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"The untold story of climate migration-the personal stories of those experiencing displacement, the portraits of communities being torn apart by disaster, and the implications for all of us as we confront a changing future"--

Produktbeschreibung
"The untold story of climate migration-the personal stories of those experiencing displacement, the portraits of communities being torn apart by disaster, and the implications for all of us as we confront a changing future"--
Autorenporträt
Jake Bittle is a journalist based in Brooklyn who covers climate change and energy. His work has appeared in The New York Times, The Guardian, Harper’s Magazine, and a number of other publications. He is also a contributing writer for Grist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2023

Das ist erst der Anfang

Mehr als sechs Millionen Amerikaner verloren in den vergangenen zehn Jahren durch Fluten, Stürme oder Waldbrände ihr Zuhause: Jake Bittle erzählt die Geschichte der Klimamigration in den Vereinigten Staaten.

Becca Fuentes kroch von der Badewanne in den Flur und wieder zurück, immer dann, wenn es eine Sturmwarnung für Houston im Radio gab. Sie lag in den Wehen. Zwillinge. Dann mussten die Texanerin und ihr Mann Sergio fliehen, sie suchten ihre Papiere zusammen, fuhren zu Becca Fuentes' Mutter, später ins Krankenhaus. Die Kinder kamen gesund zur Welt, aber der Traum ihrer Eltern versank in der Flut, die der Hurrikan Harvey brachte.

Der Journalist Jake Bittle erzählt die Geschichte der Familie Fuentes in seinem Buch "The Great Displacement. Climate Change and the Next American Migration". Mehr als sechs Millionen Amerikaner verloren in den vergangenen zehn Jahren durch Fluten, Stürme oder Waldbrände ihr Zuhause. Im Sommer 2021 habe jeder dritte Einwohner ein katastrophales Wetterereignis erlebt. Viele Millionen Menschen werden sich in den kommenden Jahrzehnten auf den Weg machen, dabei wird es Gewinner und Verlierer geben.

Bittle will anschaulich machen, wie die Massenwanderung das Land verändern wird, die Menschen, die Nachbarschaften, die Politik. Die Fuentes' sind eine von 200.000 Familien in Houston, deren Häuser von Hurrikan Harvey 2017 zerstört oder beschädigt wurden. Der Handwerker und die Lehrerin hatten jahrelang gespart, um ihr Haus kaufen zu können, halten konnten sie es nicht. Vier Jahre lang waren sie schließlich ohne eigene Bleibe, sie lebten mit anderen Familienmitgliedern beengt bei der Großmutter ihrer Zwillinge.

Der Autor trifft Opfer von Waldbränden in Kalifornien, Flut-Vertriebene in Florida, Menschen in Arizona, die in der anhaltenden Dürre keinen anderen Ausweg sehen, als wegzuziehen. Er erzählt auch von jenen, die weit entfernt ein neues Zuhause finden, zum Beispiel von Familien, die nach den großen Bränden in Kalifornien nach Boise in Idaho zogen. Bittle lernt die Neuankömmlinge in einer Brauerei kennen, wo sie sich über das Desaster und Erlebnisse in der neuen Heimat austauschen.

Was vielen Menschen am meisten fehle, seien ihre Freundschaften und Kontakte, das Netzwerk. Mit den Dörfern oder Stadtteilen gehen nicht nur Häuser kaputt, sondern auch lokale Kulturen und Lebenspläne. Die Versicherungssumme oder der Grundstücksverkauf in Kalifornien ermöglichen in Idaho für manche einen guten Neuanfang. Vielen Menschen, die ihren Heimatstaat verlassen mussten, geht es längst darum, das Risiko zu senken, nicht darum, es loszuwerden - in Idaho gibt es schließlich auch Waldbrände, im Landesinnern Floridas auch Wirbelstürme und Überschwemmungen.

Andere werden dort bleiben, wo die Gefahr am größten ist. Wer Angehörige pflegt, selbst krank ist oder kein Geld hat, zieht nicht weg. Das könne dazu führen, dass sich bestehende soziale Probleme verschärfen. Die Weggezogenen zahlen keine regionalen Steuern mehr, Versicherer setzen die Preise hoch, Innenstädte könnten weiter verfallen - neue wohlhabendere Familien zieht das nicht an.

Es gibt aber auch Orte im Norden und im Landesinneren, die in gewisser Weise von den Krisen profitieren könnten. In Duluth in Minnesota diskutierten Stadtplaner und Politiker darüber, die Stadt als "climate-proof" zu bewerben. Buffalo im Norden New Yorks startete eine Kampagne als "Stadt der Klimazuflucht" - man bereite sich auf diesen "neuen Typ Flüchtling" vor. Die Region im "Rostgürtel" leidet bis heute darunter, dass ganze Industrien abgewickelt oder ins Ausland verlagert wurden.

