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Die 1990 gegründete Reihe, die auf eine Anregung von Mazzino Montinari zurückgeht, publiziert Quellenmaterialien zu Nietzsches Leben, seinem Umkreis und seiner Wirkung. Die Supplementa stellen somit eine Ergänzung zu den Kritischen Ausgaben von Nietzsches Werken (KGW) und Briefen (KGB) dar.

Produktbeschreibung


Die 1990 gegründete Reihe, die auf eine Anregung von Mazzino Montinari zurückgeht, publiziert Quellenmaterialien zu Nietzsches Leben, seinem Umkreis und seiner Wirkung. Die Supplementa stellen somit eine Ergänzung zu den Kritischen Ausgaben von Nietzsches Werken (KGW) und Briefen (KGB) dar.


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Autorenporträt
Franz Overbeck (1837 - 1905) war Professor für Neues Testament und Kirchengeschichte an der Universität Basel. Mit Nüchternheit und Präzision beschreibt er die Problematik des Christentums in der Moderne.

Niklaus Peter, geboren 1956, war Theologiedozent in Basel, Studentenseelsorger in Bern und Verlagsleiter in Zürich, bevor er 2004 als Pfarrer ans Zürcher Fraumünster berufen wurde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.1998

Auf diesen Stein wollte Nietzsche seine Kirche bauen
Peter Gast glaubte an Zarathustras Sendung, Franz Overbeck nahm auch das neue Evangelium skeptisch auf: Die Briefe zweier Freunde

"Mein lieber Herr Köselitz, kaum sonst gegen Jemand mehr als gegen Sie fühle ich mich durch die Verpflichtung zu sofortiger Mittheilung eines entsetzlichen Unglücks gedrängt. Ein paar hierher gerichtete Briefe constatirten für mich den Ausbruch von Nietzsches Wahnsinn. Montag abend reiste ich nach Turin, gestern früh habe ich ihn oder vielmehr einen nur für den Freund kenntlichen Trümmerhaufen von ihm dem hiesigen Irrenspital übergeben. Dort gilt sein Fall, zunächst durch den unangemessensten Grössenwahn charakterisirt, aber durch wie Vieles andere sonst! - als hoffnungslos. Ich habe kein ebenso entsetzliches Bild von Zerstörung gesehen." In fünf knappen Sätzen setzte Franz Overbeck den Komponisten Heinrich Köselitz am 11. Januar 1889 von der Erkrankung ihres gemeinsamen Freundes in Kenntnis. Nietzsches treuester Jünger vermochte die Mitteilung des Basler Kirchenhistorikers zunächst nicht zu fassen. "Verehrter Herr Professor! Ihre Nachricht hat mich auf's Tiefste erschüttert! Ich bringe es noch nicht zu Wege, Nietzschen, für mich eine der höchsten Erscheinungen der menschlichen Race, mir in die Zelle eines Irrenhauses gesperrt zu denken. Das Crescendo seines Selbstgefühls schien mir vollkommen berechtigt. Er hat das Recht zum Grössenwahn. Nun, ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass er wiederherzustellen sei."

Schon seit Mitte der siebziger Jahre hatte Köselitz Nietzsche tief verehrt. Als Zwanzigjähriger hatte er 1874 "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" gelesen. Nietzsches kulturkritische Botschaft, daß die Sinnleere der modernen Kultur nur durch einen neuen tragischen Mythos geheilt werden könne, erschütterte ihn. Um der Errettung aus existentieller Verzweiflung willen ging er 1875 zum Studium nach Basel. Dienstwillig stellte er sich dem Künder eines neuen bindenden Mythos als Sekretär zur Verfügung. Kurz nach der ersten Begegnung mit Nietzsche fertigte Köselitz eine Druckvorlage der vierten "Unzeitgemässen Betrachtung" über "Richard Wagner in Bayreuth" an. Auch führte er einen Teil der Korrespondenz, korrigierte Fahnen, las dem erschöpften Meisterdenker vor und suchte ihn mit Klavierspiel zu unterhalten. In "Ecce homo" gab Nietzsche der Angewiesenheit auf seinen treuen "Eckermann" ironisch Ausdruck: "Ich diktirte, den Kopf verbunden und schmerzhaft, er schrieb ab, er corrigirte auch, - er war im Grunde der eigentliche Schriftsteller, während ich bloss der Autor war."

