Produktdetails
- ISBN-13: 9783770138579
- ISBN-10: 3770138570
- Artikelnr.: 24943943
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2001Der Ikonologe im Kennerpelz
Rückkehr aus dem Exil: Erwin Panofskys Alte Niederländer erstmals auf deutsch
Nahezu fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen in der Harvard University Press im Jahr 1953 ist Erwin Panofskys großes Buch „Early Netherlandish Painting” nach Deutschland zurückgekehrt. 1947/48 hatte der bewunderte Gelehrte aus Princeton den Text in Harvard vorgetragen, aber Panofskys Interesse für die altniederländische Malerei reichte bis in seine Hamburger Zeit vor 1933 zurück. Schon damals hatte er über Jan van Eyck publiziert, Dissertationen aus dem Umkreis dieses Gebietes betreut, und schon der Hamburger Ordinarius wurde zum Schrecken des Konservators im „Cabinet des Manuscrits” der Pariser Nationalbibliothek, weil er eine Vielzahl von kostbaren franko-flämischen Handschriften einzusehen wünschte. Ja, man darf annehmen, dass die Genese dieses außerordentlichen Buches schon früher, in Panofskys Berliner Jahren vor und während des Ersten Weltkrieges, begann.
Seit Gustav Waagens, des späteren Berliner Galeriedirektors, Schrift „Über die Maler Hubert und Jan van Eyck” von 1822 war altniederländische Malerei ein Thema der Berliner Kunsthistoriker. Der größte Meister auf diesem Feld wurde der von Panofsky ebenso geachtete wie gefürchtete Max J. Friedlaender. Auch darf nicht vergessen werden, dass der junge Panofsky die Werke der alten Niederländer in der einzigartigen Berliner Sammlung kennen lernte, welche bis 1918 sogar Teile des berühmten Genter Altares umschlossen.
So kann man mit Fug und Recht von der späten Rückkehr eines exilierten Buches sprechen. Im Otium des Princetoner „Institute for Advanced Study” hat Panofsky viele seiner Hamburger Themen – die Studien zur Ikonologie, Dürer, Suger ebenso wie Altniederländische Malerei – ausgearbeitet und umgeschmolzen in die neue Sprache des Exils, die sich der vorzügliche Latinist und entzückte Henry-James-Leser mit sichtlichem literarischem Vergnügen anverwandelte.
Geniestreich des Ikonologen
Unter den Gebildeten war altniederländische Malerei seit der Romantik ein Gegenstand andächtiger Bewunderung gewesen, unter den Kunstgelehrten aber ein Reservat gelegentlich recht streitsüchtigen Kennertums. Panofsky stand zu den kunsthistorischen Kennern in einer zwiespältigen Beziehung. Er war zu klug, um sie zu verachten, aber in seiner eigenen Neigung zu philologischer oder mathematischer Exaktheit fühlte er sich durch die Unwägbarkeiten der kennerischen Kriterien auch irritiert. Erschwerend trat hinzu, dass in Max J. Friedlaenders vielbändiger „Altniederländischer Malerei” ein unübertroffenes, literarisch makelloses, ganz der Lust des Auges vertrauendes Monument des Kennertums vorlag. Gleich in den ersten Zeilen seines Vorwortes versicherte Panofsky fast erschrocken, er beabsichtige nicht, mit diesem „Opus Magnum” in Konkurrenz zu treten.
Er sah sich also vor der Aufgabe, in ein vertrautes, viel bearbeitetes Feld mit neuen kritischen Waffen einzutreten. Er musste seinen besonderen Scharfsinn, seine an der Erforschung der Kunsttheorie, der Perspektive, der Ikonologie und der Symbolischen Formen geschmiedeten Kriterien in ein Gebiet der Kunstgeschichte einbringen, welches bei den Liebhabern wie bei den Kennern anders codifiziert war. Als Panofskys Buch 1953 erschien, kam ihm viel Bewunderung entgegen, im Kreis der Eingeweihten aber löste es eine an Entrüstung grenzende Irritation aus. Sie empfanden, der Ikonologe habe die anschaulich gesättigte Malerei der alten Niederländer auf unangemessene Weise intellektualisiert.
