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Nach Kriegsende 1945 hatten Jehovas Zeugen in der SBZ ihr Evangelisierungswerk wieder aufgebaut. Wegen ihrer Verweigerungshaltung in der Zeit des Hitlerregimes erhielten sie den Status als "Opfer des Faschismus". Aufgrund ihrer öffentlichen Missionsarbeit entwickelte die SED aber bald einen politischen Argwohn gegenüber den Zeugen Jehovas. 1949 stempelte sie das Politbüro als amerikanisch beeinflußte Sekte und als Fremdkörper in Ostdeutschland ab. Durch ihre angeblich aufbaufeindliche Tätigkeit behinderte sie das weitere Voranschreiten des Sozialismus. Nach einer durch das Ministerium für…mehr

Produktbeschreibung
Nach Kriegsende 1945 hatten Jehovas Zeugen in der SBZ ihr Evangelisierungswerk wieder aufgebaut. Wegen ihrer Verweigerungshaltung in der Zeit des Hitlerregimes erhielten sie den Status als "Opfer des Faschismus". Aufgrund ihrer öffentlichen Missionsarbeit entwickelte die SED aber bald einen politischen Argwohn gegenüber den Zeugen Jehovas. 1949 stempelte sie das Politbüro als amerikanisch beeinflußte Sekte und als Fremdkörper in Ostdeutschland ab. Durch ihre angeblich aufbaufeindliche Tätigkeit behinderte sie das weitere Voranschreiten des Sozialismus. Nach einer durch das Ministerium für Staatssicherheit durchgeführten landesweiten Verhaftungsaktion wurde die Religionsgemeinschaft im August 1950 in der DDR verboten. In den folgenden Jahrzehnten wurden ca. 6000 Zeugen Jehovas verhaftet und zumeist zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Die Verfolgung dauerte nahezu bis zum Ende der DDR.

Der Verfasser zeigt erstmalig auf, wie das Politbüro der SED Jehovas Zeugen zu verfolgen begann, und analysiert die von Strafgerichten in der DDR gesprochenen Urteile. Weitere Schwerpunkte der Dokumentation stellen die erbitterte Bekämpfung durch das MfS wie auch die Verfolgung der Wehrdienstverweigerer dar.

Zunehmend wird erkennbar, dass die Verfolgung nicht auf das Gebiet der DDR beschränkt war. Die 2. Auflage zeigt, welches Interesse das MfS an der Ausspionierung der Zentrale der Zeugen Jehovas in der Bundesrepublik hatte. Die Verfolgung der Zeugen Jehovas beschränkte sich auch nicht auf die DDR, sondern erstreckte sich auf den gesamten Ostblock. Welche Bemühungen das MfS unternahm, mit den Sicherheitsorganen der anderen östlichen Staaten zusammenzuarbeiten, wird nun ebenfalls dokumentiert.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2001

Wachtturm im Wachpostenstaat
Wie in der DDR die Zeugen Jehovas unterdrückt und verfolgt wurden: Etwa 5000 Verurteilungen

Hans-Hermann Dirksen: "Keine Gnade den Feinden unserer Republik". Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der SBZ/DDR 1945-1990. Verlag Duncker und Humblot, Berlin 2001. 939 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 68,- Mark.

Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der DDR unterschied sich in nichts von dem, was sie unter den Nationalsozialisten erleiden mußten. Sie endete erst, als DDR und Staatssicherheit verschwanden. Sechstausend Zeugen Jehovas insgesamt wurden verhaftet, etwa fünftausend von ihnen verurteilt, manche von ihnen zweimal. Strafen von fünfzehn Jahren Zuchthaus waren nicht selten, einige Zeugen Jehovas wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Etwa 270 von ihnen mußten sowohl in der Zeit der Nationalsozialisten als auch in der DDR im Gefängnis sitzen.

