Fußball und Film in ihren kommerziellen Spielarten weisen große Parallelen auf. Beide sind Teil der Unterhaltungsindustrie, und beide die auf ihrem Sektor konkurrenzlos führenden. Beide sind kollektive Anstrengungen, gelingen zumeist nur als Teamwork. Beide haben die Bewegung als zentrales Moment, und beide vermögen beim Betrachtenden starke Emotionen auszulösen.Die ersten bewegten Bilder, die ein offizielles Fußballspiel dokumentieren, entstanden 1898 bei einem Spiel der Blackburn Rovers gegen West Bromwich. Dieser erste, im National Film and Television Archive des British Film Institute erhaltene Fußballfilm markiert den Anfang der Verbindung von Fußball und Film, dem sich dieses Lexikon verpflichtet hat.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2006Kraftwerke der Gefühle
Fast schon ein Roman: Das Lexikon über Fußball im Film
Es geht furchtbar zäh los. Rückpässe, Querpässe ohne Raumgewinn, keine Strafraumszenen. So ist das bei vielen Spielen, bevor die Mannschaften ihren Rhythmus finden. Und so muß das wohl auch sein bei einem Lexikon, das "Fußball im Film" heißt, deutlich schwerer als ein Fußball ist und mit seitenlangem definitorischen Geklapper beginnt, sich mit Genre- und Gattungsproblematik herumschlägt wie mit einem humorlosen Verteidiger, um schließlich bei der so trivialen wie sinnvollen Feststellung anzulangen, daß der Fußballfilm "das gesamte Spektrum filmischer Ausdrucksformen berücksichtigt, sofern Fußball in ausreichend relevanter Weise anzutreffen war". Die Leidenschaft des Autors Jan Tilman Schwab, der sein Buch der merkwürdigen Troika Fritz Walter, Oliver Kahn und George Best widmet, hat also auch etwas mit Leiden zu tun, was sehr fußballerisch ist, auch wenn nur wenige durch Kampf zum Spiel finden, wie es Schwab gelingt.
Aber braucht man jetzt ein solches Buch, nach vier Wochen Fußball? Unbedingt, denn der echte Junkie kann sich gar nichts Besseres vorstellen, als sich in den kommenden ballosen Wochen mit diesem Lexikon zu trösten, und im Gegensatz zu den meisten Lexika, die unberührt im Regal stehen, wird man dieses immer wieder zur Hand nehmen und darin lesen, als sei es ein Roman. Ein Bildungsroman zum Beispiel, denn das Buch führt einen in die eigene C-Jugend-Zeit, zur Vorabendserie "Fußballtrainer Wulff", die einen schon damals nicht befriedigte und die man sich dennoch anguckte. Man stößt auf Filme, die man nicht kennt, wohl auch nicht kennenlernen möchte, aber froh ist, daß man nun von ihrer Existenz weiß; man erfährt von Komödien, deren Inhaltsangaben wie Drohungen klingen. Und immer wieder sind da Filme, die man unbedingt sehen möchte, wie "Michael Laudrup - En Fodboldspiller" (1993) von jenem Jorgen Leth, der sich vor drei Jahren in "The Five Obstructions" von Lars von Trier zu einem Remake eines seiner alten Filme verleiten ließ.
Alle Einträge sind so akribisch gestaltet, wie es die jeweilige Materiallage erlaubt, mit zum Teil minutiösen Inhaltsangaben und ausführlichen Zitaten aus Kritiken. So erhalten vage Erinnerungen Kontur, wenn man auf Ror Wolfs experimentelle Dokumentation "Keep Out" (1975) stößt, die von Aufstieg und Fall des Linksaußen Thomas Rohrbach erzählt, einem einstigen Hoffnungsträger der Frankfurter Eintracht. Man blättert weiter, stundenlang, öffnet das Buch an einer beliebigen Stelle und möchte sofort die britische Dokumentation "The Game of Their Lives" (2002) sehen, welche die überlebenden nordkoreanischen Spieler besucht, die 1966 mit ihrem 1:0 gegen Italien für die wohl größte Sensation in der Geschichte der Weltmeisterschaften sorgten. Und, wie konnte man das vergessen, Heinz Engelmann aus "Fußballtrainer Wulff" war ja schon 1942 Torwart in "Das große Spiel", in dem zwar das obligate Nazikolorit nicht fehlte, der in technischer Hinsicht jedoch mit seiner Hintertorkamera für eine ganz neue Erfahrung des Spiels sorgte. Daß Schwab diesem Film 25 Druckseiten widmet, ist angemessen, wie überhaupt die Gewichtung fast immer überzeugt. Und weil Fußballfans schon seit dem "Kicker-Almanach" eine Schwäche für Statistiken haben, lange bevor das Fernsehen sie mit sinnlosen Informationen überschüttete, kann es auch nicht überraschen, daß in der Titelliste nach Ländern Brasilien, Deutschland, Großbritannien und Italien in ihrem Fußballfilmoutput ganz vorne liegen.