Wer in den Museen zu Berlin oder London die Säle mit den altniederländischen Gemälden betritt, findet sich vor einer Phalanx leuchtender Bilder, welche mit dem Meister von Flemalle und van Eyck beginnt und bei den Ausläufern der Brügger Schule um 1500 endet. Folglich setzte Friedlaenders „Altniederändische Malerei” mit van Eyck ein – eine Einteilung, die auch Panofsky beibehielt. Aber Panofsky, der seit Hamburger Tagen durch seine Fähigkeit bestach, spezielle Probleme in der Polarität größerer historischer Zusammenhänge zu erörtern, konnte sich nicht damit zufrieden geben, die „Ars Nova” der Brüder van Eyck gleichsam wie Pallas Athene dem Haupt des Zeus entspringen zu lassen. Er suchte die bahnbrechende Neuerung der altniederländischen Malerei – die Spiegelung der sichtbaren Welt auf von auf von Farbe und Licht erfüllten Tafelgemälden – aus ihren formalen und spirituellen Voraussetzungen in der voraufgehenden hochmittelalterlichen Kunst zu erklären.
Das war ein Geniestreich, mit dem der Verfasser von „Idea” und „Studies in Iconology” das Verstehen der altniederländischen Malerei von einem kennerischen zu einem ikonologischen Problem erhob und den Edelsteinglanz der Tafeln van Eycks als „symbolische Form” in der Spannung zwischen der spirituellen und universellen Sprache der mittelalterlichen Kunst und dem neuen Nominalismus des 15. Jahrhunderts erscheinen ließ. Das hat uns damals als ein intelligibles Interpretationsmodell fasziniert – „un modèle pour nous tous” meinte André Chastel –, so wie es das Gemüt mancher älterer Kollegen verstörte.
Konsequent beginnt Panofsky seine „Altniederländische Malerei” nicht um 1400 mit Campin, sondern schon hundert Jahre früher mit Jean Pucelle, dem Pariser Buchmaler am Hof der Valois. Pucelle hatte die bahnbrechenden Neuerungen der toskanischen Maler um 1300 – Duccios und Giottos – in die lineare Sprache der gotischen Kunst eingeschmolzen. Er hat den Italienern das Verfahren der räumlichen Projektion und die Modellierung von Körpern durch Licht und Schatten so verständig abgesehen, dass Panofsky im Gespräch Pucelles winzige Stundenbücher geistreich als die „Arena-Kapelle des Nordens” zu bezeichnen pflegte. Es hat ihn sichtlich amüsiert, die Vorläufer der gewaltigen Altartafeln aus dem 15. Jahrhundert in den kostbaren kleinen Miniaturen aus den Stundenbüchern für die französischen Prinzessinnen zu entdecken. „Diese winzige Miniatur”, schrieb er über eine Beweinung von Pucelle, ”ist der Keim, aus dem die Passionsszenen Rogier van der Weydens erblühen sollten. Ein gutes Drittel seines Buches widmet er jenen französischen und francoflämischen Buchmalern, welche für das Luxusbedürfnis der Höfe in Paris, Bourges und Dijon kostbare Handschriften illuminierten und dabei die erstaunlichsten Entdeckungen in der Wiedergabe von Landschaften, von Licht und Luft, in der realistischen Schilderung von Physiognomien und Kostümen machten. Panofskys Beschreibungen dieser Miniaturen bleiben von einem unübertroffenen anschaulichen Witz, werden, wo es sich schickt, mit einem treffenden Vers von Charles „Orleans” oder von Shakespeare geschmückt. Der Leser ist bezaubert und zugleich wird ihm schmerzlich bewusst, wie viel an lebendiger Kultur, an gebildeter Anmut die kunsthistorische Literatur inzwischen verloren hat.
