die Welt lebt immer schneller, der Buchmarkt erst recht, und wenn ein Weltereignis wie der Rücktritt des ersten Papstes der Neuzeit und die Wahl eines neuen, dazu noch so ungewöhnlichen Papstes eintritt, darf man sich nicht wundern, wenn nur wenige Wochen nach dem Konklave die ersten Bücher über den Neuen auf den Markt kommen. Das Deutungswettrennen ist also seit zwei Monaten eröffnet, es gibt natürlich auch einigen Bedarf an Information und Exegese.
Als 2005 die Kardinäle Joseph Ratzinger zum höchsten Repräsentanten der katholischen Kirche wählten, da hatte er schon so manchen Regalmeter vollgeschrieben, jeder Theologiestudent hatte sich mit ihm beschäftigt, der Schar der Vatikan-Korrespondenten war er altvertraut.
Jorge Mario Bergoglio dagegen war in Europa weitgehend unbekannt, nur wenig hatte er selber geschrieben, wer ihn in den Tagen nach der Wahl porträtierte, fand das Material dazu in zwei Gesprächsbüchern auf Spanisch, die nun schlaflose Übersetzer in die Sprachen der Welt transferierten.
Das erste Manuskript, das in die Redaktionen gemailt wurde, war „Der neue Papst“ von Simon Biallowons, dem jungen Theologen und Religionswissenschaftler, der in Rom und in München als Journalist für das Magazin Cicero und den Internet-Auftritt „The European“ schreibt. Kurz danach kamen 176 Seiten von Heiko Haupt; „Der Papst der Armen“ sind sie überschrieben und erheben den gewagten Anspruch, „die exklusive Biografie“ zu sein – vor allem, weil der Autor bislang als Motor- und Technikjournalist gearbeitet hat.
Beiden Werken merkt man die Eile an, in der sie geschrieben sind. Simon Biallowons hat das immerhin auch mit Schwung und Emphase getan, sein Buch ist eine Mischung aus Reportage, Hintergrundbericht und Tagebuch. Er beginnt am 11. Februar, dem Tag, an dem Papst Benedikt XVI. zurücktritt, und blickt noch einmal auf das Pontifikat des Joseph Ratzinger zurück, nicht unfreundlich und mit Respekt für seinem Schritt, er räsoniert über die Lage der Weltkirche (gibt schon Probleme), setzt sich beim Konklave vor die Tür und erzählt die Biografie des Neugewählten, füllt ein paar Seiten mit dem Heiligen Franziskus und den Jesuiten, um schließlich die Herausforderungen des Neuen zu benennen: die Globalisierung, die Neuevangelisierung, das Verhältnis von Moderne und Tradition, die Reform der Kirchenstrukturen und der Kurie, ihrer obersten Verwaltung. Man hat das alles irgendwo schon einmal gelesen, aber wer sich eine ordentliche und durchaus kundige Zusammenfassung der aufregenden Tage gebunden ins Regal stellen will, der tätigt keinen Fehlkauf.
Heiko Haupt dagegen geht auf halbem Weg die Luft aus. Er geht strikt chronologisch vor, bei der Auswanderung von Bergoglios piemontesischen Eltern nach Argentinien und endet bei dem, was den neuen Papst wohl im Amt erwarten wird. Er sortiert, was er aus zweiter Hand erfahren und sich schnell angelesen hat, die Sprache holpert, und dann steht da auf einmal die Liste aller Kardinäle, und Seite um Seite folgen Zitate von wichtigen Menschen, wie sie nun die Wahl von Kardinal Jorge Mario Bergoglio zum Papst finden – und die Wichtigen sehen das alle positiv. Da musste jemand schnell und dringend Seiten füllen. Auffällig ist, dass Heiko Haupt das Verhalten des Jesuiten-Provinzials Bergoglio gegenüber der argentinischen Militärdiktatur deutlich kritischer sieht als viele Kirchenexperten. Auch er betrachtet Bergoglio nicht als einen Freund der Junta, hält aber doch die Frage für ungeklärt, inwieweit der Jesuiten-Chef zwei Mitbrüder im Stich gelassen und inwieweit er vom Verschwinden einer Frau und der Zwangsadoption ihres Kindes gewusst hat.
Der Radio-Vatikan-Redakteur Stefan von Kempis hat sich etwas mehr Zeit gelassen und den Exklusivitätsanspruch erst gar nicht erhoben; herausgekommen ist ein hübsch aufgemachtes, großformatiges Buch mit vielen guten Fotos und einem kundigen, gut geschriebenen Text, der allerdings letztlich das Gleiche macht wie der von Biallowons: Er erzählt den historischen Augenblick nach (und enthüllt dabei die schöne Anekdote, dass der frisch gewählte Papst vom Technikraum des Radio Vatikan aus mit seinem zurückgetretenen Vorgänger telefonierte); er wagt wenig Deutung und enthüllt wenig Vergangenes.
Der Papst aus Argentinien ist den Vatikan-Journalisten (und überhaupt den meisten Journalisten in Europa) sympathisch in seiner Bescheidenheit und Menschennähe – aber dann doch fern. Jorge Mario Bergoglio fängt tatsächlich als Papst Franziskus ein neues Leben an, wie damals, 1978, Papst Johannes Paul II., Karol Wojtyla aus dem fernen Polen jenseits des Eisernen Vorhangs. Und alles, was so bald nach seiner Wahl gesagt wurde, hatte eine kurze Halbwertszeit.