Und wenn man dann aus der Lektüre wiederauftaucht und beinahe vergessen hat, daß erst ab Mitte August wieder gekickt wird, dann findet man es natürlich ehrenwert und verständlich, daß Schwab das traurige Image des Fußballfilms unter Cineasten mit seinem Lexikon verbessern will. Aber trotz seines umständlichen Vorworts, trotz Ehrenrettungsversuchen für Sönke Wortmanns "Das Wunder von Bern", kommt er nicht zum Nächstliegenden: Daß Fußball und Film so inkompatibel sind, weil sie einander so ähnlich sind: zwei Kraftwerke der Gefühle; daß man dank Bild- und Montagetechnik, dank gezielter Inszenierung in der Übertragung ein Fußballspiel zwar "filmischer" erscheinen lassen kann, umgekehrt jedoch einen Spielfilm nicht der Dramaturgie eines Fußballspiels anverwandeln kann; und daß man mühelos zwei Passionen haben kann, ohne sie zu einer Fusion bringen zu müssen. Der Pionierleistung von Schwab tut das keinen Abbruch. Unverzeihlich allerdings ist, daß in diesem Buch, das den Zeitraum bis 2004 erfaßt, ein Titel fehlt, der zum Besten gehört, was der Fußballfilm hervorgebracht hat: Stéphane Meuniers "Les yeux dans les bleus" (1998), die zweieinhalbstündige Dokumentation des französischen Wegs zum WM-Sieg 1998 (F.A.Z. vom 30. Mai). Keine Ahnung, wie Schwab den übersehen konnte; noch unbegreiflicher als Schweinsteigers Blackout in der 119. Minute des Halbfinales, als er den Raum nicht schloß, in den Pirlo seinen tödlichen Paß auf Grosso spielte.
PETER KÖRTE
Jan Tilman Schwab: "Fußball im Film". Lexikon des Fußballfilms. Belleville Verlag, München 2006. 1100 S., 98 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fast schon ein Roman: Das Lexikon über Fußball im Film
Es geht furchtbar zäh los. Rückpässe, Querpässe ohne Raumgewinn, keine Strafraumszenen. So ist das bei vielen Spielen, bevor die Mannschaften ihren Rhythmus finden. Und so muß das wohl auch sein bei einem Lexikon, das "Fußball im Film" heißt, deutlich schwerer als ein Fußball ist und mit seitenlangem definitorischen Geklapper beginnt, sich mit Genre- und Gattungsproblematik herumschlägt wie mit einem humorlosen Verteidiger, um schließlich bei der so trivialen wie sinnvollen Feststellung anzulangen, daß der Fußballfilm "das gesamte Spektrum filmischer Ausdrucksformen berücksichtigt, sofern Fußball in ausreichend relevanter Weise anzutreffen war". Die Leidenschaft des Autors Jan Tilman Schwab, der sein Buch der merkwürdigen Troika Fritz Walter, Oliver Kahn und George Best widmet, hat also auch etwas mit Leiden zu tun, was sehr fußballerisch ist, auch wenn nur wenige durch Kampf zum Spiel finden, wie es Schwab gelingt.
Aber braucht man jetzt ein solches Buch, nach vier Wochen Fußball? Unbedingt, denn der echte Junkie kann sich gar nichts Besseres vorstellen, als sich in den kommenden ballosen Wochen mit diesem Lexikon zu trösten, und im Gegensatz zu den meisten Lexika, die unberührt im Regal stehen, wird man dieses immer wieder zur Hand nehmen und darin lesen, als sei es ein Roman. Ein Bildungsroman zum Beispiel, denn das Buch führt einen in die eigene C-Jugend-Zeit, zur Vorabendserie "Fußballtrainer Wulff", die einen schon damals nicht befriedigte und die man sich dennoch anguckte. Man stößt auf Filme, die man nicht kennt, wohl auch nicht kennenlernen möchte, aber froh ist, daß man nun von ihrer Existenz weiß; man erfährt von Komödien, deren Inhaltsangaben wie Drohungen klingen. Und immer wieder sind da Filme, die man unbedingt sehen möchte, wie "Michael Laudrup - En Fodboldspiller" (1993) von jenem Jorgen Leth, der sich vor drei Jahren in "The Five Obstructions" von Lars von Trier zu einem Remake eines seiner alten Filme verleiten ließ.