Auf dieses Vorspiel folgt jenes Kapitel, welches Panofskys Buch eigentlich berühmt gemacht hat. Es heißt „Realität und Symbol” und es trägt die ikonologische Deutung des neuen Realismus in der altniederländischen Malerei vor. Beigefügt ist ein Zitat von Thomas von Aquin „Spiritualia sub Metaphoris Corporalium”, was man übersetzen könnte: „Geistiges unter körperhaften Metaphern.” Es geht also um den alten platonischen Gegensatz von Körper und Geist, Sinnlichkeit und Spiritualität. Altniederländische Bilder spiegeln die körperliche Welt, aber sie lassen uns alltäglichen Gegenständen jene geistigen jene geistigen – das Heil verkündenden – Bedeutungen hervorleuchten, welche die theologische Exegese seit den Vätern diesen gewöhnlichen Dingen zugeschrieben hatte. Auf einem Bild von van Eyck sieht eine vom Licht durchschienene Karaffe aus wie ein bloßes Stillleben. Aber da dieses Gefäß auf einer Fensterbank neben der thronenden Muttergottes steht, ist es ein in die sinnliche Alltäglichkeit projiziertes Symbol für die unbefleckte Empfängnis.
Im Lichte solcher Deutungen verwandelt sich Jan van Eyck, den ältere Bewunderer aus den Tagen Zolas oder Max Liebermanns vor allem als Realisten gefeiert hatten, bei Panofsky in den subtilen Vermittler zwischen lockender sinnlicher Wirklichkeit und leuchtender spiritueller Symbolik. Panofsky, der seit seiner Begegnung mit der Philosophie des Hamburger Kollegen Ernst Cassirer den Problemen der platonischen Tradition und der symbolischen Formen nachgegangen war, fand in dem Begriff des disguised symbolism den Zauberschlüssel zu jenem Glanz, der über die Bilder von Jan van Eyck ausgebreitet ist
Es hat an diesem Begriff des „disguised symbolism” viel Kritik gegeben und es ist nicht zu bestreiten, dass er Verwirrung gestiftet hat. Wie nämlich soll man den Übergang von der natürlichen Erscheinung eines gemalten Gegenstandes – also der Karaffe oder des Apfels – zu seiner verborgenen spirituellen Symbolik mit Hilfe rationaler und vor allem nachprüfbarer Kriterien ermitteln? Panofsky hatte eine methodische Pandorabüchse geöffnet, aus der sich weniger belichtete Epigonen bedeutungssüchtig bedienten. Epidemisch breitete sich die Entdeckung von verkleideten Symbolismen aus. Aber an der Hellsichtigkeit von Panofskys Entschlüsselung der verborgenen Symbolik auf Bildern Jan van Eycks ändert das – aller aufgeregten Kritik zum Trotz – nicht das Geringste. Ja, in der gegenwärtigen Situation, in welcher Bilder nur noch als emotionale Entladungen von Lust und Terror erlebt werden, gewinnt der surreale Wunschtraum vom „disguised symbolism” kontrafaktische Aktualität, weil er an die intelligible Metaphorik älterer Bildsprachen erinnert.
Herzstück des Buches, in dem sich die Leidenschaft des Autors für seinen Gegenstand voll entflammt, in dem seine Argumentation ihr höchstes Tempo und seine Sprache eine bilderreiche Fülle ohnegleichen gewinnt, sind die Kapitel, die sich mit den „founding fathers” und größten Meistern der altniederländischen Malerei befassen: Robert Campin, Jan van Eyck und Rogier van der Weyden. Jedem von diesen Genies widmet Panofsky eine kristalline Monographie, in der er die Probleme der Attribution und der Chronologie auf dem damaligen Stand der Forschung akribisch diskutiert, vor allem aber ein Porträt dieser Künstler entwirft, welches den scharfen Umriss einer Medaille mit der atmenden Lebendigkeit einer Skizze verbindet.