Hinzu kam die "white flight", bei der die weiße Mittelschicht die Stadtzentren verließ. Städte kämpfen mit niedrigen Steuereinnahmen, die Regionalabgaben der Wohlhabenden landen in den Vororten, für Investitionen fehlt das Geld. Buffalo ist im Winter, wenn tagelang enorme Schneemassen fallen, eher unwirtlich. Trotzdem könnte die Stadt von den Klimawandel-Nomaden profitieren. Allein die puerto- ricanische Community sei dort nach dem Hurrikan Maria von 2017 noch einmal deutlich gewachsen. Auch Klimaflüchtlinge gehen oft dorthin, wo es bereits Gemeinschaften gibt, die ihnen vertraut sind.

Der Urbanisierungstrend der vergangenen Jahrzehnte dürfte sich Bittle zufolge noch verstärken. Heute leben oder arbeiten bereits achtzig Prozent aller Amerikaner in Metropolregionen, vor hundert Jahren waren es noch fünfundvierzig Prozent. Städte ziehen die Binnenmigranten an, die auf der Suche nach Jobs und neuen Gemeinschaften sind. Zudem erholen sich ländliche Gegenden langsamer von katastrophalen Naturereignissen als Städte. Die wiederum investieren Milliarden Dollar, um mit Flutmauern oder neuen Verkehrssystemen widerstandsfähiger zu werden. Gleichzeitig sagen Wissenschaftler eine massive Kapitalflucht voraus. Jobs, denen man nicht in einem klimatisierten Büro nachgeht, werden gefährlicher, je heißer es wird. Cargill, der größte Fleischproduzent des Landes, forderte seine texanischen Arbeiter 2013 auf, sich neu in Kansas und Nebraska zu bewerben; den Standort Texas gab man wegen der Hitze auf.

Bittle entwirft das bedrückende Panorama einer Wanderungsbewegung, die gerade erst begonnen hat. Durch die vielen persönlichen Geschichten kann er abstrakte Zusammenhänge veranschaulichen, etwa mit Blick auf die steigenden Versicherungskosten. Vieles an den Voraussagen sei allerdings noch spekulativ, resümiert der Autor. Er räumt ein, dass es nur wenige wissenschaftliche Modelle zur heimischen Klimamigration gibt - und dass die statistischen Trends noch in eine andere Richtung weisen. Denn Städte wie Miami erleben immer noch einen Bevölkerungszuwachs, und fünfzehn Prozent mehr Menschen leben in Küstenlandkreisen als im Jahr 2000. Die immer heißer werdenden Bundesstaaten Texas und Florida gewannen jüngst Kongresssitze dazu, weil ihre Einwohnerzahl wuchs. Wer warum umziehe, lasse sich oft nicht nachhalten, so Bittle. Umfragen gibt es allerdings: Laut der Immobilienfirma Redfin zieht die Hälfte der Wohnungssuchenden auch wegen des Klimas oder Wetters um.

Der Autor widmet den letzten Teil seines Buches der Suche nach Lösungen. Dabei gehe es nicht nur um Klimaschutz und Flutbefestigungen, sondern auch um Sozialpolitik. Die ärmsten Menschen müssten oft draußen arbeiten, lebten häufig ohne Klimaanlage oder seien durch Vorerkrankungen besonders vom Hitzetod bedroht. Wer arm ist, kann ein zerstörtes Haus nicht so leicht wieder aufbauen. Und wer zum Beispiel in Buffalo bislang eine günstige Miete zahlt, müsse vor "Klimawandel-Gentrifizierung" geschützt werden. Die findet in den Küstenstädten längst statt, wo wohlhabende Menschen im Zentrum nach Wohnraum suchen statt in der ersten Strandreihe.

Daher fordert Bittle, das Sozialsystem und auch den Wohnungsmarkt so umzubauen, dass die Ärmsten vor den kommenden Verwerfungen besser geschützt sind. Er stellt wichtige Fragen, zum Beispiel: "Schuldet die Regierung den Bürgern die Freiheit, zu leben, wo immer sie wollen, ungeachtet des Risikos, oder hat sie die Verantwortung, die Leute frühzeitig aus den verletzlichsten Gegenden herauszuholen?" Darüber hinaus müsse es ein Konzept für einen Ansturm der Klimaflüchtlinge aus anderen Ländern geben. Die Grenzen schließen zu wollen sei eine moralisch unhaltbare Position, weil die westliche Welt den Klimawandel mit erheblich höheren Emissionen zu verantworten habe als der globale Süden. Für die permanente Krise brauche man einen zentralen, bundeseinheitlichen Masterplan. Der Autor ist nicht naiv und weiß, dass dazu andere Mehrheiten und ein umfassender politischer Wandel notwendig wären.

Die Erderwärmung stelle grundsätzlich das Herzstück des amerikanischen Lebens in Frage, das Streben nach individuellem Glück und das "Ideal der Expansion". In Zukunft müsse ein Land, das bisher so sehr auf Konsum ausgerichtet sei, herausfinden, wie man alle Systeme krisenresistenter mache. Seine wichtigste Frage formuliert Bittle so: "Was schulden wir einander?" FRAUKE STEFFENS

Jake Bittle: "The Great Displacement". Climate Change and the Next American Migration.

Simon & Schuster, New York 2023. 368 S., br., 18,10 Euro.

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