Am 22. Oktober 1990 jährte sich zum fünfzigsten Mal ein Ereignis, das zu den traurigsten Kapiteln der südwestdeutschen Landesgeschichte zählt. An eben diesem Oktobertag des Jahres 1940 wurden insgesamt 6500 jüdische Mitbürger aus Baden, der Pfalz und dem Saarland in das Internierungslager Gurs im damals noch unbesetzten Teil Frankreichs (Vichy-Frankreich) verschleppt. Diese von den NS-Gauleitungen von Baden und der Saarpfalz generalstabsmäßig geplante und durchgeführte Verschleppungsaktion markierte den Beginn der systematischen Judendeportationen durch die Nationalsozialisten, mit denen - als erster Schritt zur 'Endlösung der Judenfrage' - das Ziel verfolgt wurde, das Deutsche Reich 'judenfrei' zu machen. Dem an der Universität Konstanz Soziologie lehrenden Prof. Erhard R. Wiehn sowie dem kleinen, auf Judaica spezialisierten Konstanzer Hartung-Gorre Verlag ist es zu danken, dass zu diesem erschütternden Ereignis der jüngeren Geschichte Südwestdeutschlands nunmehr eine umfassende geschichtswissenschaftliche Analyse und Dokumentation vorliegt. Der Herausgeber sowie Paul Sauer, dessen 1968 erschienene Pionierstudie über die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit 1933 bis 1945 nach wie vor Standard setzende Bedeutung hat, beschreiben in zwei einleitenden Beiträgen die Oktoberdeportation von 1940 als ein Ereignis, dem im Gesamtrahmen der nationalsozialistischen Judenverfolgung ebenso wie dem Novemberpogrom von 1938 ('Reichskristallnacht') eine archimedische Bedeutung zukommt, insofern nämlich, als hiermit ein entscheidender Schritt unternommen wurde von der 'bloß' rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Diskriminierung der jüdischen Mitbürger zur physischen Vernichtung des Judentums. Deutlich wird, dass mit der Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden in das südfranzösische Internierungslager Gurs im Oktober 1940 endgültig die Weichen für die 'Endlösung der Judenfrage' gestellt wurden. Eine Reihe von lokalhistorischen Studien und Augenzeugenberichten über den Ablauf der Deportationsaktion in Heidelberg, Singen, Mannheim, Karlsruhe, Pforzheim, in denen viele Einzelschicksale auf eindringliche und authentische Art ins Blickfeld gerückt werden, offenbaren dabei in aller Eindringlichkeit das unvorstellbare Leid, das den von der Deportation betroffenen Menschen zugefügt wurde. Mit noch größerem Nachdruck vermittelt sich dem Leser die Unmenschlichkeit der Verschleppungsaktion, wenn er die zahlreichen, zumeist aus der authentischen Leidensperspektive von unmittelbar Betroffenen geschriebenen Berichte über das Leben und den Überlebenskampf der Deportierten im Internierungslager Gurs liest. Das Grauen der 'Hölle von Gurs' wird dabei buchstäblich lebendig, wenn hier die katastrophale Ernährungslage, die völlig unzureichende medizinische Versorgung sowie die unvorstellbar schlechten, hygienischen Verhältnisse, die den Alltag des Lagerlebens bestimmten, weniger im Stile einer nüchternen historischen Bestandsaufnahme, sondern vorwiegend aus dem Blickwinkel von denjenigen beschrieben werden, die diese 'Vorstation von Auschwitz' überlebt haben. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der umfängliche, auf über 400 Seiten angelegte Dokumentationsteil, der in einer Vielzahl von Einzeldokumenten (staatliche Erlasse, Presseartikel, Briefe von Lagerinsassen etc.) die Geschichte der Oktoberdeportation und ihrer schrecklichen Folgen vor allem auch im Hinblick auf konkrete Einzelschicksale nachvollziehbar macht und dabei die zynische Planrationalität der nationalsozialistischen Judenpolitik im Vorfeld von Auschwitz offenlegt. Im Vorwort äußert der Herausgeber die Hoffnung, dass mit diesem Band eine ebenso vielseitige wie würdige Gedenkdokumentation zustande gekommen ist, deren Zweck es ist, an· die Opfer und ihre Peiniger zu erinnern und noch 50 Jahre danach daraus zu lernen. Das vorliegende Buch löst diesen Anspruch ein, weshalb zu wünschen ist, dass es möglichst viele Leser findet.