Du tiefes Gewässer
„Von der sinnlichen Schönheit eines echten Jan van Eyck geht eine seltsame Faszination aus, vergleichbar mit der Anziehungskaft kostbarer Juwelen oder dem Blick in ein tiefes Gewässer”. An diesem Satz wird erkennbar, wie sehr der als intellektuell gescholtene „disguised symbolism” mit der bewundernden, geradezu hypnotisierten Versenkung in den Anblick der Bilder Jan van Eycks verbunden war. Wo die Sprache ihm nicht mehr zureichend schien, um die beseelte Wirkung eines Eyckschen Bildes einzufangen, griff Panofsky zur musikalischen Metapher. So heißt es über die zauberhafte späte Madonna am Springbrunnen: „Dem Betrachter vermittelt es eine ähnliche Erfahrung wie dem Zuhörer eines Klavichord-Konzerts, dessen Ohr, sobald es sich an das geringere Klangvolumen des Instruments gewöhnt hat, dynamische Nuancen deutlicher wahrnimmt als dort, wo es kräftigeren Tönen ausgesetzt ist.”
Wer möchte mit solchen Sätzen im Ohr glauben, dass eine schiefäugige Kritik diesem intelligentesten aller Kunsthistoriker einst hämisch die Gabe des „Sehens” absprach? Freilich blieb Panofsky in seinen Äußerungen über Bilder diskret und er sah Bilder so wie er Musik hörte, Gedichte und Romane las, nicht abstrakt, sondern als künstlerische Übersetzung lebendiger, von Geschichten, Sagen und Legenden erfüllter Wirklichkeit. Das verleiht auch dem Buch über die altniederländische Malerei seinen unvergangenen Zauber.
In Jochen Sander und Stephan Kamperdick hat Panofskys „Early Netherlandish Painting” zwei Übersetzer gefunden, die sich in Satzbau und Klang von Panofskys limpidem Englisch sensibel eingefühlt haben. Trotzdem reicht eine schmerzliche historische Paradoxie bis in diese Übersetzung hinein. Über alle Bitterkeit von 1933 hatte Panofsky sich ein liebevoll vertrautes Verhältnis zur deutschen Sprache bewahrt. Nun aber schieb er mit gleicher Liebe Englisch und dieses erworbene Englisch kann nur in einem dem Exilierten fremden Klang in dessen Muttersprache zurückgeholt werden. Der Riss der Emigration lässt sich nicht schließen.
WILLIBALD SAUERLÄNDER
ERWIN PANOFSKY: Altniederländische Malerei. Verlag Dumont, Köln 2001. 800 Seiten, zahlr. Abb., geb., 348 Mark.
„Geistiges unter körperhaften Metaphern” entdeckte Panofsky und entwickelte seine Analyse aus der Anschauung.
Foto:
Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Rückkehr aus dem Exil: Erwin Panofskys Alte Niederländer erstmals auf deutsch
Nahezu fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen in der Harvard University Press im Jahr 1953 ist Erwin Panofskys großes Buch „Early Netherlandish Painting” nach Deutschland zurückgekehrt. 1947/48 hatte der bewunderte Gelehrte aus Princeton den Text in Harvard vorgetragen, aber Panofskys Interesse für die altniederländische Malerei reichte bis in seine Hamburger Zeit vor 1933 zurück. Schon damals hatte er über Jan van Eyck publiziert, Dissertationen aus dem Umkreis dieses Gebietes betreut, und schon der Hamburger Ordinarius wurde zum Schrecken des Konservators im „Cabinet des Manuscrits” der Pariser Nationalbibliothek, weil er eine Vielzahl von kostbaren franko-flämischen Handschriften einzusehen wünschte. Ja, man darf annehmen, dass die Genese dieses außerordentlichen Buches schon früher, in Panofskys Berliner Jahren vor und während des Ersten Weltkrieges, begann.
