Die Kunst einfach zu kochen - mit 300 Rezepten aus aller Welt. Das Buch enthält aber auch einen umfangreichen ethnologischen Essay, der den Hintergrund dieser aus Mangel und jahrhundertelanger Erfahrung geborener Rezepte beleuchtet.In unserem Teil der Welt, der immer noch vor Opulenz überquillt, ist dieses Kochbuch eine Aufforderung zur Besinnung. Die 300 Rezepte gestatten einen Blick in die Kochtöpfe, Erdmulden, Dampfkörbe und Lehmöfen der Welt. Man meint, den Duft dieser einfachen Gerichte zu schnuppern, wenn man nur ein paar Seiten gelesen hat.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Verlegerin Barbara Kalender lädt den Rezensenten Ulrich Gutmair zu Tisch: Der März-Verlag hat das Kochbuch der Französin Huguette Couffignal neu herausgegeben, die in den sechziger-Jahren fast den ganzen Planeten bereist hat, um herauszufinden, was Arme rund um den Globus so kochen. Und das ist in vielerlei Hinsicht ziemlich modern: So ist der reduzierte Konsum von tierischen Nahrungsmitteln, heute zwar aus anderen Gründen, wieder sehr zeitgemäß, auch viele der Zutaten, etwa Tofu oder Bulgur, erfreuen sich heute globaler Beliebtheit, so Gutmair. Ein Vorwort von Christiane Meier und rund 150 Fußnoten verraten dazu beispielsweise, dass die mittlere Lebenserwartung der Chinesen rapide angestiegen ist, während die Kindersterblichkeit in Indien gesenkt werden konnte. Dem Kritiker gefällt besonders das Rezept für arabische Kibbeh, wie er abschließend bekundet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2023Anleitung für die Insektenpfanne
Kulinarische Ethnologie, die nach mehr als fünfzig Jahren in neuem Licht erscheint: Huguette Couffignals Buch über die Küche der Armen liegt wieder vor.
Die Halbwertszeit von Büchern sinkt schon seit Langem. Oft dauert es nur noch drei oder vier Jahre, und die Neuerscheinungen von einst werden am Straßenrand ausgesetzt. Da fragt man sich, was einen Verlag dazu veranlasst, ein Buch unverändert neu aufzulegen, dessen französische Originalausgabe bereits vor 53 Jahren erschien. Dem Vorwort zufolge ist von seiner Autorin Huguette Couffignal kaum etwas bekannt. Man weiß nur, dass sie in den Sechzigerjahren mehrere Kochbücher veröffentlichte. Hunderte von Kochrezepten finden sich auch in der "Küche der Armen". Das Buch ist aber weit mehr. In der umfangreichen Einleitung gibt es einen Überblick über die Ernährungsgrundlagen von Völkern aus aller Welt, der sich wie ein frühes Gründungsmanifest der kulinarischen Ethnologie liest.
Die Erstveröffentlichung des Buchs fiel in die Zeit, in der die Kultur der Armut zu einem beherrschenden Thema der Sozialwissenschaften geworden war. Der amerikanische Kulturanthropologe Oscar Lewis hatte die Debatte 1961 mit den "Children of Sanchez" eröffnet, dem erschütternden Porträt des Lebens einer Großfamilie in den Slums von Mexico City. Nahezu vergessen ist indes, wie lange Armut und Hunger auch noch in weiten Teilen Südeuropas herrschten. So verweist Couffignal etwa auf die in Südamerika als Golondrinas oder "Schwalben" bezeichneten italienischen Wanderarbeiter, die sich im Sommer in ihrer Heimat als Tagelöhner verdingten und die andere Hälfte des Jahres als Erntehelfer in Brasilien oder Argentinien arbeiteten.
