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Mit dem Ende der DDR verloren die meisten der rund 2000 Kulturhäuser im Land auch ihre finanziellen Träger. Im Einigungsvertrag aber wurden sie vergessen, nirgends fand sich ein Budget für sie. Viele von ihnen wurden daher entweder geschlossen oder vorübergehend in Verkaufsmärkte umgewandelt und sind heute in ihrem Bestand gefährdet. Die vielfältig nutzbaren Gebäude sind keineswegs nur Produkte des "Bitterfelder Weges" oder der Kulturoffensive der fünfziger Jahre, sondern setzen die Volkshaustradition der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts fort. Die Wurzeln dieser sozialreformerischen Bewegung…mehr

Produktbeschreibung
Mit dem Ende der DDR verloren die meisten der rund 2000 Kulturhäuser im Land auch ihre finanziellen Träger. Im Einigungsvertrag aber wurden sie vergessen, nirgends fand sich ein Budget für sie. Viele von ihnen wurden daher entweder geschlossen oder vorübergehend in Verkaufsmärkte umgewandelt und sind heute in ihrem Bestand gefährdet. Die vielfältig nutzbaren Gebäude sind keineswegs nur Produkte des "Bitterfelder Weges" oder der Kulturoffensive der fünfziger Jahre, sondern setzen die Volkshaustradition der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts fort. Die Wurzeln dieser sozialreformerischen Bewegung reichen weit bis in das 19. Jahrhundert zurück, als in England und in der Schweiz die ersten Häuser entstanden, um Arbeitern die Möglichkeit der Versammlung, Bildung und kulturellen Betätigung außerhalb von Kirchen und Kneipen zu bieten. Der vorliegende Band rekonstruiert die Geschichte der Volkshausbewegung und beschreibt die Entstehungsbedingungen der ostdeutschen Kulturhäuser. Über 50 von ihnen werden exemplarisch dokumentiert - in ihrer architektonischen Vielfalt wie in ihrer gestalterischen Pracht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1996

Tanze mit mir in den Sozialismus hinein
Wo die Freizeit der Arbeiter und Bauern verstaatlicht wurde - die Kulturhäuser der DDR / Von Heinrich Wefing

Die Tempel, in denen die SED-Kulturfunktionäre den Neuen Menschen zu formen suchten, sind zu profanen Hallen verkommen: Wo einst das Ritual der Maifeiern, Frauentagsversammlungen und Jugendweihen den sozialistischen Alltag rhythmisierte, regiert der Verfall. Wo die Eisenbahnerchöre sangen, residieren nun Teppichhäuser und Großmärkte. Nur die Säulenportici der DDR-Kulturhäuser lassen noch ihre vergangene Größe ahnen.

Hinter ihren Fassaden, die heute skurril anmuten, hinter der Behäbigkeit ihrer Edelholzverblendungen und schmiedeeisernen Gitter, hinter den Wandbildern, die in mäßiger Variationsbreite die immergleiche Geschichte von Solidarität und Völkerfreundschaft erzählen, verbirgt sich ein Stück Lebenswelt der DDR. In den verwaisten Sälen spielten vierzig Jahre lang die Arbeitertheater, standen die Kumpel hinter der Kamera, tobten die bunten Betriebsfeste mit Tanz und Tombola, deren Preise die Kunsthandwerkszirkel übers Jahr gestaltet hatten. Als Sedimente eines untergegangenen Systems künden die Kulturhäuser von einer verordneten Geselligkeit, die das Pathos der Kathedrale mit der Praxis des Kleingartenvereins verschmolz.

In krassem Gegensatz zu den kargen Wohnungen der Werktätigen, die aller bürgerlichen Repräsentanz entkleidet waren, schufen die Kulturhäuser im Schatten der Hochöfen eine sorgfältig inszenierte öffentliche Bühne, die das Private ins Gesellschaftliche hinein verlängerte: "Hier mietete man sich ein, um Hochzeit zu feiern, hier lernte man tanzen oder vor vielen Menschen frei zu sprechen." Um solcher Erlebnisse willen identifizieren sich viele Ostdeutsche "noch nachträglich gern mit diesen Häusern".

