Warum engagierten sich zahlreiche Westeuropäer im Kalten Krieg für die Sowjetunion? Waren dies von Moskau gesteuerte ideologisch verblendete Kommunisten? Inwiefern förderten sie tatsächlich den kulturellen und gesellschaftlichen Austausch? Sonja Großmann analysiert erstmals vergleichend die Entwicklung sowjetischer Freundschaftsgesellschaften in Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik vom Zweiten Weltkrieg bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion. Von diesen gesellschaftlichen Akteuren ausgehend eröffnet das Buch neue Perspektiven auf die Formen und Methoden sowjetischer Selbstdarstellung gegenüber dem Ausland, auf das Zusammenspiel staatlicher und gesellschaftlicher Akteure über den ,Eisernen Vorhang' hinweg und auf kommunistische Organisationen im Westen. Das Bild der Sowjetunion in den verschiedenen Ländern spielt ebenso eine Rolle wie konkrete Felder des kulturellen Austausches in Kunst und Wissenschaft, Tourismus oder Städteverbindungen. Das Buch liefert einen innovativen Beitrag zur Internationalen Geschichte, indem es ost- und westeuropäische Geschichte, Diplomatie- und Kulturgeschichte sowie top-down mit bottom-up Ansätzen zusammenführt.
"Die Tübinger Historikerin Sonja Großmann legt nun eine vorbildliche Studie zur "Cultural Diplomacy" der Sowjetunion während des Kalten Krieges vor. Sie hat zahlreiche Erinnerungen, Zeitschriften und Archivquellen ausgewertet und zeichnet ein differenziertes Bild der "Freundschaftsgesellschaften" in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts."
Ulrich Schmid in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (17.12.2019), 6.
"Sonja Großmann untersucht auf der Basis der einschlägigen französischen, britischen,
west- und ostdeutschen Akten sowie der nur beschränkt verfügbaren Archivalien
des Staatlichen Archivs der Russischen Föderation (GARF) und des Staatsarchivs
für zeitgenössische Geschichte (RGANI) in Moskau sehr genau und sorgfältig die
Aktivitäten der Freundschaftsgesellschaften in den vier Staaten. Das Ergebnis ist ein
überaus detailliertes und zuverlässiges Bild dieser besonderen Außenpolitik." Gerhard Wettig in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 2020, 409-410.
Ulrich Schmid in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (17.12.2019), 6.
"Sonja Großmann untersucht auf der Basis der einschlägigen französischen, britischen,
west- und ostdeutschen Akten sowie der nur beschränkt verfügbaren Archivalien
des Staatlichen Archivs der Russischen Föderation (GARF) und des Staatsarchivs
für zeitgenössische Geschichte (RGANI) in Moskau sehr genau und sorgfältig die
Aktivitäten der Freundschaftsgesellschaften in den vier Staaten. Das Ergebnis ist ein
überaus detailliertes und zuverlässiges Bild dieser besonderen Außenpolitik." Gerhard Wettig in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 2020, 409-410.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2019Freundschaft als ideologische Waffe
Die sowjetischen Freundschaftsgesellschaften in Westeuropa
Die Sowjetunion wollte nicht nur eine militärische, sondern auch eine kulturelle Supermacht sein. Am besten lässt sich dieser Anspruch mit dem Konzept der "Soft Power" beschreiben, das der Politikwissenschaftler Joseph Nye 1983 eingeführt hat. Er wies darauf hin, dass Staaten ihre außenpolitischen Ziele nicht nur durch Aufrüstung oder internationale Wirtschaftshilfe erreichen können, sondern auch durch die Anziehungskraft ihrer Kultur, ihrer Ideale und ihrer politischen Entscheidungen.
Bereits unmittelbar nach der Oktoberrevolution waren die Bolschewiken darauf bedacht, ihr Image im Ausland aufzubessern. Schon 1925 wurde die VOKS gegründet, eine Organisation, die sich den kulturellen Beziehungen mit dem Ausland widmete. Der Arbeiter- und Bauern-Staat wollte nicht nur die fortschrittlichste und gerechteste Gesellschaft auf der Welt schaffen, sondern auch Höchstleistungen in Literatur, Kino und Kunst erbringen. Aus der Sicht vieler Westeuropäer war das kommunistische Experiment faszinierend. Der Hitler-Stalin-Pakt zeigte allerdings auch, wie anfällig das Sowjetsystem für ideologische Korruption war. Erst 1941 erhielt Moskau durch den Wechsel auf die Seite der Alliierten neuen moralischen Kredit. So befürworteten 86 Prozent der Briten im Januar 1942 die Fortführung der sowjetisch-britischen Militärallianz nach Kriegsende. 67 Prozent der Franzosen glaubten im September 1944, dass die Rote Armee am meisten zum Sieg über Nazideutschland beigetragen habe.
