«Ich kenne ihre Geschichten so gut, dass ich manchmal glaube, ich hätte sie selbst erlebt.»
Eigentlich will Issa diese Reise gar nicht antreten. Schwanger sitzt sie im Flugzeug nach Douala, angetrieben von ihrer Mutter, die bei der bevorstehenden Geburt um das Leben ihrer Tochter fürchtet. In Kamerun, dem Land ihrer Kindheit, soll sie den heilsamen Weg der Rituale gehen, unter den Adleraugen ihrer Omas. Doch so einfach ist das alles gar nicht, wenn man in Frankfurt zu schwarz und in Buea zu deutsch ist. Der Besuch wird für Issa eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte und der Gewissheit, dass sowohl Traumata als auch der unbedingte Liebes- und Lebenswille vererbbar sind.
Kunstvoll verwebt Mirrianne Mahn die Schicksale von fünf Frauen miteinander, deren Leben mehr als ein Jahrhundert auseinanderliegen und doch über die Linien kolonialer Ausbeutung und Streben nach Selbstbestimmung verbunden sind. Ein empowerndes, ein kraftvolles, ein eindringliches Debüt.
«Beeindruckend, wie liebevoll und tastend Mirrianne Mahn ihre Figuren zeichnet.» Daniela Dröscher
Eigentlich will Issa diese Reise gar nicht antreten. Schwanger sitzt sie im Flugzeug nach Douala, angetrieben von ihrer Mutter, die bei der bevorstehenden Geburt um das Leben ihrer Tochter fürchtet. In Kamerun, dem Land ihrer Kindheit, soll sie den heilsamen Weg der Rituale gehen, unter den Adleraugen ihrer Omas. Doch so einfach ist das alles gar nicht, wenn man in Frankfurt zu schwarz und in Buea zu deutsch ist. Der Besuch wird für Issa eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte und der Gewissheit, dass sowohl Traumata als auch der unbedingte Liebes- und Lebenswille vererbbar sind.
Kunstvoll verwebt Mirrianne Mahn die Schicksale von fünf Frauen miteinander, deren Leben mehr als ein Jahrhundert auseinanderliegen und doch über die Linien kolonialer Ausbeutung und Streben nach Selbstbestimmung verbunden sind. Ein empowerndes, ein kraftvolles, ein eindringliches Debüt.
«Beeindruckend, wie liebevoll und tastend Mirrianne Mahn ihre Figuren zeichnet.» Daniela Dröscher
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mirrianne Mahns Buch "Issa" ist ein ungewöhnlicher Familienroman, findet Rezensentin Elena Witzeck. Mahn erzählt hier so schonungslos wie humorvoll von der Reise einer jungen deutschen Frau ins Heimatland ihrer Mutter, nach Kamerun. Dort soll sie sich anlässlich ihrer Schwangerschaft einigen auf ihre Ahnen zurückgehenden Ritualen unterziehen. Im Laufe des Romans treten die Biografien ihrer weiblichen Vorfahren, die von der weißen Kolonialherrschaft und dem damit einhergehenden Unrecht sowie von patriarchaler Gewalt, aber laut Witzeck auch von Selbstbehauptung und Durchhaltevermögen geprägt sind, in den Vordergrund. Dass Issa gänzlich deutsch geprägt ist, ermöglicht es der Autorin, die Frage zu stellen, was ,Deutschsein' heißt, und zugleich zu thematisieren, dass Schwarzsein nicht zwingend die Zugehörigkeit zu einer afrikanischen Gemeinschaft impliziert, erkennt die Kritikerin. Mit ihrer empathischen, unaufgeregten Erzählweise gelingt es der Autorin diese Ambivalenzen dazustellen, anstatt in Klischees und exotisierenden Kitsch zu verfallen, lobt Witzeck.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2024Hast du den Schmerz erfunden?
Deutschsein heißt nicht Weißsein: Mirrianne Mahn erzählt davon in ihrem Debütroman "Issa"
Ein Familienroman, ja, aber ein ungewöhnlicher. Einer, der die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die nach Kamerun zurückkehrt, wo sie die ersten Jahre ihres Lebens verbracht hat. Der Anlass ist ernst, ihre Mutter hat sie geschickt, denn sie ist schwanger, noch dazu unverheiratet, und ohne den Vollzug der erforderlichen Rituale steht aus Sicht der Angehörigen nicht nur das Leben des Ungeborenen auf dem Spiel.
