Seit dem Beginn von Auslands- und Kampfeinsätzen der Bundeswehr in den 1990er Jahren kehrten über 300.000 Soldatinnen und Soldaten als Veteranen heim. Zurück in eine Gesellschaft, die ihren Kampfeinsatz zwar legitimierte, eine Wertschätzung aber vermissen lässt. Ca. 20 Betroffene erzählen, wie sie der Kampfeinsatz geprägt hat. Die berührenden Geschichten zeigen, wie eine solche Erfahrung das Leben positiv oder negativ verändern kann. Fachbeiträge bereiten zusätzliches Fachwissen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2023Porträts gegen die Beliebigkeit
Der Veteran, das war in Deutschland lange ein Begriff aus der Mottenkiste; verstaubt und muffig, gestrig - aus der Zeit gefallen.
Das Bild des Veteranen hat sich geändert. Das liegt an dem zermürbenden Krieg, der zwischen Russland und der Ukraine tobt. Es hat aber auch mit den vielen Auslandseinsätzen zu tun, in die die Politik die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr seit 1991 geschickt hat. Mehr als eine halbe Million von ihnen, schreibt das Verteidigungsministerium auf seiner Homepage, sind seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes in fremde Länder entsandt worden, um dort - direkt oder indirekt - deutschen Sicherheitsinteressen zu dienen. Über die Bilanz jedes einzelnen dieser Einsätze lässt sich trefflich streiten. Unbestritten ist jedoch, dass die meisten dieser Soldatinnen und Soldaten unter widrigsten Umständen ihren Mann oder ihre Frau gestanden haben. Gleichzeitig haben die im Laufe der Jahrzehnte gefährlicher gewordenen Einsätze auch zahlreiche Soldaten hervorgebracht, die in Gefechte verwickelt oder auf andere Weise mit Gewalt, Tod und Verwundung konfrontiert wurden. Veteranen also.
Heute ist der Begriff im politischen Berlin wieder salonfähig. Inzwischen zeichnet sich sogar eine Mehrheit im Bundestag für den Antrag ab, einen Veteranentag einzuführen. Gleichwohl zeugt der Hintergrund, vor dem dies geschieht, von den Problemen, die viele Mandatsträger bis heute mit dem "harten Ende" des Soldatenberufs haben. Seit 2018 gilt das Gießkannenprinzip. Damals entschied Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), dass sich jeder Deutsche "Veteran" nennen darf, der Bundeswehrsoldat ist oder es zumindest einen Tag lang war. Dabei spielen weder Einsatz noch Erfahrung eine Rolle. Damit wird der Begriff seiner Attribute beraubt.
Mit "Deutschlands Veteranen. (Über-)Leben nach dem Einsatz" antworten Marcel Bohnert, Vorstandsmitglied des Deutschen Bundeswehrverbandes, und die Journalistin Julia Egleder auf genau diese Beliebigkeit. Im Mittelpunkt ihres Buches stehen die Porträts von 19 Menschen, deren Leben durch Auslandseinsätze der Bundeswehr entscheidend geprägt wurden. Ihre Schilderungen vermitteln einen plastischen Eindruck von den Strapazen, die auf die Soldatinnen und Soldaten warteten, und von den seelischen Wunden, mit denen sie und ihre Familien nach der Rückkehr zuweilen zu kämpfen hatten. Viele der Veteranen waren in Afghanistan, so wie Maik Mutschke, der am Karfreitag 2010 bei Isa Khel im bisher schwersten Gefecht der Bundeswehr kämpfte. Drei Gefallene und acht Verwundete lautet die traurige Bilanz. Mutschke wurde von einem Sprengsatz das Gesicht zerfetzt. "Man konnte mir vom Hals in die Mundhöhle und von dort in die Augenhöhle sehen." Es sind protokollierte Sätze wie dieser, die das Grauen vor Ort plastisch werden lassen.
