Religion beschäftige sich mit der jenseitigen Seele, Tauschwirtschaft mit dem materiellen Gebrauchswert- so die verbreitete Ansicht. Die Ergebnisse der Ethnologie und der Geschichte belehren uns eines Besseren und zeigen die Geburt des Werts aus der kultischen Praxis. J-P. Baudets materialreiche Untersuchung liefert keine systematische Theorie, aber sie zeigt die Opferpraxis als ein zentrales Paradigma der Menschheitsgeschichte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2013Opferlogik
Wenn von Markt und Moral die Rede ist, steht die Religion gewöhnlich auf Seite der Letzteren. Andererseits sind Wirtschaft und Religion sprachlich nah verwandt: Sind Erlös und Erlösung, Kredit und Glaube zwei Seiten derselben Medaille? Im Anschluss an den Marx-Neffen Paul Lafargue, der den Kapitalismus 1887 erstmals explizit als Religion bezeichnet hatte, stellt Jean-Pierre Baudet die Verwandtschaftsfrage noch einmal neu. Baudet sieht zwischen Glauben und Ökonomie mehr als Analogien und säkulare Umwidmungen. Der Kapitalismus ist für ihn die Fortführung des religiösen Anspruchs mit anderen Mitteln und schlüssiger Erbe religiöser Riten. Genauer: des Opferkults, den Baudet als Vorschule ökonomischer Praxis betrachtet. Hier sei das Prinzip der symbolischen Repräsentation eingeführt worden, das später auf das Geld übertragen worden sei, und hier sei auch erstmals der Wert einer Sache genau bemessen worden, der des Opferrinds. Man sieht diese Verwandtschaft noch heute am Obolus, ursprünglich der Spieß, an dem sich im Opferkult das Rind drehte. Und schließlich heißt die Opfergabe im Althochdeutschen: gelt. Hinweis darauf, dass das Geld seinen Ursprung im Opfer und nicht in der Tauschfunktion hat. Baudet untermauert seine These mit ethnologischen Streifzügen, die erstaunliche Evidenzen ans Licht bringen, aber insgesamt zu aleatorisch sind, um seine starke These zu tragen. Ohnehin geht sie nur auf, wenn man in der Religion allein das Machtsystem sieht. (Jean-Pierre Baudet: "Opfern ohne Ende". Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2013. 333 S., br., 18,80 [Euro].)
thom
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Wenn von Markt und Moral die Rede ist, steht die Religion gewöhnlich auf Seite der Letzteren. Andererseits sind Wirtschaft und Religion sprachlich nah verwandt: Sind Erlös und Erlösung, Kredit und Glaube zwei Seiten derselben Medaille? Im Anschluss an den Marx-Neffen Paul Lafargue, der den Kapitalismus 1887 erstmals explizit als Religion bezeichnet hatte, stellt Jean-Pierre Baudet die Verwandtschaftsfrage noch einmal neu. Baudet sieht zwischen Glauben und Ökonomie mehr als Analogien und säkulare Umwidmungen. Der Kapitalismus ist für ihn die Fortführung des religiösen Anspruchs mit anderen Mitteln und schlüssiger Erbe religiöser Riten. Genauer: des Opferkults, den Baudet als Vorschule ökonomischer Praxis betrachtet. Hier sei das Prinzip der symbolischen Repräsentation eingeführt worden, das später auf das Geld übertragen worden sei, und hier sei auch erstmals der Wert einer Sache genau bemessen worden, der des Opferrinds. Man sieht diese Verwandtschaft noch heute am Obolus, ursprünglich der Spieß, an dem sich im Opferkult das Rind drehte. Und schließlich heißt die Opfergabe im Althochdeutschen: gelt. Hinweis darauf, dass das Geld seinen Ursprung im Opfer und nicht in der Tauschfunktion hat. Baudet untermauert seine These mit ethnologischen Streifzügen, die erstaunliche Evidenzen ans Licht bringen, aber insgesamt zu aleatorisch sind, um seine starke These zu tragen. Ohnehin geht sie nur auf, wenn man in der Religion allein das Machtsystem sieht. (Jean-Pierre Baudet: "Opfern ohne Ende". Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2013. 333 S., br., 18,80 [Euro].)
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein wenig verquast klingt, was Rezensent Michael Böhm hier aus der Schrift des bisher wenig bekannten Philosophen Jean-Pierre Baudet zusammenträgt. Aber er lässt in seiner Kritik Geduld walten und resümiert zunächst recht ausführlich, wie Baudet den Kapitalismus - den sowohl Baudet als auch sein Rezensent als "Gift" anzusehen scheinen - aus der Religion ableitet: Das religiöse Opfer soll zunächst die Abstraktionsschritte eingeleitet haben, die am Ende zum entwickelten Kapitalismus geführt haben. Böhm leuchtet daran manches ein - aber er findet die These zu allgemein: Die alten Griechen, so wendet er ein, hätten es keineswegs zum Kapitalismus gebracht, die Christen dann schon. Religion ist also nicht gleich Religion.
© Perlentaucher Medien GmbH
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