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Ibn Sab'in (ca. 1217-1270), aus Murcia stammend, verband in seinem Werk Logik, Metaphysik und Mystik in einzigartiger Weise und gehört damit zu den bemerkenswertesten Gestalten der arabischen Philosophie. Sein erstes großes Werk, das er in Antwort auf die sog. Sizilianischen Fragen Friedrichs II. verfasste, gilt als einführendes Kompendium in die arabisch-islamische Philosophie Andalusiens.
Ibn Sab'in (ca. 1217-1270), aus Murcia stammend, verband in seinem Werk Logik, Metaphysik und Mystik in einzigartiger Weise und gehört damit zu den bemerkenswertesten Gestalten der arabischen Philosophie. Sein erstes großes Werk, das er in Antwort auf die sog. Sizilianischen Fragen Friedrichs II. verfasste, gilt als einführendes Kompendium in die arabisch-islamische Philosophie Andalusiens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.12.2005Kratzen an Kaiser Friedrich
Der junge Intellektuelle Ibn Sab'in vor den Sizilianischen Fragen
Friedrich II. von Hohenstaufen, König von Sizilien und Kaiser des Römischen Reiches, interessierte sich wie kaum ein anderer mittelalterlicher Herrscher für naturwissenschaftliche und philosophische Fragen. Das Falkenbuch, das er verfaßte, die Korrespondenz, die er mit auswärtigen Gelehrten führte, und der persönliche Kontakt zu Wissenschaftlern, die aus unterschiedlichen Teilen der Welt zu ihm reisten, legen davon Zeugnis ab. Ob Friedrich aber ein Gelehrter von Rang war, ob sein unstetes Leben als Kriegsherr und Politiker eine ernsthafte Beschäftigung mit den Wissenschaften zuließ und ob die Stilisierung als Wissenschaftler nicht vornehmlich diplomatischen Zwecken diente, all das ist unter Historikern umstritten.
Vor diesem Hintergrund läßt ein neues Buch aufhorchen, das die Authentizität der bekanntesten philosophischen Fragen Friedrichs II., der nur auf arabisch überlieferten "Sizilianischen Fragen", bezweifelt. Anna Akasoy hat eine arabisch-deutsche Ausgabe dieser Fragen samt der Antworten vorgelegt, die der arabische Philosoph Ibn Sab'in um 1240 nach Christus verfaßte. In der lateinisch-christlichen Welt haben sich keinerlei Nachrichten über die Sizilianischen Fragen erhalten und auch nicht über Ibn Sab'in. Sollte Ibn Sab'in also die Fragen Friedrichs nur fingiert haben, um sich eine Legitimation für das Philosophieren in der philosophiefeindlichen Umgebung Nordafrikas zu verschaffen? Das ist Akasoys Vermutung.
Um ihre These zu stützen, unterzieht sie den Prolog, den ein Anhänger Ibn Sab'ins der Schrift vorangestellt hat, einer eingehenden Kritik. In diesem Text, den Akasoy leider nicht abdruckt, wird behauptet, daß Friedrich II. seine Fragen zuerst in den Vorderen Orient geschickt habe, über die Antworten der muslimischen Gelehrten jedoch enttäuscht war. Auf die Information hin, daß es im Maghreb einen Mann mit Namen Ibn Sab'in gebe, den er anschreiben könne, wandte sich Friedrich über den Kalifen ar-Raschid an Ibn Sab'in und bot ihm eine Belohnung für seine Antworten. Diesmal war der Kaiser mit den Antworten zufrieden; sein Dankesgeschenk aber schlug Ibn Sab'in aus und bewies so die Überlegenheit des Islams über das Christentum - soweit der Prolog.
Akasoy bezweifelt die Glaubwürdigkeit dieser Angaben aus zwei Gründen: weil Ibn Sab'in um 1240 ein unbekannter junger Mann von Mitte Zwanzig war, der noch keine philosophischen Schriften verfaßt hatte, und weil er aus einer Region des islamischen Spaniens stammte, die sich vom Kalifen ar-Raschid losgesagt hatte. Ibn Sab'in war bislang nur dadurch aufgefallen, daß er arme Leute um sich versammelte und unter ihnen seine religiösen Ideen verbreitete. Warum sollte der Kalif Anlaß haben, die Fragen des Kaisers an diesen agitierenden Möchtegernintellektuellen weiterzuleiten?
