Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2013Inmitten des Sturms
Norbert Kern würde man wohl als Abenteurer alten Schlags bezeichnen. Er hatte einen richtigen Beruf, Unternehmensberater, und sein Geld verdiente er nicht mit der Vermarktung seiner eigenen Unternehmungen. Aber er verdiente offensichtlich genug, sich etliche wilde Reisen leisten zu können. Der nun Zweiundsiebzigjährige stand ebenso an den beiden Polen wie auf dem Gipfel des Kilimandscharo, demnächst will er die Beringstraße, sofern sie zufriert, zu Fuß überqueren. Im Jahr 2008 ist er durch Grönland gegangen, mit einer internationalen Gruppe, zu der zwei chinesische Teilnehmer gehörten. Einer der beiden, Fei Xuan, Ministerialbeamter aus Yunnan, hielt - wie auch Kern - seine Erlebnisse und Empfindungen in einem Tagebuch fest. Daraus ist dieses Buch entstanden. Zwanzig Tage, sechshundert Kilometer, von Kangerlussuaq nach Isortoq. Der Leser bekommt Informationen zu Grönland, zur Arktis - und natürlich viel Erlebtes. Unterhaltsam lesen sich vor allem die Einträge Fei Xuans, der vorher nie so weit im Norden war: "Meine Skitechnik hat sich um einiges verbessert. Heute nur vier Stürze." Gehen, ankommen. Schlechtes Wetter, gutes Wetter. Lager aufbauen, essen, schlafen, Lager abbauen. So sieht nun mal eine Expedition in Grönland aus. Doch vor allem mit Fei Xuans Texten, der eine distanziertere Außensicht auf das Unternehmen und diesen älteren Deutschen hat, den er gleichwohl bewundert, gewinnt das Buch an Tiefe. Nach einem Schneesturm schreibt er, dass sich Schneedünen gebildet haben und die Eislandschaft aussehe "wie ein erstarrtes, aufgewühltes weißes Meer". Die Fotos, steht im Vorwort, seien mit kleinen Kameras gemacht und nicht von professioneller Qualität. Außerdem seien sie vorrangig bei Sonnenschein aufgenommen, denn wer fotografiere schon im eisigen Sturm? Profis, lautet die Antwort. Dann wären weniger unscharfe, fahle Bilder entstanden. So ist es nicht recht verständlich, wieso aus Tagebuchaufzeichnungen ein Bildband werden musste. Klein und fein hätte es ein schönes Expeditionsbuch werden können.
bär
"Der weiße Fleck". Deutsch-chinesischer Tagebuch-Dialog von Norbert H. Kern und Fei Xuan. Zusammengefasst und kommentiert von Rolf Heggen. Offenbacher Editionen, Offenbach 2012. 246 Seiten, zahlreiche Fotos. Gebunden, 27,50 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Norbert Kern würde man wohl als Abenteurer alten Schlags bezeichnen. Er hatte einen richtigen Beruf, Unternehmensberater, und sein Geld verdiente er nicht mit der Vermarktung seiner eigenen Unternehmungen. Aber er verdiente offensichtlich genug, sich etliche wilde Reisen leisten zu können. Der nun Zweiundsiebzigjährige stand ebenso an den beiden Polen wie auf dem Gipfel des Kilimandscharo, demnächst will er die Beringstraße, sofern sie zufriert, zu Fuß überqueren. Im Jahr 2008 ist er durch Grönland gegangen, mit einer internationalen Gruppe, zu der zwei chinesische Teilnehmer gehörten. Einer der beiden, Fei Xuan, Ministerialbeamter aus Yunnan, hielt - wie auch Kern - seine Erlebnisse und Empfindungen in einem Tagebuch fest. Daraus ist dieses Buch entstanden. Zwanzig Tage, sechshundert Kilometer, von Kangerlussuaq nach Isortoq. Der Leser bekommt Informationen zu Grönland, zur Arktis - und natürlich viel Erlebtes. Unterhaltsam lesen sich vor allem die Einträge Fei Xuans, der vorher nie so weit im Norden war: "Meine Skitechnik hat sich um einiges verbessert. Heute nur vier Stürze." Gehen, ankommen. Schlechtes Wetter, gutes Wetter. Lager aufbauen, essen, schlafen, Lager abbauen. So sieht nun mal eine Expedition in Grönland aus. Doch vor allem mit Fei Xuans Texten, der eine distanziertere Außensicht auf das Unternehmen und diesen älteren Deutschen hat, den er gleichwohl bewundert, gewinnt das Buch an Tiefe. Nach einem Schneesturm schreibt er, dass sich Schneedünen gebildet haben und die Eislandschaft aussehe "wie ein erstarrtes, aufgewühltes weißes Meer". Die Fotos, steht im Vorwort, seien mit kleinen Kameras gemacht und nicht von professioneller Qualität. Außerdem seien sie vorrangig bei Sonnenschein aufgenommen, denn wer fotografiere schon im eisigen Sturm? Profis, lautet die Antwort. Dann wären weniger unscharfe, fahle Bilder entstanden. So ist es nicht recht verständlich, wieso aus Tagebuchaufzeichnungen ein Bildband werden musste. Klein und fein hätte es ein schönes Expeditionsbuch werden können.
bär
"Der weiße Fleck". Deutsch-chinesischer Tagebuch-Dialog von Norbert H. Kern und Fei Xuan. Zusammengefasst und kommentiert von Rolf Heggen. Offenbacher Editionen, Offenbach 2012. 246 Seiten, zahlreiche Fotos. Gebunden, 27,50 Euro.
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