„Euren Applaus könnt ihr euch wohin stecken“ ist der erweiterte Wutbrief der Krankenschwester Nina Böhmer. Ihr ursprünglicher Wutbrief erschien bei Facebook, wo sie sich am 23. März 2020 Luft zum Thema „Pflegenotstand“ machte. So weit so gut, so wichtig, so richtig.
Aber in ihrem Buch, das sie in
der Zeit der Kurzarbeit schreiben konnte, schießt sie meiner Meinung nach manchmal übers Ziel hinaus…mehr„Euren Applaus könnt ihr euch wohin stecken“ ist der erweiterte Wutbrief der Krankenschwester Nina Böhmer. Ihr ursprünglicher Wutbrief erschien bei Facebook, wo sie sich am 23. März 2020 Luft zum Thema „Pflegenotstand“ machte. So weit so gut, so wichtig, so richtig.
Aber in ihrem Buch, das sie in der Zeit der Kurzarbeit schreiben konnte, schießt sie meiner Meinung nach manchmal übers Ziel hinaus und manchmal fehlt das Konzept und der rote Faden. Der Inhalt ist ja reichlich bekannt, bedrückend und macht fassungslos und wütend. Krankenhäuser werden kaputtgespart, Ausrüstung fehlt, die Pflegekräfte sind neben den gesundheitlichen Risiken und der Arbeitsüberlastung auch noch (sexuellen) Belästigungen ausgesetzt. Deutschland hat zu wenige Pflegekräfte und die, die es gibt, werden viel zu schlecht bezahlt, wie viele andere „systemrelevante“ Berufe auch. Und das nicht erst seit Corona. In dem Punkt stimme ich der Autorin vollumfänglich zu und sie hat natürlich auch Recht mit der Aussage, dass Klatschen vom Balkon nicht hilft.
Dass die Verfasserin des Buchs schreibt wie ihr der Schnabel gewachsen ist, kann man schon am Titel erkennen. Das ist einerseits authentisch und vielleicht sogar charmant. Andererseits aber manchmal falsch und ärgerlich, vor allem ihre Wortwahl finde ich einer Krankenschwester nicht würdig. So schreibt sie über „Corona-Hysterie“, Planlosigkeit, „Panikmache“ und die Deutschen an sich als Merkels „Fußvolk“, da klingt sie schon fast wie die Verschwörungstheoretiker, die aktuell ihr Unwesen treiben. Am Anfang des Buchs beschreibt sie die Angst um ihren asthmakranken Freund und stellt sich selbst als leicht hypochondrisch dar, als jemand, der beim leisesten Krankheitszeichen zu kolloidalem Silber oder „Silberwasser“ greift (etwas, das keinen erwiesenen Nutzen hat und selbst von der FDA als „Quacksalberei“ bezeichnet wird). Später schreibt sie plötzlich „Ich hatte keine Angst vor dem Coronavirus. Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen ebenso wenig.“, schreibt über „Gerede und Getue der Politiker, die immer mehr Maßnahmen verhängten und meine Reise zu Sam gefährdeten“ und für sie war „die Regierung von Angela Merkel eine viel größere Bedrohung als das Virus Covid-19.“ – purer Egoismus in diesem Fall.
„Hysterie und Panik wurden in Berlins Krankenhäusern auf merkwürdige Weise sichtbar. Viele Menschen machten sich wegen des Coronavirus ins Hemd“, „Die Situation nahm beinahe schizophrene Züge an“ – nicht nur, dass sie jeden, der (berechtigte) Angst vor dem Virus hat/te, praktisch als Schisser und Angsthasen angreift, sie verwendet auch noch den Begriff „schizophren“ in diesem Zusammenhang völlig falsch. Sie greift das Robert-Koch-Institut wegen „seltsamer Empfehlungen“ an, sieht sich selbst in ihren Freiheiten eingeschränkt, fragte sich auch, „ob das rigorose Schließen aller Schulen, Kitas, Cafés, Restaurants und kleiner Konzertsäle notwendig war.“ Mit Blick auf die Zahlen, vor allem in den USA, würde ich sagen: ja.
Alles in allem ist das Thema des Buchs unstrittig enorm wichtig und es muss darüber geschrieben werden, es muss diskutiert werden und man muss alle Hebel in Bewegung setzen, dass sich an den Umständen irgendwann mal etwas ändert, vor allem angesichts der Tatsache, dass Versprechen von Seiten der Politik praktisch ständig gebrochen werden (siehe Corona-Bonus für Pflegekräfte). Aber ob ein solches Buch hilft, weiß ich auch nicht. Mir sind in dem Buch zu wenige Fakten und Zahlen, der Rest ist purer Rant. Für das Thema von mir 5 Sterne, für die Umsetzung 1, im Mittel 3.