A close look at Gunter Blobel's transformative contributions to molecular cell biology.The difficulty of reconciling chemical mechanisms with the functions of whole living systems has plagued biologists since the development of cell theory in the nineteenth century. As Karl S. Matlin argues in Crossing the Boundaries of Life, it is no coincidence that this longstanding knot of scientific inquiry was loosened most meaningfully by the work of a cell biologist, the Nobel laureate Gunter Blobel. In 1975, using an experimental setup that did not contain any cells at all, Blobel was able to target newly made proteins to cell membrane vesicles, enabling him to theorize how proteins in the cell distribute spatially, an idea he called the signal hypothesis. Over the next twenty years, Blobel and other scientists were able to dissect this mechanism into its precise molecular details. For elaborating his signal concept into a process he termed membrane topogenesis the idea that each protein in the cell is synthesized with an "e;address"e; that directs the protein to its correct destination within the cell Blobel was awarded the Nobel Prize in Physiology or Medicine in 1999.Matlin argues that Blobel s investigative strategy and its subsequent application addressed a fundamental unresolved dilemma that had bedeviled biology from its very beginning the relationship between structure and function allowing biology to achieve mechanistic molecular explanations of biological phenomena. Crossing the Boundaries of Life thus uses Blobel s research and life story to shed light on the importance of cell biology for twentieth-century science, illustrating how it propelled the development of adjacent disciplines like biochemistry and molecular biology.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2022Zerstöre die Zelle, um ihre Funktionen zu verstehen
Karl S. Matlin zeichnet einen wichtigen Weg nach, auf dem die molekularbiologische Erforschung des Lebens vorankam
Karl S. Matlin, Zellbiologe und Wissenschaftshistoriker an der University of Chicago, hat den Titel seines Buches mit Bedacht gewählt: Er verweist auf eine wissenschaftliche Analysestrategie und zugleich auf ein wesentliches Charakteristikum ihres Untersuchungsgegenstands. "Crossing the Boundaries of Life" erzählt die Geschichte von Wissenschaftlern, die Zellen aufbrechen und in ihre Bestandteile zerlegen, sie also zerstören, um etwas über ihr Funktionieren, ihr Leben zu erfahren. Und das Buch erzählt diese Geschichte am Beispiel der Aufklärung jenes zellulären Mechanismus, aufgrund dessen Proteinmoleküle biologische Membranen, also die Begrenzungen allen tierischen und pflanzlichen Lebens, passieren.
Im Zentrum steht dabei die Arbeit von Günter Blobel (1936-2018) und seiner Arbeitsgruppe an der renommierten Rockefeller-Forschungsuniversität in New York. 1999 erhielt er dafür den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie. Günter Blobel wurde 1936 in Schlesien geboren, wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg in Freiberg nahe Dresden auf und studierte Medizin in Westdeutschland, zuletzt in Tübingen, bevor er an die University of Wisconsin ging, wo er 1967 promovierte. Von dort wechselte er an die Rockefeller University, der er während seiner ganzen wissenschaftlichen Karriere die Treue hielt. In Deutschland, seiner ehemaligen Heimat, wurde er einem größeren Publikum vor allem durch sein späteres Engagement für den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche bekannt, für den er sein Nobelpreisgeld zur Verfügung stellte. Blobel hatte die Kirche noch als Kind 1945 auf der Flucht gesehen, wenige Tage bevor sie dem Feuersturm in Dresden zum Opfer fiel.
Wer bereit ist, sich durch die Unwegsamkeiten und Unwägbarkeiten einer langen experimentellen Forschungstrajektorie und ihrer Details leiten zu lassen, wird am Ende reichlich belohnt. Dieses Buch ist nach Kenntnis des Rezensenten das erste, das einen umfassenden Überblick darüber bietet, was es heißt, Zellbiologie auf molekularer Ebene zu betreiben, und das historisch nachzeichnet, wie es dazu gekommen ist.
