Die Jagd ist in Diskussion gekommen. Zwar ist klar, dass das Wild in unseren Wäldern allemal artgerechter lebt (und stirbt) als die meisten unserer Nutztiere und dass die Jagd zur Erhaltung eines Gleichgewichtes im Wald und zur Aufrechterhaltung des Bestandes an Wildtieren auch in Zukunft unverzichtbar ist. Wie aber können Jagdpraxis und Hege zeitgemäß und tiergerecht aussehen? Welche Ansprüche stellen Öffentlichkeit, Tourismus, Land-wirtschaft, Umwelt- und Tierschützer, Jäger, Konsumenten und - vor allem - die Tiere? Die Antworten eines Wildbiologen und Jägers werden für alle Seiten überraschend und herausfordernd sein. Aus dem Inhalt: . Der Jäger und seine Verantwortung . "Who is who?": Die unterschiedlichen Lebensweisen und Ansprüche von Rot- und Rehwild aus der Sicht des Wildbiologen . "Chefsache": Zur Ranghöhe und der Geweihausbildung . "Wintergatter": Liberalisierter Strafvollzug mit Freigang zur Jagdzeit . "Diät und Mast": Zum Sinn und Unsinn der Wildfütterung . "Turbojagd": Zur Durchführung von Bewegungsjagden (Treibjagd) auf Reh- und Rotwild . "Tabu-Bereich?": Jagd in Großschutzgebieten Alle "heißen Eisen" in der heftigen Diskussion um eine zeitgemäße Jagdausübung aus der Sicht der Wildbiologie!
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2000Zäpfchen und Näpfchen
Helmuth Wölfel zieht den Mythen von der Jagd einige Zähne
Wer sich heute auf die Jägerprüfung vorbereitet, auf jenes "grüne Abitur", das den Weg zum Jagdschein eröffnet, der muss manchen Unsinn lernen. Zum Beispiel den von den Zäpfchen und den Näpfchen. Die Lehre von den Zäpfchen und den Näpfchen gehört zur Fährtenkunde. Der Jäger spricht auch von Pirschzeichen. Das Wild hinterlässt Spuren im Revier. Der Jäger sollte sie deuten - also Trittsiegel, Haare, Schälstellen an Bäumen und eben auch Losung, also den Kot, einer bestimmten Tierart zuordnen und aus ihnen möglicherweise auch auf die körperliche Verfassung des einzelnen Tieres schließen können.
Zäpfchen und Näpfchen sind eine Eigenart des Rotwild-Kots. Dessen Form erinnert an eine Olive oder eine große Kaffeebohne. Das männliche Rotwild, der Hirsch also, so steht es bis heute in den Lehrbüchern, bringe am Ende des Verdauungsvorgangs nicht einfach Oliven oder Kaffeebohnen hervor, sondern Oliven oder Kaffeebohnen mit Zäpfchen und Näpfchen, mit einer Eindellung am einen und einer vorwitzigen Spitze am anderen Ende. Und so kriechen dann Jagdscheinaspiranten im Wald herum und sortieren Rotwildkot nach männlich und weiblich.
In Zukunft können sie das lassen. Die Lehre von der geschlechtsspezifischen Kotform ist ein Märchen, wie sich leicht an Beobachtungen in Wildgattern feststellen lässt. In der jägerischen Subkultur spielt der Glaube an altehrwürdige Autoritäten eine große Rolle, ist die bärtig-lodengrüne Verachtung für wissenschaftliche Empirie eine verbreitete Attitüde. Deshalb wird es noch eine Weile dauern, bis bei der Jägerprüfung niemand mehr nach Zäpfchen und Näpfchen gefragt werden wird.
