Noli me tangere
Das ist das Motto für die Expedition der Amerikanerin May Sheldon Ende des 19. Jahrhunderts, findet Ausdruck im Auftreten in Ballkleid und Perücke, Abendessen mit Tischtuch. Ob die Diener weiße Handschuhe trugen? Eine Sänfte und ein Podium waren wichtige Requisiten.
Sie reist mit
153 Trägern von der ostafrikanischen Küste bis zum Fuß des Kilimandscharo. Benutzt mit Vorliebe das…mehrNoli me tangere
Das ist das Motto für die Expedition der Amerikanerin May Sheldon Ende des 19. Jahrhunderts, findet Ausdruck im Auftreten in Ballkleid und Perücke, Abendessen mit Tischtuch. Ob die Diener weiße Handschuhe trugen? Eine Sänfte und ein Podium waren wichtige Requisiten.
Sie reist mit 153 Trägern von der ostafrikanischen Küste bis zum Fuß des Kilimandscharo. Benutzt mit Vorliebe das Possessivpronomen „meine“. Und was da alles getragen wurde: „Waffen, Medikamente, Proviant, Geld, Geschenke. Alles gut verpackt gegen Hitze und Regen. Hüte, Sonnen-schirme, Glasperlen aller Art, Stoffe aus Seide und Samt mit Goldspitzen, Uhren, Streichhölzer, Rasiermesser, Dolche, Glocken, Ringe, Gürtel, Nadeln, Nägel, Puppen, Bilderbücher, Tabak, Tee, Zucker, Pfeifen, Besteck, Nähmaschinen, Uhren.“
Natürlich sind die Ansichten dieser gebildeten Frau, die u.a. Medizin studiert hat, ein Ausdruck ihrer Zeit. Und doch hätte ich grundsätzlich mehr Offenheit für das Neue erwartet, weniger Vorurteile. Schon bei den ersten Seiten sträubten sich mir die Lesehaare. Von ihrem durch den Suezkanal fahrenden Schiff hinab konnte sie die Nomaden einer Kamelkarawane als „eine Horde Gauner, schmutzige, elende, heruntergekommene Geschöpfe, wie sie mir noch nie begegnet waren, bar jeglicher Prinzipien samt ihren Kamelen und ihrem Ungeziefer, sich ihren Lebensunterhalt mühselig durch Verschlagenheit, Erpressung und Betteln verdienend,“ klassifizieren. Was für ein scharfer „weißäugiger“ Blick.
Später mitunter Verständnis und sogar Sympathie für die „Wilden“ bis hin zu positiven Attributen. Aber immer mit der Prämisse, um wie viel besser diese „Wilden“ ihr Leben gestalten würden, wenn sie sich den europäischen Vorgaben und Gesetzen unterwerfen oder anpassen würden. Missionarische Töne, wenn es um die Überlegenheit der eigenen Rasse, der eigenen Zivilisation geht.
Interessant Details zu den einzelnen Stämmen, zur Schmuckherstellung, der Position der Schmiede, zu Sprachen und Landschaftsbeschreibungen, zur Botanik und Tierwelt. Zu Polygamie, Hexerei, Aberglauben, Amuletten und zur politischen Situation der englischen und deutschen Kolonialbezirke. Die Beschreibungen des Headmans Hamidi und des Dolmetschers Josefe wirken ehrlich und voller Sympathie.
Über die Massai schreibt sie: Sie “seien Großmäuler und Prahlhänse, durchtriebene Viehdiebe und ohne jegliche Gefühlsregungen, theatralische Muskelprotze ohne wahre Tapferkeit. Ein barbarisches, nicht ausgeprochen negroides Volk, das einen langen Weg zur Zivilisation vor sich hätte, wenn es nicht vorher ausgelöscht würde.”
Wie kam May Sheldon zu solchen Urteilen?. Sie hat die Sprache der Massai nicht gesprochen. Zeichensprache war gewiss nicht ausreichend. Und auch ihre generelle Idee, immer zwei Dolmetscher einzusetzen, um so an der Mimik des zweiten Unstimmigkeiten abzulesen, konnte gewiss kein ethnische Charakterstudie liefern.
Eine trotz aller Bedenken interessante, aber zu langatmige Lektüre, dem Text fehlen Verve, Leidenschaft, Lebendigkeit und eine tiefer gehende Faszination.