Max würde den Winter liebend gern im Süden verbringen, doch wie soll er dort hinkommen? Vielleicht, indem er sein Haus zu einem Wohnwagen umbaut? Aber mit nur einem Rad wird er nicht weit kommen. Da trifft es sich gut, dass er im Wald über eine Wolke stolpert - auch wenn ihm daraufhin das Wasser bis zum Hals steht...
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008Wolkenreise
Die vergnügliche Bildergeschichte des Jungen Max auf dem Weg in den warmen Süden Von Nina Berendonk
Kinder lieben Wiederholungen. Umso mehr wünscht man sich als vorlesende Eltern manchmal, ein Bilderbuch hätte keinen Text. Oder zumindest nicht einen, der mit seinen Plattheiten die Illustrationen umrankt, und nichts, aber auch gar nichts mit dem vielzitierten Schlagwort „kindgerecht” zu tun hat. Dem jungen Bordeauxer Künstlerpaar Gauthier David und Marie Caudry, Verfasser des im Carlsen Verlag erschienenen Bilderbuches Max macht einen Ausflug hätte man indessen auch einen Text zugetraut, den man Kindern und Eltern zumuten kann. Dass der Sänger und Autor und die Illustratorin fast völlig darauf verzichtet haben und ihr Buch trotzdem eine spannende Handlung hat, macht es zu etwas ganz Besonderem.
Es ist die Geschichte des Jungen Max, wie man aus seinem auf der ersten Seite abgebildeten Tagebuch erfährt. In Schönschrift schreibt er, dass er so gerne vor dem herannahenden Winter in die Wärme fliehen würde. Weil er sein Haus aber nicht in einen Wohnwagen umbauen kann, ist er gezwungen, hierzubleiben. Er erzählt von seinen Nachbarn, dem Bären, dem Fuchs und einem unter seinem Fenster äsenden weißen Hirsch. Weitere schriftliche Informationen als in diesem Tagebuch bekommt der Leser nicht, die Geschichte erschließt sich einzig aus den doppelseitigen großformatigen Illustrationen, die in Comic-Manier mehrere Zeitebenen visualisieren, und an die traditionelle Bilderbuchkunst des 19. Jahrhunderts erinnern.
Links sieht man Max mit Hasenmütze und Pilzkorb sein Stelzenhaus verlassen, die Kopfbedeckung ist eine kleine Verbeugung vor Großmeister Sendak und seinem Klassiker Wo die wilden Kerle wohnen. Ganz rechts sucht er schon vor den Regenwolken Schutz im Wald. Dort, im märchenhaft bevölkerten Dickicht, passiert das Unglück: Max stürzt von einem Baum und schlägt dabei ein klaffendes Loch in eine gerade vorbeiziehende Regenwolke. Die verliert ihre Fracht, und das Wasser spült Max zusammen mit den anderen Bewohnern aus dem Wald heraus. Die Wolke schleppt ihre schlaffe Hülle bis vor das Haus des Jungen. Und dort hat Max einen fabelhaften Einfall, der beiden hilft: Das Leck wird mit einem großen Flicken gestopft. Aus Dankbarkeit lässt sich die Regenwolke am Schornstein des Hauses festbinden und trägt es samt Max und Haustieren über das Land in Richtung Wärme.
Dass man mit diesem vergleichsweise schlichten Plot 24 Seiten füllen kann, liegt an Caudrys Art zu zeichnen und am ungewöhnlich großen Format des Buches. Der Effekt gleicht der Intensität eines auf der Kinoleinwand gezeigten Filmes: Man kann förmlich in die einfach gestrichelten Panoramen eintauchen und entdeckt auf jeder Seite skurrile Nebenschauplätze – auf dem Dachfirst Einrad fahrende Miniaturmenschen, Heuhaufen mit Gesichtern, ein um seine Wintervorräte besorgtes Eichhörnchen oder die Eule, die plötzlich aus dem Schlaf erwacht.
Ein Buch ohne Text also: Was für Eltern zunächst nach einer Erleichterung aussieht, birgt natürlich auch eine neue Herausforderung. Einfach nur auf der Bettkante hocken und den Nachwuchs müdelesen, das funktioniert bei Max macht einen Ausflug nicht. Hier muss man hingucken und sich etwas einfallen lassen, Geschichten, die jedes Mal ein kleines bisschen anders ausfallen. Dieses Buch ist also nicht nur schön, sondern fordert kreative Phantasie – von Kindern und Eltern. (ab 3 Jahre)
Gauthier David, Marie Caudry
Max macht einen Ausflug
Aus dem Französischen von Ingrun Wimmer. Carlsen Verlag, Hamburg 2008. 26 Seiten, 15,90 Euro.
