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Wäre ein unendliches Leben nicht auch unendlich langweilig? Die Annahme, die menschliche Sterblichkeit sei Voraussetzung eines wünschenswerten Lebens, ist weit verbreitet. Aber lässt sie sich auch halten? Marianne Kreuels setzt sich mit den verschiedenen Argumenten für diese Position auseinander, wie sie unter anderem von Bernard Williams und Martha Nussbaum vorgebracht wurden, und zeigt, dass sie allesamt nicht überzeugend sind. Anhand zahlreicher anschaulicher Gedankenexperimente arbeitet sie in ihrem scharfsinnigen Essay heraus, dass auch ein unendliches Leben ein wünschenswertes Leben sein…mehr

Produktbeschreibung
Wäre ein unendliches Leben nicht auch unendlich langweilig? Die Annahme, die menschliche Sterblichkeit sei Voraussetzung eines wünschenswerten Lebens, ist weit verbreitet. Aber lässt sie sich auch halten? Marianne Kreuels setzt sich mit den verschiedenen Argumenten für diese Position auseinander, wie sie unter anderem von Bernard Williams und Martha Nussbaum vorgebracht wurden, und zeigt, dass sie allesamt nicht überzeugend sind. Anhand zahlreicher anschaulicher Gedankenexperimente arbeitet sie in ihrem scharfsinnigen Essay heraus, dass auch ein unendliches Leben ein wünschenswertes Leben sein kann, das sich - abgesehen natürlich von seiner Länge - nicht vom Leben eines Sterblichen unterscheiden muss.
Autorenporträt
Kreuels, MarianneMarianne Kreuels war Mitarbeiterin am Philosophischen Seminar der Universität zu Köln und ist derzeit als freie Autorin und Lektorin tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2015

Sollen wir uns wirklich ein immer längeres Leben wünschen?

Zwei Bücher gehen auf sehr unterschiedliche Weise der Frage nach, was extreme Lebensverlängerung durch die neue Medizin für uns bedeuten könnte.

Die entsprechenden Biotechniken existieren zwar längst noch nicht, aber Ethiker spielen die Möglichkeit bereits lustvoll durch: Wie lebte es sich damit, die menschliche Sterblichkeit über lange Zeiträume aufschieben zu können? Und sollten wir den Tod ganz abschaffen, wenn wir es könnten? Ist Unsterblichkeit ein moralisch vertretbarer Wunsch?

Zwei Neuerscheinungen widmen sich diesen Fragen. Die umfangreiche Habilitationsschrift des Bonner Philosophen Sebastian Knell prüft die individuelle Wünschbarkeit eines stark verlängerten oder sogar biologisch unsterblichen Lebens und kombiniert dies mit Überlegungen zu Gerechtigkeitsfragen, die sich aufgrund des sicher knappen Zugangs zu den entsprechenden Behandlungsmethoden stellen. Sein Ja zur Lebensverlängerung bleibt vorsichtig, Schritte in Forschungen hinein, deren Ergebnis nicht allen Menschen zugutekommt, sieht er skeptisch. Der deutlich kürzere Essay der Kölner Philosophin Marianne Kreuels ist eine Streitschrift: Alle traditionellen Argumente werden abgeräumt, die vor der Unsterblichkeit warnen. Kreuels hält nicht nur eine Welt ohne Alterung für wünschenswert, sie erwartet auch fürs individuelle Lebensgefühl kaum Veränderungen, fiele der biologische Tod weg.

Was die Autoren zugeben: Zum einen bliebe auch in einer Welt biomedizinischer Lebensverlängerung der Tod durch Unfall, Infektionskrankheit oder Tötung bestehen. Ein vollständiger Sieg über jegliches Sterben ist nicht möglich. Allein der Alterstod verschöbe sich oder verschwände, und - geordnete, friedliche Verhältnisse vorausgesetzt - die Lebenserwartung stiege an. Zum Zweiten bewegt sich eine Moralphilosophie der Entfristung der Lebenszeit von vornherein auf spekulativem Gebiet, muss Vermutungen anstellen (Knell) oder Gedankenexperimente konstruieren (Kreuels).

