Mit dem erstmals in einer zweisprachigen, umfangreich kommentierten Edition vorliegenden Liber de platano (1537) erschließt sich ein außergewöhnliches Zeugnis des portugiesischen Humanismus. Das aus einer Abhandlung sowie einem Briefwechsel zwischen dem Dichter João Rodrigues de Sá de Meneses und dem Rhetorikprofessor Juan Fernández bestehende Werk greift mit dem Platanenbaum ein Motiv auf, das durch Platons Phaidros und Ciceros De oratore popularisiert wurde: In beiden Texten finden philosophische Gespräche unter einer Platane statt. Allerdings wird der Baum im Liber de platano zu einem mehrdeutigen Sinnbild. Zwar geht es durchaus um die botanische Frage nach dem Vorkommen der Platane im zeitgenössischen Portugal, doch erweist sich der Buam darüber hinaus auch als Inbild antiker Gesprächskultur und eines an der Antike orientierten genussvollen Lebensstils. In der einleitenden Studie stellt Roger Friedlein neben einer Einführung in den Text die Autoren sowie weitere Humanisten - Miguel da Silva, Jorge Coelho und Luís Teixeira - vor, die einerseits durch ihre Präsenz im Liber de platano von Bedeutung sind. Doch vor dem Hitergund ihrer Aufenthalte in Italien und ihrer Kontakte zu herausragenden Vertretern der italienischen Renaissance wie Pietro Bembo erscheint der Liber de platano zudem als zentrales Zeugnis für den portugiesisch-italienischen Kulturkontakt.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.12.2008Das intellektuelle Baumspektakel
Hier lässt sich’s philosophieren: Eine humanistische Einladung unter die Platane
Platanen werden heutzutage als Allee- und Parkbäume geschätzt und sind dementsprechend weit verbreitet. Es gibt sie auch in Portugal.
Diese Feststellung klingt zunächst banal. Sie verliert jedoch einen guten Teil ihrer Unbedeutsamkeit, wenn man den neuen Band der „Humanistischen Bibliothek” zur Hand nimmt, die im Wilhelm Fink Verlag erscheint. Dort ist nun der Briefwechsel zwischen zwei Gelehrten des 16. Jahrhunderts veröffentlicht, die sich um die Klärung der Frage bemühen, ob es denn in Portugal überhaupt Platanen gebe. Die Frage wird zu Beginn der Diskussion durchaus seriös formuliert und zielt darauf, die seit den Zeiten der Römer vergessene Platane wieder eindeutig zu identifizieren, um sie dann richtig zu pflegen. Die beiden Humanisten haben sich also dem Ziel der Wiedergeburt der Platane (renascens platanus) verschrieben. Im Verlauf der Erörterung wird allerdings deutlich, dass es doch um mehr geht als um eine rein botanische Identifikation. Hier haben sich zwei Dialogpartner gefunden, die es verstehen, sich virtuos den Ball gelehrter Unterhaltung zuzuspielen.
Der „Liber de platano” des João Rodrigues de Sá de Meneses, eines in Militär und Literatur versierten Diplomaten und Privatgelehrten, aus dem Jahr 1537 ist ein vielschichtiges Werk. Nach der Lektüre der Naturgeschichte des Plinius ist er davon überzeugt, dass die Platane auch in seinem Land eine Heimat gefunden habe. Sá de Meneses verfasst also einen Brief an den Rhetorikprofessor Juan Fernández. Darin verarbeitet er die einschlägigen Passagen bei Plinius, Apuleius und anderen, lässt aber auch seine eigenen empirischen Beobachtungen einfließen – schließlich hat er, wie er betont, selbst schon Platanen gesehen. Mit Macrobius weiß er zudem zu berichten, dass die Platane zum besten Gedeihen mit Wein zu begießen sei. Außerdem ruft er die literarische Adelung des Baumes bei Platon und Cicero in Erinnerung, die beide den für das philosophische Gespräch besonders geeigneten locus amoenus von einer Platane beschattet wissen wollten. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass Sá de Meneses die Platane weniger als Pflanze denn als Symbol für ein bestimmtes klassisches Erbe verstanden wissen will. Er begreift sie als „Lustbarkeit und Luxus der Römer”. Nachdem die Historiker schon genug über die Tugenden und Taten der Alten berichtet hätten, sei es an der Zeit, sich mit der Platane um den Luxus, das heißt: die genussvolle römische Lebensart zu kümmern.
