Die Geschichte von einem, der es (mit Hilfe von anderen) geschafft hat. Mit 11 Jahren wandte sich Jeremias Thiel ans Jugendamt. Seine Eltern waren psychisch krank und dadurch nicht in der Lage, ihn und seinen Zwillingbruder Niklas zu erziehen, dazu lebte die Familie von Hartz 4 und ist wohl
verhältnismäßig bildungsfern. Er kam in ein SOS-Kinderdorf, hatte dann die Möglichkeit, ein internationales…mehrDie Geschichte von einem, der es (mit Hilfe von anderen) geschafft hat. Mit 11 Jahren wandte sich Jeremias Thiel ans Jugendamt. Seine Eltern waren psychisch krank und dadurch nicht in der Lage, ihn und seinen Zwillingbruder Niklas zu erziehen, dazu lebte die Familie von Hartz 4 und ist wohl verhältnismäßig bildungsfern. Er kam in ein SOS-Kinderdorf, hatte dann die Möglichkeit, ein internationales Abitur am Robert Bosch College zu machen und studiert inzwischen in den USA. Ein beeindruckender Weg für jemanden, der einen schwierigen Start hatte.
Seine Lebensgeschichte bildet die Grundlage für sein Buch „Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance: Wie sich Armut in Deutschland anfühlt und was sich ändern muss“. An sich kein schlechtes Buch, sicher aber kein wirklich gutes. Seine Biografie liest sich zum Teil wie ein Märchen, ein bisschen wie bei Pretty Woman. Aber ich habe mich für ihn gefreut, dass er es durch seine eigene Arbeit, aber auch durch viel Hilfe und Möglichkeiten (die nicht jeder hat), geschafft hat, seinen Weg zu machen. Er scheint auch genau zu wissen, dass ihm da viel Gutes zuteilwurde, was zum Beispiel weder seinem Zwillingsbruder noch seinem Halbbruder passierte. Zumindest den Menschen, die ihn ab der Zeit im Kinderdorf unterstützt haben, scheint er aufrichtig dankbar und auch über seinen Vater findet er zum Teil sehr liebevolle Worte.
Aber sonst ist das Buch ziemlich schwierig. Inhaltlich sicherlich korrekt, der Autor legt den Finger auf genau das, was schief läuft. Aber er geht dabei sehr stark von seiner eigenen Geschichte aus. Psychische Erkrankung – Armut – mangelnde Erziehungsfähigkeit. Die Kausalität mag für ihn richtig sein, denn in seiner Familie war es so, das ist aber natürlich nicht immer so gegeben. Da macht er es sich ein bisschen einfach, aber er ist ja auch noch sehr jung. Und auch manche Sätze wie „Mein Vater wurde psychisch krank und flüchtete sich abwechselnd in manische und depressive Phasen“ stoßen sicher manchem Leser übel auf. Kein Mensch „flüchtet“ sich in solche Phasen, eine bipolare Störung (manische Depression) ist ganz sicher keine Fluchtmöglichkeit, sondern eine schwere psychische Erkrankung!
Insgesamt listet er Mängel im System auf – bietet aber keine Lösungen. Kann er natürlich auch nicht. Vieles in seinem Buch wiederholt sich auch häufiger. Den Buchtitel (auf den der Autor vermutlich keinen Einfluss hatte), sehe ich sehr zwiespältig. „Zwischen zwei Scheiben labbrigem Toastbrot war mindestens ein halber Zentimeter Butter gestrichen, darauf lag eine Scheibe Lyoner aus der Plastikverpackung vom Discounter“ – das war sein Pausenbrot. Naja, es gibt Kinder, die bekommen gar keines, manche schmieren sie sich selbst, andere stehlen welche aus fremden Schulranzen und dann sind da Kinder wie ich, das gar keines möchten. Das Pausenbrot ist eine schöne Metapher, mehr aber auch nicht. Der Brückenschlag zu den Bildungschancen ist für mich hier ganz klar misslungen.
Und auch sprachlich ist das Buch keine Meisterleistung. Es liest sich wie eine Mischung aus Schulaufsatz zum Thema „Meine Kindheit“ und Facharbeit für den Gemeinschaftskunde-Unterricht. Und auch Sätze wie „Hinterher gab es ein fettes Buffet“ hätte er vielleicht noch einmal überdenken sollen. Aber alles in allem finde ich es ein lesenswertes Buch, das aufrütteln kann und nachdenklich macht. Das aber auch zeigt, dass man viel erreichen kann, wenn man Eigenverantwortung übernimmt und Eigeninitiative zeigt. Wenn dann noch Hilfe und Unterstützung von außen kommt, ist sehr vieles möglich. Von mir 4 Sterne.