Seit Gustav Waagens, des späteren Berliner Galeriedirektors, Schrift „Über die Maler Hubert und Jan van Eyck” von 1822 war altniederländische Malerei ein Thema der Berliner Kunsthistoriker. Der größte Meister auf diesem Feld wurde der von Panofsky ebenso geachtete wie gefürchtete Max J. Friedlaender. Auch darf nicht vergessen werden, dass der junge Panofsky die Werke der alten Niederländer in der einzigartigen Berliner Sammlung kennen lernte, welche bis 1918 sogar Teile des berühmten Genter Altares umschlossen.
So kann man mit Fug und Recht von der späten Rückkehr eines exilierten Buches sprechen. Im Otium des Princetoner „Institute for Advanced Study” hat Panofsky viele seiner Hamburger Themen – die Studien zur Ikonologie, Dürer, Suger ebenso wie Altniederländische Malerei – ausgearbeitet und umgeschmolzen in die neue Sprache des Exils, die sich der vorzügliche Latinist und entzückte Henry-James-Leser mit sichtlichem literarischem Vergnügen anverwandelte.
Geniestreich des Ikonologen
Unter den Gebildeten war altniederländische Malerei seit der Romantik ein Gegenstand andächtiger Bewunderung gewesen, unter den Kunstgelehrten aber ein Reservat gelegentlich recht streitsüchtigen Kennertums. Panofsky stand zu den kunsthistorischen Kennern in einer zwiespältigen Beziehung. Er war zu klug, um sie zu verachten, aber in seiner eigenen Neigung zu philologischer oder mathematischer Exaktheit fühlte er sich durch die Unwägbarkeiten der kennerischen Kriterien auch irritiert. Erschwerend trat hinzu, dass in Max J. Friedlaenders vielbändiger „Altniederländischer Malerei” ein unübertroffenes, literarisch makelloses, ganz der Lust des Auges vertrauendes Monument des Kennertums vorlag. Gleich in den ersten Zeilen seines Vorwortes versicherte Panofsky fast erschrocken, er beabsichtige nicht, mit diesem „Opus Magnum” in Konkurrenz zu treten.
Er sah sich also vor der Aufgabe, in ein vertrautes, viel bearbeitetes Feld mit neuen kritischen Waffen einzutreten. Er musste seinen besonderen Scharfsinn, seine an der Erforschung der Kunsttheorie, der Perspektive, der Ikonologie und der Symbolischen Formen geschmiedeten Kriterien in ein Gebiet der Kunstgeschichte einbringen, welches bei den Liebhabern wie bei den Kennern anders codifiziert war. Als Panofskys Buch 1953 erschien, kam ihm viel Bewunderung entgegen, im Kreis der Eingeweihten aber löste es eine an Entrüstung grenzende Irritation aus. Sie empfanden, der Ikonologe habe die anschaulich gesättigte Malerei der alten Niederländer auf unangemessene Weise intellektualisiert.
Wer in den Museen zu Berlin oder London die Säle mit den altniederländischen Gemälden betritt, findet sich vor einer Phalanx leuchtender Bilder, welche mit dem Meister von Flemalle und van Eyck beginnt und bei den Ausläufern der Brügger Schule um 1500 endet. Folglich setzte Friedlaenders „Altniederändische Malerei” mit van Eyck ein – eine Einteilung, die auch Panofsky beibehielt. Aber Panofsky, der seit Hamburger Tagen durch seine Fähigkeit bestach, spezielle Probleme in der Polarität größerer historischer Zusammenhänge zu erörtern, konnte sich nicht damit zufrieden geben, die „Ars Nova” der Brüder van Eyck gleichsam wie Pallas Athene dem Haupt des Zeus entspringen zu lassen. Er suchte die bahnbrechende Neuerung der altniederländischen Malerei – die Spiegelung der sichtbaren Welt auf von auf von Farbe und Licht erfüllten Tafelgemälden – aus ihren formalen und spirituellen Voraussetzungen in der voraufgehenden hochmittelalterlichen Kunst zu erklären.
