Die beiden Bände bieten auf über 1300 Seiten nicht nur ein Stück jüngster Theatergeschichte, sondern die Chronik einer an Erregungen und Skandalen, Triumphen und auch Niederlagen reichen Zeit. Sie gewähren Einblick in das, was sich hinter den Kulissen und im Parkett abspielte, bringen Unveröffentlichtes aus den Archiven, Enthüllungen, Stellungnahmen, Interviews, Vergessenes und Unvergessenes, zudem Plakate mit Karikaturen, Schlagzeilen, liebevollen Skizzen und bösartigen Attacken. Kurzum: ein noch nie da gewesenes Tagebuch der laufenden Ereignisse, die Bilanz einer Epoche.
»Eine Chronik der Euphorien, Verzweiflungen und Skandale.« News
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.199939 648 Minuten Applaus
Der ultimative Peymann-Roman · Von Gerhard Stadelmaier
Dieses Buch besteht aus zwei Büchern. Aufeinandergelegt, messen sie acht Komma sieben Zentimeter in der Höhe, neunundzwanzig Komma fünf Zentimeter in der Länge und neunundzwanzig Zentimeter in der Breite. Das macht ein Gesamtbuchvolumen von fünf Komma drei acht neun Litern. In der neueren deutschen Literatur ist dieser Hubraum konkurrenzlos.
Zwar trägt das Buch den Titel "Weltkomödie Österreich" und den Untertitel "13 Jahre Burgtheater" und verheißt im ersten Band "Bilder", im zweiten eine "Chronik"; zwar steht im Vorwort der sage und schreibe vier Herausgeber, dieses Buch sei "von vielen Menschen geschrieben worden. Es haben Dichter und Schauspieler, Maler und Musiker, Theaterleute und Zuschauer geschrieben. Die Fotografen haben es mit ihren Bildern geschrieben. Und die gesamte Öffentlichkeit hat unentwegt unentgeltlich daran mitgeschrieben." Aber das gehört zur literarischen Camouflage und in die barocke Tradition der getürkten Urheberschaften, die in Wien bekanntlich seit 1683, dem Jahr des Sieges über das großtürkische Heer am Kahlenberg, sozusagen als eine historisch reziproke Revanchespielerei in besonderem Schwange ist.
In Wahrheit hat dieses Buch in den 872 Seiten des ersten und in den 476 Seiten des zweiten Bandes nur einen Autor und nur einen Helden. Dieser ist der Größte, Schönste, Beste, Tragischste, Kämpferischste, Tollste, Phantastischste, der den Mächtigen die Hosen am mächtigsten Ausziehende, der Frauenliebste, Utopischste, Visionärste, Unsterblichste. (Alle diesbezüglichen Zitate sind auf Seite 788 im ersten Band nachzulesen.) In einem Anfall von Untertreibung sagt der Autor über sich als Held auf Seite 789: "Ich bin der liebe Gott im kleinen, der alles noch einmal selbst und neu machen kann." So bescheiden kann nur einer sein: Claus Peymann, uneigentlich von 1986 bis noch zum 30. Juni 1999 Burgtheaterdirektor, aber eigentlich, seit er in Stuttgart damit anfing und in Bochum damit weitermachte, bevor er in Wien den Gipfel erklomm, ein unaufhörlicher Entwicklungsromanschreiber. In Stuttgart und Bochum schrieb er sozusagen Vorstudien, überlange Novellen: unerhörte Begebenheiten. Jetzt in Wien: den endgültigen Roman, das absolut Unerhörte. Er beginnt mit der Erschaffung der Welt und des Ichs und des Theaters durch Peymann. Und wenn er endet, schaut es so aus, als sei auch Peymann am Ende, und das Theater und die Welt auch. (Und für Berlin bleibt sowieso nichts mehr.)
