Es gibt nur wenige Personen des 20. Jahrhunderts, die ähnlich umstritten sind. Für die einen ein menschenverachtender Diktator, erkannten andere in ihm eine Hoffnung verheißende Lichtgestalt. Fast 45 Jahre lang regiert Castro inzwischen Kuba, er hat die Herrscher in Washington und Moskau kommen und gehen sehen und sich aller weltpolitischen Veränderungen zum Trotz behauptet. Leycester Coltman ist Castro so nahe gekommen wie nur wenige Ausländer, in einer Zeit, als Kuba - nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums - sich neu orientieren musste.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2005Starrsinnig in Havanna
Aus der Perspektive eines britischen Diplomaten: Fidel Castros Leben
Leycester Coltman: Der wahre Fidel Castro. Biographie. Aus dem Englischen von Jens Knipp. Verlag Artemis & Winkler, Düsseldorf 2005. 464 Seiten, 29,90 [Euro].
Kein lebender Politiker der Welt hat so lange sein Land regiert wie Fidel Castro die Republik Kuba: seit dem 1. Januar 1959. Das heutige Kuba mit seinen positiven wie auch vielen negativen Seiten ist das Werk einer einzigen Person, des mit Recht "máximo líder" genannten früheren Rechtsanwalts Fidel Castro Ruz. Nichts deutet darauf hin, daß der inzwischen 78 Jahre alte Castro vor seinem Tod auch nur einen Teil seiner Macht abgeben wird. Über Castro sind in dem knapp halben Jahrhundert seiner Herrschaft zahlreiche Bücher geschrieben worden. Die neueste Publikation in Deutschland, geschrieben von dem britischen Diplomaten und früheren Botschafter in Havanna, Leycester Coltman, erweist sich selbst den Kennern der jüngsten Geschichte Kubas von Nutzen. Coltman, lange Zeit auch Leiter der Lateinamerika-Abteilung im Foreign Office, kennt sich in den Einzelheiten des Lebens von Castro sehr gut aus. Er fällt nicht auf Gerüchte - in einem Land ohne Pressefreiheit wie Kuba besonders häufig -, Klatsch oder gezielte Fehlinformationen herein. Er setzt sich mit den Argumenten von Anhängern wie Gegnern der kubanischen Revolution auseinander und hält sich mit eigenen Werturteilen eher zurück. Der Diplomat weist eingehend auf das übertriebene Selbstbewußtsein und die fehlende Sensibilität Castros hin. Optimismus, verbunden mit einem störrischen Charakter, haben ihn für gutgemeinte Ratschläge unzugänglich gemacht.
Sehr genau zeichnet Coltman die ideologische Entwicklung Castros nach, so dessen langen Weg hin zum Marxismus-Leninismus, der in Etappen verläuft und von äußeren weltpolitischen Ereignissen - besonders auch von der Haltung der Vereinigten Staaten zu Kuba - mitbestimmt wird. Die oft gestellte Frage, wann genau Castro sich als Kommunist fühlte und als solcher zu erkennen gab, ist für Coltman von zweitrangiger Bedeutung, zumal die ideologische Entwicklung der kubanischen Revolutionäre nicht geradlinig verläuft und das Verhältnis Havannas zu Moskau von manchen Rückschlägen wie immer neuen Annäherungen gezeichnet ist. Er zitiert Gorbatschow, der nach einem Besuch in Havanna der britischen Premierministerin Thatcher auf deren Bitte, Castro zu Reformen zu bewegen, antwortete: "Wenn Sie glauben, wir könnten Castro kontrollieren, irren Sie sich leider. Er wird einen eigenen Weg einschlagen. Unsere Einflußmöglichkeiten sind gleich Null."
Der Regierungsversion allzu nahe wirkt Coltmans Darstellung des Falles Ochoa. Die Hinrichtung des populären Generals Ochoa und des Obersten de la Guardia im Juli 1989 nach einem Schauprozeß wegen angeblich eigenmächtiger Zulassung der Drogentransporte über Kuba wurde Castro selbst von guten Freunden als schlimmes Vergehen angekreidet. Die zahlreichen Hinweise darauf, daß die Hingerichteten im Auftrage höherer Stellen handelten, werden von Coltman im Gegensatz zu anderen Kuba-Experten nicht ernst genommen. Der ehemalige Botschafter bevorzugt in dem tragischen Fall Ochoa/de la Guardia eine diplomatisch-vorsichtige Version.
Coltman kritisiert die Kuba-Politik der Vereinigten Staaten als ignorant und herablassend. Er verschweigt nicht die zahlreichen Versuche amerikanischer Geheimdienste, Castro zu ermorden. Die letzten Kapitel berichten dann nur noch resümierend über jene Zeit, in der Coltman nicht mehr im auswärtigen Dienst tätig war. Als das Buch 2003 in Großbritannien erschien, war der Autor bereits verstorben. Sein Übersetzer gibt jetzt leider zahlreiche Ausdrücke weder im spanischen Original noch in deutscher Übersetzung, sondern auf englisch wieder. Da wird das berühmte Hotel Nacional zum National-Hotel und La Ciudad de México nicht zu Mexiko-Stadt, sondern zu Mexiko City. Auch ohne die bisher letzten Jahre in Castros Leben erscheint der Máximo Líder am Ende des Buches von Coltman als ein einsamer starrsinniger Mann, in der Weltpolitik alleinstehend, doch noch mit ausreichender Unterstützung im eigenen Land, um sich dort an der Macht zu halten.
WALTER HAUBRICH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aus der Perspektive eines britischen Diplomaten: Fidel Castros Leben
Leycester Coltman: Der wahre Fidel Castro. Biographie. Aus dem Englischen von Jens Knipp. Verlag Artemis & Winkler, Düsseldorf 2005. 464 Seiten, 29,90 [Euro].