Der Mezzogiorno galt lange Zeit als das Armenhaus Europas. Auch die Lebensbedingungen im ländlichen Spanien, in Griechenland und den Balkanstaaten standen denen der Länder der sogenannten Dritten Welt nur wenig nach. Dementsprechend karg war die Alltagskost der untersten Bevölkerungsschichten. Das auf einfache Art aus Mehl, Salz und Wasser hergestellte Fladenbrot bildete meist das Grundnahrungsmittel. Seinen Platz konnten je nach Region auch Polenta, Hirse- und Maisbrei einnehmen. Fleisch aber fand sich auf den Tischen der Armen so gut wie nie. Stattdessen bezog man die lebensnotwendigen Proteine aus Sojaquark, Linsen, Kichererbsen, Bohnen und anderen Hülsenfrüchten.
Wie Couffignal zeigt, ernährten sich die Indigenen, die in den ihnen noch verbliebenen Rückzugsgebieten von der Jagd, vom Fischfang und vom Sammeln lebten, reichhaltiger und besser. Entschieden sie sich aber dazu, das Nomadisieren aufzugeben und in die größeren Siedlungen zu ziehen, dann gerieten ihre ausgeklügelten alten Techniken der Nahrungsbeschaffung und -zubereitung schnell in Vergessenheit. Die mit dem Anbau von Mais, Reis und Getreide verbundene Sesshaftigkeit war schon immer mit größeren Risiken verbunden als das althergebrachte Leben von Jägern und Sammlern. Der Feldertrag ist von klimatischen Schwankungen und vom sinkenden Nährstoffgehalt des Bodens abhängig, Seuchen und Kriege kommen hinzu. Regelmäßig wurden daher gerade die sogenannten Hochkulturen von Hungersnöten heimgesucht. Allein in China soll es in seiner mehrtausendjährigen Geschichte im Schnitt jedes fünfte Jahr zu einer solchen Katastrophe gekommen sein. In den frühneuzeitlichen europäischen Staaten sah es nicht viel besser aus.
Couffignal listet auf, womit sich die armen Bevölkerungsschichten in solchen Notzeiten behalfen. Heuschrecken, Termiten und Riesenskarabäen landeten ebenso auf ihren Tischen wie Meeralgen, Larven, Maden, Ratten und Schlangen. Das Kauen von Koka-Blättern und Rauschmittel wie etwa Peyotl unterdrückten den Hunger. Alkohol, der aus dem vergorenen Saft der Kokospalme gewonnen wurde, tat dabei ebenfalls gute Dienste. Zu den extremsten Hungertäuschern zählte das Essen von Gras und kalkhaltiger Erde. In China während der Hungerepidemien üblich, führte es zu Aufschwemmungen des Körpers, die bei außenstehenden Beobachtern den Eindruck erweckten, man habe Fettleibige vor sich. Tatsächlich aber führten die Aufblähungen des Bauches, wurde diese Form der Hungertäuschung zu lange betrieben, zu Erstickungen.
Die Frage, weshalb das Buch mehr als fünf Jahrzehnten neu aufgelegt worden ist, beantwortet sich spätestens dann, wenn man nach dem Einleitungsessay auch die angefügten dreihundert Rezepte durchgelesen hat. Denn "Die Küche der Armen" ist heute in zweifacher Hinsicht aktuell. Bedingt durch die Erderwärmung, Bevölkerungszunahmen und die politischen Krisen, zeigen Armut und Hunger erneut ihr hässliches Gesicht. Zugleich lässt sich aber auch eine Verkehrung der globalen Ernährungsgewohnheiten beobachten. Gefüllte Meeralgen, Kichererbsenbrei, Sojabohnenquark und andere Alltagsgerichte der Armen in aller Welt haben unter exotischen Namen wie Sushi, Falafel oder Tofu inzwischen auch in unsere Ernährungspläne Eingang gefunden. Sie zählen zu den bevorzugten Speisen der Angehörigen der gehobenen Mittelschicht, die auf ihre Gesundheit achten und dem Fleischgenuss auch aus ethischen Gründen zum Teil ganz abgeschworen haben.