Das war ein Geniestreich, mit dem der Verfasser von „Idea” und „Studies in Iconology” das Verstehen der altniederländischen Malerei von einem kennerischen zu einem ikonologischen Problem erhob und den Edelsteinglanz der Tafeln van Eycks als „symbolische Form” in der Spannung zwischen der spirituellen und universellen Sprache der mittelalterlichen Kunst und dem neuen Nominalismus des 15. Jahrhunderts erscheinen ließ. Das hat uns damals als ein intelligibles Interpretationsmodell fasziniert – „un modèle pour nous tous” meinte André Chastel –, so wie es das Gemüt mancher älterer Kollegen verstörte.
Konsequent beginnt Panofsky seine „Altniederländische Malerei” nicht um 1400 mit Campin, sondern schon hundert Jahre früher mit Jean Pucelle, dem Pariser Buchmaler am Hof der Valois. Pucelle hatte die bahnbrechenden Neuerungen der toskanischen Maler um 1300 – Duccios und Giottos – in die lineare Sprache der gotischen Kunst eingeschmolzen. Er hat den Italienern das Verfahren der räumlichen Projektion und die Modellierung von Körpern durch Licht und Schatten so verständig abgesehen, dass Panofsky im Gespräch Pucelles winzige Stundenbücher geistreich als die „Arena-Kapelle des Nordens” zu bezeichnen pflegte. Es hat ihn sichtlich amüsiert, die Vorläufer der gewaltigen Altartafeln aus dem 15. Jahrhundert in den kostbaren kleinen Miniaturen aus den Stundenbüchern für die französischen Prinzessinnen zu entdecken. „Diese winzige Miniatur”, schrieb er über eine Beweinung von Pucelle, ”ist der Keim, aus dem die Passionsszenen Rogier van der Weydens erblühen sollten. Ein gutes Drittel seines Buches widmet er jenen französischen und francoflämischen Buchmalern, welche für das Luxusbedürfnis der Höfe in Paris, Bourges und Dijon kostbare Handschriften illuminierten und dabei die erstaunlichsten Entdeckungen in der Wiedergabe von Landschaften, von Licht und Luft, in der realistischen Schilderung von Physiognomien und Kostümen machten. Panofskys Beschreibungen dieser Miniaturen bleiben von einem unübertroffenen anschaulichen Witz, werden, wo es sich schickt, mit einem treffenden Vers von Charles „Orleans” oder von Shakespeare geschmückt. Der Leser ist bezaubert und zugleich wird ihm schmerzlich bewusst, wie viel an lebendiger Kultur, an gebildeter Anmut die kunsthistorische Literatur inzwischen verloren hat.
Auf dieses Vorspiel folgt jenes Kapitel, welches Panofskys Buch eigentlich berühmt gemacht hat. Es heißt „Realität und Symbol” und es trägt die ikonologische Deutung des neuen Realismus in der altniederländischen Malerei vor. Beigefügt ist ein Zitat von Thomas von Aquin „Spiritualia sub Metaphoris Corporalium”, was man übersetzen könnte: „Geistiges unter körperhaften Metaphern.” Es geht also um den alten platonischen Gegensatz von Körper und Geist, Sinnlichkeit und Spiritualität. Altniederländische Bilder spiegeln die körperliche Welt, aber sie lassen uns alltäglichen Gegenständen jene geistigen jene geistigen – das Heil verkündenden – Bedeutungen hervorleuchten, welche die theologische Exegese seit den Vätern diesen gewöhnlichen Dingen zugeschrieben hatte. Auf einem Bild von van Eyck sieht eine vom Licht durchschienene Karaffe aus wie ein bloßes Stillleben. Aber da dieses Gefäß auf einer Fensterbank neben der thronenden Muttergottes steht, ist es ein in die sinnliche Alltäglichkeit projiziertes Symbol für die unbefleckte Empfängnis.
