Gitarrist John Abercrombie, der bereits seit 1974 als Leader bei ECM-Aufnahmen in Erscheinung tritt, kehrt nun mit dem zweiten Album seines Quartetts - mit Marc Copland am Klavier und seiner langjährigen Rhythmusgruppe aus Drew Gress am Bass und Joey Baron am Schlagzeug - zurück. Über das Album 39 Steps aus dem Jahr 2013 sagte die Financial Times: "Der Schwerpunkt liegt hier auf Subtilität, fließender Lyrik und dem Wechselspiel zwischen der warmen, fein artikulierten Gitarre Abercrombies und dem Klavier Coplands... mit Bassist Gress und Schlagzeuger Baron als gleichermaßen geschmeidige wie kraftvolle Begleiter." Die gleichen Qualitäten hinsichtlich lyrischer Melodik und harmonischer wie rhythmischer Subtilität stechen auch auf dem neuen Album Up and Coming heraus, allerdings mit noch spürbarer Wertschätzung für die Songs an sich. Abercrombies perlende Phrasierung und glühender Sound - ermöglicht durch die Daumen-Technik, die er seit dem Verzicht auf ein Plektrum in den letzten Jahren kultivierte - beleben seine fünf Eigenkompositionen und die beiden Stücke von Copland, genauso wie die Interpretation des Miles Davis Klassikers "Nardis", gespielt im Geiste von Bill Evans.
CD | |||
1 | Joy | 00:04:12 | |
2 | Flipside | 00:02:53 | |
3 | Sunday School | 00:07:18 | |
4 | Up And Coming | 00:05:51 | |
5 | Tears | 00:07:35 | |
6 | Silver Circle | 00:07:06 | |
7 | Nardis | 00:06:22 | |
8 | Jumbles | 00:05:58 |
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2017Was willst du mit Schaufel und Seil? Sprich!
Bei Wolfgang Amadeus Mozarts "Le Nozze di Figaro" hält sich der Dirigent Yannik Nézet-Séguin an die Einsicht, dass das Leben für die Fühlenden eine Tragödie ist und für die Denkenden eine Komödie. Schon in den ersten Takten gleicht das Spiel des Orchestra of Europe dem Flüstern über die erotischen und sozialen Eskapaden des tollen Tages. Die Aufführung, mitgeschnitten in Baden-Baden als vierte seiner Reihe (Deutsche Grammophon/Universal), hat in Luca Pisaroni einen aus Klugheit düsteren Figaro mit einem prachtvollen Parlando. Die Susanna von Christine Karg kommt als energische "serva padrona" daher. Balsamisch schön singend wahrt die Gräfin von Sonya Yoncheva das Pathos der Distanz. In die Stimme von Thomas Hampson haben sich Spuren einer strapaziösen Laufbahn eingegraben. Sein Graf ist zum alle aristokratischen convenus missachtenden Polterer geworden. Angela Brower ist ein mädchenhafter Cherubino ohne androgynen Klang, Anne Sofie von Otter, ein Ex-Cherubino, wertet Marzellina zur Altersschönheit auf, Rolando Villazón den Basilio zum Edelschurken. In sechzig Sekunden gelingt es Regula Mühlemann mit zauberischem Wohl- und Wehlaut, Barbarina zu einer Protagonistin zu machen.
JK
*
Auffällig viele gemischte Doppel beackern seit Jahren das schöne weite Feld von Americana, Folk und Alternative Country. Wie die Duettpartner persönlich zueinander stehen, weiß man manchmal nicht genau; aber die wenigsten sind dabei so geheimniskrämerisch wie damals die White Stripes. Ob sie nun regelrecht verheiratet sind, in wilder Ehe leben oder reine Arbeitsgemeinschaften bilden - meistens bringen sie mehr als zufriedenstellende Musik hervor. Man denke an Jack White und seine zweite, noch komischere Frau Karen Elson, an HoneyHoney, die Civil Wars oder Shovels & Rope, ein Ehepaar aus South Carolina, die wohl stabilste Miniformation auf diesem Sektor mit dem stabilsten Output und den stabilsten Ergebnissen. Gerade haben Cary Ann Hearst und Michael Trent, die sich hinter dem Künstlernamen verbergen, ihre fünfte Platte herausgebracht, "Little Seeds" (New West Records), und sie ist wieder ganz hervorragend, voller Biss und Inbrunst, instrumentell und gesanglich ungemein flüssig, vielseitig und versiert. So fein die Mandolinen- oder Ukulele-Balladen auch sind - auf diesem intensiven Album geben die straighten, von Fuzz-Gitarren angetriebenen Rocker ganz klar den Ton an. Muss man laut hören. Aber das gilt ja für jede gute Musik.
edo.
