Produktdetails
- Verlag: avant-verlag
- ISBN-13: 9783980772525
- ISBN-10: 3980772527
- Artikelnr.: 33838316
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2003Blutrote Vereisung
Ein Schuß in Reserve: Igorts Comicroman "5 ist die perfekte Zahl"
Das Mündungsfeuer der Pistolen ist wie eine Sprechblase in Szene gesetzt: Ein weißer Kreis hat seinen Scheitelpunkt direkt am Mund der Revolver. Bisweilen stehen Onomatopöien der Schußgeräusche in diesem Raum, doch häufiger noch bleibt die Blase leer. Denn es gibt nichts zu sagen, wenn die Waffe spricht.
Und eine Mafiageschichte lebt vom Dialog der Schießeisen. So auch Igorts Comic "5 ist die perfekte Zahl". Der Italiener, bislang in Deutschland nahezu unbekannt, aber in seinen wenigen verfügbaren Arbeiten als Schüler von Muñoz und Sampayo erkennbar, deren Lakonie und fast brutale Schwarzflächen er übernommen hat, erweist sich trotz des gängigen Sujets und seiner graphischen Ahnherren als Neuerer der Bildgeschichte. Denn er wagt etwas, was sich nur Zeichner und Erzähler leisten dürfen, die noch keinen großen Namen haben: Er kombiniert mehrere Stile.
Wer das voluminöse Album aufschlägt, könnte zunächst meinen, eine Anthologie vor sich zu haben, denn von der südamerikanischen Silhouettentechnik, die logischerweise tiefschwarzlastig ausfällt, bis zu einer luftigen Ligne claire, wie sie die Amerikaner David Mazzucchelli oder Chris Ware wieder populär gemacht haben, finden sich sämtliche Nuancen, die man im Comic mit dem Epitheton "streng" in Verbindung bringen kann.
Denn das ist Igort vor allem: konsequent, gerade in der Zeichnung. Der stete Wechsel zwischen den Stilen ist kein Ausdruck von Beliebigkeit, sondern dient allein der graphischen Verstärkung des Erzählten. So sind die Dialogszenen zwischen den Figuren meist in leichte Linien gefaßt, während sein Neapel als Ort des größten Teils der Handlung in der Tusche bisweilen zu ertrinken scheint. Das ist keine südlich leuchtende Stadt, sondern ein dunkler Moloch, und dennoch ist dieser Comic auch eine Liebeserklärung an jene Metropole, die wie keine zweite in Europa als Kapitale des Verbrechens gilt.
In den immer wieder dramaturgisch als Zäsuren eingesetzten ganzseitigen Bildern ist das Stadtbild fast bis zur Abstraktion gebracht: Da verlaufen Konturen wie hinter einer regennassen Scheibe, oder allegorische Motive lassen eine surrealistische Komposition entstehen, die mehrere parallele Geschichten in einem einzigen Bild zu entwickeln scheint. Selten ist im Comic der letzten Jahre so experimentierfreudig gearbeitet worden.
Dazu paßt die Widmung des Romans (denn nur so kann man Igorts Comic angemessen kennzeichnen) an Georges Simenon und George Herriman. Beide Georgs waren Drachentöter in ihrer jeweiligen Zunft: Simenon führte den Kriminalroman aus den Salons zurück auf die Straße, in die Hinterhöfe, zu jener Banalität, die der Kern jedes Verbrechens ist. Und Herriman war der erste wirklich originäre Comiczeichner; seine Serie "Krazy Kat" ist bis heute der Maßstab, an dem sich Originalität und Genie einer Bildgeschichte messen lassen müssen.
Igort ist kein solcher Großmeister des Comics, aber ein virtuoser Künstler und ein Autor, wie es nur noch wenige gibt: Er erzählt konsequent und ohne Schnörkel. Eine Traumsequenz ist keine graphische Spielerei, sondern notwendig für die Handlung, und der überraschende Wechsel der Erzählperspektive im Abschlußkapitel (natürlich sind es insgesamt fünf Teile, in die sich "5 ist die perfekte Zahl" gliedert) wirkt nicht aufgesetzt, sondern setzt die gesamte Geschichte in ein neues Licht.