Simone Hains kluger Essay über die Geschichte der Kulturhäuser, den Fotografien Michael Schroedters illustrieren, räumt diesen Freizeitkombinaten den gebührenden Platz in der Topographie der gesamtdeutschen Erinnerung ein, ohne in ostalgische Schwärmerei zu verfallen. Zugleich bietet ihre ästhetische Analyse der Kulturhäuser, die über bloße Symbolforschung weit hinausgeht, eine knappe Einführung in die Kulturpolitik der DDR. Zwar hatte nicht jeder Parteitagsbeschluß, nicht jeder Bitterfelder Weg, nicht jedes gelegentliche Tauwetter unmittelbaren Einfluß auf die Gestalt der Kulturhäuser. Doch zeigt ihre Architektur drei grundverschiedene Phasen, die von der ideologischen Großwetterlage diktiert wurden.

Um die Industriearbeiter an das neue System zu binden, wurden schon im Zuge des ersten Fünfjahresplanes Kulturhäuser an allen wichtigen Produktionsstandorten geschaffen: in Bitterfeld und Henningsdorf, bei den Kabelwerken Oberspree, bei Buna in Schkopau, bei den Braunkohlewerken in Nachterstedt und Espenhain. Einige dieser frühesten Bauten entstanden noch in der Tradition des Neuen Bauens und kombinierten großzügige Glasflächen mit Sichtmauerwerk.

Bald jedoch setzte sich der "Sozialistische Realismus" auch im Kulturhausbau durch. 1953 publizierte die Deutsche Bauakademie einen "Schemaplan für Kulturhäuser", der einen kompakten, achsialsymmetrischen Baukörper in "würdiger, eindrucksvoller Gestaltung" vorschrieb. Säulenvorhallen, Freitreppen und Dreiecksgiebel sollten den "notwendigen repräsentativen Ausdruck" garantieren.

Entgegen den ehrgeizigen Plänen der sozialistischen Menschenfischer, die ihr Netz über die ganze DDR auswerfen wollten, blieb es wegen der beschränkten Ressourcen freilich häufig genug bei Ankündigungen. Während viele Betriebe jahrelang mit umfunktionierten Kinosälen oder ehemaligen Vorstandskasinos vorlieb nehmen mußten, versponnen sich die Planer in wahrhaft babylonische Türme volkseigener Kultur: eine historisierende Stadtkrone für Stalinstadt etwa oder ein bizarres Kompositum aus Markthalle, Rathaus und Palais mit rustiziertem Erdgeschoß, Schaugiebel und Glockentürmchen für Neubrandenburg. Diese nie realisierten Entwürfe sind Teil des Versuchs, an längst verschüttete Traditionslinien anknüpfend, einen synthetischen "Heimatstil" zu schaffen, "national in der Form, sozialistisch im Inhalt".

Die damit verbundene Abkehr von der Moderne, der sich unmittelbar nach dem Kriege auch im Osten Deutschlands noch alle Architekten verpflichtet gefühlt hatten - und zu der sie zehn Jahre später allesamt zurückkehren sollten -, besaß handfeste politische Gründe. Die von der Bauakademie mit völkischem Unterton propagierte "Verteidigung der deutschen Architektur" appellierte an antiamerikanische Ressentiments in Westdeutschland: Das nach sowjetischem Vorbild erlassene "Aufbaugesetz" der DDR bekämpfte die "kosmopolitischen" Leitbilder des Neuen Bauens als "Ausdruck kapitalistischer Ausbeutung und volksferner Ästhetik". Zugleich wurde der soziale Wohnungsbau der Weimarer Republik als "sozialdemokratisch und reformistisch" denunziert: Er sei, hieß es im "Neuen Deutschland", "letztlich beim Existenzminimum, der räumlichen Einhegung der Klosettbrille, verendet".

Der erste deutsche Arbeiter-und-Bauernstaat hingegen versprach Schlösser für die Werktätigen und Tempel für die Erholungs-Suchenden. So entstand nach jahrelangen Vorarbeiten der Kulturpalast der Maxhütte in Unterwellenborn, vermeintlich die Ideallösung für ein harmonisch in die Landschaft gebettetes Kulturhaus. Raumgreifend thronte die barocke Anlage auf einem Hügel über dem Stahlwerk, "ein Geschenk des Sozialismus an den werktätigen Menschen", wie Josef Kaiser verkündete, der als Chefarchitekt für die Verpackung dieses Präsents zuständig war.