Die nächste Modewelle läuft bereits an. Tierische Proteine liefern bekanntlich nicht nur Säugetiere, sondern auch Insekten, von deren Verzehr in Zeiten der Not schon die Bibel zu berichten weiß. Restaurants, die sich auf Wanderheuschrecken, Grillen oder Mehlwürmer spezialisiert haben, lassen sich mittlerweile auch hierzulande finden; und wer seine Heuschrecken lieber zu Hause essen möchte, kann sie - zu stattlichen Preisen - über den Versandhandel bestellen. Die Armen von heute können sich einen solchen Luxus natürlich nicht leisten. Sie müssen sich mit dem Schmuddelfleisch in labbrigen Brötchen zufriedengeben, wie es heute weltweit in billigen Imbissbuden und Fast-Food-Läden angeboten wird. KARL-HEINZ KOHL
Huguette Couffignal: "Die Küche der Armen". Mit 300 Rezepten aus aller Welt.
A. d. Französischen v. M. Junker-John u. H. Junker. Hrsgg. u. überarbeitet
v. Barbara Kalender. März Verlag, Berlin 2023. 368 S., br., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kulinarische Ethnologie, die nach mehr als fünfzig Jahren in neuem Licht erscheint: Huguette Couffignals Buch über die Küche der Armen liegt wieder vor.
Die Halbwertszeit von Büchern sinkt schon seit Langem. Oft dauert es nur noch drei oder vier Jahre, und die Neuerscheinungen von einst werden am Straßenrand ausgesetzt. Da fragt man sich, was einen Verlag dazu veranlasst, ein Buch unverändert neu aufzulegen, dessen französische Originalausgabe bereits vor 53 Jahren erschien. Dem Vorwort zufolge ist von seiner Autorin Huguette Couffignal kaum etwas bekannt. Man weiß nur, dass sie in den Sechzigerjahren mehrere Kochbücher veröffentlichte. Hunderte von Kochrezepten finden sich auch in der "Küche der Armen". Das Buch ist aber weit mehr. In der umfangreichen Einleitung gibt es einen Überblick über die Ernährungsgrundlagen von Völkern aus aller Welt, der sich wie ein frühes Gründungsmanifest der kulinarischen Ethnologie liest.
Die Erstveröffentlichung des Buchs fiel in die Zeit, in der die Kultur der Armut zu einem beherrschenden Thema der Sozialwissenschaften geworden war. Der amerikanische Kulturanthropologe Oscar Lewis hatte die Debatte 1961 mit den "Children of Sanchez" eröffnet, dem erschütternden Porträt des Lebens einer Großfamilie in den Slums von Mexico City. Nahezu vergessen ist indes, wie lange Armut und Hunger auch noch in weiten Teilen Südeuropas herrschten. So verweist Couffignal etwa auf die in Südamerika als Golondrinas oder "Schwalben" bezeichneten italienischen Wanderarbeiter, die sich im Sommer in ihrer Heimat als Tagelöhner verdingten und die andere Hälfte des Jahres als Erntehelfer in Brasilien oder Argentinien arbeiteten.
Der Mezzogiorno galt lange Zeit als das Armenhaus Europas. Auch die Lebensbedingungen im ländlichen Spanien, in Griechenland und den Balkanstaaten standen denen der Länder der sogenannten Dritten Welt nur wenig nach. Dementsprechend karg war die Alltagskost der untersten Bevölkerungsschichten. Das auf einfache Art aus Mehl, Salz und Wasser hergestellte Fladenbrot bildete meist das Grundnahrungsmittel. Seinen Platz konnten je nach Region auch Polenta, Hirse- und Maisbrei einnehmen. Fleisch aber fand sich auf den Tischen der Armen so gut wie nie. Stattdessen bezog man die lebensnotwendigen Proteine aus Sojaquark, Linsen, Kichererbsen, Bohnen und anderen Hülsenfrüchten.