Dass aber heutzutage der Traditionsbestand jägerischen Wissens doch langsam entrümpelt wird, das ist Autoren und Wissenschaftlern wie Helmuth Wölfel zu verdanken. Der Österreicher Wölfel arbeitet am Institut für Wildbiologie und Jagdkunde der Universität Göttingen. Dort erhalten angehende Forstleute ihre jägerische Ausbildung. Und weil Forstleute im Verlauf der letzten hundert Jahre führend an der Gestaltung des deutschen Jagdwesens beteiligt waren, sowohl auf seinen Irrwegen als auch jetzt bei den notwendigen Korrekturen vorneweg gingen, hat Wölfels frische, von Mythen befreite Sicht auf Wild und Jagd gute Aussichten, sich am Ende durchzusetzen.
Wölfels Buch ist keine durchgeschriebene Monographie, sondern eine Sammlung von Diskussionsbeiträgen zu fast allen Fragen, über die sich Jäger heute die Köpfe heiß reden. Er schreibt über den Sinn oder eher Unsinn der Wildfütterung, über das Für und Wider verschiedener Jagdmethoden und beschäftigt sich ausführlich mit den biologischen und ökologischen Unterschieden zwischen Rehwild und Rotwild, die im Blick auf Jagd und Hege dieser beiden Wildarten Konsequenzen haben müssen, vor allem beim Rehwild. Das meiste, was Jäger zu wissen glauben über "Zukunftsböcke", die man als "Vererber" schonen müsse, über "starke" und "schwache" Kitze oder über die Not, die Rehe angeblich im Winter leiden, kann man vergessen. Die Vorstellung, man könne durch richtige Selektion einen Rehwildbestand "verbessern", komme aus der unzulässigen Übertragung landwirtschaftlichen Denkens auf die Wildbahn. "Die Wildbahn ist kein Stall", schreibt Wölfel.
Für Wildbiologen und Jagdwissenschaftler sind das alles alte Hüte. Es kommt aber darauf an, dass realistische Betrachtungsweisen von Jagd und Hege sich auch bei den Jägern durchsetzen. Das geschieht durch Jagdzeitschriften, sofern die sich nicht als Bollwerke des Traditionalismus verstehen. Das geschieht aber auch durch im besten Sinne populärwissenschaftliche Bücher, wie Wölfel eines vorgelegt hat.
ECKHARD FUHR
Helmuth Wölfel: "Turbo-Reh und Öko-Hirsch". Perspektiven zu Wild, Hege und Jagd. Leopold Stocker Verlag, Graz, Stuttgart 1999. 200 S., zahlr. Abb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Helmuth Wölfel zieht den Mythen von der Jagd einige Zähne
Wer sich heute auf die Jägerprüfung vorbereitet, auf jenes "grüne Abitur", das den Weg zum Jagdschein eröffnet, der muss manchen Unsinn lernen. Zum Beispiel den von den Zäpfchen und den Näpfchen. Die Lehre von den Zäpfchen und den Näpfchen gehört zur Fährtenkunde. Der Jäger spricht auch von Pirschzeichen. Das Wild hinterlässt Spuren im Revier. Der Jäger sollte sie deuten - also Trittsiegel, Haare, Schälstellen an Bäumen und eben auch Losung, also den Kot, einer bestimmten Tierart zuordnen und aus ihnen möglicherweise auch auf die körperliche Verfassung des einzelnen Tieres schließen können.
Zäpfchen und Näpfchen sind eine Eigenart des Rotwild-Kots. Dessen Form erinnert an eine Olive oder eine große Kaffeebohne. Das männliche Rotwild, der Hirsch also, so steht es bis heute in den Lehrbüchern, bringe am Ende des Verdauungsvorgangs nicht einfach Oliven oder Kaffeebohnen hervor, sondern Oliven oder Kaffeebohnen mit Zäpfchen und Näpfchen, mit einer Eindellung am einen und einer vorwitzigen Spitze am anderen Ende. Und so kriechen dann Jagdscheinaspiranten im Wald herum und sortieren Rotwildkot nach männlich und weiblich.