Kaiser selbst war alles andere als ein Sozialist. Seine künstlerischen Wurzeln lagen in den idealistischen Manifesten der Jahrhundertwende. Er hatte schon mit den Nationalsozialisten paktiert, um für die "Deutsche Arbeitsfront" eine wahrhaft deutsche Volksarchitektur zu schaffen, und hatte in dieser Funktion den von den Nazis geächteten Hans Scharoun mit kleineren Aufträgen über Wasser gehalten. Kaisers Lebensweg beweist einmal mehr, welch flinke Wendehälse auch Architekten sein können, bereit, ihre Skizzenblätter in jedes ideologische Lüftchen zu hängen, um nur ja keinen Auftrag zu verpassen.

Mehr Kopfzerbrechen als diese biographischen Kontinuitäten bereiteten den DDR-Architekturprogrammatikern allerdings die formalen. Viele Kulturhäuser der fünfziger und sechziger Jahre nämlich glichen in Gestus und Gestalt, in Detail und Dekor unübersehbar den neoklassizistischen Repräsentationsbauten der Nationalsozialisten. Im Rückblick auf die Aufbaujahre schrieb daher Kurt Liebknecht, der Präsident der Deutschen Bauakademie: "Erschwerend bei der Wiederbelebung des Klassizismus war für uns damals, daß der Faschismus diesen Stil mißbraucht hatte, um damit seine abscheuliche und brutale Weltanschauung zum Ausdruck zu bringen." Noch heute mutet es auf den ersten Blick merkwürdig an, daß sich zwei derart unterschiedliche Systeme in ihrer Selbstdarstellung so nahe kommen.

Den beiden verwandten Formkonzepten spürt Ulrich Hartung in seiner Berliner Dissertation "Arbeiter-und-Bauerntempel. DDR-Kulturhäuser der fünfziger Jahre" nach. Indem er die Diskussion der letzten zehn Jahre über das problematische Verhältnis von Politik und Architektur souverän ignoriert, tappt er dabei allerdings zielsicher in die Stilfalle. Statt sich der Frage zu widmen, ob es denn je eine genuin "nationalsozialistische Architektur" oder einen spezifisch "sozialistischen Stil" gegeben hat, allgemeiner: ob Steine überhaupt politische Botschaften transportieren können, sucht Hartung Unterschiede herbeizureden, die es nicht gibt. Der "Naziklassizismus" ist bei ihm stets "martialisch", "überwältigend", ja "brutal" und in seiner "militärischen Heroik vollkommen ungeeignet, den Ansprüchen der SED-Baufunktionäre zu entsprechen".

Nie trennt Hartung zwischen den Worten der Bauherren, die den architektonischen Formen politische Aussagen zuzuschreiben versuchen, und dem Gehalt der Formen selbst. So gerät ihm die Baugeschichte hübsch übersichtlich: hier die sozialistische Säule, die gemeinsam mit dem sie überfangenden Dreiecksgiebel "dem starken Wunsch nach dem Aufgehen des Einzelnen im Kollektiv die gebaute Erfüllung" gibt. Dort die "klotzige" Pfeilerreihe der Nazibauten, die den "Kampf als ewiges Lebensprinzip verherrlicht". Und selbst noch in der starken Farbigkeit des Kulturpalastes von Unterwellenborn - "Rosa für die Fonds, Weiß für die Gliederungen" - glaubt Hartung im Vergleich zu den "Kalksteinklötzen der NS-Architektur mit ihrem kalten Grau" einen Beleg für seine These zu finden, "daß es sich bei der nationalsozialistischen und der stalinistischen Architektur um zwei grundverschiedene Gestaltungskonzepte" gehandelt habe.

Mit dem ideologischen Tauwetter der Chruschtschow-Ära war das nationalkonservative Pathos der Kulturhäuser jedoch schlagartig veraltet. Plötzlich hieß es: "Bitte, bitte keine Säulen. Wir wollen modern leben!" Auch funktionell entsprachen die wagnertauglichen Großbauten nicht mehr den Bedürfnissen, seit das Fernsehen in die DDR-Wohnstuben eingezogen war und die Werktätigen lieber zu Hause blieben. Statt der starren Guckkastenbühnen forderten die Kulturfunktionäre nun flexible Räume, die auch ungezwungenere Formen der Kommunikation erlaubten.