Auch den seelischen Schäden geben die Autoren Raum, etwa in der Geschichte von Achim Gasper. Der Luftwaffenoffizier sieht im Januar 2015 Menschen in Flammen aufgehen, nachdem ein Kampfflugzeug über dem spanischen Luftwaffenstützpunkt Albacete abgestürzt und am Boden explodiert ist. Elf Menschen sterben bei dem Unglück, zahlreiche weitere werden zum Teil schwer verletzt. Gasper muss dabei sein, als Vertreter der Staatsanwaltschaft später die Leichenteile einsammeln. Die Bilder und der Gestank brennen sich in sein Gedächtnis ein, lösen Flashbacks aus. Gasper leidet fortan an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), wird von Panikattacken heimgesucht. Seine Beziehung zerbricht. Die Anerkennung seines Leidens wird zu einem kafkaesken Prozess, wie ihn viele Bundeswehrsoldaten durchmachen müssen, noch verschärft dadurch, dass die Verwundung nicht aus dem Einsatz, sondern aus einer Übung stammt. In den folgenden Jahren kämpft Gasper nicht nur gegen PTBS, sondern auch gegen Bürokratie, Misstrauen und Unverständnis. "Man muss sich schon entscheiden, ob man gesund werden oder Karriere machen will", sagt ein Vorgesetzter ihm.
Oft braucht es auch gar keinen Feind, um einen Gegner zu haben. Die Herausforderungen für die Veteranen sind vielfältig: Mal ist es das systematische Mobbing gegen eine Soldatin in der Kampftruppe, mal die tiefe persönliche Enttäuschung über den Kontrast zwischen den Sonntagsreden der Politiker und der unerbittlichen Realität im Einsatzland. Deutlich wird aber auch, dass sich manche Soldaten als Staatsbürger in Uniform ähnliche Illusionen über ihren Auftrag gemacht haben wie der Rest der Gesellschaft, aus der sie stammen.
Dass es auch anders geht, dokumentiert der Fall Jared Sembritzki. Der Brigadegeneral besiegt 2010 mit seiner schnellen Eingreiftruppe die Taliban in der Schlacht von Shahabuddin. Dafür wird er ausgezeichnet. Als Last habe er die Verantwortung nicht empfunden, sagt er. "Dafür wurde ich ausgebildet." Vielmehr habe er die Situation als besondere Chance empfunden, seine Fähigkeiten als militärischer Führer unter Beweis zu stellen.
Die Geschichten in "Deutschlands Veteranen" lassen keinen Zweifel daran, dass jeder der Porträtierten die Aufmerksamkeit verdient, die ihm das Buch schenkt. Doch auch die Autoren geben mit ihrer Auswahl keinen Aufschluss darüber, was genau ein echter Veteran ist. Im Vordergrund stehen die Einsatzerfahrungen und die Schäden, die die Soldaten davongetragen haben. Aber auch Angehörige kommen zu Wort. Eine Lebensgefährtin war nie Soldatin. Ein Sohn war nur beim Ahrtalhochwasser im Einsatz. Viele der Protagonisten haben auch einen Bezug zu den Invictus Games, einem internationalen Sportereignis für verwundete Soldaten, das im September in Düsseldorf stattfand und vom Deutschen Bundeswehrverband als Partner unterstützt wurde.
Dass das Buchprojekt dazu dient, die Wertschätzung und die Bedingungen für die deutschen Veteranen zu verbessern, liegt auf der Hand. Davon zeugt auch die Phalanx von Grußworten und Bestandsaufnahmen, durch die sich der Leser erst einmal durchkämpfen muss und von denen manches überflüssig erscheint. Wer wissen will, was einen Veteranen ausmacht, bekommt in diesem Buch eine Ahnung davon. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. LORENZ HEMICKER
Marcel Bohnert, Julia Egleder: Deutschlands Veteranen. (Über-)Leben nach dem Einsatz.
Mittler Verlag, Hamburg 2023. 288 S., 24,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Veteran, das war in Deutschland lange ein Begriff aus der Mottenkiste; verstaubt und muffig, gestrig - aus der Zeit gefallen.
