Das Wörterbuch der antiken Philosophie führt in die Fragestellungen ein, mit denen sich Denker wie Heraklit und Parmenides, Platon und Aristoteles, Epikur und Cicero oder Plotin und Augustinus beschäftigt haben. Über 600 Artikel zu den zentralen griechischen und lateinischen Begriffen erschließen das breite Themenspektrum der philosophischen Antike, von achoristos (unabgetrennt) bis zôon politikon (politisches Lebewesen). Kurzdarstellungen der wichtigsten Schulen und Philosophen, Register, ein ausführliches Quellenverzeichnis und Hinweise auf weiterführende Literatur machen das Wörterbuch zu einem zuverlässigen Hilfsmittel für jeden, der sich für die Philosophie der Antike interessiert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2003In diesem Atlas lesen Sie lebenslang
Was einem Dermatologen recht ist, sollte einem Philosophen billig sein. Der Hautarzt verfügt über ein Fachvokabular, und kaum jemand nimmt daran Anstoß. Warum also die verbreiteten Klagen, wenn auch der Philosoph sich spezieller Begriffe seiner Disziplin bedient? Theodor W. Adorno gab einst in seinen Vorlesungen über die philosophische Terminologie eine Erklärung dafür. Die Philosophie solle von Fragen handeln, die für jeden Menschen wesentlich sind, und darum erwarte man von ihr präzise, verständliche Antworten. Aber diese Erwartung werde notwendig oft enttäuscht. Adorno gestand, daß sich gerade die zentralen philosophischen Begriffe nur selten einfach und allgemein gültig definieren lassen. Wer je, mit oder ohne Adornos Einführung, Philosophie studiert hat, kennt die verzwickte Lage des Anfangs: Um einen Philosophen wie Aristoteles zu verstehen, müßte man erst einmal begreifen, was er mit Ausdrücken wie kategoria, ousia (Substanz) oder dem berüchtigten to ti en einai ("das, was es heißt/war, zu sein") meint - aber um den Sinn dieser Wortgebilde zu begreifen, müßte man erst einmal Aristoteles verstehen. Gängige kleine Wörterbücher der Philosophie helfen aus diesem vermaledeiten Zirkel nicht heraus, weil sie fast nie einen Begriff in exakt derjenigen Bedeutung erklären, die er in dem Text hat, den man gerade liest. Ein neuartiges, besonders für Studierende gedachtes Nachschlagewerk führt jetzt in die Terminologie des Altertums ein (Christoph Horn, Christof Rapp [Hrsg.]: "Wörterbuch der antiken Philosophie". Verlag C. H. Beck, München 2002. 501 S., br., 19,90 [Euro]). In weiser Konsequenz haben die Herausgeber, von über fünfzig Autorinnen und Autoren unterstützt, ihr Werk auf gut sechshundert griechische und lateinische Termini beschränkt, die in dem Jahrtausend von den Vorsokratikern bis zu den Neuplatonikern in Gebrauch waren. Damit vermeidet dieses Wörterbuch manche Ungereimtheiten von begriffsgeschichtlichen Wörterbüchern, denen Termini des heutigen Deutsch als Lemmata zugrunde liegen. Solche Lexika bieten oft (vor allem, wenn es sich um Wörter griechischen Ursprungs handelt, wie "Kategorie") in buntem Durcheinander erstens eine Wortgeschichte, zweitens eine Verwendungsgeschichte dieses Wortes und seiner antiken Äquivalente, drittens eine Geschichte des Verständnisses der Sache, die mit dem modernen Wort gemeint ist. In dem neuen Lexikon findet man statt dessen beispielsweise die zentrale platonische Frage nach den obersten Grundbegriffen nicht unter "Gattung", sondern wie in Platons "Sophistes" unter megista gene. Unter hyle ist zu lesen, was die Antike seit Platon unter diesem Terminus verstand, der nicht dasselbe wie moderne Begriffe der Materie meint. Die Artikel sind in der Regel knapp, informativ und dicht. Manchmal ist Forschungsliteratur notiert, manchmal nicht. Die Hauptstellen aus den antiken