Wir sind Weltmeister - und seitdem boomt Fußball in Deutschland. Der Deutsche Fußball-Bund hat knapp sieben Millionen Mitglieder - so viele wie nie zuvor. Über acht Prozent der Bevölkerung sind Mitglied in einem der 25.324 beim DFB gemeldeten Klubs. Müßig zu sagen, dass Fußball die mit Abstand beliebteste Sportart ist. Eine Statistik vom Juli 2015 besagt, dass für 17,8 Prozent aller unter 14-jährigen Jugendlichen Fußballprofi der Traumberuf schlechthin ist.Auch Sergej Evljuskin hat von einer Karriere als Profi geträumt - und das Faszinierende an seiner Geschichte ist, dass er so nah dran war, seinen Traum auch wirklich leben zu können wie kaum jemand anderer. Eigentlich war er schon ein richtiger Fußballstar.EIGENTLICH WÄRE ICH JETZT WELTMEISTER ist eine Spurensuche nach den Antworten auf diese Fragen und zeigt, wie schnell es hoch und auch wieder runter gehen kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2016Sie nannten ihn "Kaiser"
Geschichte eines Talents, das nicht oben ankommt
Mit Karrieren im Konjunktiv ist das so eine Sache. "Eigentlich wäre ich jetzt Weltmeister" erzählt eine Geschichte von großen Erwartungen und unerfüllten Hoffnungen, es ist die Geschichte von Sergej Evljuskin, einem hochbegabten Fußballspieler, der "eigentlich" 2014 mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft das WM-Finale hätte gewinnen müssen. Dabei Regie führen. Das Spiel machen. Pässe wie Beckenbauer schlagen. Götzes Siegtor vorbereiten.
Doch auch mit Vergleichen ist das so eine Sache. Sicher, sie nannten ihn "Kaiser". Und ja, er gewann wie Götze zweimal die Fritz-Walter-Medaille in Gold - als bester deutscher Nachwuchsspieler. Doch ist der scheinbar logische Analogie-Schluss zutreffend? Evljuskin hat alle Jugend-Nationalmannschaften durchlaufen, war sogar ihr Kapitän. Er führte seine Jahrgangskameraden Boateng, Höwedes und Özil an. Aber wie war noch gleich sein Name?
Sergej Evljuskin, 1988 in Kirgistan geboren, zwei Jahre später mit seinen Eltern nach Deutschland ausgewandert. Ein Vater, der nie richtig in Deutschland ankommt und irgendwann abhaut. Eine Mutter, die doppelt arbeitet, um ihre vier Kinder durchzukriegen. Eine Oma, die Dankbarkeit predigt, es überhaupt so weit geschafft zu haben. Und ein Junge, der brav ist, folgsam, lernwillig. Der unbedingt Abitur machen will und es auch schafft. Und der zudem hochbegabt ist am Ball, der unbedingt Fußballprofi werden will. Wie so viele Kinder. Und es sogar schafft.
Beim kleinen Braunschweiger SC ist er groß geworden. Als Jugendlicher wechselte er zum VfL Wolfsburg. Im Mittelfeld spielte er die zentrale Position, schlug präzise Pässe, überragte durch Vielseitigkeit und Präsenz auf dem Platz. Doch an der Schwelle zur Bundesliga konnte er sich nicht durchsetzen. Erst wurde er von Klaus Augenthaler nicht beachtet, dann ging er in Felix Magaths riesigem Kader unter. Zweite Mannschaft statt erster Geige. Regionalliga statt großer Bühne. Vielseitigkeit kann auch ein Nachteil sein. Sein Weg verläuft seitwärts: Rot-Weiss Essen, Hansa Rostock, SV Babelsberg, Goslarer SC und schließlich Hessen Kassel.
Und irgendwie passt das. Denn nach der Logik des Buches würde Hessen Kassel "eigentlich" Bundesliga spielen. In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren die Nordhessen eine große Nummer in der zweiten Liga, wurden viermal Vierter, verpassten stets hauchdünn den Aufstieg in die Bundesliga. Danach ging es bergab, mit einem Konkurs 1998 als Tiefpunkt, dem Absturz bis in die Kreisliga A. Längst spielen die Hessen wieder Regionalliga. Einmal hätte es sogar fast mit dem Aufstieg in die dritte Liga geklappt. Das wäre auch für Sergej Evljuskin noch mal ein Erfolg.