Wie Knell darlegt, führt die Frage der Wünschbarkeit auch nur einer verdoppelten Lebensspanne in verzweigte Probleme. Denn klammert man Pflichten oder Präferenzen im zeitlichen Nahbereich aus: Was zählt? Bewusster Lebensvollzug als solcher begründet weder Lebensglück noch bedingungslos einen Lebenswunsch. Geht es also etwa um die Aufsummierung schöner Ereignisse, für die dann mehr oder sogar unbegrenzt Zeit wäre? Oder betrachte (und genieße) ich mein Leben nicht mit Hilfe eines ganzheitlichen Maßes?

Weder in der einen noch in der anderen Perspektive ist es für Knell automatisch besser, deutlich länger zu leben. Erwartete Erlebnisse können ausbleiben, ein "Konto guter Erfahrungen", das fortwährend aufgestockt würde, gibt es nicht - und auch das eigene Leben als gut bilanzieren zu können wird durch eine Verdopplung oder gar Entgrenzung der Lebensspanne nicht von sich aus wahrscheinlicher. Gleichwohl räumt Knell der Annahme, länger zu leben erhöhe zumindest die Chance auf erstrebenswerte Erlebnisse, eine gewisse Berechtigung ein. Auch haben gute Lebensinhalte nicht ohne weiteres einen Grenznutzen: Langeweile oder Überdruss müssen keine Folge eines sehr langen Lebens sein.

Was ganzheitliche Wertungen angeht, erörtert Knell die Aspekte "Erfülltheit" des Lebens, "Glück" sowie "Eunarrativität" - die hässliche Wortprägung meint die Frage, ob sich eine stimmig erzählbare Gesamtgestalt der eigenen Lebensgeschichte ergeben kann. Moderate Lebensverlängerungen, so ein Zwischenergebnis, würden das menschliche Leben in allen drei Hinsichten nicht in Schwierigkeiten bringen, teils sogar Vorteile bringen.

Ist also moderate biomedizinische Lebensverlängerung geboten? Soll Politik heute Geld in Anti-Aging-Forschung stecken, womöglich zu Lasten der Forschung an Infektionskrankheiten oder der Gesundheitsvorsorge? Wieder wägt der Autor vorsichtig ab: Das Leben zu verlängern gleicht nicht wirklich einer "Rettung" von Leben, entsprechende moralische Zugzwänge zugunsten eines Todesaufschubs existieren also nicht. Auch werden vernünftige Gesundheitssysteme lebensverlängernde Therapieoptionen stets hinter solchen Therapien zurückstehen lassen, die den vorzeitigen Tod abwenden. Und die "Allokation", also Verteilung, knapper Anti-Aging-Behandlungen wird schwierig werden. Spätestens im erreichten Fall einer mehrheitlich langlebigen Bevölkerung würden in einer fiktiven Zukunft eine gesellschaftliche Spaltung und ernste Diskriminierungen entstehen. So endet Knells Buch mit dem akademisch trockenen Fazit, "aus heutiger Sicht" lasse sich "biotechnisch hinzugewinnbare Lebenszeit nicht als ein notwendiges Gut betrachten, das uns von einer empfindlichen Beschädigung unseres Menschseins befreit".

Marianne Kreuels geht von vornherein umgekehrt vor. Sie greift Theorien, die der Sterblichkeit einen moralischen, anthropologischen oder sozialen Wert zumessen, auf analytischem Wege an. Der Leser wird durch fünf knappe Kapitel geschickt, die in kondensierter Form innere Schwierigkeiten auflisten, durch welche sich klassische Überlegungen zur drohenden existentiellen Leere und Langeweile, zum Motiv der Kultur stiftenden Todesangst, zu Gefahren für die moralische Haltung oder für die Erzählbarkeit des Lebenslaufs erledigen lassen. Die Beweisführung ist hemdsärmlig. Kreuels folgt dem Muster: Konstruiere ein Gegenbeispiel, führe ausgewählte "Prämissen" ins Absurde, bilanziere das entsprechende Bedenken dann als unhaltbar und schließlich als falsch.

