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Die Autoren weisen auf Parallelen der aktuellen Rechtschreibreform und der Reformpläne von 1944 hin.In den letzten Jahren haben sich viele bundesdeutsche Unternehmen kritisch mit ihrer eigenen Vergangenheit während des Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Doch nach wie vor fehlt diese Aufarbeitung der NS-Zeit in vielen Zusammenhängen. So sind auch die Kultusminister und die von ihnen mit der Ausarbeitung der Rechtschreibreform beauftragten Wissenschaftler der Frage beharrlich ausgewichen, inwieweit ihr Projekt eine politische Geschichte hat. Der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache…mehr

Produktbeschreibung
Die Autoren weisen auf Parallelen der aktuellen Rechtschreibreform und der Reformpläne von 1944 hin.In den letzten Jahren haben sich viele bundesdeutsche Unternehmen kritisch mit ihrer eigenen Vergangenheit während des Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Doch nach wie vor fehlt diese Aufarbeitung der NS-Zeit in vielen Zusammenhängen. So sind auch die Kultusminister und die von ihnen mit der Ausarbeitung der Rechtschreibreform beauftragten Wissenschaftler der Frage beharrlich ausgewichen, inwieweit ihr Projekt eine politische Geschichte hat. Der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Christian Meier, hat 1998 einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen, als er auf die Parallelen der aktuellen Rechtschreibreform zu der Reform des Reichsministers Rust von 1944 hinwies, die bisher »der einzige tiefere Eingriff von Staats wegen in die deutsche Rechtschreibung« gewesen war.Da die Zeit zwischen 1933 und 1945 von offizieller Seite ausgespart wird, wenn es um die historischen Grundlagen der Neuen Rechtschreibung geht, hat die Darmstädter Akademie nun eine Untersuchung herausgegeben, die diese Lücke füllt.Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner zeichnen ein genaues Bild der nach 1933 intensiv geführten Auseinandersetzungen um die deutsche Rechtschreibung. Die Frage, in welcher Weise sie zu »vereinfachen« sei, beschäftigte in den Jahren des Nationalsozialismus - anders als vor 1933 und nach 1945 - höchste politische Kreise, zuletzt Hitler selbst.Die Untersuchung provoziert mit dem Ergebnis, daß die 1996 beschlossene Neuregelung der deutschen Orthographie in ungebrochener Kontinuität auf diesen Reformbemühungen aufbaut, und liefert so einen tabubrechenden Beitrag für die aktuelle Diskussion.
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Autorenporträt
Hanno Birken-Bertsch, geb. 1966, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt auf dem Gebiet der theoretischen Philosophie Kants.

Reinhard Markner, geboren 1967 in Essen, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der europäischen Aufklärung der Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg.Veröffentlichung u.a.: Friedrich August Wolf. Studien - Dokumente - Bibliographie (Mithg., 1999).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2000

Die Vergangenheit von "kuss" und "keiser"
Die heimliche Rechtschreibreform der Völkischen

Hanno Birken-Bertsch, Reinhard Markner: Rechtschreibreform und Nationalsozialismus. Wallstein Verlag, Göttingen 2000. 212 Seiten, 29,- Mark.

Hat der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Christian Meier, gegen die "political correctness" verstoßen, als er vor dem Bundesverfassungsgericht sagte, die geplante Rechtschreibreform von 1944 sei die einzige gewesen, die bei ihrer Verwirklichung einen tieferen Eingriff von Staats wegen bedeutet hätte - so wie die Neuerungen unserer Tage ein Diktat der Kultusminister waren? Die Betreiber der Rechtschreibreform reagierten empört. Dabei hatte der Münchner Althistoriker sich nur zum Verfahren geäußert, mit dem die Rechtschreibreform durchgesetzt wurde: von oben herab, ohne jede parlamentarische Ermächtigung, gegen die große Mehrheit der Bevölkerung. Daß es auch inhaltliche Parallelen zur heutigen Reform gibt, weisen Hanno Birken-Bertsch und Reinhard Markner, wissenschaftliche Mitarbeiter an den Universitäten Jena und Halle, nach. Außerdem stellten sie eine erstaunliche personelle Kontinuität fest.

