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  • Hersteller: EMI,
  • EAN: 5099925214123
  • Artikelnr.: 37397892
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2023

Wenn der Kopf Karussell fährt

DARMSTADT Das Staatstheater zeigt die Oper "Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach als szenisches und musikalisches Spektakel.

Von Axel Zibulski

Die dämonischen Tauben wird der Dichter Hoffmann einfach nicht los: Olympia, die puppenhafte Automatenfrau, zeigt ihr unmenschliches Wesen, wenn sie, von ihren Koloratur-Kaskaden offenbar hungrig geworden, gierig und mit blutrotem Mund eines der Tiere verschlingt, die später, bei der sterbenden Sängerin Antonia, tot vom Himmel fallen. In der dritten Erzählung fügen sie sich, übergroß und sogar mit violetter Federhaube dekoriert, in das revuehafte Bild, in dem der Dichter immer mehr den Faden seiner eigenen Erzählung verliert. Sogar der Mord am Diener Giuliettas, der Kurtisane, in die er sich verliebt hat, misslingt ihm, das Opfer stirbt keineswegs, sondern lacht ihn hämisch aus. Das Ende von Jacques Offenbachs Oper "Les contes d'Hoffmann", wie Dirk Schmeding sie in seiner Neuinszenierung am Staatstheater Darmstadt zeigt, ist tieftraurig und trist: Hoffmann, der Alkoholiker, fällt auf leerer Bühne vor zwei Altglascontainern ins Bodenlose der Obdachlosigkeit. Von wegen Dichteridyll.

Bis es so weit kommt, erzählt Schmeding diese fünfaktige Oper des Operettenkomponisten Offenbach, sein letztes, unvollendet gebliebenes Bühnenwerk, als bildstarke Zeit- und Phantasiereise, die ihren Ausgang in der Miniaturdichterstube Hoffmanns nimmt. Diese teilt er sich nur mit seiner Muse; die Wände des Zimmers nehmen in Robert Schweers Bühnenbild exakt die Musterung der Wände aus dem Großen Haus des Staatstheaters auf: Der Dichter ist zugleich Erzähler und Gegenstand seiner Erzählungen, die auf E. T. A. Hoffmanns "Der Sandmann", "Rat Krespel" und auf der "Geschichte vom verlorenen Spiegelbild" beruhen. Wenn sie in den drei mittleren Akten Gestalt annehmen, öffnet sich die Bühne weit, und wir gehen mit Hoffmann, hier eine Kopie des schon etwas abgehalfterten Elvis, auf eine Phantasiereise, an deren Ende die Figuren der Erzählungen in seinem Kopf Karussell zu fahren scheinen. Teilweise ins rein akustische Bühnen-Off verlegt ist die Rahmenhandlung mit dem Studentenchor in der Weinstube und Hoffmanns aktueller Geliebten, der in der Oper stumm und hier auch unsichtbar bleibenden Diva Stella.

Auf höchst unterhaltsame Weise sichtbar wird dagegen, wie Regisseur Schmeding und vor allem seine Kostümbildnerin Britta Leonhardt aus dem Vollen schöpfen, mit operettentypischem Lokalkolorit, wenn menschengroße Bierflaschen einer jüngst aus Darmstadts Nachbarstadt Pfungstadt weggezogenen Brauerei auftreten, auch mit Knalleffekten, wenn die Phantasie mit Hoffmann wieder einmal durchgeht und Funken fliegen oder die sieche Antonia Glitzer ausspuckt, mit Broadway- und federbunten Revuezitaten. Sowohl die Regie als auch die von Darmstadts Generalmusikdirektor Daniel Cohen verantwortete musikalische Seite der mit großem Beifall aufgenommenen Neuproduktion nutzt die Offenheit, die Offenbachs unvollendete Oper ihren Interpreten lässt. Vorrangig ist nicht, welche Fassung gerade die letztgültige auf dem aktuellen Forschungsstand ist, auch wenn sich die Produktion an der jüngeren Kaye-Keck-Fassung orientiert, wichtig ist die szenische Konsistenz. Und so findet auch die in ihrer Urheberschaft umstrittene, aber höchst populäre "Diamantenarie" ihren Platz im vierten Akt. Ein vierköpfiges Tanzensemble, choreographiert von Rachele Pedrocchi, erweitert die mit Chor, Extrachor und Statisterie ohnehin opulent ausgedachten Szenen.

Die zentralen Frauenfiguren werden nicht, wie gelegentlich zu sehen, von derselben Sängerin gesungen, sondern spalten sich sinnvoll in höchst unterschiedliche Charaktere auf: Von den gestochen klaren Koloraturen, die Juliana Zara mit grotesk überzeichnenden Bewegungen der Puppe Olympia unterlegt, hebt sich die dunkel und reif timbrierte Antonia von Megan Marie Hart größtmöglich ab, Jana Baumeister singt eine verführerische, lyrisch starke Giulietta. Heiko Trinsinger, in vierfacher Gestalt als todbringender Arzt Mirakel oder als zwielichtiger Strippenzieher Dapertutto, bringt seinen dämonisch dunklen Bariton ein und tritt in Gestalt des Lindorf, Hoffmanns Rivale der Rahmenhandlung, gelegentlich aus der Szene heraus - mehr als der in seinen Geschichten gefangene Hoffmann, den der amerikanische Tenor Matthew Vickers bei seinem Deutschlanddebüt prächtig, durchschlagend und höhensicher singt. Auf Augenhöhe sekundiert ihm Solgerd Isalv in der Hosenrolle des Niklaus, Hoffmanns Mensch gewordener Muse, die ihn zum bitteren Ende freilich als Letzte verlässt.

Hoch präsent bleibt bis zum Schluss das schmissige und mitreißende Staatsorchester Darmstadt, das die Solisten unter Daniel Cohens Leitung manchmal etwas zu starr grundiert. Es gibt dieser Premiere, wie die von Ines Kaun und Alice Meregaglia einstudierten Chöre, einen musikalisch opulenten Rahmen mit reich ausgekosteten Überwältigungseffekten.

Hoffmanns Erzählungen Staatstheater Darmstadt, Großes Haus, nächste Termine am 13. und 27. Oktober von 19.30 Uhr an

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