philosophischen Werken sind meistens angegeben, und wer sich von diesen Hinweisen zu den Originaltexten weiterleiten läßt, wird den größten Gewinn daraus ziehen. Hier und da, etwa beim pros ti (dem griechischen Relationsbegriff), sind lediglich Platon und Aristoteles im Blick, obwohl die Geschichte des Begriffs eine bedeutende weitere Entwicklung genommen hat. Öfters werden die Linien bis in das frühe Christentum ausgezogen, etwa bei der homoiosis theo, der Verähnlichung mit Gott, aber gelegentlich unterbleibt dies grundlos, wie beim gnothi sauton, dem "Erkenne dich selbst!" Die Liste der Lemmata ist jedoch klug durchdacht und reichhaltig. Am ehesten fehlt wohl die Terminologie jener Seelenführung und Lebenskunst, die Rabbow und Hadot als einen Kern antiker Philosophie erschlossen haben: Termini wie das epilegein, das sentenzenhafte innere Sprechen, oder das ruminare, das insistierende Nachspüren eines Gedankens. Sei's drum. Hier liegt endlich ein brauchbarer Atlas für eines der erstaunlichsten Gebiete der Menschheitsgeschichte vor: Binnen weniger Generationen schufen sich die Griechen ohne Entlehnung aus fremden Sprachen eine wissenschaftlich-philosophische Begriffswelt, aus der das europäische Denken seither schöpft. Ganz ausloten läßt sich diese Welt nicht, wie ihr lebenslanger Erforscher Günther Zuntz einmal schrieb: "Was einem Griechen vorschwebte, wenn er logos sagte: das zu begreifen, reicht ein Menschenleben nicht hin." Und das zu schildern, reicht kein Lexikonartikel aus. Muß er auch nicht. Schließlich soll keine Wanderkarte die Wanderung ersetzen.
ROLAND KANY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was einem Dermatologen recht ist, sollte einem Philosophen billig sein. Der Hautarzt verfügt über ein Fachvokabular, und kaum jemand nimmt daran Anstoß. Warum also die verbreiteten Klagen, wenn auch der Philosoph sich spezieller Begriffe seiner Disziplin bedient? Theodor W. Adorno gab einst in seinen Vorlesungen über die philosophische Terminologie eine Erklärung dafür. Die Philosophie solle von Fragen handeln, die für jeden Menschen wesentlich sind, und darum erwarte man von ihr präzise, verständliche Antworten. Aber diese Erwartung werde notwendig oft enttäuscht. Adorno gestand, daß sich gerade die zentralen philosophischen Begriffe nur selten einfach und allgemein gültig definieren lassen. Wer je, mit oder ohne Adornos Einführung, Philosophie studiert hat, kennt die verzwickte Lage des Anfangs: Um einen Philosophen wie Aristoteles zu verstehen, müßte man erst einmal begreifen, was er mit Ausdrücken wie kategoria, ousia (Substanz) oder dem berüchtigten to ti en einai ("das, was es heißt/war, zu sein") meint - aber um den Sinn dieser Wortgebilde zu begreifen, müßte man erst einmal Aristoteles verstehen. Gängige kleine Wörterbücher der Philosophie helfen aus diesem vermaledeiten Zirkel nicht heraus, weil sie fast nie einen Begriff in exakt derjenigen Bedeutung erklären, die er in dem Text hat, den man gerade liest. Ein neuartiges, besonders für Studierende gedachtes Nachschlagewerk führt jetzt in die Terminologie des Altertums ein (Christoph Horn, Christof Rapp [Hrsg.]: "Wörterbuch der antiken Philosophie". Verlag C. H. Beck, München 2002. 