Der Wahnsinn wird als Thema nicht nur in der Gegenwartsliteratur verhandelt; die Konzeptualisierung von Geisteskrankheiten hat eine lange Geschichte, der man sich etwa über literarische Texte früherer Epochen nähern kann. So weisen die 'Narrheit' und der 'Wahnsinn' im Roman "Iwein" des Hartmann von Aue und im "Prosa-Lancelot" offensichtliche strukturelle Gemeinsamkeiten mit der 'Melancholia' der scholastischen Medizin auf, einer medizinischen Lehre, die in der Tradition der antiken und arabischen Medizin steht. Ein Bild des Wahnsinns im Mittelalter auf Basis der damals virulenten Temperamenten- und der Vier-Säfte-Lehre wird methodisch Michel Foucaults gesellschaftskritischer These des Wahnsinns, im Begriff 'folie' gefasst, gegenübergestellt. Bei der ausführlichen Analyse von Iweins und Lancelots Wahnsinn in der vorliegenden Abhandlung wird ersichtlich, dass es besonders ergiebig ist, dem Ansatz einer medizinhistorischen Betrachtung zu folgen, obwohl einige Forscher heftig darüberdebattieren. Unter Heranziehung der Konzepte von Desintegration/Reintegration, Natur/Kultur und Identität/Sozialstatus ergibt sich ein neues oder genaueres Verständnis der spezifischen Wahnsinnsdarstellung in diesen zwei wichtigen Romanen des Mittelalters.