27. Oktober 1942: Die sechzehnjährige Marie-Louise Roth-Zimmermann aus Bischwiller wird mit ihren Eltern von der Reichspolizei festgenommen und ins württembergische Schelklingen in ein SS-Abfertigungslager, ein Regermanisierungslager für nicht Kooperationswillige ver-schleppt. Sie treffen dort auf Hunderte deportierter Familien aus ganz Europa, die wie sie auf den "rechten Weg" des Nationalsozialismus geführt werden sollen. Schikanen, das quälende Stubenleben und Zwangsarbeit prägen ihren Alltag bis zur Befreiung im Jahr 1945. Trost findet die junge Elsässerin in der Erinnerung an ihre glückliche Vorkriegskindheit und in der brüderlichen Haltung ihrer Leidensgefährten und -gefährtinnen, wodurch sie sich die Hoffnung bewahrt und in der tiefsten Not des gemeinsamen Unglücks die Macht der Solida-rität und der inneren Freiheit kennenlernt. Ein einfühlsamer und feinsinniger weiblicher Blick auf die Schrecken des Krieges läßt das Zeugnis von Marie-Louise Roth-Zimmermann für die heutigeGeneration zur Lebenslehre werden. 1926 geboren, hat Marie-Louise Roth-Zimmermann eine erfolgreiche deutsch-französische Universitätslaufbahn an der Universität des Saarlandes absolviert, wo sie lange Jahre die Robert-Musil-Forschungsstelle geleitet hat. Sie ist die Präsidentin der internationalen Robert-Musil-Gesellschaft und Autorin zahlreicher Aufsätze und mehrerer Bücher über den großen österreichischen Schriftsteller.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2001"Wiedereindeutschung"
ELSASS. Ein dunkles Kapitel der elsässischen Geschichte. Am 19. Juni 1940 wehte die Hakenkreuzfahne vom Straßburger Münster. Zwei Jahre später wurde die Lehrerfamilie Zimmermann wie viele andere Elsässer zur "Umerziehung und Wiedereindeutschung" ins Lager Schelklingen in Württemberg deportiert. Der Vater war französischer Reserveoffizier gewesen und sofort aus dem Schuldienst entlassen und von der Gestapo überwacht worden, weil er sich den neuen Anordnungen nicht fügte. Sein Antrag auf Ausreise nach Frankreich wurde abgelehnt. "Deutschblütige rassisch wertvolle Elsässer" sollten dem Reich erhalten bleiben. Zusammen mit Balten, Slowenen und Polen wurden die Elsässer in Sälen mit mehrstöckigen Betten zusammengepfercht. Sie litten unter mangelnder Hygiene, Ungeziefer und Hungerrationen bei schwerer Arbeit. Am schlimmsten aber waren Demütigungen, Willkür und Gewalt der SS-Bewacher. Marie-Louise Roth-Zimmermann war sechzehn Jahre alt, als sie und ihre Eltern herausgerissen wurden aus allem, was ihnen vertraut war. Erst jetzt, nach der Emeritierung als Germanistikprofessorin in Saarbrücken, veröffentlicht sie ihre Erinnerungen an die Schrecken dieser Zeit. Briefe von Leidensgenossen und Schriftsätze der SS ergänzen die Aufzeichnungen und dokumentieren ein in Deutschland wenig bekanntes Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte. Robert Wagner, Chef der Zivilverwaltung im Elsaß, war sich mit Heinrich Himmler einig: "Eine Schlußbereinigung" sei durchzuführen, alles "Unbrauchbare und rassisch Minderwertige" sollte aus dem Land verschwinden. "Kerndeutsch" sollte das Elsaß künftig sein. Niemand durfte in der Öffentlichkeit Französisch sprechen. Baskenmützen zu tragen war verboten, Ortsnamen wurden eingedeutscht, selbst an Wasserhähnen mußten die Bezeichnungen chaud und froid abgekratzt werden. Die Bevölkerung, die seit 1870 viermal die Nationalität wechseln mußte, fühlte sich bedroht, rechtlos, von Frankreich total im Stich gelassen. Im Lager Schelklingen weigerten sich die Gefangenen, die Sprache des Feindes zu sprechen, die alemannische Mundart wurde zur Sprache des Widerstands. Als endlich im April 1945 die Amerikaner in Schelklingen einzogen, organisierte Vater Zimmermann - nun wieder in französischer Hauptmannsuniform - die Rückkehr seiner Landsleute aus der Verbannung. (Marie-Louise Roth-Zimmermann: "Denk' ich an Schelklingen . . ." - Erinnerungen einer Elsässerin an die Zeit im SS-Umsiedlungslager (1942-1945). Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2001. 173 Seiten, 32,- Mark.)