Ansonsten ist er mit seinem Leben nicht unzufrieden: Abitur geschafft, Ausbildung abgeschlossen, Fernstudium am laufen. Leidenschaft wenigstens zum Nebenberuf gemacht. Für ein Aussiedlerkind gar nicht schlecht. Nur der ewige Vergleich mit dem Sergej von früher nervt, auch wenn er behauptet, dass es ihn amüsiert. Sergej Evljuskin hat gemeinsam mit Christoph Dörr keine große Literatur verfasst, aber ein ehrliches Bekenntnis abgelegt. Es lehrt die Leser, Lebensläufe zu akzeptieren. Möglicherweise auch die eigenen, unabhängig von den Erwartungen der anderen.
ad.
Sergej Evljuskin mit Christof Dörr: "Eigentlich wäre ich jetzt Weltmeister". Schwarzkopf & Schwarzkopf; 237 Seiten; 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Geschichte eines Talents, das nicht oben ankommt
Mit Karrieren im Konjunktiv ist das so eine Sache. "Eigentlich wäre ich jetzt Weltmeister" erzählt eine Geschichte von großen Erwartungen und unerfüllten Hoffnungen, es ist die Geschichte von Sergej Evljuskin, einem hochbegabten Fußballspieler, der "eigentlich" 2014 mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft das WM-Finale hätte gewinnen müssen. Dabei Regie führen. Das Spiel machen. Pässe wie Beckenbauer schlagen. Götzes Siegtor vorbereiten.
Doch auch mit Vergleichen ist das so eine Sache. Sicher, sie nannten ihn "Kaiser". Und ja, er gewann wie Götze zweimal die Fritz-Walter-Medaille in Gold - als bester deutscher Nachwuchsspieler. Doch ist der scheinbar logische Analogie-Schluss zutreffend? Evljuskin hat alle Jugend-Nationalmannschaften durchlaufen, war sogar ihr Kapitän. Er führte seine Jahrgangskameraden Boateng, Höwedes und Özil an. Aber wie war noch gleich sein Name?
Sergej Evljuskin, 1988 in Kirgistan geboren, zwei Jahre später mit seinen Eltern nach Deutschland ausgewandert. Ein Vater, der nie richtig in Deutschland ankommt und irgendwann abhaut. Eine Mutter, die doppelt arbeitet, um ihre vier Kinder durchzukriegen. Eine Oma, die Dankbarkeit predigt, es überhaupt so weit geschafft zu haben. Und ein Junge, der brav ist, folgsam, lernwillig. Der unbedingt Abitur machen will und es auch schafft. Und der zudem hochbegabt ist am Ball, der unbedingt Fußballprofi werden will. Wie so viele Kinder. Und es sogar schafft.
Beim kleinen Braunschweiger SC ist er groß geworden. Als Jugendlicher wechselte er zum VfL Wolfsburg. Im Mittelfeld spielte er die zentrale Position, schlug präzise Pässe, überragte durch Vielseitigkeit und Präsenz auf dem Platz. Doch an der Schwelle zur Bundesliga konnte er sich nicht durchsetzen. Erst wurde er von Klaus Augenthaler nicht beachtet, dann ging er in Felix Magaths riesigem Kader unter. Zweite Mannschaft statt erster Geige. Regionalliga statt großer Bühne. Vielseitigkeit kann auch ein Nachteil sein. Sein Weg verläuft seitwärts: Rot-Weiss Essen, Hansa Rostock, SV Babelsberg, Goslarer SC und schließlich Hessen Kassel.
Und irgendwie passt das. Denn nach der Logik des Buches würde Hessen Kassel "eigentlich" Bundesliga spielen. In den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren die Nordhessen eine große Nummer in der zweiten Liga, wurden viermal Vierter, verpassten stets hauchdünn den Aufstieg in die Bundesliga. Danach ging es bergab, mit einem Konkurs 1998 als Tiefpunkt, dem Absturz bis in die Kreisliga A. Längst spielen die Hessen wieder Regionalliga. Einmal hätte es sogar fast mit dem Aufstieg in die dritte Liga geklappt. Das wäre auch für Sergej Evljuskin noch mal ein Erfolg.
Ansonsten ist er mit seinem Leben nicht unzufrieden: Abitur geschafft, Ausbildung abgeschlossen, Fernstudium am laufen. Leidenschaft wenigstens zum Nebenberuf gemacht. Für ein Aussiedlerkind gar nicht schlecht. Nur der ewige Vergleich mit dem Sergej von früher nervt, auch wenn er behauptet, dass es ihn amüsiert. Sergej Evljuskin hat gemeinsam mit Christoph Dörr keine große Literatur verfasst, aber ein ehrliches Bekenntnis abgelegt. Es lehrt die Leser, Lebensläufe zu akzeptieren. Möglicherweise auch die eigenen, unabhängig von den Erwartungen der anderen.
ad.
Sergej Evljuskin mit Christof Dörr: "Eigentlich wäre ich jetzt Weltmeister". Schwarzkopf & Schwarzkopf; 237 Seiten; 14,99 [Euro].
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