Das Bild des Veteranen hat sich geändert. Das liegt an dem zermürbenden Krieg, der zwischen Russland und der Ukraine tobt. Es hat aber auch mit den vielen Auslandseinsätzen zu tun, in die die Politik die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr seit 1991 geschickt hat. Mehr als eine halbe Million von ihnen, schreibt das Verteidigungsministerium auf seiner Homepage, sind seit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes in fremde Länder entsandt worden, um dort - direkt oder indirekt - deutschen Sicherheitsinteressen zu dienen. Über die Bilanz jedes einzelnen dieser Einsätze lässt sich trefflich streiten. Unbestritten ist jedoch, dass die meisten dieser Soldatinnen und Soldaten unter widrigsten Umständen ihren Mann oder ihre Frau gestanden haben. Gleichzeitig haben die im Laufe der Jahrzehnte gefährlicher gewordenen Einsätze auch zahlreiche Soldaten hervorgebracht, die in Gefechte verwickelt oder auf andere Weise mit Gewalt, Tod und Verwundung konfrontiert wurden. Veteranen also.
Heute ist der Begriff im politischen Berlin wieder salonfähig. Inzwischen zeichnet sich sogar eine Mehrheit im Bundestag für den Antrag ab, einen Veteranentag einzuführen. Gleichwohl zeugt der Hintergrund, vor dem dies geschieht, von den Problemen, die viele Mandatsträger bis heute mit dem "harten Ende" des Soldatenberufs haben. Seit 2018 gilt das Gießkannenprinzip. Damals entschied Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), dass sich jeder Deutsche "Veteran" nennen darf, der Bundeswehrsoldat ist oder es zumindest einen Tag lang war. Dabei spielen weder Einsatz noch Erfahrung eine Rolle. Damit wird der Begriff seiner Attribute beraubt.
Mit "Deutschlands Veteranen. (Über-)Leben nach dem Einsatz" antworten Marcel Bohnert, Vorstandsmitglied des Deutschen Bundeswehrverbandes, und die Journalistin Julia Egleder auf genau diese Beliebigkeit. Im Mittelpunkt ihres Buches stehen die Porträts von 19 Menschen, deren Leben durch Auslandseinsätze der Bundeswehr entscheidend geprägt wurden. Ihre Schilderungen vermitteln einen plastischen Eindruck von den Strapazen, die auf die Soldatinnen und Soldaten warteten, und von den seelischen Wunden, mit denen sie und ihre Familien nach der Rückkehr zuweilen zu kämpfen hatten. Viele der Veteranen waren in Afghanistan, so wie Maik Mutschke, der am Karfreitag 2010 bei Isa Khel im bisher schwersten Gefecht der Bundeswehr kämpfte. Drei Gefallene und acht Verwundete lautet die traurige Bilanz. Mutschke wurde von einem Sprengsatz das Gesicht zerfetzt. "Man konnte mir vom Hals in die Mundhöhle und von dort in die Augenhöhle sehen." Es sind protokollierte Sätze wie dieser, die das Grauen vor Ort plastisch werden lassen.
Auch den seelischen Schäden geben die Autoren Raum, etwa in der Geschichte von Achim Gasper. Der Luftwaffenoffizier sieht im Januar 2015 Menschen in Flammen aufgehen, nachdem ein Kampfflugzeug über dem spanischen Luftwaffenstützpunkt Albacete abgestürzt und am Boden explodiert ist. Elf Menschen sterben bei dem Unglück, zahlreiche weitere werden zum Teil schwer verletzt. Gasper muss dabei sein, als Vertreter der Staatsanwaltschaft später die Leichenteile einsammeln. Die Bilder und der Gestank brennen sich in sein Gedächtnis ein, lösen Flashbacks aus. Gasper leidet fortan an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), wird von Panikattacken heimgesucht. Seine Beziehung zerbricht. Die Anerkennung seines Leidens wird zu einem kafkaesken Prozess, wie ihn viele Bundeswehrsoldaten durchmachen müssen, noch verschärft dadurch, dass die Verwundung nicht aus dem Einsatz, sondern aus einer Übung stammt. In den folgenden Jahren kämpft Gasper nicht nur gegen PTBS, sondern auch gegen Bürokratie, Misstrauen und Unverständnis. "Man muss sich schon entscheiden, ob man gesund werden oder Karriere machen will", sagt ein Vorgesetzter ihm.