MARIA FRISÉ
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
ELSASS. Ein dunkles Kapitel der elsässischen Geschichte. Am 19. Juni 1940 wehte die Hakenkreuzfahne vom Straßburger Münster. Zwei Jahre später wurde die Lehrerfamilie Zimmermann wie viele andere Elsässer zur "Umerziehung und Wiedereindeutschung" ins Lager Schelklingen in Württemberg deportiert. Der Vater war französischer Reserveoffizier gewesen und sofort aus dem Schuldienst entlassen und von der Gestapo überwacht worden, weil er sich den neuen Anordnungen nicht fügte. Sein Antrag auf Ausreise nach Frankreich wurde abgelehnt. "Deutschblütige rassisch wertvolle Elsässer" sollten dem Reich erhalten bleiben. Zusammen mit Balten, Slowenen und Polen wurden die Elsässer in Sälen mit mehrstöckigen Betten zusammengepfercht. Sie litten unter mangelnder Hygiene, Ungeziefer und Hungerrationen bei schwerer Arbeit. Am schlimmsten aber waren Demütigungen, Willkür und Gewalt der SS-Bewacher. Marie-Louise Roth-Zimmermann war sechzehn Jahre alt, als sie und ihre Eltern herausgerissen wurden aus allem, was ihnen vertraut war. Erst jetzt, nach der Emeritierung als Germanistikprofessorin in Saarbrücken, veröffentlicht sie ihre Erinnerungen an die Schrecken dieser Zeit. Briefe von Leidensgenossen und Schriftsätze der SS ergänzen die Aufzeichnungen und dokumentieren ein in Deutschland wenig bekanntes Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte. Robert Wagner, Chef der Zivilverwaltung im Elsaß, war sich mit Heinrich Himmler einig: "Eine Schlußbereinigung" sei durchzuführen, alles "Unbrauchbare und rassisch Minderwertige" sollte aus dem Land verschwinden. "Kerndeutsch" sollte das Elsaß künftig sein. Niemand durfte in der Öffentlichkeit Französisch sprechen. Baskenmützen zu tragen war verboten, Ortsnamen wurden eingedeutscht, selbst an Wasserhähnen mußten die Bezeichnungen chaud und froid abgekratzt werden. Die Bevölkerung, die seit 1870 viermal die Nationalität wechseln mußte, fühlte sich bedroht, rechtlos, von Frankreich total im Stich gelassen. Im Lager Schelklingen weigerten sich die Gefangenen, die Sprache des Feindes zu sprechen, die alemannische Mundart wurde zur Sprache des Widerstands. Als endlich im April 1945 die Amerikaner in Schelklingen einzogen, organisierte Vater Zimmermann - nun wieder in französischer Hauptmannsuniform - die Rückkehr seiner Landsleute aus der Verbannung. (Marie-Louise Roth-Zimmermann: "Denk' ich an Schelklingen . . ." - Erinnerungen einer Elsässerin an die Zeit im SS-Umsiedlungslager (1942-1945). Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2001. 173 Seiten, 32,- Mark.)
MARIA FRISÉ
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Maria Frisé begnügt sich mit einer Wiedergabe des Buchinhalts, schreibt dabei aber so angeregt, dass man ein Gefallen an Roth-Zimmermanns Buch unterstellen darf. Die Existenz von SS-Lagern für "Volksdeutsche", die zu einem "kerndeutschen" Wesen erzogen werden sollten, sei in Deutschland zu Unrecht nicht sehr bekannt. In Wirklichkeit, so mag man aus Frisés kurzer Rezension herauslesen, hat es sich dabei um Arbeitslager gehandelt. Auch über die Lebensbedingungen der Bevölkerung im Elsass scheint man in dem Buch einiges zu erfahren - etwa, dass die Elsässer in der Öffentlichkeit nicht französisch sprechen durften und dass gar die Wörter "chaud" und froid" auf Wasserhähnen abgekratzt werden mussten. Roth-Zimmermann, die später als Musil-Forscherin bekannt wurde, hat sich in ihrem Buch nach Frisé nicht nur auf ihre persönlichen Erinnerungen beschränkt, sondern auch Zeitdokumente beigebracht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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