Man kann den Prolog allerdings auch anders als Akasoy lesen: Die "Sizilianischen Fragen" zeugen gerade davon, daß Ibn Sab'in in jungen Jahren deutlich mehr Ansehen erworben hatte, als uns die dürftigen biographischen Quellen mitteilen, und daß er trotz seiner Herkunft offenbar nicht zu den Kritikern des Kalifen zählte. Die Beweislast in Authentizitätsfragen liegt bei demjenigen, der die Glaubwürdigkeit eines historischen Zeugnisses bezweifelt. In der arabischen Handschrift ist die Zuweisung der Fragen an Friedrich II. so eindeutig, daß es weiterer Argumente bedarf, um unser Vertrauen in die Quelle zu erschüttern. Auf die Monographie über Ibn Sab'in, die Akasoy ankündigt, darf man gespannt sein. Hat sie recht, sind wir um eine der beeindruckendsten interkulturellen Debatten der Geistesgeschichte ärmer, und der philosophische Nimbus Friedrichs II. wäre geschrumpft.
Daß von der angekündigten Monographie viel zu erwarten ist, zeigt die Einleitung, die den "Sizilianischen Fragen" vorangestellt ist. Hier werden Forschungsergebnisse präsentiert, die über den bisherigen Kenntnisstand weit hinausgehen: Funde zu Ibn Sab'ins Quellen, Beobachtungen zu seiner Verwurzelung im geistigen Milieu Andalusiens und Detailanalysen seiner philosophischen Position. Trotzdem kann sich das Buch nicht mit dem Standard anderer Studienausgaben arabischer Philosophen messen, beispielsweise nicht mit der ausgezeichneten Ausgabe des philosophischen Romans von Ibn Tufayl, die Patrick Schaerer herausgebracht hat. Ibn Sab'ins Text wird von Akasoy weder durch inhaltliche noch durch textkritische Anmerkungen erschlossen. Zahllose Auslassungszeichen zeigen an, daß der Leser auf viele Passagen des Werkes verzichten muß; die Kürzungskriterien aber werden nicht genannt. Der arabische Text ist von Akasoy korrigiert worden, aber die Korrekturen sind nicht gelistet. Offenbar geht es der Übersetzerin nur um ein bescheidenes Ziel: diesen kulturgeschichtlich so bedeutenden Text erstmals in einer deutschen Version zugänglich zu machen und dem Leser durch eine Einleitung nahezubringen.
Ein großes Stück Arbeit ist damit geleistet. Aber man fragt sich, ob das Ziel nicht zu bescheiden ist. Denn die Lückenhaftigkeit des Textes und die mangelnde Transparenz der editorischen Eingriffe gehen zu Lasten der Verläßlichkeit, die Armut an Anmerkungen zu Lasten der Verständlichkeit. Akasoy kündigt an, daß ihre Monographie eine ausführliche Kommentierung der "Sizilianischen Fragen" bieten werde. Die Erläuterungen zusammen mit dem Text zu publizieren wäre sinnvoller gewesen.
DAG NIKOLAUS HASSE
Ibn Sab'in: "Die Sizilianischen Fragen". Arabisch - Deutsch. Übersetzt und eingeleitet von Anna Akasoy. Herder Verlag, Freiburg 2005. 252 S., geb., 34,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der junge Intellektuelle Ibn Sab'in vor den Sizilianischen Fragen
Friedrich II. von Hohenstaufen, König von Sizilien und Kaiser des Römischen Reiches, interessierte sich wie kaum ein anderer mittelalterlicher Herrscher für naturwissenschaftliche und philosophische Fragen. Das Falkenbuch, das er verfaßte, die Korrespondenz, die er mit auswärtigen Gelehrten führte, und der persönliche Kontakt zu Wissenschaftlern, die aus unterschiedlichen Teilen der Welt zu ihm reisten, legen davon Zeugnis ab. Ob Friedrich aber ein Gelehrter von Rang war, ob sein unstetes Leben als Kriegsherr und Politiker eine ernsthafte Beschäftigung mit den Wissenschaften zuließ und ob die Stilisierung als Wissenschaftler nicht vornehmlich diplomatischen Zwecken diente, all das ist unter Historikern umstritten.