Nach dem Vorbild des Gemeinschaftszentrums "Agora" im niederländischen Dronten entstanden polygonale Mehrzwecksäle innerhalb asymetrischer Gebäudekomplexe, deren fließende Foyerbereiche zwischen drinnen und draußen changierten. Ausgerechnet der Sozialismus schuf überdachte "Marktplätze", auf denen man sich treffen, Ausstellungen besuchen und Konzerten lauschen sollte. Der Prototyp dieser dritten Kulturhaus-Generation erlebte 1960 in Dresden seinen Durchbruch. Der Entwurf des Kollektivs Leopold Wiel brachte die neue industrielle Ästhetik nicht nur in der äußeren Gestalt des gläsernen Kubus zum Ausdruck, sondern auch im Innenausbau: abgehängte Decken, transparente Raumteiler und gerasterte Leichtbauelemente ergänzten das beschwingte Mobiliar, das mit einemmal "chic, charmant und stapelbar" zu sein hatte. Nicht nur auf einem Titelbild der Zeitschrift "Form und Zweck" aus dem Jahre 1983 nahmen Marx und seine Erben endlich im Freischwinger Platz.

Trotz aller demonstrativen Offenheit, trotz der Abkehr vom monumentalen Tempelbau der fünfziger Jahre blieben sich Kultur und Politik in den Kulturhäusern auch weiterhin nah. Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als im 1976 vollendeten Berliner Palast der Republik, der Volkskammer, Mehrzweckhalle und Milchbar unter einem Dach vereinte und schließlich gar als Wahllokal zur deutschen Einheit fungierte. In der Frage nach seiner asbestbelasteten Zukunft spitzt sich zugleich das Problem aller Kulturhäuser zu: Soll man sie nutzen oder negieren? Soll man sie abreißen oder als Erbe der Brüder und Schwestern im Osten annehmen, das es zu erwerben gilt, um es zu besitzen?

Simone Hain / Stephan Stroux / Michael Schroedter: "Die Salons der Sozialisten". Kulturhäuser in der DDR. Ch. Links Verlag, Berlin 1996. 192 S., Abb., 68,- DM.

Ulrich Hartung: "Arbeiter- und Bauerntempel". DDR-Kulturhäuser der fünfziger Jahre - ein architekturhistorisches Kompendium. Verlag Schelzky & Jeep, Berlin 1997. 219 S., Abb., br., 49,80 DM.

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""Salons der Sozialisten" nennt sich ein Buch, das hervorragenden Einblick in die 150jährige Geschichte und den Bestand der Kulturhäuser sowie den deutsch-deutschen Umgang mit kultureller Identität gibt. Freiraum Nr.9 Der Band von Hain, Stroux und Schroedter ist auch ein ästhetisch geglückter Versuch, sich dieser DDR-Realität und der Architektur kritisch und sensibel zu nähern. Der Tagesspiegel Neben den so dauerhaften Momentaufnahmen Schroedters und den kursorischen "Annäherungen an ein unbekanntes Land" von Stroux wird ein insgesamt gelungener Band komplettiert durch zwei Beiträge von Simone Hain. Junge Welt Unter dem Titel "Die Salons der Sozialisten" haben das "deutsch-deutsche" Autorenpaar Simone Hain (Ost) und Stephan Stroux (West) sowie der Fotograf Michael Schroedter Geschichte und Gegenwart der Kulturhäuser erstmals in einem prächtigen Bildband dokumentiert. Dresdner Morgenpost Simone Hains kluger Essay über die Geschichte der Kulturhäuser, den Fotografien Michael Schroedters illustrieren, räumt diesen Freizeitkombinaten den gebührenden Platz in der Topographie der gesamtdeutschen Erinnerung ein, ohne in ostalgische Schwärmerei zu verfallen. Zugleich bietet ihre ästhetische Analyse der Kulturhäuser, die über bloße Symbolforschung weit hinausgeht, eine Einführung in die Kulturpolitik der DDR. FAZ Zu Weihnachten kaufen und nicht verschenken, besser noch: schenken lassen - empfiehlt Dietrich Mühlberg. Scheinschlag Die Salons der Sozialisten - ein Buch, so hybrid wie ein Kulturhaus." (Bauwelt)…mehr