Nun ist es so, dass die junge Frau ganz und gar deutsch geprägt ist. Unter Ritualen kann sie sich nichts vorstellen, weiß nur, dass es Regeln gibt in diesem Land, die weit zurückgehen auf die Vergangenheit, die von ihren Ahnen gemacht oder jedenfalls beeinflusst werden, Regeln, die man besser nicht hinterfragt. Immerhin: Die Wünsche von Schwangeren müssen hier unter allen Umständen erfüllt werden, da in den Neugeborenen die längst Gestorbenen wieder aufleben, es sich also um die Wünsche eines Ahnen handeln könnte. Was allerdings nicht zu allzu großer Selbstbezogenheit verleiten sollte: "Denkst du etwa", fragt die Urgroßmutter, die der jungen Frau die Kontinuität des familiären Aus-Fehlern-Lernens und Fehler-Wiederholens nahebringt, "du bist die erste, die leidet in dieser Welt? Denkst du, dass du den Schmerz erfunden hast?"
Gewiss nicht. Denn die Geschichte, die sich als zweiter Erzählstrang neben den Erlebnissen der jungen Issa in ihrer Heimat entfaltet, ist die Geschichte derer, die vor ihr kamen, ihrer geliebten Urgroßmutter, der strengen Großmutter, die vor ihrem Mann davonlief, und der Mutter, die ihr Land verließ, eine Geschichte von Unrecht und Selbstbehauptung, von weißer Kolonialherrschaft, von Mut und Lebenswillen, die mit einem Kind beginnt, das von einem weißen Mann vergewaltigt und geschwängert wird und für sein Schicksal verantwortlich gemacht wird: Enanga, Mutter der Urgroßmutter von Issa, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein Bauch wächst und die mit allerlei Ritualen überzogen wird, weil sich keiner erklären kann, was das ist. Ein Dämon? Eine Jungfrauengeburt? Der Vater, Mitglied eines einflussreichen Clans, vermag die Schmach nicht zu ertragen, als das weiße Baby kommt, bestraft seine Frau, schickt die entehrte Tochter weg.
Es eint diese Frauen ihr Pragmatismus, ihre Kraft zum Weitermachen, die nichts Bemerkenswertes hat, sondern aus der Notwendigkeit erwächst. Eine Kraft, die sich dem Automatismus widersetzt, dass "diese Welt stets dieselben Geschichten von Frauen hervorbrachte, die in ihren eigenen Leben die Verliererinnen waren". Enanga, die sich schließlich entscheidet zu heiraten, um sicher leben zu können, muss mitansehen, wie ihr eigenes Kind an einen viel älteren Mann verkauft wird. Marijoh, die spätere Uroma, macht das Beste daraus, indem sie die zweite Frau dieses Mannes zu ihrer engsten Vertrauten macht, gerät dann aber mitten in den Krieg der Kolonialmacht. Namondo wiederum, ihre Tochter, rebelliert gegen die Polygamie, verliert dabei aber fast ihre Kinder. Und Issas Mutter, Ayudele, wagt es, nach Deutschland auszuwandern.
Ein paar Tage vor Erscheinen des Romans sitzt dessen Autorin Mirrianne Mahn in ihrer Frankfurter Wohnung und trägt ein Shirt, auf dem "Hass ist keine Meinung" steht. Es ist Weltfrauentag, und obwohl es kein besseres Thema geben könnte als ihr Debüt, ist die Rede zunächst von der Welt jenseits ihrer Familiengeschichte, denn das Buch ist eine Überraschung selbst für eine Frau, die immer für Überraschungen gut ist.
Bei unserer ersten Begegnung an einem Sommertag hatte Mahn vor Freunden davon erzählt, wie sie mit ihrem Sohn auf einem Campingplatz rassistisch beleidigt und weggeschickt wurde, und so, wie alle zuhörten und Mahn lauthals die Ungerechtigkeit auslachte, war gleich klar, dass da eine schonungslose, eine humorvolle Geschichtenerzählerin saß. Die nächsten Male, als wir uns sahen, war sie: Inhaberin eines Food Trucks, Vorrednerin der Black-Lives-Matter-Proteste in Frankfurt, Theaterschauspielerin, Stadtverordnete der Grünen. Nun also: Autorin.