Erzählt wird von einer archetypischen Rache. Der Sohn des Altmafioso Peppino wird auf dem Weg zu einem Auftragsmord selbst erschossen, der Vater beginnt eine Vendetta, die ohne Rücksicht auf alte Allianzen durchgeführt wird. Doch Igort macht aus diesem fast schon allzu vertrauten Motiv das Porträt eines Mannes, dessen ganze Vergangenheit unter dem Eindruck des Mordes an seinem Sohn eine neue Deutung und eine Wiederbelebung erfährt.
Zugleich aber wird die Welt, in der er sich bewegt, immer kälter - und gerade diese Vereisung der Gefühle ist durch die Wahl einer einzigen fahlen graublauen Zusatzfarbe großartig ins Bild gesetzt. Verspricht das blutrote Cover mit dem tief in seinen Mantelkragen vergrabenen und von einem Borsalino behüteten kantigen Profil Peppinos noch eine opulente Gangstergeschichte, so reduziert sich die Handlung im Buch durch den Verzicht auf alle Mätzchen mit Farbe auf die Expressivität des Strichs. Kohle, Tusche, Bleistift - alle Mittel eines Zeichners kommen hier zum Einsatz. Nur die Bildkompositionen, die bisweilen Will Eisners klassische Detektivserie "Sirit" zitieren, dann wieder Lorenzo Mattottis Physiognomien und nicht zuletzt auch an die amerikanischen Comics der dreißiger Jahre erinnern, als die Superhelden noch jung und das Gangstergenre allgegenwärtig war.
Igorts "5 ist die perfekte Zahl" ist als dritte Veröffentlichung des Berliner Kleinverlags Avant ein fast schon mustergültiges Beispiel, wie das Engagement eines einzelnen Verlegers (Johann Ulrich) Perlen nach Deutschland bringen kann, von deren Existenz kaum jemand wußte. Das Album, großartig gedruckt, solide übersetzt und angesichts seines Umfangs verblüffend preiswert, entstand als Koproduktion mehrerer europäischer Verlage. Anders lassen sich solch aufwendige Projekte wohl kaum mehr finanzieren, da die Großverlage kaum noch Wagnisse eingehen. Dabei könnte man allein anhand von Igorts Roman eine Geschichte der Bildgeschichte erzählen.
Der Titel verdankt sich einer Reminiszenz Peppinos an einen ermordeten Cousin: Fünf Dinge braucht der Mensch, seine Arme, Beine und seinen Kopf. Damit ist er unabhängig genug. Übertragen auf die Handlung des Comics, könnte man auch sagen: Bei fünf verschossenen Kugeln bleibt immer noch eine in der Trommel übrig. Und das ist es: immer noch einen Schuß in Reserve haben. Solange es noch Comics wie den von Igort gibt, braucht das Genre sich ums Überleben nicht zu sorgen.
ANDREAS PLATTHAUS.
Igort: "5 ist die perfekte Zahl". Aus dem Italienischen übersetzt von Ingrid Ickler. Avant-Verlag Johann Ulrich, Berlin 2003, 174 S., Abb., br., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Schuß in Reserve: Igorts Comicroman "5 ist die perfekte Zahl"
Das Mündungsfeuer der Pistolen ist wie eine Sprechblase in Szene gesetzt: Ein weißer Kreis hat seinen Scheitelpunkt direkt am Mund der Revolver. Bisweilen stehen Onomatopöien der Schußgeräusche in diesem Raum, doch häufiger noch bleibt die Blase leer. Denn es gibt nichts zu sagen, wenn die Waffe spricht.