*
So weich und warm klingt nur ein Gitarrist. Der New Yorker John Abercrombie hat vor fünfzehn Jahren das Plektron zur Seite gelegt und spielt seitdem mit dem Daumen. Auf "Up And Coming" (ECM/Universal), seinem neuen Quartett-Album, spielt Abercrombie acht Songs in einer flüssig-leichten, dabei stets nachdenklichen Phrasierung, von denen er fünf selbst geschrieben hat. Das melodisch verführerische Titelstück bietet seinem Partner, dem Pianisten Marc Copland, eine perfekte Spielwiese, "Flipside", das kürzeste Stück des Albums, überzeugt durch enormen Swing. Dafür verantwortlich sind der Schlagzeuger Joey Baron und der Bassist Drew Gress, die bei aller Lockerheit und Leichtigkeit doch immer für rhythmische Akkuratesse sorgen und in Coplands Ballade "Tears" mit unaufdringlicher Subtilität glänzen. Auf Schnelligkeit legt Abercrombie längst keinen besonderen Wert mehr, seine Musik blüht vor allem in getragenen und mittleren Tempi auf. Es ist eine freundliche und einladende Musik, der man bereitwillig in feinste Winkel und Verästelungen folgt - der Miles-Davis-Klassiker "Nardis" fügt sich da ganz harmonisch ins Bild.
roth
*
Vom Kulm in Heringsdorf auf Usedom hat man einen erhabenen Blick über die Pommersche Bucht. Fanny Hensel, geborene Mendelssohn Bartholdy, machte hier im Sommer 1839 Ferien mit "Bäckchen", ihrer Schwester Rebecka, verehelichte Dirichlet. Am 20. Juli schrieb sie ein wunderschönes Duett für zwei Frauenstimmen, das - obwohl sie kurz zuvor aus Swinemünde ein Fortepiano gemietet hatte - ganz ohne Klavier auskommt: "Strahlende Ostsee mit wogender Flut, / Grünende Buchen und fröhlicher Mut". Wie lebensfroh sich da die Melismen aufschaukeln! Diese Rarität ist jetzt zu hören auf der Platte "Mendelssohn & Hensel: Duette" (Ars Produktion/Note 1), die sämtliche Duette von Felix Mendelssohn Bartholdy und seiner genialen Schwester Fanny Hensel vereint. "Ich wollt', meine Liebe ergösse sich" und "Herbstlied", einst intime Herzensstücke der Hausmusik, begegnet man im Konzertsaal kaum mehr. Felicitas und Judith Erb singen sie mit großer Wärme, leicht, deutlich, sprachnah atmend. Und Doriana Tchakarova atmet reaktionsschnell mit ihnen - auf einem originalen Pleyel-Flügel von 1849.
jbm.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bei Wolfgang Amadeus Mozarts "Le Nozze di Figaro" hält sich der Dirigent Yannik Nézet-Séguin an die Einsicht, dass das Leben für die Fühlenden eine Tragödie ist und für die Denkenden eine Komödie. Schon in den ersten Takten gleicht das Spiel des Orchestra of Europe dem Flüstern über die erotischen und sozialen Eskapaden des tollen Tages. Die Aufführung, mitgeschnitten in Baden-Baden als vierte seiner Reihe (Deutsche Grammophon/Universal), hat in Luca Pisaroni einen aus Klugheit düsteren Figaro mit einem prachtvollen Parlando. Die Susanna von Christine Karg kommt als energische "serva padrona" daher. Balsamisch schön singend wahrt die Gräfin von Sonya Yoncheva das Pathos der Distanz. In die Stimme von Thomas Hampson haben sich Spuren einer strapaziösen Laufbahn eingegraben. Sein Graf ist zum alle aristokratischen convenus missachtenden Polterer geworden. Angela Brower ist ein mädchenhafter Cherubino ohne androgynen Klang, Anne Sofie von Otter, ein Ex-Cherubino, wertet Marzellina zur Altersschönheit auf, Rolando Villazón den Basilio zum Edelschurken. In sechzig Sekunden gelingt es Regula Mühlemann mit zauberischem Wohl- und Wehlaut, Barbarina zu einer Protagonistin zu machen.