Wie Couffignal zeigt, ernährten sich die Indigenen, die in den ihnen noch verbliebenen Rückzugsgebieten von der Jagd, vom Fischfang und vom Sammeln lebten, reichhaltiger und besser. Entschieden sie sich aber dazu, das Nomadisieren aufzugeben und in die größeren Siedlungen zu ziehen, dann gerieten ihre ausgeklügelten alten Techniken der Nahrungsbeschaffung und -zubereitung schnell in Vergessenheit. Die mit dem Anbau von Mais, Reis und Getreide verbundene Sesshaftigkeit war schon immer mit größeren Risiken verbunden als das althergebrachte Leben von Jägern und Sammlern. Der Feldertrag ist von klimatischen Schwankungen und vom sinkenden Nährstoffgehalt des Bodens abhängig, Seuchen und Kriege kommen hinzu. Regelmäßig wurden daher gerade die sogenannten Hochkulturen von Hungersnöten heimgesucht. Allein in China soll es in seiner mehrtausendjährigen Geschichte im Schnitt jedes fünfte Jahr zu einer solchen Katastrophe gekommen sein. In den frühneuzeitlichen europäischen Staaten sah es nicht viel besser aus.
Couffignal listet auf, womit sich die armen Bevölkerungsschichten in solchen Notzeiten behalfen. Heuschrecken, Termiten und Riesenskarabäen landeten ebenso auf ihren Tischen wie Meeralgen, Larven, Maden, Ratten und Schlangen. Das Kauen von Koka-Blättern und Rauschmittel wie etwa Peyotl unterdrückten den Hunger. Alkohol, der aus dem vergorenen Saft der Kokospalme gewonnen wurde, tat dabei ebenfalls gute Dienste. Zu den extremsten Hungertäuschern zählte das Essen von Gras und kalkhaltiger Erde. In China während der Hungerepidemien üblich, führte es zu Aufschwemmungen des Körpers, die bei außenstehenden Beobachtern den Eindruck erweckten, man habe Fettleibige vor sich. Tatsächlich aber führten die Aufblähungen des Bauches, wurde diese Form der Hungertäuschung zu lange betrieben, zu Erstickungen.
Die Frage, weshalb das Buch mehr als fünf Jahrzehnten neu aufgelegt worden ist, beantwortet sich spätestens dann, wenn man nach dem Einleitungsessay auch die angefügten dreihundert Rezepte durchgelesen hat. Denn "Die Küche der Armen" ist heute in zweifacher Hinsicht aktuell. Bedingt durch die Erderwärmung, Bevölkerungszunahmen und die politischen Krisen, zeigen Armut und Hunger erneut ihr hässliches Gesicht. Zugleich lässt sich aber auch eine Verkehrung der globalen Ernährungsgewohnheiten beobachten. Gefüllte Meeralgen, Kichererbsenbrei, Sojabohnenquark und andere Alltagsgerichte der Armen in aller Welt haben unter exotischen Namen wie Sushi, Falafel oder Tofu inzwischen auch in unsere Ernährungspläne Eingang gefunden. Sie zählen zu den bevorzugten Speisen der Angehörigen der gehobenen Mittelschicht, die auf ihre Gesundheit achten und dem Fleischgenuss auch aus ethischen Gründen zum Teil ganz abgeschworen haben.
Die nächste Modewelle läuft bereits an. Tierische Proteine liefern bekanntlich nicht nur Säugetiere, sondern auch Insekten, von deren Verzehr in Zeiten der Not schon die Bibel zu berichten weiß. Restaurants, die sich auf Wanderheuschrecken, Grillen oder Mehlwürmer spezialisiert haben, lassen sich mittlerweile auch hierzulande finden; und wer seine Heuschrecken lieber zu Hause essen möchte, kann sie - zu stattlichen Preisen - über den Versandhandel bestellen. Die Armen von heute können sich einen solchen Luxus natürlich nicht leisten. Sie müssen sich mit dem Schmuddelfleisch in labbrigen Brötchen zufriedengeben, wie es heute weltweit in billigen Imbissbuden und Fast-Food-Läden angeboten wird. KARL-HEINZ KOHL
Huguette Couffignal: "Die Küche der Armen". Mit 300 Rezepten aus aller Welt.
A. d. Französischen v. M. Junker-John u. H. Junker. Hrsgg. u. überarbeitet
v. Barbara Kalender. März Verlag, Berlin 2023. 368 S., br., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main