Von den Erfahrungen der letzten Jahre hätte Mirrianne Mahn viel erzählen können, es hätte sich viel schreiben lassen über Rassismus und Politik, immer noch erreichen sie Angebote von Verlagen, ein Sachbuch zu schreiben. Sie antwortet dann: "Worüber denn?" Nach Natasha A. Kelly, nach Alice Hasters und den anderen. "Für mich liegen alle Argumente auf dem Tisch." Also schrieb sie ihren Familienroman, und der Verlauf der Ereignisse in ihrem Leben, das Suchen und Finden und Leiden und Kämpfen, hat dann eben doch sehr viel mit dieser Familiengeschichte zu tun.
Mahn ist Kritik gewöhnt. In ihrer Partei gilt sie als "Schneeflocke", die sich über alles empört und ständig Unruhe stiftet. Für jene, die ihr Drohbriefe schreiben, ist sie die Aktivistin, in deren Erscheinung sich der Hass bündelt. Und junge Schwarze, die ihre afrikanische Heimat betonen, kritisieren ihren "unbedingten Wunsch, deutsch zu sein", ein Konflikt, der in "Issa" mitschwingt und mit der Erfahrung beginnt, als Mädchen in ein Land zu kommen, in dem Freundinnen beim Fernsehabend fragen, ob einem die Schamlippen abgeschnitten wurden. "Deutschsein ist nicht Weißsein", sagt Mahn. Deutsch sozialisiert zu sein. "deutsch zu denken" bedeute für sie nicht, sich nach einer weißen Hautfarbe zu sehnen.
Und Schwarzsein bedeutet nicht automatisch, Teil einer afrikanischen Gemeinschaft zu sein, wie ihre Protagonistin beim Besuch in Kamerun feststellt. Sie kann kaum Pidgin, und ihre Verwandten raten ihr, in der Öffentlichkeit zu schweigen, weil man sie sonst doppelt und dreifach für Dienstleistungen zahlen lässt. Hier liegen die Ambivalenzen, die "Issa" neben der unaufgeregten, empathischen, oft zugunsten des Inhalts in den Hintergrund tretenden Erzählweise den Reiz verleihen. Etwa die Odyssee, die Issa auf sich nehmen muss, um für eines ihrer Rituale einen Ziegenbock zu finden, der in einer Vollmondnacht als Einziger eines Wurfs geboren wurde. Da schwört ein entfernter Cousin auf die Ahnen, dass er die Geburt persönlich bezeugen kann. Und Issa, der sonst die Rolle der naiven Europäerin vorbehalten ist, glaubt ihm kein Wort. Ohnehin lauert auf dieser Reise hinter jeder Ecke Klischee und Kitsch und die Gefahr für die Autorin, sich im Reiz des Exotischen zu verlieren. Es mag dem Zutun der Ahnen zu verdanken sein, dass das nicht passiert.
Wenn bei Mirrianne Mahn zu Hause gebetet wurde, war es Tradition, die Namen der Frauen in der Familie zu nennen, soweit man sich erinnern konnte. Deshalb waren ihr die Frauen immer vertraut, ohne dass sie je viel über sie wusste. Am Ende ihrer Geschichte ist Issa zurück und hat etwas verstanden. "Ihr seid alle Kinder", hat ihre Urgroßmutter gesagt, "weil ihr nicht wisst, wer ihr seid, und weil ihr euch weigert, euch zu erinnern." Etwas sei auch an ihr geheilt, sagt die Autorin. Als hätte ihr Schreiben endlich die passende Antwort auf die Frage geliefert, die man ihr so viele Male gestellt hat: Woher kommst du? Als wäre der Geschichte schwarzer Menschen in Europa ein Mosaikteil hinzugefügt worden, eines von vielen, die vielleicht irgendwann für eine kollektive Identität stehen werden. ELENA WITZECK
Mirrianne Mahn: "Issa". Roman.
Rowohlt Verlag,
Hamburg 2024. 304 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deutschsein heißt nicht Weißsein: Mirrianne Mahn erzählt davon in ihrem Debütroman "Issa"
Ein Familienroman, ja, aber ein ungewöhnlicher. Einer, der die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die nach Kamerun zurückkehrt, wo sie die ersten Jahre ihres Lebens verbracht hat. Der Anlass ist ernst, ihre Mutter hat sie geschickt, denn sie ist schwanger, noch dazu unverheiratet, und ohne den Vollzug der erforderlichen Rituale steht aus Sicht der Angehörigen nicht nur das Leben des Ungeborenen auf dem Spiel.