Schon im ersten Bild in Band 1 schreibt sich Peymann, wenn auch noch raffiniert unsichtbar, in die Geschichte ein. Das Bild zeigt ein Riesenrad, aufgebaut vor dem Burgtheater. Die Gondeln drehen sich im Sommerwind. Und säßen Erwachsene drin, würden wir sie sehen. Nur Kinder verschwänden ob ihrer Winzigkeit hinter den Gondelwänden. Also wird mindestens ein Kind in einer der nur scheinbar leeren Gondeln sitzen. Und dieses Kind ist natürlich Peymann, der sich im einen Wahrzeichen der Stadt (Riesenrad) sozusagen ums andere (Burgtheater) dreht, um zu demonstrieren, daß das eigentliche Wiener Wahrzeichen gegen die vielen Falschzeichen in der Stadt nur einer sein kann: er.
Schaut man in die lachenden, glücklichen Gesichter der Schauspieler, die in einem ganz kleinen Bild unter dem Etikett "Inhalt" abgebildet sind, wie sie da vor heruntergelassenen Zügen auf der Bühne sitzen und sich über irgend etwas unbändig zu freuen scheinen, dann denkt man: So unbändig kann man sich nur über die Geburt eines Kindes freuen. Und dieses Kind kann wiederum nur Peymann sein. Wenig später werden dem Kinde in der Luftburgtheatergondel ja auch die Varieté-Balkan-Könige Heller, Ransmayer und Handke Weihrauch, Myrrhe und Seidenhemden in hübschen Text-Elogen darbringen, wird der Generalstaatssekretär des Burgtheater-Vatikans, Hermann Beil, einer der gescheitesten Thalia-Theologen, viele wunderbare göttliche Worte über Wien und den Himmel und die Hölle und das Publikum und die Bühne und die Kunst machen, ohne das Kind namentlich zu erwähnen, aber nie ohne es zu meinen.
Es treten ja in diesem Buch auch unendlich viele, wunderschöne und wunderhäßliche Menschen auf. Sie rennen, gehen, taumeln, fliegen mit aufgerissenen Augen, mit hängenden Köpfen, stoßenden Armen, rudernden Bewegungen, mit Messern und Dolchen, glückselig und glücktraurig, mit Blumen und mit Hüten, Spießen und Stangen, halb oder ganz angezogen, mit Lichtern und in der Finsternis total faszinierend durch die vielen, vielen Bilder und Texte und Dokumente und Karikaturen und Zeitungsausschnitte von 1986 bis 1999. Darunter so berühmte und wunderbare und unheimliche Menschen wie die Dene, der Schwab, der Voss, der Kirchner, die Ritter, die Claussen, der Minetti, der Tabori, der Oest, der Mühe, der Zadek, der Bierbichler, der Schiller, die Lothar, der Buhre, der Samarovski, der Rehberg, der Bernhard, welch letzterer Briefe an Peymann schrieb, bei denen alle die Stellen, die nicht ausschließlich das heilige Kind, sondern andere Personen betreffen, geschwärzt sind.
Man erlebt in diesem Roman natürlich auch die großen Schurken, die Feinde des Kindes, darunter die österreichischen Nazis, die Burgtheaterkantinenwirte oder die Horden der FPÖ- und ÖVP-Abgeordneten, die unzählige parlamentarische Anfragen zur "Causa Peymann" im österreichischen Nationalrat einbrachten. Was aber das Kind in seinem Glauben nur bestärken konnte, es sei auserwählt, die Nation zu erlösen.
Es schlurfen oder stampfen oder schlendern durch dies Buch Jahrzehntgrößen wie der Turrini und die Jelinek, Jahrhundertegrößen wie der Nestroy oder der Raimund, Jahrtausendgrößen wie der Shakespeare und der Kleist. Und verneigen sich vor Peymann. Und die Besatzung eines österreichischen Notarztwagens schafft es binnen fünf Minuten - nicht, wie die Wiener Boulevard-Presse falsch meldete, binnen dreißig -, vor Peymanns Bandscheibenvorfall strammzustehen. Dafür spucken der gemeine Muliar und die Steckerln, Stangerln und Staberln aus der aberwitzigen "Kronenzeitung" kräftig vor Peymann aus. Die Vereinigung der Wiener Frisöre und die zwar erzkonservative, aber dennoch völlig peymannverrückte "Presse" tauchen auf wie Rolf Hochhuth: also irgendwie schicksalshaft. Und das Kind registriert und beschreibt dies hoch entzückt und lächelt und lallt und schreit: Ich! Ich! Ich!