Zum Danke verlieh Nietzsche Köselitz den neutestamentlichen Ehrennamen Peter, so daß sich der Komponist fortan als Peter Gast bezeichnete. Ernsthaft hielt der Philosoph den zehn Jahre Jüngeren für einen "neuen Mozart" und stellte Kontakte zum Dirigenten der Zürcher Tonhalle Friedrich Hegar her, um eine Aufführung von Gasts Oper "Der Löwe von Venedig" zu erreichen. Frederick R. Love hat 1981 in "Nietzsches Saint Peter. Genesis and Cultivation of an Illusion" ihre enge Freundschaft als wechselseitige Selbsttäuschung analysiert. Gast ließ sich in seinen mittelmäßigen, wenig erfolgreichen Kompositionen von Nietzsches Modernitätskritik und Musiktheorie inspirieren. So konnte der Ältere eine tiefe seelische Nähe zum jungen Freunde beschwören. Gast bot dies die Chance, sich als Genie zu sehen und seine Mißerfolge Philistern anzulasten, die wahres Künstlertum verfolgten.

Kurz nach der Ankunft in Basel hatte Köselitz 1875 auch Nietzsches Mitbewohner und Tischgenossen Overbeck kennengelernt. Er hörte Vorlesungen des kritischen Kirchenhistorikers und las dessen 1873 erschienene Streitschrift "Ueber die Christlichkeit unserer heutigen Theologie", eine Abrechnung mit dem fortschrittsoptimistischen Bürgerglauben der Kulturprotestanten. Unter dem Einfluß von Schopenhauer und Nietzsche hatte Overbeck hier einen unüberbrückbaren Hiatus zwischen Glauben und Wissen diagnostiziert. Die liberalen Kulturtheologen des neuen deutschen Reiches, die den alten Glauben mit der modernen Wissenschaft zu versöhnen suchten, verrieten in ihren artifiziellen Synthesen von Kultur und Religion die Substanz des Christentums, die radikale Weltverneinung. Jesus habe mit der Predigt vom nahen Gottesreich zum Kampf gegen alle Zeitlichkeit aufgerufen und die Nichtigkeit des Dieseits zugunsten des absoluten Jenseits verkündet.

In zahllosen kleinen Notaten analysierte Overbeck, ein brillanter Philologe, die unüberwindbare Fremdheit der urchristlichen Weltablehnung gegenüber jeder religiös-sittlichen Praxis, die die geschichtlich gegebene Kultur tätig umgestalten wollte. Der sensible, unter schweren psychosomatischen Krankheiten leidende Ordinarius der Basler theologischen Fakultät wurde zum Antitheologen, der die prinzipielle Unmöglichkeit des Christseins in der Moderne lehrte. Dies isolierte ihn in der Zunft und machte ihn in Basels wohlgeordneter Bürgerwelt einsam. Overbeck schenkte dem jungen Köselitz auch deshalb viel Aufmerksamkeit und Liebe, weil ihn dessen verzweifelte Versuche, in der Musik neuen Sinn zu finden, an die eigenen Leiden erinnerten.

Briefe zwischen dem "verehrten Herrn Professor" und seinem "lieben Köselitz" sind seit dem Dezember 1877 überliefert. Mit dem ersten kurzen Brief läßt der erkrankte Overbeck seinem Schüler eine Konzertkarte zukommen. Ihr Austausch endet 1905, als Overbeck dem nur noch "geehrten Herrn Köselitz" vorwirft, wider besseres Wissen Elisabeth Förster-Nietzsches editorische Manipulationen und Verfälschungen des Nietzsche-Bildes zu unterstützen. Insgesamt sind 126 Briefe Overbecks sowie ein Brief seiner Frau Ida an Köselitz sowie 148 Gegenbriefe bekannt. 24 Stücke fehlen im Original, da sie während der juristischen Auseinandersetzungen zwischen Overbecks Herausgeber Carl Albrecht Bernoulli und dem Weimarer Nietzsche-Archiv bei den Gerichtsakten deponiert werden mußten. Obwohl das Gericht verfügte, die Köselitz-Briefzitate in Bernoullis 1908 erschienener Monographie "Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche" zu schwärzen, hat schon Mazzino Montinari 1977 einige fehlende Briefe rekonstruieren können.