Die beiden Autoren konzentrieren sich in ihrer Untersuchung auf die Zeit von 1933 bis 1945, die bei bisherigen Überblicken schamhaft ausgespart worden ist. Daß die Lücke jetzt ausgefüllt wird, muß die Kultusminister peinlich berühren, die über die Entwicklung der Reform bislang einseitige Vorstellungen verbreiteten. Allerdings kommt bei Birken-Bertsch und Markner zu kurz, daß es schon früher Vorstöße zum Umsturz der "Regeln für die deutsche Rechtschreibung" von 1901 gab. Die Reformpläne des Reichsinnenministerums von 1933/34, ferner die "Vorschläge zur Vereinfachung der deutschen Rechtschreibung" aus dem Zirkel des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Rust, (1941) und schließlich die "bis nach dem Krieg" aufgeschobene "Kleine Rust'sche Reform" von 1944 griffen auf ältere Reformvorschläge zurück. Neu waren die völkische Verbrämung, die vorsichtigere Dosierung und die geheimniskrämerische Vorbereitung. So ist es auch später geblieben: Die "Neuerer" variierten immer nur alte Forderungen, und sie scheuten die Öffentlichkeit.

Seit hundert Jahren wurde mit folgenden Bausteinen experimentiert: Kleinschreibung von Substantiven oder wenigstens vermehrte Großschreibung bei gleichzeitig vermehrter Getrenntschreibung; keine Unterscheidung von sinnlicher und übertragener Bedeutung (frisch gebackenes Ehepaar wie frisch gebackene Brötchen); Eindeutschung von Fremdwörtern; Änderung der ss- und ß-Schreibung und anderer Buchstaben (kuss, frefel, keiser); Beseitigung von Dehnungszeichen; Deregulierung der Zeichensetzung; Trennung nach Sprechsilben. Birken-Bertsch und Markner arbeiten überzeugend heraus, daß die Nationalsozialisten sich dabei von praktischen und ideologischen Erwägungen leiten ließen. Sie gingen so weit zu behaupten, die Vereinfachung der Rechtschreibung werde die Ausbildungszeiten verkürzen. Außerdem hatte für sie das gesprochene Wort (Stichwörter: "Führerreden", Rechtlautung) den Vorrang vor dem geschriebenen Wort. Unter anderem ideologischen Vorzeichen haben sich die marxistischen Neuerer der siebziger Jahre daran erinnert.

Mit Recht heben Birken-Bertsch und Markner die Rolle hervor, die die Münchner "Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums" und deren Generalsekretär Franz Thierfelder bei der ideologischen Vorbereitung spielten: "Dem völkischen Aufbruch muß ein Aufbruch der Sprache folgen." Thierfelder warb für eine Vereinfachung der Rechtschreibung, die der deutschen Sprache zur Weltgeltung verhelfen sollte. Im Zweiten Weltkrieg plädierte er für einen Sprachimperialismus. Nach dem Krieg gab er 1952 als Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart den Anstoß zur Gründung der "Arbeitsgemeinschaft für Sprachpflege", die 1954 in den Stuttgarter Empfehlungen einen Forderungskatalog zur Vereinfachung der Rechtschreibung vorlegte. Aber nicht nur Thierfelder sorgte in den ersten fünfzehn Jahren nach dem Krieg für personelle Kontinuität. Es wäre aufschlußreich, besondere Biographien auch über Leo Weisgerber, Otto Basler und Karl Reumuth anzufertigen. Daß alte Ideologen ebenfalls in der DDR Fuß faßten und in deren Namen auf internationalen Tagungen votierten, beweist die Karriere von Theodor Frings.

Offen bleibt die Antwort auf die Frage, ob die alt-neuen Forderungen so überzeugend wirkten, daß sie alle politischen Umstürze überlebten, oder ob sich ein von Zeit zu Zeit neu konstituierter Club von Unbelehrbaren durchgesetzt hat. Das Buch ist vom 10. Oktober an im Buchhandel zu kaufen.

KURT REUMANN

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Was denn nun? In seinem Urteil über dieses Buch ist Joachim Güntner etwas doppelzüngig. Einerseits ist "das Provokanteste an diesem Buch ... sein Titel", andererseits aber scheint die These der Autoren doch provokant genug, den Rezensenten einmal die Dinge rekapitulieren zu lassen: Wie war das noch gleich mit der Rechtschreibreform der Nazis? Provokant genug auch, um schließlich zu fragen, was an "einer lautgerechten, am Sprechen orientierten Schreibung" - und damit wird die Parallele zwischen den Reformen von 1941/44 und 1996 begründet - bitteschön nazistisch sei. Wenig bis nichts, findet Güntner. Dennoch nennt er das Buch "eine vorzügliche Studie, detailreich, akribisch recherchiert und gut geschrieben", und rät zur Lektüre.

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