Die Anfänge der Zellbiologie reichen ins neunzehnte Jahrhundert zurück. Das Lichtmikroskop war für die Zytologen lange Zeit das Instrument der Wahl, um sich der Morphologie der Zellen und ihrer Bestandteile zu nähern. Ihr biologisches Innenleben ließ sich auf diese Weise jedoch nur begrenzt, wenn überhaupt, erschließen. Der Zellinhalt, das Protoplasma in der Terminologie des neunzehnten Jahrhunderts, blieb eine Blackbox, über die es nur mehr oder weniger intelligente Spekulationen gab. Das änderte sich mit der Etablierung der Biochemie an der Jahrhundertwende, auch als In-vitro-Biologie bezeichnet. Sie beanspruchte, biologische Prozesse, die im Zellsaft ablaufen, ohne Rücksicht auf intakte Zellstrukturen im Reagenzglas zu untersuchen. Zellbiologen sahen diese Vorgehensweise lange Zeit mit äußerster Skepsis, konnten und wollten sie doch nicht glauben, dass ein solcher "Zellbrei" biologische Prozesse intakt ließ.
Das änderte sich, als mit dem Aufkommen einer neuen Technologie, der Ultrazentrifugation, der Zellinhalt in seine gröberen und feineren Bestandteile fraktioniert werden konnte. Der belgische Mediziner Albert Claude leistete hier Pionierarbeit und unternahm erste Schritte, um bestimmte enzymatische Prozesse einzelnen Bestandteilen des Zellsaftes zuzuordnen. Claude war in den späten Zwanzigerjahren an das Rockefeller Institute in New York gekommen, und er war es auch, der am Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Elektronenmikroskopie der Zellmorphologie, jetzt auf subzellulärer Ebene, einen neuen Schub versetzte. Diese Arbeiten setzten der Kanadier Keith Porter und der Rumäne George Palade nach Claudes Rückkehr in seine Heimat am Rockefeller Institute fort. Sie etablierten eine "epistemische Strategie", wie Matlin es nennt, die Zellfraktionierung, Biochemie und subzelluläre Morphologie zu einer neuen Form der Zellbiologie miteinander verband, die versprach, in molekulare Dimensionen vorzudringen. Sowohl Claude als auch Palade wurden dafür 1974 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Günter Blobel kam in den späten Sechzigerjahren zu Palade an die Rockefeller University, als es diesem im Verein mit Porter und Philip Siekevitz gelungen war, das zelluläre Membransystem des sogenannten endoplasmatischen Retikulums isoliert darzustellen und nachzuweisen, dass Teile davon mit den sogenannten Ribosomen interagierten. Wie man gleichzeitig herausfand, ging an diesen Organellen die zelluläre Proteinsynthese vonstatten. Diese Arbeiten führten Blobel zu der Vermutung, dass bestimmte, in Synthese begriffene Proteine durch das Membransystem durchgeschleust wurden und so gezielt an die Orte in der Zelle transportiert werden konnten, an denen sie ihre Funktion zu erfüllen hatten. Der wachsende Proteinfaden, so postulierte er, musste ein Signal besitzen, das seine Anheftung an die Membran ermöglichte und den ganzen Transportprozess einleitete.
Blobel und seinen Mitarbeitern gelang es, ein In-vitro-System zu etablieren und schrittweise zu verfeinern, das aus Ribosomen, Messenger-RNA für bestimmte Proteine und Fragmenten des endoplasmatischen Retikulums zusammengesetzt war, mit dessen Hilfe sie in den folgenden zwanzig Jahren in der Lage waren, diese "Signal-Hypothese" zu bestätigen und die einzelnen Komponenten und Schritte, die am zellulären Transportprozess beteiligt sind, auf molekularer Ebene aufzuklären. Was sich in einer solchen Kurzdarstellung wie ein geradliniger Forschungspfad anhört, war in Wirklichkeit eine von vielen Umwegen, Fehlschlägen und Zufallsbefunden gekennzeichnete Trajektorie, deren Erfolg - neben dem nötigen Quantum an Durchhaltevermögen - letztlich auf einer cleveren Kombination aus molekularer Funktionsanalyse, der biochemischen Darstellung von Komponenten des Prozesses und der morphologischen Analyse mithilfe des Elektronenmikroskops beruhte.