Und eine Mafiageschichte lebt vom Dialog der Schießeisen. So auch Igorts Comic "5 ist die perfekte Zahl". Der Italiener, bislang in Deutschland nahezu unbekannt, aber in seinen wenigen verfügbaren Arbeiten als Schüler von Muñoz und Sampayo erkennbar, deren Lakonie und fast brutale Schwarzflächen er übernommen hat, erweist sich trotz des gängigen Sujets und seiner graphischen Ahnherren als Neuerer der Bildgeschichte. Denn er wagt etwas, was sich nur Zeichner und Erzähler leisten dürfen, die noch keinen großen Namen haben: Er kombiniert mehrere Stile.
Wer das voluminöse Album aufschlägt, könnte zunächst meinen, eine Anthologie vor sich zu haben, denn von der südamerikanischen Silhouettentechnik, die logischerweise tiefschwarzlastig ausfällt, bis zu einer luftigen Ligne claire, wie sie die Amerikaner David Mazzucchelli oder Chris Ware wieder populär gemacht haben, finden sich sämtliche Nuancen, die man im Comic mit dem Epitheton "streng" in Verbindung bringen kann.
Denn das ist Igort vor allem: konsequent, gerade in der Zeichnung. Der stete Wechsel zwischen den Stilen ist kein Ausdruck von Beliebigkeit, sondern dient allein der graphischen Verstärkung des Erzählten. So sind die Dialogszenen zwischen den Figuren meist in leichte Linien gefaßt, während sein Neapel als Ort des größten Teils der Handlung in der Tusche bisweilen zu ertrinken scheint. Das ist keine südlich leuchtende Stadt, sondern ein dunkler Moloch, und dennoch ist dieser Comic auch eine Liebeserklärung an jene Metropole, die wie keine zweite in Europa als Kapitale des Verbrechens gilt.
In den immer wieder dramaturgisch als Zäsuren eingesetzten ganzseitigen Bildern ist das Stadtbild fast bis zur Abstraktion gebracht: Da verlaufen Konturen wie hinter einer regennassen Scheibe, oder allegorische Motive lassen eine surrealistische Komposition entstehen, die mehrere parallele Geschichten in einem einzigen Bild zu entwickeln scheint. Selten ist im Comic der letzten Jahre so experimentierfreudig gearbeitet worden.
Dazu paßt die Widmung des Romans (denn nur so kann man Igorts Comic angemessen kennzeichnen) an Georges Simenon und George Herriman. Beide Georgs waren Drachentöter in ihrer jeweiligen Zunft: Simenon führte den Kriminalroman aus den Salons zurück auf die Straße, in die Hinterhöfe, zu jener Banalität, die der Kern jedes Verbrechens ist. Und Herriman war der erste wirklich originäre Comiczeichner; seine Serie "Krazy Kat" ist bis heute der Maßstab, an dem sich Originalität und Genie einer Bildgeschichte messen lassen müssen.
Igort ist kein solcher Großmeister des Comics, aber ein virtuoser Künstler und ein Autor, wie es nur noch wenige gibt: Er erzählt konsequent und ohne Schnörkel. Eine Traumsequenz ist keine graphische Spielerei, sondern notwendig für die Handlung, und der überraschende Wechsel der Erzählperspektive im Abschlußkapitel (natürlich sind es insgesamt fünf Teile, in die sich "5 ist die perfekte Zahl" gliedert) wirkt nicht aufgesetzt, sondern setzt die gesamte Geschichte in ein neues Licht.
Erzählt wird von einer archetypischen Rache. Der Sohn des Altmafioso Peppino wird auf dem Weg zu einem Auftragsmord selbst erschossen, der Vater beginnt eine Vendetta, die ohne Rücksicht auf alte Allianzen durchgeführt wird. Doch Igort macht aus diesem fast schon allzu vertrauten Motiv das Porträt eines Mannes, dessen ganze Vergangenheit unter dem Eindruck des Mordes an seinem Sohn eine neue Deutung und eine Wiederbelebung erfährt.