In Zukunft können sie das lassen. Die Lehre von der geschlechtsspezifischen Kotform ist ein Märchen, wie sich leicht an Beobachtungen in Wildgattern feststellen lässt. In der jägerischen Subkultur spielt der Glaube an altehrwürdige Autoritäten eine große Rolle, ist die bärtig-lodengrüne Verachtung für wissenschaftliche Empirie eine verbreitete Attitüde. Deshalb wird es noch eine Weile dauern, bis bei der Jägerprüfung niemand mehr nach Zäpfchen und Näpfchen gefragt werden wird.
Dass aber heutzutage der Traditionsbestand jägerischen Wissens doch langsam entrümpelt wird, das ist Autoren und Wissenschaftlern wie Helmuth Wölfel zu verdanken. Der Österreicher Wölfel arbeitet am Institut für Wildbiologie und Jagdkunde der Universität Göttingen. Dort erhalten angehende Forstleute ihre jägerische Ausbildung. Und weil Forstleute im Verlauf der letzten hundert Jahre führend an der Gestaltung des deutschen Jagdwesens beteiligt waren, sowohl auf seinen Irrwegen als auch jetzt bei den notwendigen Korrekturen vorneweg gingen, hat Wölfels frische, von Mythen befreite Sicht auf Wild und Jagd gute Aussichten, sich am Ende durchzusetzen.
Wölfels Buch ist keine durchgeschriebene Monographie, sondern eine Sammlung von Diskussionsbeiträgen zu fast allen Fragen, über die sich Jäger heute die Köpfe heiß reden. Er schreibt über den Sinn oder eher Unsinn der Wildfütterung, über das Für und Wider verschiedener Jagdmethoden und beschäftigt sich ausführlich mit den biologischen und ökologischen Unterschieden zwischen Rehwild und Rotwild, die im Blick auf Jagd und Hege dieser beiden Wildarten Konsequenzen haben müssen, vor allem beim Rehwild. Das meiste, was Jäger zu wissen glauben über "Zukunftsböcke", die man als "Vererber" schonen müsse, über "starke" und "schwache" Kitze oder über die Not, die Rehe angeblich im Winter leiden, kann man vergessen. Die Vorstellung, man könne durch richtige Selektion einen Rehwildbestand "verbessern", komme aus der unzulässigen Übertragung landwirtschaftlichen Denkens auf die Wildbahn. "Die Wildbahn ist kein Stall", schreibt Wölfel.
Für Wildbiologen und Jagdwissenschaftler sind das alles alte Hüte. Es kommt aber darauf an, dass realistische Betrachtungsweisen von Jagd und Hege sich auch bei den Jägern durchsetzen. Das geschieht durch Jagdzeitschriften, sofern die sich nicht als Bollwerke des Traditionalismus verstehen. Das geschieht aber auch durch im besten Sinne populärwissenschaftliche Bücher, wie Wölfel eines vorgelegt hat.
ECKHARD FUHR
Helmuth Wölfel: "Turbo-Reh und Öko-Hirsch". Perspektiven zu Wild, Hege und Jagd. Leopold Stocker Verlag, Graz, Stuttgart 1999. 200 S., zahlr. Abb., 39,90 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein "im besten Sinne populärwissenschaftliches" Buch sei das, lobt Eckhard Fuhr. Wölfels Sammlung von Diskussionsbeiträgen, die sich mit so ziemlich allem auseinandersetze, was für Jäger von Interesse sei, sorge für eine kräftige Entrümpelung des traditionellen jägerischen Wissens. Fuhr wendet sich in seiner Rezension energisch gegen die "bärtig-lodengrüne Verachtung für wissenschaftliche Empirie". Die "altehrwürdigen Autoritäten" in der "jägerischen Subkultur" würden nämlich ziemlich oft "Märchen" verbreiten: Manche Jäger behaupten noch heute, Rotwild habe eine "geschlechtsspezifische Kotform", entsetzt sich der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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