Vor diesem Hintergrund läßt ein neues Buch aufhorchen, das die Authentizität der bekanntesten philosophischen Fragen Friedrichs II., der nur auf arabisch überlieferten "Sizilianischen Fragen", bezweifelt. Anna Akasoy hat eine arabisch-deutsche Ausgabe dieser Fragen samt der Antworten vorgelegt, die der arabische Philosoph Ibn Sab'in um 1240 nach Christus verfaßte. In der lateinisch-christlichen Welt haben sich keinerlei Nachrichten über die Sizilianischen Fragen erhalten und auch nicht über Ibn Sab'in. Sollte Ibn Sab'in also die Fragen Friedrichs nur fingiert haben, um sich eine Legitimation für das Philosophieren in der philosophiefeindlichen Umgebung Nordafrikas zu verschaffen? Das ist Akasoys Vermutung.
Um ihre These zu stützen, unterzieht sie den Prolog, den ein Anhänger Ibn Sab'ins der Schrift vorangestellt hat, einer eingehenden Kritik. In diesem Text, den Akasoy leider nicht abdruckt, wird behauptet, daß Friedrich II. seine Fragen zuerst in den Vorderen Orient geschickt habe, über die Antworten der muslimischen Gelehrten jedoch enttäuscht war. Auf die Information hin, daß es im Maghreb einen Mann mit Namen Ibn Sab'in gebe, den er anschreiben könne, wandte sich Friedrich über den Kalifen ar-Raschid an Ibn Sab'in und bot ihm eine Belohnung für seine Antworten. Diesmal war der Kaiser mit den Antworten zufrieden; sein Dankesgeschenk aber schlug Ibn Sab'in aus und bewies so die Überlegenheit des Islams über das Christentum - soweit der Prolog.
Akasoy bezweifelt die Glaubwürdigkeit dieser Angaben aus zwei Gründen: weil Ibn Sab'in um 1240 ein unbekannter junger Mann von Mitte Zwanzig war, der noch keine philosophischen Schriften verfaßt hatte, und weil er aus einer Region des islamischen Spaniens stammte, die sich vom Kalifen ar-Raschid losgesagt hatte. Ibn Sab'in war bislang nur dadurch aufgefallen, daß er arme Leute um sich versammelte und unter ihnen seine religiösen Ideen verbreitete. Warum sollte der Kalif Anlaß haben, die Fragen des Kaisers an diesen agitierenden Möchtegernintellektuellen weiterzuleiten?
Man kann den Prolog allerdings auch anders als Akasoy lesen: Die "Sizilianischen Fragen" zeugen gerade davon, daß Ibn Sab'in in jungen Jahren deutlich mehr Ansehen erworben hatte, als uns die dürftigen biographischen Quellen mitteilen, und daß er trotz seiner Herkunft offenbar nicht zu den Kritikern des Kalifen zählte. Die Beweislast in Authentizitätsfragen liegt bei demjenigen, der die Glaubwürdigkeit eines historischen Zeugnisses bezweifelt. In der arabischen Handschrift ist die Zuweisung der Fragen an Friedrich II. so eindeutig, daß es weiterer Argumente bedarf, um unser Vertrauen in die Quelle zu erschüttern. Auf die Monographie über Ibn Sab'in, die Akasoy ankündigt, darf man gespannt sein. Hat sie recht, sind wir um eine der beeindruckendsten interkulturellen Debatten der Geistesgeschichte ärmer, und der philosophische Nimbus Friedrichs II. wäre geschrumpft.