Zugleich aber wird die Welt, in der er sich bewegt, immer kälter - und gerade diese Vereisung der Gefühle ist durch die Wahl einer einzigen fahlen graublauen Zusatzfarbe großartig ins Bild gesetzt. Verspricht das blutrote Cover mit dem tief in seinen Mantelkragen vergrabenen und von einem Borsalino behüteten kantigen Profil Peppinos noch eine opulente Gangstergeschichte, so reduziert sich die Handlung im Buch durch den Verzicht auf alle Mätzchen mit Farbe auf die Expressivität des Strichs. Kohle, Tusche, Bleistift - alle Mittel eines Zeichners kommen hier zum Einsatz. Nur die Bildkompositionen, die bisweilen Will Eisners klassische Detektivserie "Sirit" zitieren, dann wieder Lorenzo Mattottis Physiognomien und nicht zuletzt auch an die amerikanischen Comics der dreißiger Jahre erinnern, als die Superhelden noch jung und das Gangstergenre allgegenwärtig war.
Igorts "5 ist die perfekte Zahl" ist als dritte Veröffentlichung des Berliner Kleinverlags Avant ein fast schon mustergültiges Beispiel, wie das Engagement eines einzelnen Verlegers (Johann Ulrich) Perlen nach Deutschland bringen kann, von deren Existenz kaum jemand wußte. Das Album, großartig gedruckt, solide übersetzt und angesichts seines Umfangs verblüffend preiswert, entstand als Koproduktion mehrerer europäischer Verlage. Anders lassen sich solch aufwendige Projekte wohl kaum mehr finanzieren, da die Großverlage kaum noch Wagnisse eingehen. Dabei könnte man allein anhand von Igorts Roman eine Geschichte der Bildgeschichte erzählen.
Der Titel verdankt sich einer Reminiszenz Peppinos an einen ermordeten Cousin: Fünf Dinge braucht der Mensch, seine Arme, Beine und seinen Kopf. Damit ist er unabhängig genug. Übertragen auf die Handlung des Comics, könnte man auch sagen: Bei fünf verschossenen Kugeln bleibt immer noch eine in der Trommel übrig. Und das ist es: immer noch einen Schuß in Reserve haben. Solange es noch Comics wie den von Igort gibt, braucht das Genre sich ums Überleben nicht zu sorgen.
ANDREAS PLATTHAUS.
Igort: "5 ist die perfekte Zahl". Aus dem Italienischen übersetzt von Ingrid Ickler. Avant-Verlag Johann Ulrich, Berlin 2003, 174 S., Abb., br., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Andreas Platthaus ist völlig begeistert von diesem Comic des in Deutschland bislang fast unbekannten italienischen Autors und Zeichners. In der Mafiageschichte, die darin erzählt wird, kombiniert Igort verschieden Zeichenstile und erweist sich damit laut des hingerissenen Rezensenten als "Neuerer der Bildgeschichte". Platthaus preist den Zeichner für seine "konsequente" und schnörkellosen Schilderungen, wobei er hervorhebt, dass alles, was dargestellt wird, auch einen notwendigen Grund in der Handlung hat und niemals reine Spielerei ist. Dem gehorcht auch der "überraschende Wechsel der Erzählperspektive" im letzten Kapitel, der die ganze Geschichte in ein "neues Licht" setzt, schwärmt der Rezensent. Er preist den Autor als "virtuosen Künstler", der alle zeichnerischen Mittel von Kohle bis zu Tusche einzusetzen weiß. Solange es solche Comics gibt, so der Rezensent überschwänglich, braucht man sich um das Genre keine Sorgen zu machen. Abschließend lobt er noch einmal nachdrücklich den Berliner Verlag, dessen Engagement es zu danken sei, dass dieser Comic "großartig gedruckt, solide übersetzt" und zu einem "verblüffendem" Preis zu haben ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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