This book traces the development of the D-Notice system, which controls the media's access to government secrets, from 19th-century colonial campaigns, through two world wars, to modern operations and counter-terrorism.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2009Vom Staat in die Pflicht genommen
Zu Kriegszeiten sorgte in Großbritannien ein paritätisch besetzter Ausschuss für einen Interessenausgleich zwischen der Regierung und den Medien.
Von Lothar Kettenacker
Einem deutschen Leser, der bei der einst so ernstgenommenen Bezeichnung "offiziell" heute gleich zusammenzuckt, muss man erklären, was es mit der britischen Government Official History Series auf sich hat. Sie widmet sich seit 1919 vor allem der Geschichte der Weltkriege; unter Premierminister Harold Wilson wandte sie sich darüber hinaus der Regierungstätigkeit in Friedenszeiten zu, etwa der Europa- und Privatisierungspolitik und dem teuren Bau des Channel Tunnel. Mit der Betreuung ist eine Abteilung des Kabinetts beauftragt, also auch mit der Beauftragung jener Autoren, die freien Zugang zu den relevanten Regierungsakten haben.
Man stelle sich den Aufschrei unter deutschen Historikern vor, wenn sich Angela Merkel ein Ressort für staatliche Geschichtsschreibung zulegen würde! Die Briten haben im 20. Jahrhundert andere Erfahrungen mit der Staatsmacht gemacht als die Deutschen. Das neueste Produkt des Cabinet Office ist eine minutiöse Darstellung des Umgangs zwischen Regierung und Medien in allen Fragen der nationalen Sicherheit. Obwohl die Geheimdienste eine zentrale Rolle spielen, kommen Fans von James Bond nicht auf ihre Kosten. Mit dem D-Notice System ist ein paritätisch besetzter Presse- und Regierungsausschuss gemeint, der seit mehr als 100 Jahren und unter wechselnden Bezeichnungen die Presse durch Geheimhaltungsrichtlinien an ihre Loyalität gegenüber dem Staat erinnern soll; D steht für Defence, für alle Nachrichten, welche die nationale Sicherheit tangieren. Das Defence Press and Broadcasting Advisory Committee, so seine heutige Bezeichnung, ist ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle, des ständigen Ausgleichs zwischen Regierungs- und Medieninteressen; es ist keine amtliche Zensurbehörde. Ihre Sekretäre, wie der Verfasser des vorliegenden Werkes, sind in der Regel hohe Offiziere oder Beamte, die mit der Ministerialbürokratie Whitehalls gut vernetzt sind - berufen meist erst nach ihrer Pensionierung, um so ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten (also im Sinne von: "Hallo, Chris, müssen wir diese Information wirklich aus dem Verkehr ziehen?"). Konteradmiral Wilkinson hat ein sorgfältig recherchiertes, wenn auch bisweilen zu detailversessenes Buch abgeliefert, das eher im Bereich der Verwaltungsgeschichte als in der Welt der Spionage anzusiedeln ist.
England ist das Ursprungsland des Parlamentarismus und der Pressefreiheit. Seit dem 18. Jahrhundert wollen Regierungen wiedergewählt werden und sind seitdem auf eine wohlwollende öffentliche Meinung, daher auf eine freie Presse angewiesen. Seit dem Burenkrieg, einer unerwarteten militärischen Herausforderung, und seit dem Aufkommen einer auflagenstarken Sensationspresse (Daily Mail, 1896) verstärkte sich der Eindruck, dass der Staat ein legitimes Interesse an dem Schutz von Informationen hat, die dem Feind von Nutzen sein können. Jetzt sollte man meinen, dass sich der Verfasser vor allem mit der Geschichte der beiden Weltkriege beschäftigt hat. Mitnichten: Die spannende Zeit des Zweiten Weltkrieges ist auf 30 von nahezu 500 Textseiten abgetan, weil die Tätigkeit des Ausschusses zugunsten eines neuen Ministry of Information suspendiert wurde. Doch ist charakteristisch für die englische Zivilgesellschaft, dass für diese Behörde, wie auch für ihre Vorgänger im Ersten Weltkrieg, meist Journalisten vom Staat in die Pflicht genommen wurden; an die Spitze wurden sogar Pressemogule berufen, wie Beaverbrook und Northcliffe im Ersten und Brendan Bracken im Zweiten Weltkrieg, die sich später allesamt im Oberhaus wiederfanden.
Bei Kriegsbeginn 1939 genügten nur wenige Anweisungen, um die Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit der Geheimhaltung von brisanten Informationen einzustimmen. Die Loyalität der Presse und der Bevölkerung insgesamt war so vorbildlich, dass keines der wichtigen Geheimnisse nach außen drang, weder die Entschlüsselung des deutschen Geheimcodes (Enigma) noch die intensiven Vorbereitungen auf die Invasion (D-Day), und dies obwohl Tausende involviert waren.