Eine gute Nachricht ist, dass – gegen das ganze Beschleunigungsgewese – jenes Buch das beste ist, das zuletzt gekommen ist. Auch Jürgen Erbacher, der Vatikan-Korrespondent des ZDF, erfindet in seinem 168 Seiten schmalen Buch den Pontifex nicht neu. Aber er hatte Zeit zur Recherche und zum Nachdenken. So zeichnet er präzise und gut informiert die Zeit vor dem Konklave nach, wie sich der Ärger der Kardinäle über die mehltauverklebte Kurie und die korruptionsanfällige Vatikanbank entlud, wie Kardinal Bergoglio mit einer dreiminütigen programmatischen Rede die Mitbrüder überzeugte.
Jürgen Erbacher kann schon über die ersten Amtshandlungen schreiben, weil es sie, als er an seinem Manuskript saß, schon gab. Vor allem aber nähert er sich den theologischen Grundlagen, die Bergoglio geprägt haben: Es ist die argentinische Form der Befreiungstheologie, die „Theologe des Volkes“, die Bergoglios Lehrer Lucio Gera in den 60er-Jahren entwickelt hat. Sie blieb, dem stärker bürgerlichen Kontext Argentiniens geschuldet, marxistischen Ideen ferner als die Befreiungstheologie aus Nicaragua, Guatemala oder El Salvador. Die Konsequenzen sind aber ähnlich: Die Kirche ist nicht um ihrer selbst willen da, sie hat nicht – Bergoglio verwendet den Begriff „mondän“ – nach weltlicher Macht und weltlichem Status zu streben, sie muss bei den Armen sein, zu den Rändern gehen. Wer das liest, versteht, warum des Papstes erste Reise zur Flüchtlingsinsel Lampedusa führte, wo er die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ geißelte: Das war mehr als eine fromme Geste, es ist die Umsetzung eines Programms.
Auch Jürgen Erbachers Buch wird seine Halbwertzeit haben, aber es könnte sich lohnen, es in vier, fünf Jahren sich noch einmal vorzunehmen und zu sehen, was aus dem geworden ist, was damals, 2013, begonnen hat – so offen war die Geschichte der katholischen Kirche seit dem Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils vor
50 Jahren nicht mehr. Wer ein bisschen Zeit hat, sollte neben der Papstdeutung auch den Papst selber lesen: das Interview mit den Journalisten Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti und das Gespräch mit dem Rabbiner von Buenos Aires, Abraham Skorka. Nein, es sprüht nicht auf jeder Seite vor Intellektualität, aber da entsteht das Bild eines warmen und klugen Mannes, konservativ, was Bildung, Familie, Erziehung angeht, und scharf kapitalismuskritisch, wenn es um die Wirtschaft geht, fromm und fußballbegeistert. Ja, auch ihm geht es um die ersten und letzten Fragen, um Leben und Tod, Himmel und Hölle, Wahrheit und Irrtum. Aber es mus ja nicht gleich alles so ernst daherkommen. Wie das einer so sieht, der, gerade zum Papst gewählt, den Leuten erst einmal „Guten Abend“ sagt.
Papst Franziskus : Mein Leben – mein Weg. El Jesuita. Die Gespräche mit Jorge Mario Bergoglio. Von Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti. Aus dem Spanischen von Elisabeth Münzebrock und Ulrich Ruh. Herder, Freiburg 2013. 224 S., 19. 99 Euro.
Papst Franziskus : Über Himmel und Erde. Jorge Bergoglio im Gespräch mit Rabbiner Abraham Skorka. Das persönliche Credo des neuen Papstes. Übersetzt von Silke Kleemann, Matthias Strobel. Bertelsmann, München 2013. 256 S.,19.99 Euro.
Simon Biallowons : Franziskus, der neue Papst. Kösel, München 2013. 158 Seiten, 14,99 Euro.
Heiko Haupt : Franziskus. Der Papst der Armen. Riva-Verlag, München 2013. 176 Seiten, 9,99 Euro.
Stefan von Kempis : Papst Franziskus. Herder, Freiburg 2013. 153 Seiten, 19,99 Euro.
Jürgen Erbacher : Papst Franziskus. Aufbruch und Neuanfang. Pattloch, München 2013. 175 Seiten, 16,99 Euro .
Die Kardinäle waren verärgert
über die mehltauverklebte Kurie.
Franziskus steht für etwas Neues
Franziskus denkt teils sehr
konservativ und teils
ausgesprochen progressiv
Joseph Ratzinger ist sehr belesen. Er liest praktisch alles, wie hier zu sehen ist. Seine Entscheidung, zu Lebzeiten einem Nachfolger Platz zu machen, ist ein Novum in der Neuzeit und hat ihm Respekt eingetragen.
ZEICHNUNG: HADERER
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Angesichts einer immer schnelleren Welt und eines ihr allzu hastig folgenden Buchmarktes, wundert es Matthias Drobinski nicht wirklich, was für eine Flut an Biografien über den neuen Papst Franziskus in die Schaufenster gehechelt ist. Es freut ihn aber gehörig, das ausgerechnet die zuletzt erschienene Biografie, die von Jürgen Erbacher, des Vatikan-Korrespondenten des ZDF, die eindeutig beste ist. Erbacher hat sich die Zeit zum Recherchieren und Nachdenken genommen, er kann bereits über die ersten Amtshandlungen schreiben, weil sie tatsächlich schon begangen wurden, und er gibt sogar einen kleinen Einblick in die theologischen Theorien, die den ehemaligen Kardinal Bergoglio geprägt haben: besonders eine argentinische Variante der Befreiungstheologie, der zufolge die katholische Kirche besonders für die Menschen am Rand der Gesellschaft Verantwortung trägt, fasst der Rezensent zusammen. Der Besuch Franziskus' auf Lampedusa war bereits ein klares Bekenntnis zu diesem Programm, erklärt Drobinski.
© Perlentaucher Medien GmbH
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