501 S., br., 19,90 [Euro]). In weiser Konsequenz haben die Herausgeber, von über fünfzig Autorinnen und Autoren unterstützt, ihr Werk auf gut sechshundert griechische und lateinische Termini beschränkt, die in dem Jahrtausend von den Vorsokratikern bis zu den Neuplatonikern in Gebrauch waren. Damit vermeidet dieses Wörterbuch manche Ungereimtheiten von begriffsgeschichtlichen Wörterbüchern, denen Termini des heutigen Deutsch als Lemmata zugrunde liegen. Solche Lexika bieten oft (vor allem, wenn es sich um Wörter griechischen Ursprungs handelt, wie "Kategorie") in buntem Durcheinander erstens eine Wortgeschichte, zweitens eine Verwendungsgeschichte dieses Wortes und seiner antiken Äquivalente, drittens eine Geschichte des Verständnisses der Sache, die mit dem modernen Wort gemeint ist. In dem neuen Lexikon findet man statt dessen beispielsweise die zentrale platonische Frage nach den obersten Grundbegriffen nicht unter "Gattung", sondern wie in Platons "Sophistes" unter megista gene. Unter hyle ist zu lesen, was die Antike seit Platon unter diesem Terminus verstand, der nicht dasselbe wie moderne Begriffe der Materie meint. Die Artikel sind in der Regel knapp, informativ und dicht. Manchmal ist Forschungsliteratur notiert, manchmal nicht. Die Hauptstellen aus den antiken philosophischen Werken sind meistens angegeben, und wer sich von diesen Hinweisen zu den Originaltexten weiterleiten läßt, wird den größten Gewinn daraus ziehen. Hier und da, etwa beim pros ti (dem griechischen Relationsbegriff), sind lediglich Platon und Aristoteles im Blick, obwohl die Geschichte des Begriffs eine bedeutende weitere Entwicklung genommen hat. Öfters werden die Linien bis in das frühe Christentum ausgezogen, etwa bei der homoiosis theo, der Verähnlichung mit Gott, aber gelegentlich unterbleibt dies grundlos, wie beim gnothi sauton, dem "Erkenne dich selbst!" Die Liste der Lemmata ist jedoch klug durchdacht und reichhaltig. Am ehesten fehlt wohl die Terminologie jener Seelenführung und Lebenskunst, die Rabbow und Hadot als einen Kern antiker Philosophie erschlossen haben: Termini wie das epilegein, das sentenzenhafte innere Sprechen, oder das ruminare, das insistierende Nachspüren eines Gedankens. Sei's drum. Hier liegt endlich ein brauchbarer Atlas für eines der erstaunlichsten Gebiete der Menschheitsgeschichte vor: Binnen weniger Generationen schufen sich die Griechen ohne Entlehnung aus fremden Sprachen eine wissenschaftlich-philosophische Begriffswelt, aus der das europäische Denken seither schöpft. Ganz ausloten läßt sich diese Welt nicht, wie ihr lebenslanger Erforscher Günther Zuntz einmal schrieb: "Was einem Griechen vorschwebte, wenn er logos sagte: das zu begreifen, reicht ein Menschenleben nicht hin." Und das zu schildern, reicht kein Lexikonartikel aus. Muß er auch nicht. Schließlich soll keine Wanderkarte die Wanderung ersetzen.
ROLAND KANY
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Roland Kany ist voll des Lobes für dieses Wörterbuch. In "weiser Konsequenz" hätten sich die Herausgeber, unterstützt von mehr als fünfzig Autoren, hier auf "gut sechshundert" griechische und lateinische Termini beschränkt, die in dem Jahrtausend von den Vorsokratikern zu den Neuplatonikern in Gebrauch waren. Die Artikel seien "in aller Regel knapp, informativ und dicht". Die zu den einzelnen Begriffen gehörenden Hauptstellen aus den antiken philosophischen Werken seien "meistens" angegeben, manchmal auch Forschungsliteratur. Die Liste der Lemmata sei, lobt Kany, "klug durchdacht und reichhaltig". Hier liege "endlich ein brauchbarer Atlas" vor für eines der "erstaunlichsten Gebiete der Menschheitsgeschichte": die wenigen Jahrhunderte, in denen sich die Griechen "ohne Entlehnungen aus fremden Sprachen" eine Begriffswelt geschaffen habe, schreibt Kany, aus der wir bis heute schöpfen. Ganz ausloten, schreibt der Rezensent zum Schluss, lasse sich diese Welt ohnehin nicht, und im übrigen solle ja auch "keine Wanderkarte die Wanderung ersetzen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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