So können David Marc Hoffmann, kritischer Historiker des Nietzsche-Archivs, Niklaus Peter, ein bekannter Overbeck-Forscher, und Theo Salfinger, Vize-Direktor der Basler Universitätsbibliothek, die Overbeck-Köselitz-Korrespondenz nun in größtmöglicher Vollständigkeit präsentieren. Nach langjähriger philologischer Kleinarbeit legen sie eine kritische Edition vor, die höchsten Respekt verdient. Alle Briefe und einige im Anhang publizierte Aufzeichnungen Overbecks sind auf rund 250 eng bedruckten Seiten präzise, aber mit gebotener Knappheit kommentiert. Eine Zeittafel und ein hervorragend gearbeitetes Register ermöglichen schnelle Zugriffe auf den reichen Textbestand. Dem Leser wird ein faszinierendes document humain erschlossen, das von der Verführbarkeit und Einsamkeit moderner Intellektueller zeugt.

Im Zentrum der Korrespondenz steht natürlich Nietzsche. Wechselseitig informieren sich die beiden engsten Nietzsche-Freunde über Einzelheiten ihrer Begegnung mit dem Kranken, beraten über eine erste Gesamtausgabe seiner Schriften und tauschen sich über die "neuerdings huflattichartig wuchernde Nietzsche-Litteratur" aus. Nachdem Elisabeth Förster-Nietzsche 1891 ihr antisemitisch geprägtes Kolonialprojekt in Paraguay aufgegeben hat, wird der gemeinsame Kampf gegen die Machenschaften in ihrem Weimarer Archiv zu einem beherrschenden Thema. Zunächst teilt Köselitz Overbecks tiefe Abscheu gegen die Pläne der Schwester, Nietzsche nach dem Vorbild des Bayreuther Wagner-Kultus in Weimar zu heroisieren. "Eigentlich ist es zum Kranklachen, zwei gottesfürchtige Weiber und einen Landpfarrer über die Veröffentlichbarkeit eines der ausgemachtesten Antichristen und Atheisten zu Gericht sitzen zu sehen", schreibt er im April 1891.

Bald ist ihm das Lachen vergangen. Sein Scheitern als Komponist verstärkt die neurotische Fixierung auf den kranken Nietzsche, dessen Denken und Leiden er zunehmend in religiösen Kategorien deutet. Den "Zarathustra" liest er als eine "heilige Schrift" und als "Bibel für Ausnahme-Menschen". Nietzsche habe "das Leben seines Zarathustra gelebt" und jene Einheit von "Leben und Lehre" verkörpert, zu der nur einzelne religiöse Heroen der Menschheit imstande seien. 1899 schwärmt Köselitz von Nietzsches "Christushänden". Am Grabe verklärt er den Gestorbenen zum gottgleichen Lichtwesen. "Du warst einer der edelsten, der lautersten Menschen, die je über diese Erde gegangen sind. Heilig sei Dein Name allen kommenden Geschlechtern!" Trotz zahlreicher Konflikte mit Elisabeth Förster geht Köselitz, gebannt von den eigenen Mystifikationen, 1900 ans Weimarer Archiv. Selbst vor Gericht ergreift er für sie Partei und verleugnet dabei Overbeck und sich selbst. Er hat dies, wie die Briefe zeigen, nicht zuletzt zu seiner materiellen Sicherung getan.

Auch Overbeck spricht viel von Nietzsche. Doch bewahrt er sich einen philologisch distanzierten Blick auf das Werk. In seinen neutestamentlichen Studien hatte er eine Hermeneutik der Diskontinuität entwickelt, die dem Jenseitsglauben der frühen Christen seine Fremdheit belassen sollte. Gegen alle modernen ideologischen Vermittlungen insistierte er mit nüchternem Realismus auf der unaufhebbaren Differenz der Zeiten. Indem er die Transformation des weltverneinenden, eschatologischen Urchristentums in eine staatsloyale, kulturbejahende Großkirche für illegitim erklärte, verlor er den alten Glauben und wurde zum Skeptiker. Dies prägt auch seine Sicht Nietzsches. Niemand sonst habe ihn so tief berührt und erschüttert, schreibt Overbeck mehrfach. "Seinesgleichen habe ich auf meinen Lebenswegen nicht mehr getroffen, er hat in mein Leben gleich keinem andern Menschen eingegriffen, er hat es erhoben, und dafür dass er es nicht ,erleichtert' hat, bin ich ihm nur unauslöschlich dankbar."

