Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 29,70 €
  • Gebundenes Buch

„Aus den Tagebüchern eines Taugenichts“ Die Titel der Arbeiten lauten „Vacuum cleaner / Zahara“ oder „Gumgax“. Von zwei formal sich ähnelnden Blättern trägt das eine die gewichtige Bildüberschrift „Weltverbesserungsvorschlag Nr. 1“, während das andere schlicht und konkret als „25 stripes“ bezeichnet ist, als Verweis auf dessen materielle Beschaffenheit. Die Titel scheinen den Betrachter nicht unmittelbar weiterzuführen, eher wirken sie wie Stichworte, die sich der Künstler zu ihrer Entstehung vermerkt, ohne dass sie konstruktiv einer Entschlüsselung des Bildes dienen, den Zugang durch einen…mehr

Produktbeschreibung
„Aus den Tagebüchern eines Taugenichts“ Die Titel der Arbeiten lauten „Vacuum cleaner / Zahara“ oder „Gumgax“. Von zwei formal sich ähnelnden Blättern trägt das eine die gewichtige Bildüberschrift „Weltverbesserungsvorschlag Nr. 1“, während das andere schlicht und konkret als „25 stripes“ bezeichnet ist, als Verweis auf dessen materielle Beschaffenheit. Die Titel scheinen den Betrachter nicht unmittelbar weiterzuführen, eher wirken sie wie Stichworte, die sich der Künstler zu ihrer Entstehung vermerkt, ohne dass sie konstruktiv einer Entschlüsselung des Bildes dienen, den Zugang durch einen Begriff, einen Hinweis erweitern würden. Der Betrachter ist auf das verwiesen, was er selbst sehen kann, wenn er sehen kann und nicht stattdessen Vorbehalte hat, sich der eigenen Wahrnehmung hinzugeben. Es gibt Systeme, die nur in sich schlüssig sind, die nur in sich schlüssig sein wollen, die rein ästhetische Systeme sind – in der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Wortes „aesthesis“, die sinnliche Wahrnehmung betreffend – und als solche rein ästhetisches Erlebnis, zweckfrei und zielloses Spiel, das die Sinne reizt. So ist das Bild zunächst nichts außerhalb dessen, was es sichtbar ist. Die Blätter von Peter Mayr erscheinen wie Landkarten, oder besser wie Tagebücher in denen die Handlungen des an ihnen Arbeitenden verzeichnet wurden. Man erkennt die Schichtungen der unterschiedlichen Stoffe und Substanzen, die Feuchtigkeit, die in den Grund eingedrungen ist und ihn verändert hat, die Farben, die sich in wässrigen Lasuren ausgebreitet und entwickelt haben. Die Beschaffenheit der Materialien lässt sich nachempfinden an deren Erscheinung. Die Arbeiten zeigen Schichtungen, tragen Spuren von Ritzungen, machen Prozesse sichtbar, die auch die zeitliche Ausbreitung und das Eindringen der Handlungen vermitteln. In der Betrachtung entwickelt sich unmittelbar eine Wahrnehmung für die speziellen Beziehungen und Spannungen der einzelnen Blätter, ihre kategorial wesensgleiche Beschaffenheit, die ihre jeweiligen qualitativen Unterscheidungen deshalb umso feiner erkennen lässt. „Meine Arbeit handelt vom Prozess der Herstellung“ sagt Peter Mayr, und er sagt damit gleichzeitig, dass es für ihn nicht von vorrangigem Interesse ist, sich im Bild auf ein Außen zu beziehen, es als Medium der Abbildung gegenständlicher objekthaft wahrgenommener Alltagswelt zu gebrauchen. Die Herstellung der Bilder ist so im günstigsten Fall ziellos wache Auseinandersetzung, zweckfrei ästhetisches Spiel. Damit sind innerhalb dieses Systems auch die Arbeiten schlüssiger, die sich völlig von jeder gegenständlichen Form lösen. Dies lässt in einem Vergleich an Jazz denken, das Stück, das als reaktives Spiel innerhalb einer kommunikativen Struktur entwickelt wird und letztlich nur im Vollzug oder im einfühlenden Nachvollzug erfahren und erlebt werden kann. Auch im Jazz geht es um das Stück, das Werk an sich und nicht um den Verweis auf etwas Äußeres, auch dort sind Medium und Ausdruck identisch. Reiner Ausdruck des Tones, wie es bei Peter Mayr reiner Ausdruck des Materials ist. Eben darin erscheint die Entwicklung seiner Papierarbeiten konsequent, wenn die Arbeit nicht mehr getrennt in Zeichnung und Grund, wenn das Blatt nicht mehr allein beliebig auswechselbarer Träger ist, sondern Material und Gestaltung zu einer Einheit verschmelzen, innerhalb der alle Elemente gleichbedeutend wahrnehmbar gemacht sind, wenn also das Blatt zum Objekt wird. Einem rein zweckorientierten alltäglichen Blick, mag ein solches Spiel sinnlos erscheinen und Peter Mayr damit als Taugenichts. Vermutlich deshalb auch die etwas nebulöse Idee zum Titel dieses Textes, der während einer nächtlichen Autobahnfahrt entstand und assoziativ die Titel von Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ und Kierkegaards „Tagebuch des Verführers“ verschmilzt. Zumindest aber deuten sich darin einige Gedanken an, die die Arbeiten von Peter Mayr nahelegen. Eichendorffs ungewöhnlicher und namenlos bleibender Taugenichts ist ein Held der Spätromantik, der ein bürgerliches Streben nach Sicherheit und ein, lediglich am eigenen Vorteil orientiertes Leben ablehnt. So zieht er in die Welt, streift ziellos umher und lässt sich von Zufällen und Abenteuern bestimmen, während Kierkegaards Johannes sein ästhetisches Spiel genauestens plant und in diesem Planspiel sein Opfer durch gezielte, aber rein ästhetisch motivierte Berechnung verführt. Lassen wir den Schluss aus diesen Assoziationen offen Peter Mayrs Blätter sind auch Ausdruck eines eigenen Entwicklungsprozesses innerhalb seines künstlerischen Arbeitens, das einem Zweck fern der üblichen Zweckmäßigkeit unterliegt, der sich nur dem erschließen kann, der sich auf das System einlassen will. Kierkegaards Johannes verfängt sich letztlich in reiner Anschauung, die echte Leidenschaft nicht erkennt, weil sie nicht verantwortlich werden will und Eichendorffs Held muss, damit die bürgerliche Ordnung schließlich wieder hergestellt ist, zurückkehren in ein gängiges Wertesystem. Peter Mayr muss das sicher nicht, auch wenn sein nicht ganz einfacher Weg irgendwo dazwischen liegt. Diana Ebster