Alle Einträge sind so akribisch gestaltet, wie es die jeweilige Materiallage erlaubt, mit zum Teil minutiösen Inhaltsangaben und ausführlichen Zitaten aus Kritiken. So erhalten vage Erinnerungen Kontur, wenn man auf Ror Wolfs experimentelle Dokumentation "Keep Out" (1975) stößt, die von Aufstieg und Fall des Linksaußen Thomas Rohrbach erzählt, einem einstigen Hoffnungsträger der Frankfurter Eintracht. Man blättert weiter, stundenlang, öffnet das Buch an einer beliebigen Stelle und möchte sofort die britische Dokumentation "The Game of Their Lives" (2002) sehen, welche die überlebenden nordkoreanischen Spieler besucht, die 1966 mit ihrem 1:0 gegen Italien für die wohl größte Sensation in der Geschichte der Weltmeisterschaften sorgten. Und, wie konnte man das vergessen, Heinz Engelmann aus "Fußballtrainer Wulff" war ja schon 1942 Torwart in "Das große Spiel", in dem zwar das obligate Nazikolorit nicht fehlte, der in technischer Hinsicht jedoch mit seiner Hintertorkamera für eine ganz neue Erfahrung des Spiels sorgte. Daß Schwab diesem Film 25 Druckseiten widmet, ist angemessen, wie überhaupt die Gewichtung fast immer überzeugt. Und weil Fußballfans schon seit dem "Kicker-Almanach" eine Schwäche für Statistiken haben, lange bevor das Fernsehen sie mit sinnlosen Informationen überschüttete, kann es auch nicht überraschen, daß in der Titelliste nach Ländern Brasilien, Deutschland, Großbritannien und Italien in ihrem Fußballfilmoutput ganz vorne liegen.
Und wenn man dann aus der Lektüre wiederauftaucht und beinahe vergessen hat, daß erst ab Mitte August wieder gekickt wird, dann findet man es natürlich ehrenwert und verständlich, daß Schwab das traurige Image des Fußballfilms unter Cineasten mit seinem Lexikon verbessern will. Aber trotz seines umständlichen Vorworts, trotz Ehrenrettungsversuchen für Sönke Wortmanns "Das Wunder von Bern", kommt er nicht zum Nächstliegenden: Daß Fußball und Film so inkompatibel sind, weil sie einander so ähnlich sind: zwei Kraftwerke der Gefühle; daß man dank Bild- und Montagetechnik, dank gezielter Inszenierung in der Übertragung ein Fußballspiel zwar "filmischer" erscheinen lassen kann, umgekehrt jedoch einen Spielfilm nicht der Dramaturgie eines Fußballspiels anverwandeln kann; und daß man mühelos zwei Passionen haben kann, ohne sie zu einer Fusion bringen zu müssen. Der Pionierleistung von Schwab tut das keinen Abbruch. Unverzeihlich allerdings ist, daß in diesem Buch, das den Zeitraum bis 2004 erfaßt, ein Titel fehlt, der zum Besten gehört, was der Fußballfilm hervorgebracht hat: Stéphane Meuniers "Les yeux dans les bleus" (1998), die zweieinhalbstündige Dokumentation des französischen Wegs zum WM-Sieg 1998 (F.A.Z. vom 30. Mai). Keine Ahnung, wie Schwab den übersehen konnte; noch unbegreiflicher als Schweinsteigers Blackout in der 119. Minute des Halbfinales, als er den Raum nicht schloß, in den Pirlo seinen tödlichen Paß auf Grosso spielte.
PETER KÖRTE
Jan Tilman Schwab: "Fußball im Film". Lexikon des Fußballfilms. Belleville Verlag, München 2006. 1100 S., 98 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auch nach der WM brauche der Fußball-Junkie noch ein solches Buch, findet Peter Körte, obwohl es ein wenig langatmig losgehe. Das akribisch gestaltete Nachschlagewerk lasse sich wie ein Roman lesen, man erfahre sowohl von Filmen zweifelhafter fußballerischer Kompetenz als auch von solchen, die man unbedingt sehen möchte (etwa "Michael Laudrup - En Fodboldspiller" von Jorgen Leth). Obwohl Körte das Anliegen des leidenschaftlichen Fans Jan Tilman Schwab, nämlich das "Image des Fußballfilms unter Cineasten" zu verbessern, ehrenwert findet, wundert er sich, dass Schwab nicht zu dem naheliegenden Schluss gekommen sei: dass die Unvereinbarkeit von Fußball und Kino von ihrer Ähnlichkeit herrühre, nämlich der Überschneidung "zweier Kraftwerke der Gefühle", die sich in Dramaturgie und Inszenierung ausdrücke. Trotzdem sei der Versuch als eine Pionierleistung zu würdigen, so Körte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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