Allerdings bröckelte diese enthusiastische Unterstützung, nachdem sich der Eiserne Vorhang gesenkt hatte. Umso eifriger betrieben die sowjetischen Behörden den Aufbau von "Freundschaftsgesellschaften" in Westeuropa. Dabei nutzten sie geschickt bestehende Werthaltungen aus, die nicht unbedingt kommunismusfreundlich waren, sich aber gegen einen gemeinsamen Feind richteten. In Frankreich gelang es, zahlreiche Gaullisten in einen prosowjetischen Dunstkreis zu locken. In Großbritannien konnten Labour-Mitglieder für die Moskauer Sache gewonnen werden. Und in Deutschland war die erhoffte Überwindung der Nazi-Vergangenheit ein wichtiger Treiber für linke Sympathien. In allen diesen Fällen zeigte sich eine deutliche Abneigung gegen Amerika, das ganz im Sinne der Propaganda als "imperialistisch" und "antidemokratisch" wahrgenommen wurde.
Die Tübinger Historikerin Sonja Großmann legt nun eine vorbildliche Studie zur "Cultural Diplomacy" der Sowjetunion während des Kalten Kriegs vor. Sie hat zahlreiche Erinnerungen, Zeitschriften und Archivquellen ausgewertet und zeichnet ein differenziertes Bild der "Freundschaftsgesellschaften" in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nirgends in Europa konnten diese Organisationen eine Breitenwirkung entfalten. Immerhin wurden zusätzliche Sympathisanten der Sowjetunion mobilisiert, die sich nicht in einer der suspekten eurokommunistischen Parteien engagieren mochten. Die Freundschaftsgesellschaften finanzierten sich offiziell durch Mitgliederbeiträge und Spenden.
Es ist allerdings belegt, dass über verdeckte Kanäle immer wieder Moskauer Geld an diese Organisationen floss. Allerdings rollte der Rubel nicht so schnell, wie die Freundschaftsgesellschaften dies wünschten. Außerdem erlitten die sowjetischen Charmeoffensiven regelmäßig empfindliche Rückschläge. Eine erste Herausforderung bot 1947 das Buch "I chose freedom" von Viktor Krawtschenko. Darin zeichnete der ukrainische Überläufer ein abschreckendes Bild der sowjetischen Gewaltherrschaft. Die Freundschaftsgesellschaften beeilten sich, diesen Bericht als Fälschung der CIA zu diffamieren. Der Übereifer rächte sich in einigen Fällen jedoch schnell: In der Märzausgabe 1953 hatte die Zeitschrift France-URSS blind die offizielle Version über das "Ärztekomplott" gegen die sowjetische Führung übernommen und musste nach Stalins Tod ihren "Irrtum" eingestehen.
Eine regelrechte Berg- und Tal-Fahrt bedeutete das Jahr 1956. Die Entstalinisierung, die von Nikita Chruschtschow im Februar auf dem 20. Parteitag eingeleitet wurde, stieß bei den Freundschaftsgesellschaften auf verhaltene Reaktionen. Durch die massive Kritik an Stalin erschien plötzlich auch der Sozialismus in schiefem Licht. Die sowjetische Führung versuchte indessen, auf dem internationalen Parkett eine gute Figur zu machen: Im September 1955 kam Konrad Adenauer nach Moskau, im April 1956 reisten Chruschtschow und Bulganin nach London. Die sorgfältig gepflegte Friedensrhetorik der Freundschaftsgesellschaften löste sich allerdings in Rauch auf, als die Rote Armee im November 1956 in Ungarn einmarschierte. Damit wurde ein politischer Prozess gewaltsam unterbrochen, der nicht eine bürgerliche Gesellschaftsordnung, sondern eine linke Alternative zum Sowjetkommunismus einrichten wollte.