Alle diese Menschen und Papiere und Vereinigungen, die toten wie die lebenden oder auch nur die scheintoten, wirken in ihren Kostümen und Gesichtern und Masken und Anzügen in diesem Buch nur: wie Puppen. Und es ist da einer, der ihnen Leben einhaucht, sie aufdreht, sich an ihnen vergreift, sie antreibt, sich in ihnen spiegelt, über sie herfällt, sie streichelt und lieb-bös kost, sich Tag und Nacht um sie kümmert, sie sich einverleibt, sie mit Briefen, Telefonaten, Notizen bombardiert, sich vor ihnen die Brust aufreißt, sie in Interviews beleidigt, in wieder anderen Interviews vor ihnen im Staube kriecht: Peymann.
In Zeiten, in denen 2 186 576 Programmbücher im Burgtheater gedruckt werden, in denen 1 635 480 Minuten Theater gespielt, 22 052 Abonnenten gezählt und 39 648 Minuten Applaus gespendet werden, Zeiten, in denen alles ins Massenhafte sich verläuft und der einzelne sich als Subjekt verflüssigt, Zeiten, in denen der Betrieb alles Subjektive schluckt, Zeiten, in denen das Theater das Subjekt gerne von der Bühne vertreibt - in solchen Zeiten nimmt das Subjekt P. alles, aber auch alles auf sich, auf seine Kappe und Klappe. Ein absolutistischer Dulder und Herrscher noch dann, wenn er in anarchistischer Laune den Herrschenden die Brust oder im Falle des österreichischen Bundespräsidenten Waldheim im Hotel "Imperial" nur den Hals bietet, auf den er sich laut einem Interview von Waldheim hat küssen lassen: Le théâtre, c'est moi! So beschreibt das Buch nicht die "Weltkomödie Österreich", sondern die "Weltkomödie Peymann".
In dieser Weltkomödie gibt es nichts, was nicht wichtig wäre. Ob es die rostige Büroklammer ist, die unter heftigstem Leugnen des Kantinenwirts im Röstbrot der Peymann-Referentin Bergmann verbacken wurde. Ob es die vier in Oberwart ermordeten Sinti und Roma sind. Ob es um eine Pistazienfabrik geht, die der Burgtheaterdirektor laut zuverlässigen Wiener Presse-Berichten heimlich und unter Verschweigen der Nebeneinnahmen im Iran betrieben haben soll. Immer steht Peymann allein gegen Intriganten, Mörder, Saboteure, Verleumder. Immer klärt er auf, entlarvt er, reißt er den Gegnern die Masken vom Gesicht. Und sei es nur die Maske einer Büroklammer.
Zwar könnte man sich ganz ohne dieses Buch an dreizehn Jahre Peymann-Theater in Wien erinnern. An viele schön gediegene, viele nette, viele langweilige und an ein paar geniale Inszenierungen. Und an ein paar Sternstunden, die uns von Tabori ("Othello", "Goldberg-Variationen") und Zadek ("Iwanow", "Kirschgarten", "Kaufmann von Venedig") beschert wurden. Aber auch an einen Gemischtwarenladen, in dem zuletzt die Konturen etwas verschwammen, wo ein braver Benning neben einem stampfenden Schleef, ein wilder Castorf neben einem zahmen Giesing inszenierte. Wo aber auch der junge Philip Tiedemann wie ein sanfter eigensinniger Komet zu leuchten anfing. Erinnerung an ein Terrain auch, in dem der Regisseur Peymann im Lauf der Jahre nicht mehr ganz so auffiel, weil eine gewisse Gefälligkeit an ihm zu nagen anfing. Ein etwas müde gewordener Erwachsener. Peymann, der Zerbrösler.
Wer aber so zu denken und zu erschrecken anfinge, der muß schnell in dieses Buch hineinschauen, um Peymann, das Kind, Peymann, den Erlöser, wiederzufinden, der alles auf sich lädt und "Ich! Ich! Ich!" schreit und das Theater und die Politik und die Frisöre und die Mittelstürmer und die Kritiker und Schächer richtet zur Linken und zur Rechten und alle in sein Paradies führt. Und man seufze erleichtert: Er hat's vollbracht.