Daß von der angekündigten Monographie viel zu erwarten ist, zeigt die Einleitung, die den "Sizilianischen Fragen" vorangestellt ist. Hier werden Forschungsergebnisse präsentiert, die über den bisherigen Kenntnisstand weit hinausgehen: Funde zu Ibn Sab'ins Quellen, Beobachtungen zu seiner Verwurzelung im geistigen Milieu Andalusiens und Detailanalysen seiner philosophischen Position. Trotzdem kann sich das Buch nicht mit dem Standard anderer Studienausgaben arabischer Philosophen messen, beispielsweise nicht mit der ausgezeichneten Ausgabe des philosophischen Romans von Ibn Tufayl, die Patrick Schaerer herausgebracht hat. Ibn Sab'ins Text wird von Akasoy weder durch inhaltliche noch durch textkritische Anmerkungen erschlossen. Zahllose Auslassungszeichen zeigen an, daß der Leser auf viele Passagen des Werkes verzichten muß; die Kürzungskriterien aber werden nicht genannt. Der arabische Text ist von Akasoy korrigiert worden, aber die Korrekturen sind nicht gelistet. Offenbar geht es der Übersetzerin nur um ein bescheidenes Ziel: diesen kulturgeschichtlich so bedeutenden Text erstmals in einer deutschen Version zugänglich zu machen und dem Leser durch eine Einleitung nahezubringen.
Ein großes Stück Arbeit ist damit geleistet. Aber man fragt sich, ob das Ziel nicht zu bescheiden ist. Denn die Lückenhaftigkeit des Textes und die mangelnde Transparenz der editorischen Eingriffe gehen zu Lasten der Verläßlichkeit, die Armut an Anmerkungen zu Lasten der Verständlichkeit. Akasoy kündigt an, daß ihre Monographie eine ausführliche Kommentierung der "Sizilianischen Fragen" bieten werde. Die Erläuterungen zusammen mit dem Text zu publizieren wäre sinnvoller gewesen.
DAG NIKOLAUS HASSE
Ibn Sab'in: "Die Sizilianischen Fragen". Arabisch - Deutsch. Übersetzt und eingeleitet von Anna Akasoy. Herder Verlag, Freiburg 2005. 252 S., geb., 34,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Einen zwiespältigen Eindruck hat diese von Anna Akasoy übersetzte und eingeleitete arabisch-deutsche Ausgabe von Ibn Sab'ins "Die Sizilianischen Fragen" bei Rezensent Dag Nikolaus Hasse hinterlassen. Aufhorchen lässt ihn, dass Akasoy in ihrer Einleitung die Authentizität des aus den philosophischen Fragen Friedrichs II. und den Antworten des arabischen Philosoph Ibn Sab'in bestehenden Werkes bezweifelt. Akasoy versuche zu zeigen, dass Ibn Sab'in die Fragen Friedrichs nur fingiert habe, um sich eine Legitimation für das Philosophieren in der philosophiefeindlichen Umgebung Nordafrikas zu verschaffen. Ganz überzeugt scheint Hasse davon nicht. Er ist aber schon auf die ausführlichere Argumentation gespannt, die Akasoy in ihrer angekündigten Monografie über Ibn Sab'in darlegen will. "Hat sie recht", kommentiert er, "sind wir um eine der beeindruckendsten interkulturellen Debatten der Geistesgeschichte ärmer, und der philosophische Nimbus Friedrichs II. wäre geschrumpft". Trotzdem kann sich das Buch zu Hasses Bedauern nicht mit dem Standard anderer Studienausgaben arabischer Philosophen messen. Er moniert, dass Akasoy den Text weder durch inhaltliche noch durch textkritische Anmerkungen erschließt, dass viele Passagen ausgelassen und Korrekturen am arabischen Text nicht aufgelistet wurden. Im Blick auf Akasoy Ankündigung, ihre Monographie werde eine ausführliche Kommentierung der "Sizilianischen Fragen" bieten, stellt Hasse abschließend fest: "Die Erläuterungen zusammen mit dem Text zu publizieren wäre sinnvoller gewesen."
© Perlentaucher Medien GmbH
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