Oft braucht es auch gar keinen Feind, um einen Gegner zu haben. Die Herausforderungen für die Veteranen sind vielfältig: Mal ist es das systematische Mobbing gegen eine Soldatin in der Kampftruppe, mal die tiefe persönliche Enttäuschung über den Kontrast zwischen den Sonntagsreden der Politiker und der unerbittlichen Realität im Einsatzland. Deutlich wird aber auch, dass sich manche Soldaten als Staatsbürger in Uniform ähnliche Illusionen über ihren Auftrag gemacht haben wie der Rest der Gesellschaft, aus der sie stammen.
Dass es auch anders geht, dokumentiert der Fall Jared Sembritzki. Der Brigadegeneral besiegt 2010 mit seiner schnellen Eingreiftruppe die Taliban in der Schlacht von Shahabuddin. Dafür wird er ausgezeichnet. Als Last habe er die Verantwortung nicht empfunden, sagt er. "Dafür wurde ich ausgebildet." Vielmehr habe er die Situation als besondere Chance empfunden, seine Fähigkeiten als militärischer Führer unter Beweis zu stellen.
Die Geschichten in "Deutschlands Veteranen" lassen keinen Zweifel daran, dass jeder der Porträtierten die Aufmerksamkeit verdient, die ihm das Buch schenkt. Doch auch die Autoren geben mit ihrer Auswahl keinen Aufschluss darüber, was genau ein echter Veteran ist. Im Vordergrund stehen die Einsatzerfahrungen und die Schäden, die die Soldaten davongetragen haben. Aber auch Angehörige kommen zu Wort. Eine Lebensgefährtin war nie Soldatin. Ein Sohn war nur beim Ahrtalhochwasser im Einsatz. Viele der Protagonisten haben auch einen Bezug zu den Invictus Games, einem internationalen Sportereignis für verwundete Soldaten, das im September in Düsseldorf stattfand und vom Deutschen Bundeswehrverband als Partner unterstützt wurde.
Dass das Buchprojekt dazu dient, die Wertschätzung und die Bedingungen für die deutschen Veteranen zu verbessern, liegt auf der Hand. Davon zeugt auch die Phalanx von Grußworten und Bestandsaufnahmen, durch die sich der Leser erst einmal durchkämpfen muss und von denen manches überflüssig erscheint. Wer wissen will, was einen Veteranen ausmacht, bekommt in diesem Buch eine Ahnung davon. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. LORENZ HEMICKER
Marcel Bohnert, Julia Egleder: Deutschlands Veteranen. (Über-)Leben nach dem Einsatz.
Mittler Verlag, Hamburg 2023. 288 S., 24,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Über 500000 Menschen waren seit 1991 als Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen aktiv, so Rezensent Lorenz Hemicker. 19 von ihnen portraitiert dieses Buch, das Marcel Bohnert, seines Zeichens Vorstandsmitglied des Deutschen Bundeswehrverbandes gemeinsam mit der Journalistin Julia Egleder verfasst hat. Das Ziel der Veröffentlichung besteht laut Rezensent offensichtlich darin, die Sensibilität der Öffentlichkeit für die schwierigen Bedingungen, unter denen deutsche Soldaten oft kämpfen müssen, zu erhöhen. Die Soldaten, deren Geschichten hier versammelt sind, dienten unter anderem in Afghanistan, erfahren wir, zu den Themen zählen Verletzungen und Posttraumatische Belastungsstörung sowie Frustration über unflexible Bürokratie und großsprecherische Politik. Aber es gibt auch Menschen, die Positives über ihre Erfahrungen im Einsatz zu berichten wissen, erläutert Hemicker. Was genau einen Veteranen zu einem Veteranen macht, lernt der Rezensent auch aus diesem Buch nicht, aber einen ersten Eindruck davon vermittelt dieses Buch durchaus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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