Die Antwort des Rhetoriklehrers aus Coimbra nimmt sich wie eine Potenzierung des gelehrten Diskurses aus. Im Stil der Zeit beweist er seinem Briefpartner nicht nur, dass er die Quellen ausführlicher wiederzugeben weiß. Er bringt noch zahlreiche weitere Klassiker in das Gespräch ein und provoziert damit eine neuerliche Stellungnahme von Sá de Meneses. So praktizieren die beiden Humanisten mit und in ihren Briefen genau das, was sie mit der Platane assoziieren: Ihre profunde Bildung geht mit der Bereitschaft einher, diesen Geistesreichtum auch einmal spielerisch zu handhaben.
Den Herausgebern Roger Friedlein und Angelika Lozar gelingt es in ihrer informativen Einführung, die Akteure und deren italienisch geprägtes humanistisches Umfeld so kompetent wie verständlich darzustellen. Der moderne Leser wird Zeuge eines intellektuellen Spektakels, welches er durchaus im Schatten der gefeierten Platane ruhend beobachten könnte. Zu diesem Schauspiel eröffnet die vorliegende zweisprachige Edition aber noch eine besondere Variante: Der in den Anmerkungen gelieferte Nachweis der stillen Zitate antiker und zeitgenössischer Autoren lässt die stupende Gelehrsamkeit der Dialogpartner erahnen. Ein Anhang mit den diskussionsrelevanten Passagen aus Platon, Cicero und Plinius bietet zudem die Gelegenheit zu weiterer Vertiefung. So spricht der Band die verführerische Einladung aus, sich einmal auf platanische Weise mit der europäischen Tradition vertraut zu machen und dadurch selbst an einem Spiel teilzunehmen, bei dem man es verstehen sollte, nicht immer nur ernst zu philosophieren. CHRISTIAN KAISER
JOÃO RODRIGUES DE SÁ DE MENESES: Die Platane / Liber de platano (1537). Herausgegeben von Roger Friedlein und Angelika Lozar. Humanistische Bibliothek Reihe II, Band 37. Wilhelm Fink Verlag, München 2008. 132 Seiten, 19,90 Euro.
Die Platane – beliebt bei Parkbesuchern und Freunden klassischer Gelehrsamkeit Foto: Christian Anslinger / bobsairport
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Hier lässt sich’s philosophieren: Eine humanistische Einladung unter die Platane
Platanen werden heutzutage als Allee- und Parkbäume geschätzt und sind dementsprechend weit verbreitet. Es gibt sie auch in Portugal.
Diese Feststellung klingt zunächst banal. Sie verliert jedoch einen guten Teil ihrer Unbedeutsamkeit, wenn man den neuen Band der „Humanistischen Bibliothek” zur Hand nimmt, die im Wilhelm Fink Verlag erscheint. Dort ist nun der Briefwechsel zwischen zwei Gelehrten des 16. Jahrhunderts veröffentlicht, die sich um die Klärung der Frage bemühen, ob es denn in Portugal überhaupt Platanen gebe. Die Frage wird zu Beginn der Diskussion durchaus seriös formuliert und zielt darauf, die seit den Zeiten der Römer vergessene Platane wieder eindeutig zu identifizieren, um sie dann richtig zu pflegen. Die beiden Humanisten haben sich also dem Ziel der Wiedergeburt der Platane (renascens platanus) verschrieben. Im Verlauf der Erörterung wird allerdings deutlich, dass es doch um mehr geht als um eine rein botanische Identifikation. Hier haben sich zwei Dialogpartner gefunden, die es verstehen, sich virtuos den Ball gelehrter Unterhaltung zuzuspielen.