Im Lichte solcher Deutungen verwandelt sich Jan van Eyck, den ältere Bewunderer aus den Tagen Zolas oder Max Liebermanns vor allem als Realisten gefeiert hatten, bei Panofsky in den subtilen Vermittler zwischen lockender sinnlicher Wirklichkeit und leuchtender spiritueller Symbolik. Panofsky, der seit seiner Begegnung mit der Philosophie des Hamburger Kollegen Ernst Cassirer den Problemen der platonischen Tradition und der symbolischen Formen nachgegangen war, fand in dem Begriff des disguised symbolism den Zauberschlüssel zu jenem Glanz, der über die Bilder von Jan van Eyck ausgebreitet ist
Es hat an diesem Begriff des „disguised symbolism” viel Kritik gegeben und es ist nicht zu bestreiten, dass er Verwirrung gestiftet hat. Wie nämlich soll man den Übergang von der natürlichen Erscheinung eines gemalten Gegenstandes – also der Karaffe oder des Apfels – zu seiner verborgenen spirituellen Symbolik mit Hilfe rationaler und vor allem nachprüfbarer Kriterien ermitteln? Panofsky hatte eine methodische Pandorabüchse geöffnet, aus der sich weniger belichtete Epigonen bedeutungssüchtig bedienten. Epidemisch breitete sich die Entdeckung von verkleideten Symbolismen aus. Aber an der Hellsichtigkeit von Panofskys Entschlüsselung der verborgenen Symbolik auf Bildern Jan van Eycks ändert das – aller aufgeregten Kritik zum Trotz – nicht das Geringste. Ja, in der gegenwärtigen Situation, in welcher Bilder nur noch als emotionale Entladungen von Lust und Terror erlebt werden, gewinnt der surreale Wunschtraum vom „disguised symbolism” kontrafaktische Aktualität, weil er an die intelligible Metaphorik älterer Bildsprachen erinnert.
Herzstück des Buches, in dem sich die Leidenschaft des Autors für seinen Gegenstand voll entflammt, in dem seine Argumentation ihr höchstes Tempo und seine Sprache eine bilderreiche Fülle ohnegleichen gewinnt, sind die Kapitel, die sich mit den „founding fathers” und größten Meistern der altniederländischen Malerei befassen: Robert Campin, Jan van Eyck und Rogier van der Weyden. Jedem von diesen Genies widmet Panofsky eine kristalline Monographie, in der er die Probleme der Attribution und der Chronologie auf dem damaligen Stand der Forschung akribisch diskutiert, vor allem aber ein Porträt dieser Künstler entwirft, welches den scharfen Umriss einer Medaille mit der atmenden Lebendigkeit einer Skizze verbindet.
Du tiefes Gewässer
„Von der sinnlichen Schönheit eines echten Jan van Eyck geht eine seltsame Faszination aus, vergleichbar mit der Anziehungskaft kostbarer Juwelen oder dem Blick in ein tiefes Gewässer”. An diesem Satz wird erkennbar, wie sehr der als intellektuell gescholtene „disguised symbolism” mit der bewundernden, geradezu hypnotisierten Versenkung in den Anblick der Bilder Jan van Eycks verbunden war. Wo die Sprache ihm nicht mehr zureichend schien, um die beseelte Wirkung eines Eyckschen Bildes einzufangen, griff Panofsky zur musikalischen Metapher. So heißt es über die zauberhafte späte Madonna am Springbrunnen: „Dem Betrachter vermittelt es eine ähnliche Erfahrung wie dem Zuhörer eines Klavichord-Konzerts, dessen Ohr, sobald es sich an das geringere Klangvolumen des Instruments gewöhnt hat, dynamische Nuancen deutlicher wahrnimmt als dort, wo es kräftigeren Tönen ausgesetzt ist.”