Weil Unsterbliche sich nicht nachweislich immer langweilten, sondern womöglich nur manchmal, sei das Argument einer zu erwartenden Sinnleere nicht "notwendig" und somit "widerlegt". Zudem könnten Formen pathologischer Langeweile ja auch im Leben sterblicher Personen auftreten. Vor allem durch Volten dieses Typs wirken Kreuels' Überlegungen nicht nur hölzern, sondern manchmal ungewollt komisch: Wiederholt argumentiert sie, was den Tod ausmache, erlebten wir vergleichbar sowieso schon im Leben. Korrigiert wird also nicht eigentlich die Auffassung von Sterblichkeit, sondern das Phänomen selbst: der Ausgangspunkt, am Sterben sei überhaupt etwas existentiell Besonderes zu finden. So lautet Kreuels' Einwand gegen Heidegger - dessen "Eigentlichkeit" sie psychologisierend als "Authentizität" übersetzt -, zwar könne Endlichkeit, müsse aber nicht als Sterblichkeitserfahrung erlebt werden. Eine Sonderstellung des Sterblichkeitsbewusstseins gegenüber dem Sichbewusstmachen anderer Grenzen, den Grenzen eigener Fähigkeiten etwa, könne also "nicht nachgewiesen werden". Unsterbliche reflektierten folglich an Stelle des Todes einfach ernsthaft auf andere existentielle Rahmenbedingungen und näherten sich so "dem Ideal eines authentischen Lebens". Zeichnet den Tod, möchte man fragen, tatsächlich aber bereits jetzt ganz und gar nichts aus - wozu dann überhaupt so vehement, wie Kreuels es tut, Unsterblichkeit propagieren? Behalten wir ihn doch einfach bei.

Ethisch-moralischer Gutachterstil oder fingerübungshafte Polemik, säuberlich geordnete Bedenken oder vorweg schon gelöster Freifahrtschein ins Blaue: Recht gut markieren die beiden Bücher die Pole einer Debatte, die erst beginnt, sich jedoch bereits im schlechten Sinne akademisch verengt. Denn reden wir tatsächlich über Technologien, die Luxusfragen wie die Wünschbarkeit eines quasi durch Zauberspruch herbeigeführten, alterungslosen Alltags heraufbeschwören werden? Weder Knell noch Kreuels halten sich mit Szenarien auf, in welchen eine künftige Medizin der Lebensverlängerung Schattenseiten behält - ihre Konsumenten etwa in Demenzzustände führt oder nur mittels nebenwirkungsreicher Dauerbehandlungen zu haben ist.

Auch die Tatsache, dass möglichst lang leben zu wollen die typischen Erwartungswelten von Frieden und Wohlstand voraussetzt, so dass damit schon hinsichtlich des bloßen Wunsches nach Lebensverlängerung diejenigen privilegiert werden, denen es ohnehin schon gutgeht, reflektieren die Autoren nicht. So ist nicht zuletzt der zwischen Verfügungsmasse, Messgröße und Gegenstand schematischer Gelingens-Ideale schwankende - das Altern aber von vornherein subtrahierende - Lebensbegriff aufschlussreich, der beiden Büchern zugrunde liegt. Wir erscheinen als Inhaberinnen oder Bilanzbuchalterinnen eines Lebensvorrats. Als Shareholder eines Lebenslaufs. Nie aber einfach nur - was, wie man weiß, ein zukunftsloser Zustand wäre - lebendig. Weil mittendrin.

PETRA GEHRING.

Sebastian Knell: "Die Eroberung der Zeit". Grundzüge einer Philosophie verlängerter Lebensspannen.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 745 S., geb., 39,95 [Euro].

Marianne Kreuels: "Über den vermeintlichen Wert der Sterblichkeit". Ein Essay in analytischer Existenzphilosophie.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 196 S., br., 15,- [Euro].

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»Das Buch besticht nicht nur durch seinen um Eindeutigkeit bemühten Aufbau, sondern auch durch seine mutige These. ... Mehr davon!« Robin Droemer Hohe Luft