Nun ist es so, dass die junge Frau ganz und gar deutsch geprägt ist. Unter Ritualen kann sie sich nichts vorstellen, weiß nur, dass es Regeln gibt in diesem Land, die weit zurückgehen auf die Vergangenheit, die von ihren Ahnen gemacht oder jedenfalls beeinflusst werden, Regeln, die man besser nicht hinterfragt. Immerhin: Die Wünsche von Schwangeren müssen hier unter allen Umständen erfüllt werden, da in den Neugeborenen die längst Gestorbenen wieder aufleben, es sich also um die Wünsche eines Ahnen handeln könnte. Was allerdings nicht zu allzu großer Selbstbezogenheit verleiten sollte: "Denkst du etwa", fragt die Urgroßmutter, die der jungen Frau die Kontinuität des familiären Aus-Fehlern-Lernens und Fehler-Wiederholens nahebringt, "du bist die erste, die leidet in dieser Welt? Denkst du, dass du den Schmerz erfunden hast?"
Gewiss nicht. Denn die Geschichte, die sich als zweiter Erzählstrang neben den Erlebnissen der jungen Issa in ihrer Heimat entfaltet, ist die Geschichte derer, die vor ihr kamen, ihrer geliebten Urgroßmutter, der strengen Großmutter, die vor ihrem Mann davonlief, und der Mutter, die ihr Land verließ, eine Geschichte von Unrecht und Selbstbehauptung, von weißer Kolonialherrschaft, von Mut und Lebenswillen, die mit einem Kind beginnt, das von einem weißen Mann vergewaltigt und geschwängert wird und für sein Schicksal verantwortlich gemacht wird: Enanga, Mutter der Urgroßmutter von Issa, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ein Bauch wächst und die mit allerlei Ritualen überzogen wird, weil sich keiner erklären kann, was das ist. Ein Dämon? Eine Jungfrauengeburt? Der Vater, Mitglied eines einflussreichen Clans, vermag die Schmach nicht zu ertragen, als das weiße Baby kommt, bestraft seine Frau, schickt die entehrte Tochter weg.
Es eint diese Frauen ihr Pragmatismus, ihre Kraft zum Weitermachen, die nichts Bemerkenswertes hat, sondern aus der Notwendigkeit erwächst. Eine Kraft, die sich dem Automatismus widersetzt, dass "diese Welt stets dieselben Geschichten von Frauen hervorbrachte, die in ihren eigenen Leben die Verliererinnen waren". Enanga, die sich schließlich entscheidet zu heiraten, um sicher leben zu können, muss mitansehen, wie ihr eigenes Kind an einen viel älteren Mann verkauft wird. Marijoh, die spätere Uroma, macht das Beste daraus, indem sie die zweite Frau dieses Mannes zu ihrer engsten Vertrauten macht, gerät dann aber mitten in den Krieg der Kolonialmacht. Namondo wiederum, ihre Tochter, rebelliert gegen die Polygamie, verliert dabei aber fast ihre Kinder. Und Issas Mutter, Ayudele, wagt es, nach Deutschland auszuwandern.
Ein paar Tage vor Erscheinen des Romans sitzt dessen Autorin Mirrianne Mahn in ihrer Frankfurter Wohnung und trägt ein Shirt, auf dem "Hass ist keine Meinung" steht. Es ist Weltfrauentag, und obwohl es kein besseres Thema geben könnte als ihr Debüt, ist die Rede zunächst von der Welt jenseits ihrer Familiengeschichte, denn das Buch ist eine Überraschung selbst für eine Frau, die immer für Überraschungen gut ist.
Bei unserer ersten Begegnung an einem Sommertag hatte Mahn vor Freunden davon erzählt, wie sie mit ihrem Sohn auf einem Campingplatz rassistisch beleidigt und weggeschickt wurde, und so, wie alle zuhörten und Mahn lauthals die Ungerechtigkeit auslachte, war gleich klar, dass da eine schonungslose, eine humorvolle Geschichtenerzählerin saß. Die nächsten Male, als wir uns sahen, war sie: Inhaberin eines Food Trucks, Vorrednerin der Black-Lives-Matter-Proteste in Frankfurt, Theaterschauspielerin, Stadtverordnete der Grünen. Nun also: Autorin.