Eine diesen Namen verdienende molekulare Biologie der Zelle, so das Fazit, war nur auf der Basis einer solchen Disziplinen übergreifenden Kombination von Zugängen möglich. Günter Blobel war ein Meister einer solchen integrativen Analyse, und Karl Matlin erweist sich mit diesem Buch als ihr exzellenter Darsteller. HANS-JÖRG RHEINBERGER
Karl S. Matlin: "Crossing the Boundaries of Life". Günter Blobel and the Origins of Molecular Cell Biology.
The University of Chicago Press, Chicago/London 2022. 368 S., Abb., br., 34,50 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karl S. Matlin zeichnet einen wichtigen Weg nach, auf dem die molekularbiologische Erforschung des Lebens vorankam
Karl S. Matlin, Zellbiologe und Wissenschaftshistoriker an der University of Chicago, hat den Titel seines Buches mit Bedacht gewählt: Er verweist auf eine wissenschaftliche Analysestrategie und zugleich auf ein wesentliches Charakteristikum ihres Untersuchungsgegenstands. "Crossing the Boundaries of Life" erzählt die Geschichte von Wissenschaftlern, die Zellen aufbrechen und in ihre Bestandteile zerlegen, sie also zerstören, um etwas über ihr Funktionieren, ihr Leben zu erfahren. Und das Buch erzählt diese Geschichte am Beispiel der Aufklärung jenes zellulären Mechanismus, aufgrund dessen Proteinmoleküle biologische Membranen, also die Begrenzungen allen tierischen und pflanzlichen Lebens, passieren.
Im Zentrum steht dabei die Arbeit von Günter Blobel (1936-2018) und seiner Arbeitsgruppe an der renommierten Rockefeller-Forschungsuniversität in New York. 1999 erhielt er dafür den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie. Günter Blobel wurde 1936 in Schlesien geboren, wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg in Freiberg nahe Dresden auf und studierte Medizin in Westdeutschland, zuletzt in Tübingen, bevor er an die University of Wisconsin ging, wo er 1967 promovierte. Von dort wechselte er an die Rockefeller University, der er während seiner ganzen wissenschaftlichen Karriere die Treue hielt. In Deutschland, seiner ehemaligen Heimat, wurde er einem größeren Publikum vor allem durch sein späteres Engagement für den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche bekannt, für den er sein Nobelpreisgeld zur Verfügung stellte. Blobel hatte die Kirche noch als Kind 1945 auf der Flucht gesehen, wenige Tage bevor sie dem Feuersturm in Dresden zum Opfer fiel.
Wer bereit ist, sich durch die Unwegsamkeiten und Unwägbarkeiten einer langen experimentellen Forschungstrajektorie und ihrer Details leiten zu lassen, wird am Ende reichlich belohnt. Dieses Buch ist nach Kenntnis des Rezensenten das erste, das einen umfassenden Überblick darüber bietet, was es heißt, Zellbiologie auf molekularer Ebene zu betreiben, und das historisch nachzeichnet, wie es dazu gekommen ist.
Die Anfänge der Zellbiologie reichen ins neunzehnte Jahrhundert zurück. Das Lichtmikroskop war für die Zytologen lange Zeit das Instrument der Wahl, um sich der Morphologie der Zellen und ihrer Bestandteile zu nähern. Ihr biologisches Innenleben ließ sich auf diese Weise jedoch nur begrenzt, wenn überhaupt, erschließen. Der Zellinhalt, das Protoplasma in der Terminologie des neunzehnten Jahrhunderts, blieb eine Blackbox, über die es nur mehr oder weniger intelligente Spekulationen gab. Das änderte sich mit der Etablierung der Biochemie an der Jahrhundertwende, auch als In-vitro-Biologie bezeichnet. Sie beanspruchte, biologische Prozesse, die im Zellsaft ablaufen, ohne Rücksicht auf intakte Zellstrukturen im Reagenzglas zu untersuchen. Zellbiologen sahen diese Vorgehensweise lange Zeit mit äußerster Skepsis, konnten und wollten sie doch nicht glauben, dass ein solcher "Zellbrei" biologische Prozesse intakt ließ.