Der „Liber de platano” des João Rodrigues de Sá de Meneses, eines in Militär und Literatur versierten Diplomaten und Privatgelehrten, aus dem Jahr 1537 ist ein vielschichtiges Werk. Nach der Lektüre der Naturgeschichte des Plinius ist er davon überzeugt, dass die Platane auch in seinem Land eine Heimat gefunden habe. Sá de Meneses verfasst also einen Brief an den Rhetorikprofessor Juan Fernández. Darin verarbeitet er die einschlägigen Passagen bei Plinius, Apuleius und anderen, lässt aber auch seine eigenen empirischen Beobachtungen einfließen – schließlich hat er, wie er betont, selbst schon Platanen gesehen. Mit Macrobius weiß er zudem zu berichten, dass die Platane zum besten Gedeihen mit Wein zu begießen sei. Außerdem ruft er die literarische Adelung des Baumes bei Platon und Cicero in Erinnerung, die beide den für das philosophische Gespräch besonders geeigneten locus amoenus von einer Platane beschattet wissen wollten. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass Sá de Meneses die Platane weniger als Pflanze denn als Symbol für ein bestimmtes klassisches Erbe verstanden wissen will. Er begreift sie als „Lustbarkeit und Luxus der Römer”. Nachdem die Historiker schon genug über die Tugenden und Taten der Alten berichtet hätten, sei es an der Zeit, sich mit der Platane um den Luxus, das heißt: die genussvolle römische Lebensart zu kümmern.
Die Antwort des Rhetoriklehrers aus Coimbra nimmt sich wie eine Potenzierung des gelehrten Diskurses aus. Im Stil der Zeit beweist er seinem Briefpartner nicht nur, dass er die Quellen ausführlicher wiederzugeben weiß. Er bringt noch zahlreiche weitere Klassiker in das Gespräch ein und provoziert damit eine neuerliche Stellungnahme von Sá de Meneses. So praktizieren die beiden Humanisten mit und in ihren Briefen genau das, was sie mit der Platane assoziieren: Ihre profunde Bildung geht mit der Bereitschaft einher, diesen Geistesreichtum auch einmal spielerisch zu handhaben.
Den Herausgebern Roger Friedlein und Angelika Lozar gelingt es in ihrer informativen Einführung, die Akteure und deren italienisch geprägtes humanistisches Umfeld so kompetent wie verständlich darzustellen. Der moderne Leser wird Zeuge eines intellektuellen Spektakels, welches er durchaus im Schatten der gefeierten Platane ruhend beobachten könnte. Zu diesem Schauspiel eröffnet die vorliegende zweisprachige Edition aber noch eine besondere Variante: Der in den Anmerkungen gelieferte Nachweis der stillen Zitate antiker und zeitgenössischer Autoren lässt die stupende Gelehrsamkeit der Dialogpartner erahnen. Ein Anhang mit den diskussionsrelevanten Passagen aus Platon, Cicero und Plinius bietet zudem die Gelegenheit zu weiterer Vertiefung. So spricht der Band die verführerische Einladung aus, sich einmal auf platanische Weise mit der europäischen Tradition vertraut zu machen und dadurch selbst an einem Spiel teilzunehmen, bei dem man es verstehen sollte, nicht immer nur ernst zu philosophieren. CHRISTIAN KAISER
JOÃO RODRIGUES DE SÁ DE MENESES: Die Platane / Liber de platano (1537). Herausgegeben von Roger Friedlein und Angelika Lozar. Humanistische Bibliothek Reihe II, Band 37. Wilhelm Fink Verlag, München 2008. 132 Seiten, 19,90 Euro.
Die Platane – beliebt bei Parkbesuchern und Freunden klassischer Gelehrsamkeit Foto: Christian Anslinger / bobsairport
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Christian Kaiser versteht den zweisprachigen Band als verlockende Einladung zu einer gescheiten Plauderei unter Platanen. Wenn Kaiser auch die "stupende" Gelehrsamkeit der beiden im Portugal des 16. Jahrhunderts korrespondierenden Briefpartner nicht entgeht (dabei helfen dem Rezensenten eine informative Einführung und ein prall gefüllter Anhang), so bedeutet ihm die hier präsentierte "platanische" Sicht auf das klassische europäische Geisteserbe doch auch eine gewisse Leichtigkeit. Daran, dass es sich bei dem "Liber de platano" um ein besonders vielschichtiges, über botanische Interessen weit hinausweisendes Werk handelt, hat er keinen Zweifel: Ein "intellektuelles Spektakel", notiert er begeistert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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