Im Gegensatz zu den Parteien, die den sowjetischen Einmarsch in Budapest explizit guthießen, hielten sich die Freundschaftsgesellschaften bedeckt und übten sich in Schadensbegrenzung. Ein weiterer schwerer Schlag war die Niederwerfung des Prager Frühlings 1968. Angesichts der allgemeinen Empörung über das Moskauer Vorgehen mussten auch die Freundschaftsgesellschaften in den Chor der Kritiker einstimmen, obwohl im gleichen Atemzug auch davor gewarnt wurde, in eine "antisowjetische Hysterie" zu verfallen. 1974 kam es ein letztes Mal zu einer Belastungsprobe, als Alexander Solschenizyn seinen "Archipel GULag" veröffentlichte und aus der Sowjetunion ausgewiesen wurde. Die westeuropäischen Linksintellektuellen befanden sich nun in einem Dilemma: Sollten sie die Sowjetunion auch angesichts der offensichtlichen Repressionsmaßnahmen gegen einen unliebsamen Autor in Schutz nehmen? Oder sollten sie die Freiheitsrechte des Individuums hochhalten?
Bald setzte jedoch die eiserne Mechanik der Weltgeschichte diesen Debatten ein Ende. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion lösten sich auch die meisten Freundschaftsgesellschaften auf oder verwandelten sich in reine Kulturclubs. Heute entdeckt allerdings der Kreml die Einflussmöglichkeiten der Soft Power wieder. 2015 wurde in vielen russischen Kulturinstituten im Ausland der neunzigste Jahrestag der "Volksdiplomatie" gefeiert - als Startpunkt galt dabei die Gründung der VOKS 1925.
ULRICH SCHMID.
Sonja Großmann: Falsche Freunde im Kalten Krieg? Sowjetische Freundschaftsgesellschaften in Westeuropa als Instrumente und Akteure der Cultural Diplomacy.
Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2019. 612 S., 69,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die sowjetischen Freundschaftsgesellschaften in Westeuropa
Die Sowjetunion wollte nicht nur eine militärische, sondern auch eine kulturelle Supermacht sein. Am besten lässt sich dieser Anspruch mit dem Konzept der "Soft Power" beschreiben, das der Politikwissenschaftler Joseph Nye 1983 eingeführt hat. Er wies darauf hin, dass Staaten ihre außenpolitischen Ziele nicht nur durch Aufrüstung oder internationale Wirtschaftshilfe erreichen können, sondern auch durch die Anziehungskraft ihrer Kultur, ihrer Ideale und ihrer politischen Entscheidungen.
Bereits unmittelbar nach der Oktoberrevolution waren die Bolschewiken darauf bedacht, ihr Image im Ausland aufzubessern. Schon 1925 wurde die VOKS gegründet, eine Organisation, die sich den kulturellen Beziehungen mit dem Ausland widmete. Der Arbeiter- und Bauern-Staat wollte nicht nur die fortschrittlichste und gerechteste Gesellschaft auf der Welt schaffen, sondern auch Höchstleistungen in Literatur, Kino und Kunst erbringen. Aus der Sicht vieler Westeuropäer war das kommunistische Experiment faszinierend. Der Hitler-Stalin-Pakt zeigte allerdings auch, wie anfällig das Sowjetsystem für ideologische Korruption war. Erst 1941 erhielt Moskau durch den Wechsel auf die Seite der Alliierten neuen moralischen Kredit. So befürworteten 86 Prozent der Briten im Januar 1942 die Fortführung der sowjetisch-britischen Militärallianz nach Kriegsende. 67 Prozent der Franzosen glaubten im September 1944, dass die Rote Armee am meisten zum Sieg über Nazideutschland beigetragen habe.
Allerdings bröckelte diese enthusiastische Unterstützung, nachdem sich der Eiserne Vorhang gesenkt hatte. Umso eifriger betrieben die sowjetischen Behörden den Aufbau von "Freundschaftsgesellschaften" in Westeuropa. Dabei nutzten sie geschickt bestehende Werthaltungen aus, die nicht unbedingt kommunismusfreundlich waren, sich aber gegen einen gemeinsamen Feind richteten. In Frankreich gelang es, zahlreiche Gaullisten in einen prosowjetischen Dunstkreis zu locken. In Großbritannien konnten Labour-Mitglieder für die Moskauer Sache gewonnen werden. Und in Deutschland war die erhoffte Überwindung der Nazi-Vergangenheit ein wichtiger Treiber für linke Sympathien. In allen diesen Fällen zeigte sich eine deutliche Abneigung gegen Amerika, das ganz im Sinne der Propaganda als "imperialistisch" und "antidemokratisch" wahrgenommen wurde.