JK
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Auffällig viele gemischte Doppel beackern seit Jahren das schöne weite Feld von Americana, Folk und Alternative Country. Wie die Duettpartner persönlich zueinander stehen, weiß man manchmal nicht genau; aber die wenigsten sind dabei so geheimniskrämerisch wie damals die White Stripes. Ob sie nun regelrecht verheiratet sind, in wilder Ehe leben oder reine Arbeitsgemeinschaften bilden - meistens bringen sie mehr als zufriedenstellende Musik hervor. Man denke an Jack White und seine zweite, noch komischere Frau Karen Elson, an HoneyHoney, die Civil Wars oder Shovels & Rope, ein Ehepaar aus South Carolina, die wohl stabilste Miniformation auf diesem Sektor mit dem stabilsten Output und den stabilsten Ergebnissen. Gerade haben Cary Ann Hearst und Michael Trent, die sich hinter dem Künstlernamen verbergen, ihre fünfte Platte herausgebracht, "Little Seeds" (New West Records), und sie ist wieder ganz hervorragend, voller Biss und Inbrunst, instrumentell und gesanglich ungemein flüssig, vielseitig und versiert. So fein die Mandolinen- oder Ukulele-Balladen auch sind - auf diesem intensiven Album geben die straighten, von Fuzz-Gitarren angetriebenen Rocker ganz klar den Ton an. Muss man laut hören. Aber das gilt ja für jede gute Musik.
edo.
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So weich und warm klingt nur ein Gitarrist. Der New Yorker John Abercrombie hat vor fünfzehn Jahren das Plektron zur Seite gelegt und spielt seitdem mit dem Daumen. Auf "Up And Coming" (ECM/Universal), seinem neuen Quartett-Album, spielt Abercrombie acht Songs in einer flüssig-leichten, dabei stets nachdenklichen Phrasierung, von denen er fünf selbst geschrieben hat. Das melodisch verführerische Titelstück bietet seinem Partner, dem Pianisten Marc Copland, eine perfekte Spielwiese, "Flipside", das kürzeste Stück des Albums, überzeugt durch enormen Swing. Dafür verantwortlich sind der Schlagzeuger Joey Baron und der Bassist Drew Gress, die bei aller Lockerheit und Leichtigkeit doch immer für rhythmische Akkuratesse sorgen und in Coplands Ballade "Tears" mit unaufdringlicher Subtilität glänzen. Auf Schnelligkeit legt Abercrombie längst keinen besonderen Wert mehr, seine Musik blüht vor allem in getragenen und mittleren Tempi auf. Es ist eine freundliche und einladende Musik, der man bereitwillig in feinste Winkel und Verästelungen folgt - der Miles-Davis-Klassiker "Nardis" fügt sich da ganz harmonisch ins Bild.
roth
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Vom Kulm in Heringsdorf auf Usedom hat man einen erhabenen Blick über die Pommersche Bucht. Fanny Hensel, geborene Mendelssohn Bartholdy, machte hier im Sommer 1839 Ferien mit "Bäckchen", ihrer Schwester Rebecka, verehelichte Dirichlet. Am 20. Juli schrieb sie ein wunderschönes Duett für zwei Frauenstimmen, das - obwohl sie kurz zuvor aus Swinemünde ein Fortepiano gemietet hatte - ganz ohne Klavier auskommt: "Strahlende Ostsee mit wogender Flut, / Grünende Buchen und fröhlicher Mut". Wie lebensfroh sich da die Melismen aufschaukeln! Diese Rarität ist jetzt zu hören auf der Platte "Mendelssohn & Hensel: Duette" (Ars Produktion/Note 1), die sämtliche Duette von Felix Mendelssohn Bartholdy und seiner genialen Schwester Fanny Hensel vereint. "Ich wollt', meine Liebe ergösse sich" und "Herbstlied", einst intime Herzensstücke der Hausmusik, begegnet man im Konzertsaal kaum mehr. Felicitas und Judith Erb singen sie mit großer Wärme, leicht, deutlich, sprachnah atmend. Und Doriana Tchakarova atmet reaktionsschnell mit ihnen - auf einem originalen Pleyel-Flügel von 1849.
jbm.
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