Einige haben in beiden Systemen insgesamt fast ein Vierteljahrhundert in Gefängnissen verbracht. Es gab Fälle, bei denen Zeugen Jehovas verfolgt und verurteilt wurden von Kommunisten, die mit ihnen im Konzentrationslager gesessen hatten. Dort, in gemeinsamer Not, wurden die Bibelforscher freundschaftlich Bibelwürmer genannt und waren geachtet, weil sie den Nationalsozialisten so konsequent widerstanden. In der DDR jedoch wurden sie zu Staatsfeinden.

Die Religionsgemeinschaft war in Amerika in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden. Die Bibelforscher, wie sie zunächst genannt wurden, missionierten auch bald in Deutschland. Seit 1931 nannten sie sich Zeugen Jehovas. Ihr strenger Glaube verbietet es ihnen, von ihren Leiden Aufhebens zu machen. Es war ein Zeuge Jehovas, August Dickmann, der unter der Herrschaft der Nationalsozialisten als erster Wehrdienstverweigerer öffentlich hingerichtet wurde.

Hans-Hermann Dirksen erforscht seit Jahren die Verfolgung kleiner Religionsgruppen unter kommunistischer Herrschaft. Als Rechtsanwalt interessiert ihn vor allem, wie die SED und ihre Helfer diese Verfolgung juristisch bemäntelten und das Recht beugten. Unmittelbar nach dem Krieg glaubten die Zeugen Jehovas, auch in der Sowjetischen Besatzungszone aufatmen zu können. Religionsfreiheit wurde garantiert. Die Zeugen Jehovas galten als Verfolgte des NS-Regimes. Sie erhielten ihr Bibelhaus in Magdeburg zurück. Weder die Missionsarbeit von Haus zu Haus wurde behindert noch die Verbreitung der Zeitschrift "Wachtturm". Sie predigten den Weltuntergang. Nur als Zeuge Jehovas fände man vor Gott dann Gnade. Besonders in Sachsen erwies sich die Missionsarbeit als erfolgreich. Dadurch aber wurde die Religionsgemeinschaft zu einem politischen Problem.

Zeugen Jehovas erkennen keine Obrigkeit an außer Gott. Sie gingen in der DDR nicht zur Wahl, nahmen auch an keiner sogenannten Volksabstimmung teil. Sie predigten Frieden und Gerechtigkeit allein als Gottes Werk, in das man nicht eingreifen dürfe. Sie nahmen keine Waffe in die Hand, verweigerten folgerichtig auch den Wehrdienst, nachdem die Wehrpflicht in der DDR im Januar 1962 eingeführt worden war. 1950 gab es die ersten Verhaftungen, wurden Gottesdienste von der Volkspolizei verboten oder gestört. Den Zeugen Jehovas wurde es verwehrt, Schulräume zu nutzen. Begründet wurde dies damit, daß die Räume zu lange und zu oft genutzt und deshalb nicht ausreichend belüftet würden. So mußte die Hygiene herhalten, weil die Polizei nicht recht wußte, mit welcher Begründung sie gegen die Religionsgemeinschaft vorgehen sollte.

Als ein geistig umnachteter Anhänger der Religionsgemeinschaft aus Sachsen seine Frau tötete, erließ die sächsische Landesregierung zunächst ein Verbot sämtlicher Gottesdienste der Zeugen Jehovas. Am 30. August 1950 erfolgte dann ein generelles Verbot in der DDR. Noch bevor es öffentlich bekannt werden konnte, besetzte die Staatssicherheit das Bibelhaus in Magdeburg. Es folgte eine Verhaftungswelle.

Vor dem Obersten Gericht der DDR begannen Schauprozesse mit bekanntem Personal: Generalstaatsanwalt war Ernst Melsheimer, dem Gericht saß Hilde Benjamin vor. Jetzt lauteten die Vorwürfe auf Spionage, antidemokratische Hetze und Kriegshetze. Hilde Benjamin verstieg sich im Prozeß zu der Bemerkung, daß die Zeugen Jehovas damals wie heute Spionage betreiben würden und deshalb sowohl unter den Nationalsozialisten als auch jetzt verurteilt werden müßten. Überall in der DDR begannen daraufhin ähnliche Verfahren. Wo Richter oder Anwälte das durchsichtige politische Spiel nicht mitmachen wollten, wurden sie ausgetauscht. Die Urteilsbegründungen waren von der Staatssicherheit vorgegeben, oft auch die Urteile selbst.