Die Tübinger Historikerin Sonja Großmann legt nun eine vorbildliche Studie zur "Cultural Diplomacy" der Sowjetunion während des Kalten Kriegs vor. Sie hat zahlreiche Erinnerungen, Zeitschriften und Archivquellen ausgewertet und zeichnet ein differenziertes Bild der "Freundschaftsgesellschaften" in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nirgends in Europa konnten diese Organisationen eine Breitenwirkung entfalten. Immerhin wurden zusätzliche Sympathisanten der Sowjetunion mobilisiert, die sich nicht in einer der suspekten eurokommunistischen Parteien engagieren mochten. Die Freundschaftsgesellschaften finanzierten sich offiziell durch Mitgliederbeiträge und Spenden.
Es ist allerdings belegt, dass über verdeckte Kanäle immer wieder Moskauer Geld an diese Organisationen floss. Allerdings rollte der Rubel nicht so schnell, wie die Freundschaftsgesellschaften dies wünschten. Außerdem erlitten die sowjetischen Charmeoffensiven regelmäßig empfindliche Rückschläge. Eine erste Herausforderung bot 1947 das Buch "I chose freedom" von Viktor Krawtschenko. Darin zeichnete der ukrainische Überläufer ein abschreckendes Bild der sowjetischen Gewaltherrschaft. Die Freundschaftsgesellschaften beeilten sich, diesen Bericht als Fälschung der CIA zu diffamieren. Der Übereifer rächte sich in einigen Fällen jedoch schnell: In der Märzausgabe 1953 hatte die Zeitschrift France-URSS blind die offizielle Version über das "Ärztekomplott" gegen die sowjetische Führung übernommen und musste nach Stalins Tod ihren "Irrtum" eingestehen.
Eine regelrechte Berg- und Tal-Fahrt bedeutete das Jahr 1956. Die Entstalinisierung, die von Nikita Chruschtschow im Februar auf dem 20. Parteitag eingeleitet wurde, stieß bei den Freundschaftsgesellschaften auf verhaltene Reaktionen. Durch die massive Kritik an Stalin erschien plötzlich auch der Sozialismus in schiefem Licht. Die sowjetische Führung versuchte indessen, auf dem internationalen Parkett eine gute Figur zu machen: Im September 1955 kam Konrad Adenauer nach Moskau, im April 1956 reisten Chruschtschow und Bulganin nach London. Die sorgfältig gepflegte Friedensrhetorik der Freundschaftsgesellschaften löste sich allerdings in Rauch auf, als die Rote Armee im November 1956 in Ungarn einmarschierte. Damit wurde ein politischer Prozess gewaltsam unterbrochen, der nicht eine bürgerliche Gesellschaftsordnung, sondern eine linke Alternative zum Sowjetkommunismus einrichten wollte.
Im Gegensatz zu den Parteien, die den sowjetischen Einmarsch in Budapest explizit guthießen, hielten sich die Freundschaftsgesellschaften bedeckt und übten sich in Schadensbegrenzung. Ein weiterer schwerer Schlag war die Niederwerfung des Prager Frühlings 1968. Angesichts der allgemeinen Empörung über das Moskauer Vorgehen mussten auch die Freundschaftsgesellschaften in den Chor der Kritiker einstimmen, obwohl im gleichen Atemzug auch davor gewarnt wurde, in eine "antisowjetische Hysterie" zu verfallen. 1974 kam es ein letztes Mal zu einer Belastungsprobe, als Alexander Solschenizyn seinen "Archipel GULag" veröffentlichte und aus der Sowjetunion ausgewiesen wurde. Die westeuropäischen Linksintellektuellen befanden sich nun in einem Dilemma: Sollten sie die Sowjetunion auch angesichts der offensichtlichen Repressionsmaßnahmen gegen einen unliebsamen Autor in Schutz nehmen? Oder sollten sie die Freiheitsrechte des Individuums hochhalten?
Bald setzte jedoch die eiserne Mechanik der Weltgeschichte diesen Debatten ein Ende. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion lösten sich auch die meisten Freundschaftsgesellschaften auf oder verwandelten sich in reine Kulturclubs. Heute entdeckt allerdings der Kreml die Einflussmöglichkeiten der Soft Power wieder. 2015 wurde in vielen russischen Kulturinstituten im Ausland der neunzigste Jahrestag der "Volksdiplomatie" gefeiert - als Startpunkt galt dabei die Gründung der VOKS 1925.
ULRICH SCHMID.
Sonja Großmann: Falsche Freunde im Kalten Krieg? Sowjetische Freundschaftsgesellschaften in Westeuropa als Instrumente und Akteure der Cultural Diplomacy.
Walter de Gruyter, Berlin / Boston 2019. 612 S., 69,95 [Euro].
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