Illustration aus David/Caudry: Max macht einen Ausflug
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Die vergnügliche Bildergeschichte des Jungen Max auf dem Weg in den warmen Süden Von Nina Berendonk
Kinder lieben Wiederholungen. Umso mehr wünscht man sich als vorlesende Eltern manchmal, ein Bilderbuch hätte keinen Text. Oder zumindest nicht einen, der mit seinen Plattheiten die Illustrationen umrankt, und nichts, aber auch gar nichts mit dem vielzitierten Schlagwort „kindgerecht” zu tun hat. Dem jungen Bordeauxer Künstlerpaar Gauthier David und Marie Caudry, Verfasser des im Carlsen Verlag erschienenen Bilderbuches Max macht einen Ausflug hätte man indessen auch einen Text zugetraut, den man Kindern und Eltern zumuten kann. Dass der Sänger und Autor und die Illustratorin fast völlig darauf verzichtet haben und ihr Buch trotzdem eine spannende Handlung hat, macht es zu etwas ganz Besonderem.
Es ist die Geschichte des Jungen Max, wie man aus seinem auf der ersten Seite abgebildeten Tagebuch erfährt. In Schönschrift schreibt er, dass er so gerne vor dem herannahenden Winter in die Wärme fliehen würde. Weil er sein Haus aber nicht in einen Wohnwagen umbauen kann, ist er gezwungen, hierzubleiben. Er erzählt von seinen Nachbarn, dem Bären, dem Fuchs und einem unter seinem Fenster äsenden weißen Hirsch. Weitere schriftliche Informationen als in diesem Tagebuch bekommt der Leser nicht, die Geschichte erschließt sich einzig aus den doppelseitigen großformatigen Illustrationen, die in Comic-Manier mehrere Zeitebenen visualisieren, und an die traditionelle Bilderbuchkunst des 19. Jahrhunderts erinnern.
Links sieht man Max mit Hasenmütze und Pilzkorb sein Stelzenhaus verlassen, die Kopfbedeckung ist eine kleine Verbeugung vor Großmeister Sendak und seinem Klassiker Wo die wilden Kerle wohnen. Ganz rechts sucht er schon vor den Regenwolken Schutz im Wald. Dort, im märchenhaft bevölkerten Dickicht, passiert das Unglück: Max stürzt von einem Baum und schlägt dabei ein klaffendes Loch in eine gerade vorbeiziehende Regenwolke. Die verliert ihre Fracht, und das Wasser spült Max zusammen mit den anderen Bewohnern aus dem Wald heraus. Die Wolke schleppt ihre schlaffe Hülle bis vor das Haus des Jungen. Und dort hat Max einen fabelhaften Einfall, der beiden hilft: Das Leck wird mit einem großen Flicken gestopft. Aus Dankbarkeit lässt sich die Regenwolke am Schornstein des Hauses festbinden und trägt es samt Max und Haustieren über das Land in Richtung Wärme.
Dass man mit diesem vergleichsweise schlichten Plot 24 Seiten füllen kann, liegt an Caudrys Art zu zeichnen und am ungewöhnlich großen Format des Buches. Der Effekt gleicht der Intensität eines auf der Kinoleinwand gezeigten Filmes: Man kann förmlich in die einfach gestrichelten Panoramen eintauchen und entdeckt auf jeder Seite skurrile Nebenschauplätze – auf dem Dachfirst Einrad fahrende Miniaturmenschen, Heuhaufen mit Gesichtern, ein um seine Wintervorräte besorgtes Eichhörnchen oder die Eule, die plötzlich aus dem Schlaf erwacht.
Ein Buch ohne Text also: Was für Eltern zunächst nach einer Erleichterung aussieht, birgt natürlich auch eine neue Herausforderung. Einfach nur auf der Bettkante hocken und den Nachwuchs müdelesen, das funktioniert bei Max macht einen Ausflug nicht. Hier muss man hingucken und sich etwas einfallen lassen, Geschichten, die jedes Mal ein kleines bisschen anders ausfallen. Dieses Buch ist also nicht nur schön, sondern fordert kreative Phantasie – von Kindern und Eltern. (ab 3 Jahre)
Gauthier David, Marie Caudry
Max macht einen Ausflug
Aus dem Französischen von Ingrun Wimmer. Carlsen Verlag, Hamburg 2008. 26 Seiten, 15,90 Euro.
Illustration aus David/Caudry: Max macht einen Ausflug
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"Dies ist eines der schönsten Bilderbücher des Winters.", Saarbrücker Zeitung 20151104