Hermann Beil, Jutta Ferbers, Claus Peymann, Rita Thiele (Hrsg.): "Weltkomödie Österreich. 13 Jahre Burgtheater 1986 bis 1999". Paul Zsolnay Verlag, Wien 1999. Bd. 1 "Bilder", 872 S.; Bd. 2 "Chronik". 476 S., br., zus. 136,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der ultimative Peymann-Roman · Von Gerhard Stadelmaier
Dieses Buch besteht aus zwei Büchern. Aufeinandergelegt, messen sie acht Komma sieben Zentimeter in der Höhe, neunundzwanzig Komma fünf Zentimeter in der Länge und neunundzwanzig Zentimeter in der Breite. Das macht ein Gesamtbuchvolumen von fünf Komma drei acht neun Litern. In der neueren deutschen Literatur ist dieser Hubraum konkurrenzlos.
Zwar trägt das Buch den Titel "Weltkomödie Österreich" und den Untertitel "13 Jahre Burgtheater" und verheißt im ersten Band "Bilder", im zweiten eine "Chronik"; zwar steht im Vorwort der sage und schreibe vier Herausgeber, dieses Buch sei "von vielen Menschen geschrieben worden. Es haben Dichter und Schauspieler, Maler und Musiker, Theaterleute und Zuschauer geschrieben. Die Fotografen haben es mit ihren Bildern geschrieben. Und die gesamte Öffentlichkeit hat unentwegt unentgeltlich daran mitgeschrieben." Aber das gehört zur literarischen Camouflage und in die barocke Tradition der getürkten Urheberschaften, die in Wien bekanntlich seit 1683, dem Jahr des Sieges über das großtürkische Heer am Kahlenberg, sozusagen als eine historisch reziproke Revanchespielerei in besonderem Schwange ist.
In Wahrheit hat dieses Buch in den 872 Seiten des ersten und in den 476 Seiten des zweiten Bandes nur einen Autor und nur einen Helden. Dieser ist der Größte, Schönste, Beste, Tragischste, Kämpferischste, Tollste, Phantastischste, der den Mächtigen die Hosen am mächtigsten Ausziehende, der Frauenliebste, Utopischste, Visionärste, Unsterblichste. (Alle diesbezüglichen Zitate sind auf Seite 788 im ersten Band nachzulesen.) In einem Anfall von Untertreibung sagt der Autor über sich als Held auf Seite 789: "Ich bin der liebe Gott im kleinen, der alles noch einmal selbst und neu machen kann." So bescheiden kann nur einer sein: Claus Peymann, uneigentlich von 1986 bis noch zum 30. Juni 1999 Burgtheaterdirektor, aber eigentlich, seit er in Stuttgart damit anfing und in Bochum damit weitermachte, bevor er in Wien den Gipfel erklomm, ein unaufhörlicher Entwicklungsromanschreiber. In Stuttgart und Bochum schrieb er sozusagen Vorstudien, überlange Novellen: unerhörte Begebenheiten. Jetzt in Wien: den endgültigen Roman, das absolut Unerhörte. Er beginnt mit der Erschaffung der Welt und des Ichs und des Theaters durch Peymann. Und wenn er endet, schaut es so aus, als sei auch Peymann am Ende, und das Theater und die Welt auch. (Und für Berlin bleibt sowieso nichts mehr.)
Schon im ersten Bild in Band 1 schreibt sich Peymann, wenn auch noch raffiniert unsichtbar, in die Geschichte ein. Das Bild zeigt ein Riesenrad, aufgebaut vor dem Burgtheater. Die Gondeln drehen sich im Sommerwind. Und säßen Erwachsene drin, würden wir sie sehen. Nur Kinder verschwänden ob ihrer Winzigkeit hinter den Gondelwänden. Also wird mindestens ein Kind in einer der nur scheinbar leeren Gondeln sitzen. Und dieses Kind ist natürlich Peymann, der sich im einen Wahrzeichen der Stadt (Riesenrad) sozusagen ums andere (Burgtheater) dreht, um zu demonstrieren, daß das eigentliche Wiener Wahrzeichen gegen die vielen Falschzeichen in der Stadt nur einer sein kann: er.