Das änderte sich, als mit dem Aufkommen einer neuen Technologie, der Ultrazentrifugation, der Zellinhalt in seine gröberen und feineren Bestandteile fraktioniert werden konnte. Der belgische Mediziner Albert Claude leistete hier Pionierarbeit und unternahm erste Schritte, um bestimmte enzymatische Prozesse einzelnen Bestandteilen des Zellsaftes zuzuordnen. Claude war in den späten Zwanzigerjahren an das Rockefeller Institute in New York gekommen, und er war es auch, der am Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Elektronenmikroskopie der Zellmorphologie, jetzt auf subzellulärer Ebene, einen neuen Schub versetzte. Diese Arbeiten setzten der Kanadier Keith Porter und der Rumäne George Palade nach Claudes Rückkehr in seine Heimat am Rockefeller Institute fort. Sie etablierten eine "epistemische Strategie", wie Matlin es nennt, die Zellfraktionierung, Biochemie und subzelluläre Morphologie zu einer neuen Form der Zellbiologie miteinander verband, die versprach, in molekulare Dimensionen vorzudringen. Sowohl Claude als auch Palade wurden dafür 1974 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Günter Blobel kam in den späten Sechzigerjahren zu Palade an die Rockefeller University, als es diesem im Verein mit Porter und Philip Siekevitz gelungen war, das zelluläre Membransystem des sogenannten endoplasmatischen Retikulums isoliert darzustellen und nachzuweisen, dass Teile davon mit den sogenannten Ribosomen interagierten. Wie man gleichzeitig herausfand, ging an diesen Organellen die zelluläre Proteinsynthese vonstatten. Diese Arbeiten führten Blobel zu der Vermutung, dass bestimmte, in Synthese begriffene Proteine durch das Membransystem durchgeschleust wurden und so gezielt an die Orte in der Zelle transportiert werden konnten, an denen sie ihre Funktion zu erfüllen hatten. Der wachsende Proteinfaden, so postulierte er, musste ein Signal besitzen, das seine Anheftung an die Membran ermöglichte und den ganzen Transportprozess einleitete.
Blobel und seinen Mitarbeitern gelang es, ein In-vitro-System zu etablieren und schrittweise zu verfeinern, das aus Ribosomen, Messenger-RNA für bestimmte Proteine und Fragmenten des endoplasmatischen Retikulums zusammengesetzt war, mit dessen Hilfe sie in den folgenden zwanzig Jahren in der Lage waren, diese "Signal-Hypothese" zu bestätigen und die einzelnen Komponenten und Schritte, die am zellulären Transportprozess beteiligt sind, auf molekularer Ebene aufzuklären. Was sich in einer solchen Kurzdarstellung wie ein geradliniger Forschungspfad anhört, war in Wirklichkeit eine von vielen Umwegen, Fehlschlägen und Zufallsbefunden gekennzeichnete Trajektorie, deren Erfolg - neben dem nötigen Quantum an Durchhaltevermögen - letztlich auf einer cleveren Kombination aus molekularer Funktionsanalyse, der biochemischen Darstellung von Komponenten des Prozesses und der morphologischen Analyse mithilfe des Elektronenmikroskops beruhte.
Eine diesen Namen verdienende molekulare Biologie der Zelle, so das Fazit, war nur auf der Basis einer solchen Disziplinen übergreifenden Kombination von Zugängen möglich. Günter Blobel war ein Meister einer solchen integrativen Analyse, und Karl Matlin erweist sich mit diesem Buch als ihr exzellenter Darsteller. HANS-JÖRG RHEINBERGER
Karl S. Matlin: "Crossing the Boundaries of Life". Günter Blobel and the Origins of Molecular Cell Biology.
The University of Chicago Press, Chicago/London 2022. 368 S., Abb., br., 34,50 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main