Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist die alte mitteleuropäische Angst zurück: Opfer der Großmächte zu werden. Anders als in Deutschland, von dessen Boden zwei Weltkriege ausgegangen sind, gab es in Warschau, Tallinn und anderswo kein Zögern. Nur wer selbst angegriffen und, wie Polen, sogar einmal ganz von der Landkarte getilgt wurde, versteht, dass militärische Selbstverteidigung gerechtfertigt ist. In ihrem luziden Essay beschreiben Karolina Wigura, Ideenhistorikerin, und Jaroslaw Kuisz, Politikwissenschaftler, wie der heutige Krieg historische Traumata reaktiviert; warum Warschau eine Führungsrolle in der europäischen Verteidigungspolitik übernimmt, obwohl die Regierungspartei PiS die EU als Bedrohung der eigenen Souveränität beschwört.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Jaroslaw Kuisz und Karolina Wigura beschäftigen sich in ihrem Essay mit dem besonderen Wert, den nationale Souveränität für Polen hat, so Rezensent Ulrich M. Schmid. Zurückzuführen sei dieser Wert auf die wiederholten Kämpfe um eben diese Souveränität in der Geschichte. Das daraus entstandene Trauma führt, fasst Schmid die Argumentation zusammen, zu einer Betonung des Problems der staatlichen Eigenständigkeit, die im restlichen Europa lange auf Unverständnis stieß - seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine allerdings nähert sich Resteuropa in dieser Hinsicht Polen an. Die rechtskonservative Partei PiS, die lange große Erfolge feierte und sich Orbans Ungarn zum Vorbild nimmt, profitiert von dieser Dynamik, erläutert Schmid mit Kuisz und Wigura, wobei freilich auch andere Gruppierungen, etwa die Gewerkschaft Solidarnosc, in derselben Tradition stehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Wigura und Kuisz bringen in dem Essay ... einen bedeutsamen Aspekt in die Debatte ein, der ostmitteleuropäische Einstellung und Politik gegenüber Russland im Ukraine-Krieg verstehbar macht.« Jan Opielka Berliner Zeitung 20240930