Schaut man in die lachenden, glücklichen Gesichter der Schauspieler, die in einem ganz kleinen Bild unter dem Etikett "Inhalt" abgebildet sind, wie sie da vor heruntergelassenen Zügen auf der Bühne sitzen und sich über irgend etwas unbändig zu freuen scheinen, dann denkt man: So unbändig kann man sich nur über die Geburt eines Kindes freuen. Und dieses Kind kann wiederum nur Peymann sein. Wenig später werden dem Kinde in der Luftburgtheatergondel ja auch die Varieté-Balkan-Könige Heller, Ransmayer und Handke Weihrauch, Myrrhe und Seidenhemden in hübschen Text-Elogen darbringen, wird der Generalstaatssekretär des Burgtheater-Vatikans, Hermann Beil, einer der gescheitesten Thalia-Theologen, viele wunderbare göttliche Worte über Wien und den Himmel und die Hölle und das Publikum und die Bühne und die Kunst machen, ohne das Kind namentlich zu erwähnen, aber nie ohne es zu meinen.
Es treten ja in diesem Buch auch unendlich viele, wunderschöne und wunderhäßliche Menschen auf. Sie rennen, gehen, taumeln, fliegen mit aufgerissenen Augen, mit hängenden Köpfen, stoßenden Armen, rudernden Bewegungen, mit Messern und Dolchen, glückselig und glücktraurig, mit Blumen und mit Hüten, Spießen und Stangen, halb oder ganz angezogen, mit Lichtern und in der Finsternis total faszinierend durch die vielen, vielen Bilder und Texte und Dokumente und Karikaturen und Zeitungsausschnitte von 1986 bis 1999. Darunter so berühmte und wunderbare und unheimliche Menschen wie die Dene, der Schwab, der Voss, der Kirchner, die Ritter, die Claussen, der Minetti, der Tabori, der Oest, der Mühe, der Zadek, der Bierbichler, der Schiller, die Lothar, der Buhre, der Samarovski, der Rehberg, der Bernhard, welch letzterer Briefe an Peymann schrieb, bei denen alle die Stellen, die nicht ausschließlich das heilige Kind, sondern andere Personen betreffen, geschwärzt sind.
Man erlebt in diesem Roman natürlich auch die großen Schurken, die Feinde des Kindes, darunter die österreichischen Nazis, die Burgtheaterkantinenwirte oder die Horden der FPÖ- und ÖVP-Abgeordneten, die unzählige parlamentarische Anfragen zur "Causa Peymann" im österreichischen Nationalrat einbrachten. Was aber das Kind in seinem Glauben nur bestärken konnte, es sei auserwählt, die Nation zu erlösen.
Es schlurfen oder stampfen oder schlendern durch dies Buch Jahrzehntgrößen wie der Turrini und die Jelinek, Jahrhundertegrößen wie der Nestroy oder der Raimund, Jahrtausendgrößen wie der Shakespeare und der Kleist. Und verneigen sich vor Peymann. Und die Besatzung eines österreichischen Notarztwagens schafft es binnen fünf Minuten - nicht, wie die Wiener Boulevard-Presse falsch meldete, binnen dreißig -, vor Peymanns Bandscheibenvorfall strammzustehen. Dafür spucken der gemeine Muliar und die Steckerln, Stangerln und Staberln aus der aberwitzigen "Kronenzeitung" kräftig vor Peymann aus. Die Vereinigung der Wiener Frisöre und die zwar erzkonservative, aber dennoch völlig peymannverrückte "Presse" tauchen auf wie Rolf Hochhuth: also irgendwie schicksalshaft. Und das Kind registriert und beschreibt dies hoch entzückt und lächelt und lallt und schreit: Ich! Ich! Ich!
Alle diese Menschen und Papiere und Vereinigungen, die toten wie die lebenden oder auch nur die scheintoten, wirken in ihren Kostümen und Gesichtern und Masken und Anzügen in diesem Buch nur: wie Puppen. Und es ist da einer, der ihnen Leben einhaucht, sie aufdreht, sich an ihnen vergreift, sie antreibt, sich in ihnen spiegelt, über sie herfällt, sie streichelt und lieb-bös kost, sich Tag und Nacht um sie kümmert, sie sich einverleibt, sie mit Briefen, Telefonaten, Notizen bombardiert, sich vor ihnen die Brust aufreißt, sie in Interviews beleidigt, in wieder anderen Interviews vor ihnen im Staube kriecht: Peymann.