Wer möchte mit solchen Sätzen im Ohr glauben, dass eine schiefäugige Kritik diesem intelligentesten aller Kunsthistoriker einst hämisch die Gabe des „Sehens” absprach? Freilich blieb Panofsky in seinen Äußerungen über Bilder diskret und er sah Bilder so wie er Musik hörte, Gedichte und Romane las, nicht abstrakt, sondern als künstlerische Übersetzung lebendiger, von Geschichten, Sagen und Legenden erfüllter Wirklichkeit. Das verleiht auch dem Buch über die altniederländische Malerei seinen unvergangenen Zauber.
In Jochen Sander und Stephan Kamperdick hat Panofskys „Early Netherlandish Painting” zwei Übersetzer gefunden, die sich in Satzbau und Klang von Panofskys limpidem Englisch sensibel eingefühlt haben. Trotzdem reicht eine schmerzliche historische Paradoxie bis in diese Übersetzung hinein. Über alle Bitterkeit von 1933 hatte Panofsky sich ein liebevoll vertrautes Verhältnis zur deutschen Sprache bewahrt. Nun aber schieb er mit gleicher Liebe Englisch und dieses erworbene Englisch kann nur in einem dem Exilierten fremden Klang in dessen Muttersprache zurückgeholt werden. Der Riss der Emigration lässt sich nicht schließen.
WILLIBALD SAUERLÄNDER
ERWIN PANOFSKY: Altniederländische Malerei. Verlag Dumont, Köln 2001. 800 Seiten, zahlr. Abb., geb., 348 Mark.
„Geistiges unter körperhaften Metaphern” entdeckte Panofsky und entwickelte seine Analyse aus der Anschauung.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit seiner jetzt endlich ins Deutsche übersetzten Untersuchung "Die altniederländische Malerei. Ihr Ursprung und Wesen" hat Erwin Panofsky eine synoptische Darstellung des Entwicklungsganges der altniederländischen Malerei verfasst, "der bis heute nichts von gleichem Rang zur Seite zu stellen ist", erklärt Gregor Wedekind gleich zu Beginn seiner außergewöhnlich langen Rezension kategorisch. Gewaltig imponiert Wedekind die "stupende Kenntnis", mit der Panofsky sein Material ausbreitet, seine Fähigkeit, ihm "historische Tiefenschärfe" zu geben und dabei die religionsgeschichtlichen und weltanschaulichen Hintergründe genauso wie Fragen der Gattungen, der Materialien und Aufgaben zu berücksichtigen. Im Zentrum von Panofskys Untersuchung stehen die malerischen Neuerungen, die sich zur Mitte des 14. Jahrhunderts in Nordeuropa ankündigten, und dann bei den Großmeister der altniederländischen Malerei, wie Flémalle, Jan van Eyck oder Rogier von der Weyden zur Vollendung kamen, weiß Wedekind. Er hebt insbesondere das fünfte Kapitel hervor, das Panofskys berühmte Formel vom "disguised symbolism" in der altniederländische Malerei enthält. Die Herausgeber Jochen Sander und Staphan Kemperdick lobt Wedekind für ihre "sehr gelungene Übersetzung". Obwohl das Buch ein hoch spezialisiertes Fachbuch sei, legt es Wedekind auch Laien wärmstens ans Herz. Die Zweiteilung in einen Text- und einen Bildband, die der Dumont-Verlag beibehalten hat, hält Wedekind für richtig, wünscht sich vom Verlag allerdings eine preisgünstigere Studienausgabe. Vorliegende Ausgabe ist seiner Ansicht nach ein Luxusprodukt geworden, wobei er moniert, dass die Qualität der Farbabbildungen im Unterschied zu den Schwarzweißabbildungen nicht optimal ist. Nichtsdestoweniger: dass man Panofskys kulturhistorischen Klassiker jetzt auch auf deutsch studieren kann, ist für Wedekind wahrhaft eine "glückliche Fügung".
© Perlentaucher Medien GmbH
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