Unter diesem Druck hielten die Zeugen Jehovas jedoch nur noch stärker zusammen als bisher. Sogar in den Gefängnissen kam es zu Taufen. Fortan versuchte die Staatssicherheit, informelle Mitarbeiter einzuschleusen oder Zeugen Jehovas für ihre Sache zu gewinnen. Nur in wenigen Fällen gelang dies. Bis zum Ende der DDR schaffte es die Staatssicherheit nicht einmal, überall in der DDR herauszubekommen, wer sogenannter Bezirks- oder Kreisdiener war. In gewisser Weise hatte der SED-Staat in den siebziger Jahren resigniert. Manchmal noch wurde eine Ordnungsstrafe verhängt, wenn eine Zusammenkunft der Zeugen Jehovas bekannt wurde. Manchmal wurden Exemplare des "Wachturm" beschlagnahmt, wenn sie entdeckt wurden - etwa in einem Brotlaib.

Die Wehrdienstverweigerer blieben für den SED-Staat ein Problem. Auch die 1964 gebildeten Baueinheiten lösten dieses Problem nicht, denn die Zeugen Jehovas verweigerten jeden Wehrdienst, auch den ohne Waffe. Sie kamen vor das gefürchtete Militärgericht. Auch in den Militärstraflagern fruchteten die Disziplinierungsversuche nichts. Wurde etwa Gleichschritt befohlen, blieben die jungen Männer stehen. Im Laufe der Jahre bildeten sich regelrechte Rituale im Umgang mit Totalverweigerern heraus. Die Zahl der jeweils in einem Jahr eingezogenen und also verhafteten Zeugen Jehovas blieb konstant wie auch die Zahl der Häftlinge insgesamt, weshalb alle drei Jahre überhaupt kein Zeuge Jehovas eingezogen wurde. Ausnahmen gab es auch hier. 1980 etwa wurden an einem Tag 286 junge Zeugen Jehovas verhaftet. Am Schluß der DDR war der SED-Staat so ausgelaugt, daß er sich nicht einmal mehr zur Verfolgung der Zeugen Jehovas aufraffen konnte. Es hätte auch keinen Zweck gehabt, denn etwa 20 000 Zeugen Jehovas hat es in der DDR immer gegeben, egal wie groß die Verfolgung war.

Weshalb gelang es nicht, die Richter von einst nach dem Ende der DDR juristisch zu belangen? Ein Richter, der an Prozessen gegen Zeugen Jehovas beteiligt, aber noch in den fünfziger Jahren in den Westen geflohen war, wurde dort zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Wer jedoch bis zum Ende der DDR geblieben war, muß nichts befürchten. Dirksen endet mit dem Satz: "Es bleibt die überraschende Feststellung, daß trotz Kritik derjenige, der begangenes Unrecht eingesteht, verurteilt wird, dreiste Vertreter der sozialistischen Maxime aber wegen ,Indoktrination' freigesprochen werden." Nicht in der Rechtsprechung, fährt er fort, sondern offenbar nur in der Wissenschaft könne die Auseinandersetzung mit DDR-Unrecht geführt werden. Dirksens Buch ist dazu ein in jeder Hinsicht gewichtiger Beitrag.

FRANK PERGANDE

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»Das Buch bietet eine umfassende Darstellung der Zeugen Jehovas in der DDR, die mit Gewinn lesen wird, wer sich für die Geschichte der politischen Justiz der DDR, die Tätigkeit des MfS sowie für die Geschichte einer Verfolgung am konkreten Beispiel interessiert.« Steffen Leide, in: Der Stacheldraht, 7/2001

»[N]ur in der Wissenschaft könne die Auseinandersetzung mit DDR-Unrecht geführt werden. Dirksens Buch ist dazu in jeder Hinsicht ein gewichtiger Beitrag.« Frank Pergande, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.10.2001