In Zeiten, in denen 2 186 576 Programmbücher im Burgtheater gedruckt werden, in denen 1 635 480 Minuten Theater gespielt, 22 052 Abonnenten gezählt und 39 648 Minuten Applaus gespendet werden, Zeiten, in denen alles ins Massenhafte sich verläuft und der einzelne sich als Subjekt verflüssigt, Zeiten, in denen der Betrieb alles Subjektive schluckt, Zeiten, in denen das Theater das Subjekt gerne von der Bühne vertreibt - in solchen Zeiten nimmt das Subjekt P. alles, aber auch alles auf sich, auf seine Kappe und Klappe. Ein absolutistischer Dulder und Herrscher noch dann, wenn er in anarchistischer Laune den Herrschenden die Brust oder im Falle des österreichischen Bundespräsidenten Waldheim im Hotel "Imperial" nur den Hals bietet, auf den er sich laut einem Interview von Waldheim hat küssen lassen: Le théâtre, c'est moi! So beschreibt das Buch nicht die "Weltkomödie Österreich", sondern die "Weltkomödie Peymann".
In dieser Weltkomödie gibt es nichts, was nicht wichtig wäre. Ob es die rostige Büroklammer ist, die unter heftigstem Leugnen des Kantinenwirts im Röstbrot der Peymann-Referentin Bergmann verbacken wurde. Ob es die vier in Oberwart ermordeten Sinti und Roma sind. Ob es um eine Pistazienfabrik geht, die der Burgtheaterdirektor laut zuverlässigen Wiener Presse-Berichten heimlich und unter Verschweigen der Nebeneinnahmen im Iran betrieben haben soll. Immer steht Peymann allein gegen Intriganten, Mörder, Saboteure, Verleumder. Immer klärt er auf, entlarvt er, reißt er den Gegnern die Masken vom Gesicht. Und sei es nur die Maske einer Büroklammer.
Zwar könnte man sich ganz ohne dieses Buch an dreizehn Jahre Peymann-Theater in Wien erinnern. An viele schön gediegene, viele nette, viele langweilige und an ein paar geniale Inszenierungen. Und an ein paar Sternstunden, die uns von Tabori ("Othello", "Goldberg-Variationen") und Zadek ("Iwanow", "Kirschgarten", "Kaufmann von Venedig") beschert wurden. Aber auch an einen Gemischtwarenladen, in dem zuletzt die Konturen etwas verschwammen, wo ein braver Benning neben einem stampfenden Schleef, ein wilder Castorf neben einem zahmen Giesing inszenierte. Wo aber auch der junge Philip Tiedemann wie ein sanfter eigensinniger Komet zu leuchten anfing. Erinnerung an ein Terrain auch, in dem der Regisseur Peymann im Lauf der Jahre nicht mehr ganz so auffiel, weil eine gewisse Gefälligkeit an ihm zu nagen anfing. Ein etwas müde gewordener Erwachsener. Peymann, der Zerbrösler.
Wer aber so zu denken und zu erschrecken anfinge, der muß schnell in dieses Buch hineinschauen, um Peymann, das Kind, Peymann, den Erlöser, wiederzufinden, der alles auf sich lädt und "Ich! Ich! Ich!" schreit und das Theater und die Politik und die Frisöre und die Mittelstürmer und die Kritiker und Schächer richtet zur Linken und zur Rechten und alle in sein Paradies führt. Und man seufze erleichtert: Er hat's vollbracht.
Hermann Beil, Jutta Ferbers, Claus Peymann, Rita Thiele (Hrsg.): "Weltkomödie Österreich. 13 Jahre Burgtheater 1986 bis 1999". Paul Zsolnay Verlag, Wien 1999. Bd. 1 "Bilder", 872 S.; Bd. 2 "Chronik". 476 S., br., zus. 136,- DM.
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