Kein lebender Politiker der Welt hat so lange sein Land regiert wie Fidel Castro die Republik Kuba: seit dem 1. Januar 1959. Das heutige Kuba mit seinen positiven wie auch vielen negativen Seiten ist das Werk einer einzigen Person, des mit Recht "máximo líder" genannten früheren Rechtsanwalts Fidel Castro Ruz. Nichts deutet darauf hin, daß der inzwischen 78 Jahre alte Castro vor seinem Tod auch nur einen Teil seiner Macht abgeben wird. Über Castro sind in dem knapp halben Jahrhundert seiner Herrschaft zahlreiche Bücher geschrieben worden. Die neueste Publikation in Deutschland, geschrieben von dem britischen Diplomaten und früheren Botschafter in Havanna, Leycester Coltman, erweist sich selbst den Kennern der jüngsten Geschichte Kubas von Nutzen. Coltman, lange Zeit auch Leiter der Lateinamerika-Abteilung im Foreign Office, kennt sich in den Einzelheiten des Lebens von Castro sehr gut aus. Er fällt nicht auf Gerüchte - in einem Land ohne Pressefreiheit wie Kuba besonders häufig -, Klatsch oder gezielte Fehlinformationen herein. Er setzt sich mit den Argumenten von Anhängern wie Gegnern der kubanischen Revolution auseinander und hält sich mit eigenen Werturteilen eher zurück. Der Diplomat weist eingehend auf das übertriebene Selbstbewußtsein und die fehlende Sensibilität Castros hin. Optimismus, verbunden mit einem störrischen Charakter, haben ihn für gutgemeinte Ratschläge unzugänglich gemacht.
Sehr genau zeichnet Coltman die ideologische Entwicklung Castros nach, so dessen langen Weg hin zum Marxismus-Leninismus, der in Etappen verläuft und von äußeren weltpolitischen Ereignissen - besonders auch von der Haltung der Vereinigten Staaten zu Kuba - mitbestimmt wird. Die oft gestellte Frage, wann genau Castro sich als Kommunist fühlte und als solcher zu erkennen gab, ist für Coltman von zweitrangiger Bedeutung, zumal die ideologische Entwicklung der kubanischen Revolutionäre nicht geradlinig verläuft und das Verhältnis Havannas zu Moskau von manchen Rückschlägen wie immer neuen Annäherungen gezeichnet ist. Er zitiert Gorbatschow, der nach einem Besuch in Havanna der britischen Premierministerin Thatcher auf deren Bitte, Castro zu Reformen zu bewegen, antwortete: "Wenn Sie glauben, wir könnten Castro kontrollieren, irren Sie sich leider. Er wird einen eigenen Weg einschlagen. Unsere Einflußmöglichkeiten sind gleich Null."
Der Regierungsversion allzu nahe wirkt Coltmans Darstellung des Falles Ochoa. Die Hinrichtung des populären Generals Ochoa und des Obersten de la Guardia im Juli 1989 nach einem Schauprozeß wegen angeblich eigenmächtiger Zulassung der Drogentransporte über Kuba wurde Castro selbst von guten Freunden als schlimmes Vergehen angekreidet. Die zahlreichen Hinweise darauf, daß die Hingerichteten im Auftrage höherer Stellen handelten, werden von Coltman im Gegensatz zu anderen Kuba-Experten nicht ernst genommen. Der ehemalige Botschafter bevorzugt in dem tragischen Fall Ochoa/de la Guardia eine diplomatisch-vorsichtige Version.
Coltman kritisiert die Kuba-Politik der Vereinigten Staaten als ignorant und herablassend. Er verschweigt nicht die zahlreichen Versuche amerikanischer Geheimdienste, Castro zu ermorden. Die letzten Kapitel berichten dann nur noch resümierend über jene Zeit, in der Coltman nicht mehr im auswärtigen Dienst tätig war. Als das Buch 2003 in Großbritannien erschien, war der Autor bereits verstorben. Sein Übersetzer gibt jetzt leider zahlreiche Ausdrücke weder im spanischen Original noch in deutscher Übersetzung, sondern auf englisch wieder. Da wird das berühmte Hotel Nacional zum National-Hotel und La Ciudad de México nicht zu Mexiko-Stadt, sondern zu Mexiko City. Auch ohne die bisher letzten Jahre in Castros Leben erscheint der Máximo Líder am Ende des Buches von Coltman als ein einsamer starrsinniger Mann, in der Weltpolitik alleinstehend, doch noch mit ausreichender Unterstützung im eigenen Land, um sich dort an der Macht zu halten.
WALTER HAUBRICH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Zufrieden ist Rezensent Walter Haubrich mit dieser Biografie Fidel Castros, die der britische Diplomat und frühere Botschafter in Havanna, Leycester Coltman, vorgelegt hat. Selbst Kenner der jüngsten Geschichte Kubas können seines Erachtens daraus Nutzen ziehen, weiß Coltman über Einzelheiten in Castros Lebens doch bestens Bescheid. Haubrich lobt Coltman ausgewogene Darstellung und seine Zurückhaltung bei Werturteilen. Auch die genaue Nachzeichnung der ideologischen Entwicklung Castros findet er überzeugend. Die Kuba-Politik der Vereinigten Staaten kritisiere Coltman als "ignorant und herablassend". Auch die zahlreichen Versuche amerikanischer Geheimdienste, Castro zu ermorden, verschweige er nicht. Kritik übt Haubrich nur an Coltmans Darstellung des Falls des populären General Ochoas, der 1989 nach einem Schauprozess hingerichtet wurde. Diese erscheint ihm "allzu nahe" an der Regierungsversion.
© Perlentaucher Medien GmbH
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