Um des zärtlich geliebten toten Freundes willen teilt er Köselitz mit, daß er "eines Denkmals für das Hauptereignis meines Lebens nicht bedarf". Overbeck will sich seine individuelle, schmerzhafte memoria an den Freund und dessen grausames Leiden bewahren. "Wenn ich dem N. Archiv aus dem Wege gehe, so ist das eben nur meine Art N. zu vertreten, das heißt, ich meine damit nur zu thun was ich N., meiner Freundschaft mit ihm und dem unauslöschlichen Andenken an ihn, schuldig zu sein glaube." Öffentlich untersagt Overbeck kurz vor seinem Tod die Verwendung seiner Nietzschebriefe. In einem Notat, erst fragmentarisch veröffentlicht, erklärt er: "Seine Freundschaft ist mir im Leben zu viel wert gewesen, als dass ich noch Lust verspürte, sie mir durch irgendwelche posthume Schwärmerei zu verderben."

Mit faszinierender intellektueller Geradlinigkeit lebt Overbeck den radikalen Historismus, den er als Neutestamentler vertrat. Zum neutestamentlichen Kanon schrieb er 1880, es liege "im Wesen aller Kanonisation, ihre Objekte unkenntlich zu machen". Deshalb will er seinen besten Freund vor Kanonisierung schützen. Als Gast im Mai 1905 Elisabeth Försters Lügen über ihres Bruders Krankheit verbreitet, bricht Overbeck mit dem Peter, mit dem die Nietzscheaner ihr Kirchlein bauen wollen. Vier Wochen später stirbt er, einsam und enttäuscht. Noch am Grabe läßt er sein skeptisches Weltverhältnis bezeugen. Der Theologieprofessor hatte den Glauben der Christen verloren, ohne im nihilistischen Anti-Credo seines Freundes neue Gewißheit finden zu können. Deshalb verfügte er, daß ein Pfarrer bei der Beerdigung ein Gebet für seine verlorene Seele sprechen solle. Ob Köselitz dazu aus Weimar nach Basel gereist ist, wissen selbst die bestens informierten gelehrten Herausgeber des Briefwechsels nicht zu sagen. Ansonsten bleiben sie in ihrer exzellenten Edition keine Auskunft schuldig. FRIEDRICH WILHELM GRAF

Franz Overbeck, Heinrich Köselitz (Peter Gast): "Briefwechsel". Herausgegeben von David Marc Hoffmann, Niklaus Peter und Theo Salfinger. Supplementa Nietzscheana, Band 3. Verlag de Gruyter, Berlin 1998. 837 S., geb., 398,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Albert von Schirnding empfiehlt dringend, die neue Edition der Briefe Nietzsches an Overbeck ("Briefwechsel", 2000, Metzler Verlag) zusammen mit Overbecks Nietzsche-Notizen ("Werke und Nachlaß. Band 7/2: Autobiografisches", 1999, Metzler Verlag) und dessen Briefwechsel mit Köselitz ("Briefwechsel", 1998, Verlag de Gruyter) zu lesen. Und so beschäftigt sich die ausführliche Rezension mit allen drei genannten Bänden, denn gemeinsam ließen sie sowohl ein "authentisches Nietzsche-Porträt" als auch die gleich nach dessen Tod einsetzende "Verzeichnung des Bildes" sichtbar werden. Erstmals seien nun alle wichtigsten Texte greifbar, die die "sogenannte Basler Tradition begründeten und deren Gegnerschaft zu Weimar die Nietzsche-Forschung jahrzehntelang zum Kriegsschauplatz" gemacht hätten. Trotz aller Bemühungen gelingt es von Schirnding, der offensichtlich über weitreichende Kenntnisse verfügt, nicht vollständig, dem Leser die verwirrende Editionsgeschichte der verschiedenen Korrespondenzen zu erhellen. Doch versteht man, dass der Rezensent überzeugt ist, dass nun ein ausgewogenerer Blick auf sich widersprechende Positionen möglich ist.

© Perlentaucher Medien GmbH