Das Hauptanliegen des Ausschusses, der 1945 seine Tätigkeit wieder aufnahm, war stets die Aufrechterhaltung der Pressefreiheit. Das hieß: kein Missbrauch des D-Notice System für politische Zwecke der Regierung, etwa die Gängelung der Presse im Sinne der Appeasementpolitik Chamberlains. Eine ganze Sektion ist der sogenannten Lohan-Affäre gewidmet, dem Versuch Harold Wilsons, das Mitlesen aller Auslandstelegramme durch die Geheimdienste zu vertuschen. Journalisten, die sich nicht an die Richtlinien halten, können an sich nicht juristisch belangt werden, es sei denn, sie hätten gegen den Official Secrets Act verstoßen. Seit dem Jahre 2000 ist die Pressefreiheit zudem durch den Freedom of Information Act weiter gestärkt worden.
Über den rein militärischen beziehungsweise geheimdienstlichen Charakter der Presserichtlinien geben vier Appendices Auskunft (Beispiel vom 13. September 1946: "Movement of large stocks of toxic gas from Germany to existing RAF storage depots in Wales"). Nach 1945 war der Rahmen durch die internationalen Beziehungen vorgegeben: den Kalten Krieg ( Wahrung der Atomgeheimnisse), den IRA-Terror, kriegerische Entwicklungen wie den Falkland- und ersten Irak Krieg sowie die Zersetzungserscheinungen auf dem Balkan in den neunziger Jahren. Offenbar musste der Autor die schon vorliegende Darstellung der letzten Labour-Dekade auf Anweisung von oben zurückstellen.
Was die konservativen Regierungen vor 1997 mit der Presse angestellt haben, ist für Blair und Brown passé, also Geschichte. Natürlich mussten auch alle britischen Geheimdienste und interessierten Ministerien dem Manuskript ihr Plazet geben. Der Nachfolger von Wilkinson nahm noch dazu an dem etwas trockenen Stil des Buches Anstoß, stand damit aber nur im Verdacht, die Interessen des Verteidigungsministeriums, seines früheren Arbeitgebers, zu vertreten. Insgesamt zeigt diese Übersicht auf exemplarische Weise den Umgang der demokratischen Zivilgesellschaft mit der freien Presse, und dies bei einer Gesellschaft, die wie vielleicht keine zweite in Europa auf geheimdienstliche Enthüllungen geradezu fixiert ist.
Nicholas Wilkinson: Secrecy and the Media. The Official History of the United Kingdom's D-Notice System. Verlag Routledge Chapman & Hall, London 2009. 613 S., 67,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zu Kriegszeiten sorgte in Großbritannien ein paritätisch besetzter Ausschuss für einen Interessenausgleich zwischen der Regierung und den Medien.
Von Lothar Kettenacker
Einem deutschen Leser, der bei der einst so ernstgenommenen Bezeichnung "offiziell" heute gleich zusammenzuckt, muss man erklären, was es mit der britischen Government Official History Series auf sich hat. Sie widmet sich seit 1919 vor allem der Geschichte der Weltkriege; unter Premierminister Harold Wilson wandte sie sich darüber hinaus der Regierungstätigkeit in Friedenszeiten zu, etwa der Europa- und Privatisierungspolitik und dem teuren Bau des Channel Tunnel. Mit der Betreuung ist eine Abteilung des Kabinetts beauftragt, also auch mit der Beauftragung jener Autoren, die freien Zugang zu den relevanten Regierungsakten haben.
Man stelle sich den Aufschrei unter deutschen Historikern vor, wenn sich Angela Merkel ein Ressort für staatliche Geschichtsschreibung zulegen würde! Die Briten haben im 20. Jahrhundert andere Erfahrungen mit der Staatsmacht gemacht als die Deutschen. Das neueste Produkt des Cabinet Office ist eine minutiöse Darstellung des Umgangs zwischen Regierung und Medien in allen Fragen der nationalen Sicherheit. Obwohl die Geheimdienste eine zentrale Rolle spielen, kommen Fans von James Bond nicht auf ihre Kosten. Mit dem D-Notice System ist ein paritätisch besetzter Presse- und Regierungsausschuss gemeint, der seit mehr als 100 Jahren und unter wechselnden Bezeichnungen die Presse durch Geheimhaltungsrichtlinien an ihre Loyalität gegenüber dem Staat erinnern soll; D steht für Defence, für alle Nachrichten, welche die nationale Sicherheit tangieren. Das Defence Press and Broadcasting Advisory Committee, so seine heutige Bezeichnung, ist ein Organ der freiwilligen Selbstkontrolle, des ständigen Ausgleichs zwischen Regierungs- und Medieninteressen; es ist keine amtliche Zensurbehörde. Ihre Sekretäre, wie der Verfasser des vorliegenden Werkes, sind in der Regel hohe Offiziere oder Beamte, die mit der Ministerialbürokratie Whitehalls gut vernetzt sind - berufen meist erst nach ihrer Pensionierung, um so ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten (also im Sinne von: "Hallo, Chris, müssen wir diese Information wirklich aus dem Verkehr ziehen?"). Konteradmiral Wilkinson hat ein sorgfältig recherchiertes, wenn auch bisweilen zu detailversessenes Buch abgeliefert, das eher im Bereich der Verwaltungsgeschichte als in der Welt der Spionage anzusiedeln ist.