Von den Erfahrungen der letzten Jahre hätte Mirrianne Mahn viel erzählen können, es hätte sich viel schreiben lassen über Rassismus und Politik, immer noch erreichen sie Angebote von Verlagen, ein Sachbuch zu schreiben. Sie antwortet dann: "Worüber denn?" Nach Natasha A. Kelly, nach Alice Hasters und den anderen. "Für mich liegen alle Argumente auf dem Tisch." Also schrieb sie ihren Familienroman, und der Verlauf der Ereignisse in ihrem Leben, das Suchen und Finden und Leiden und Kämpfen, hat dann eben doch sehr viel mit dieser Familiengeschichte zu tun.
Mahn ist Kritik gewöhnt. In ihrer Partei gilt sie als "Schneeflocke", die sich über alles empört und ständig Unruhe stiftet. Für jene, die ihr Drohbriefe schreiben, ist sie die Aktivistin, in deren Erscheinung sich der Hass bündelt. Und junge Schwarze, die ihre afrikanische Heimat betonen, kritisieren ihren "unbedingten Wunsch, deutsch zu sein", ein Konflikt, der in "Issa" mitschwingt und mit der Erfahrung beginnt, als Mädchen in ein Land zu kommen, in dem Freundinnen beim Fernsehabend fragen, ob einem die Schamlippen abgeschnitten wurden. "Deutschsein ist nicht Weißsein", sagt Mahn. Deutsch sozialisiert zu sein. "deutsch zu denken" bedeute für sie nicht, sich nach einer weißen Hautfarbe zu sehnen.
Und Schwarzsein bedeutet nicht automatisch, Teil einer afrikanischen Gemeinschaft zu sein, wie ihre Protagonistin beim Besuch in Kamerun feststellt. Sie kann kaum Pidgin, und ihre Verwandten raten ihr, in der Öffentlichkeit zu schweigen, weil man sie sonst doppelt und dreifach für Dienstleistungen zahlen lässt. Hier liegen die Ambivalenzen, die "Issa" neben der unaufgeregten, empathischen, oft zugunsten des Inhalts in den Hintergrund tretenden Erzählweise den Reiz verleihen. Etwa die Odyssee, die Issa auf sich nehmen muss, um für eines ihrer Rituale einen Ziegenbock zu finden, der in einer Vollmondnacht als Einziger eines Wurfs geboren wurde. Da schwört ein entfernter Cousin auf die Ahnen, dass er die Geburt persönlich bezeugen kann. Und Issa, der sonst die Rolle der naiven Europäerin vorbehalten ist, glaubt ihm kein Wort. Ohnehin lauert auf dieser Reise hinter jeder Ecke Klischee und Kitsch und die Gefahr für die Autorin, sich im Reiz des Exotischen zu verlieren. Es mag dem Zutun der Ahnen zu verdanken sein, dass das nicht passiert.
Wenn bei Mirrianne Mahn zu Hause gebetet wurde, war es Tradition, die Namen der Frauen in der Familie zu nennen, soweit man sich erinnern konnte. Deshalb waren ihr die Frauen immer vertraut, ohne dass sie je viel über sie wusste. Am Ende ihrer Geschichte ist Issa zurück und hat etwas verstanden. "Ihr seid alle Kinder", hat ihre Urgroßmutter gesagt, "weil ihr nicht wisst, wer ihr seid, und weil ihr euch weigert, euch zu erinnern." Etwas sei auch an ihr geheilt, sagt die Autorin. Als hätte ihr Schreiben endlich die passende Antwort auf die Frage geliefert, die man ihr so viele Male gestellt hat: Woher kommst du? Als wäre der Geschichte schwarzer Menschen in Europa ein Mosaikteil hinzugefügt worden, eines von vielen, die vielleicht irgendwann für eine kollektive Identität stehen werden. ELENA WITZECK
Mirrianne Mahn: "Issa". Roman.
Rowohlt Verlag,
Hamburg 2024. 304 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein packender und überzeugender Debütroman. Kristine Harthauer SWR 2 Kultur 20240706