England ist das Ursprungsland des Parlamentarismus und der Pressefreiheit. Seit dem 18. Jahrhundert wollen Regierungen wiedergewählt werden und sind seitdem auf eine wohlwollende öffentliche Meinung, daher auf eine freie Presse angewiesen. Seit dem Burenkrieg, einer unerwarteten militärischen Herausforderung, und seit dem Aufkommen einer auflagenstarken Sensationspresse (Daily Mail, 1896) verstärkte sich der Eindruck, dass der Staat ein legitimes Interesse an dem Schutz von Informationen hat, die dem Feind von Nutzen sein können. Jetzt sollte man meinen, dass sich der Verfasser vor allem mit der Geschichte der beiden Weltkriege beschäftigt hat. Mitnichten: Die spannende Zeit des Zweiten Weltkrieges ist auf 30 von nahezu 500 Textseiten abgetan, weil die Tätigkeit des Ausschusses zugunsten eines neuen Ministry of Information suspendiert wurde. Doch ist charakteristisch für die englische Zivilgesellschaft, dass für diese Behörde, wie auch für ihre Vorgänger im Ersten Weltkrieg, meist Journalisten vom Staat in die Pflicht genommen wurden; an die Spitze wurden sogar Pressemogule berufen, wie Beaverbrook und Northcliffe im Ersten und Brendan Bracken im Zweiten Weltkrieg, die sich später allesamt im Oberhaus wiederfanden.
Bei Kriegsbeginn 1939 genügten nur wenige Anweisungen, um die Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit der Geheimhaltung von brisanten Informationen einzustimmen. Die Loyalität der Presse und der Bevölkerung insgesamt war so vorbildlich, dass keines der wichtigen Geheimnisse nach außen drang, weder die Entschlüsselung des deutschen Geheimcodes (Enigma) noch die intensiven Vorbereitungen auf die Invasion (D-Day), und dies obwohl Tausende involviert waren.
Das Hauptanliegen des Ausschusses, der 1945 seine Tätigkeit wieder aufnahm, war stets die Aufrechterhaltung der Pressefreiheit. Das hieß: kein Missbrauch des D-Notice System für politische Zwecke der Regierung, etwa die Gängelung der Presse im Sinne der Appeasementpolitik Chamberlains. Eine ganze Sektion ist der sogenannten Lohan-Affäre gewidmet, dem Versuch Harold Wilsons, das Mitlesen aller Auslandstelegramme durch die Geheimdienste zu vertuschen. Journalisten, die sich nicht an die Richtlinien halten, können an sich nicht juristisch belangt werden, es sei denn, sie hätten gegen den Official Secrets Act verstoßen. Seit dem Jahre 2000 ist die Pressefreiheit zudem durch den Freedom of Information Act weiter gestärkt worden.
Über den rein militärischen beziehungsweise geheimdienstlichen Charakter der Presserichtlinien geben vier Appendices Auskunft (Beispiel vom 13. September 1946: "Movement of large stocks of toxic gas from Germany to existing RAF storage depots in Wales"). Nach 1945 war der Rahmen durch die internationalen Beziehungen vorgegeben: den Kalten Krieg ( Wahrung der Atomgeheimnisse), den IRA-Terror, kriegerische Entwicklungen wie den Falkland- und ersten Irak Krieg sowie die Zersetzungserscheinungen auf dem Balkan in den neunziger Jahren. Offenbar musste der Autor die schon vorliegende Darstellung der letzten Labour-Dekade auf Anweisung von oben zurückstellen.
Was die konservativen Regierungen vor 1997 mit der Presse angestellt haben, ist für Blair und Brown passé, also Geschichte. Natürlich mussten auch alle britischen Geheimdienste und interessierten Ministerien dem Manuskript ihr Plazet geben. Der Nachfolger von Wilkinson nahm noch dazu an dem etwas trockenen Stil des Buches Anstoß, stand damit aber nur im Verdacht, die Interessen des Verteidigungsministeriums, seines früheren Arbeitgebers, zu vertreten. Insgesamt zeigt diese Übersicht auf exemplarische Weise den Umgang der demokratischen Zivilgesellschaft mit der freien Presse, und dies bei einer Gesellschaft, die wie vielleicht keine zweite in Europa auf geheimdienstliche Enthüllungen geradezu fixiert ist.
Nicholas Wilkinson: Secrecy and the Media. The Official History of the United Kingdom's D-Notice System. Verlag Routledge Chapman & Hall, London 2009. 613 S., 67,99 [Euro].
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