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Flottenverhandlungen und Berliner Risikopolitik 1914 Stephen Schröder analysiert die Verhandlungen über eine englisch-russische Marinekonvention und die Reaktion des Deutschen Reiches (1912/14) am Vorabend des Ersten Weltkriegs.
Welche Rolle spielten die Verhandlungen über eine englisch-russische Marinekonvention in der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs? Haben die geheim geführten Gespräche, die im Frühjahr 1914 durch einen deutschen Agenten verraten wurden, die Berliner Risikopolitik im Juli 1914 beeinflusst und somit zum Ausbruch des Krieges beigetragen? Wie erheblich ist ihre…mehr

Produktbeschreibung
Flottenverhandlungen und Berliner Risikopolitik 1914
Stephen Schröder analysiert die Verhandlungen über eine englisch-russische Marinekonvention und die Reaktion des Deutschen Reiches (1912/14) am Vorabend des Ersten Weltkriegs.
Welche Rolle spielten die Verhandlungen über eine englisch-russische Marinekonvention in der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs? Haben die geheim geführten Gespräche, die im Frühjahr 1914 durch einen deutschen Agenten verraten wurden, die Berliner Risikopolitik im Juli 1914 beeinflusst und somit zum Ausbruch des Krieges beigetragen? Wie erheblich ist ihre Einflussnahme einzuschätzen? Wie kam es überhaupt zur Aufnahme der Verhandlungen? Die Studie von Stephen Schröder gibt Antwort auf diese in der historischen Forschung umstrittenen Fragen und bietet die erste detaillierte, alle relevanten Aspekte und Akteure berücksichtigende Untersuchung der Flottenverhandlungen und ihrer Rückwirkungen auf das Deutsche Reich.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Dr. Stephen Schröder ist Wissenschaftlicher Assistent am Historischen Seminar der Universität Bonn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2007

Unfähige Maschinisten des Machtgetriebes
Das internationale Treiben im Juli 1914 und die englisch-russische Marinekonvention / Von Michael Salewski

Alle Diplomatie war Leerlauf, alle politische "Kunst" führte letztlich zu nichts. Als der Krieg zur Verblüffung aller da war, wollte niemand schuld gewesen sein, da ging es zu wie im Kindergarten: Ich nicht, der andere ist es gewesen!

Ben Akiba, denkt der Leser, also hatte Lloyd George doch recht - nur mit dem Unterschied, dass vor allem Deutschland nicht elegant "hineingeschlittert", sondern höchst tolpatschig "hineingestolpert" ist in den Ersten Weltkrieg. Und irgendwelche "Strömungen", "Tendenzen", gar metaphysische Zwänge gab es auch nicht, sondern nur unfähige, dumme, manchmal ängstliche und arrogante Beamte und Diplomaten. Nicht nur an der Spitze des Auswärtigen Amts, sondern in durchaus subalternen Positionen auch anderer Behörden, und Gottlieb von Jagow war der böse Geist der Wilhelmstraße. Zwar unfähig und sprunghaft, aber doch friedliebend: der Kaiser. Dessen "Blankoscheck" vom 5. Juli 1914 war für ihn der ganz unüberlegt herausgelassene Geist, den er nicht mehr in die Flasche zurückbekam. Immer wieder uninformiert und uninspiriert: Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg. Die Botschafter - das galt für die deutschen und österreichischen in St. Petersburg, London, Paris sowie für die russischen, englischen, französischen in Wien und Berlin - trieben ohnehin ihr eigenes Spiel, das streifte gelegentlich hart an den Rand der politischen Intrige. Besonders finster: Heinrich von Tschirschky und Dieter Bethmann Hollweg in Wien, besonders hell: Karl Max Fürst Lichnowsky in London. Im Sinne der Friedenserhaltung bewirken konnte er trotz ehrenwerter Bemühungen und eines immer wieder zögernden Edward Grey nichts. Fast denkt man an Voltaire: Der hatte das gesamte Säkulum Ludwigs XIV. auf Intrigen, Ehrgeiz, Fanatismus, aber auch den Heldenmut einer Handvoll von dramatis personae zurückgeführt und noch Friedrich II. von Preußen glauben lassen, er allein könne die Welt aus den Angeln heben.

Das wollten die "Heroen" von 1914 gerade nicht. Sie waren eher darum bemüht, alles so bleiben zu lassen, wie es war - denn es war gut, und sie wussten es. Wenn eine Einsicht das Buch von Lüder Meyer-Arndt spannend macht, dann die, dass man in Berlin, aber auch in Wien keineswegs zu irgendetwas, geschweige denn zur "Weltmacht" "durchbrechen" wollte, sondern nur zurück zu den friedlichen, guten, alten Zeiten. Und da sie allesamt wegen erwiesener Unfähigkeit, nur manchmal mit Verschlagenheit gepaart, das Gegenteil erreichten, wurden sie im klassischen Sinn zu tragischen Gestalten - und damit die Julikrise und der Erste Weltkrieg auch. Vor allem ging es um die Ehre: der Staaten, Nationen, Beamten, der Kaiser. Es waren eben alles Ehrenmänner.

Am Ende weiß man wieder so viel wie 1919. Alles detaillierte Wissen um die Julikrise, alles Sezieren von Aktionen und Reaktionen hinunter bis zur letzten Marginalie des Kaisers, alle Chronistik hinab bis zur letzten Minute ("Um 18.10 Uhr erhielt X das Telegramm von Y") führen zu einem Ergebnis, das man nicht als von gestern, sondern als von vorgestern einstufen möchte. Und doch ist dieser Rückbezug auf das je Individuelle, das Irrationale, auf Faktoren wie "Ehre" und "Würde", kreatürliche "Angst" und persönliche "Hoffnung", kurzum: auf die condition humaine, in seiner Konsequenz durchaus neu, was wohl auch Imanuel Geiss in seinem Vorwort suggeriert: Die große Politik ist wirklich so, wie sie sich Lieschen Müller schon immer vorgestellt hat. Nur fragt sich der Leser, nachdem er den circulus vitiosus komplett abgeschritten hat und er sich wieder am Anfang befindet, ob man nun etwas gelernt hat. Die Frage stellen heißt, sie zu verneinen. Das Rätsel der zehn Millionen Kriegstoten wird nicht gelüftet. Das Buch aber macht plausibel, warum es nie gelüftet werden wird. Es war kein "kalkuliertes Risiko", um das es gegangen wäre, denn das hätte einer gewissen Rationalität nicht entbehrt. Es herrschte vielmehr blinder Irrationalismus - wie will man den "rational" erklären?

Stephen Schröder versucht es langatmig und tapfer. Der Leser erfährt, wie sich die Diplomaten in einem elitären Zirkel bewegten, wie sie ihre Staaten als Stars verstanden, denen man nicht zu nahe kommen durfte, denn sonst würden sie in ihrer Ehre gekränkt sein, sich beleidigt geben und männlich so reagieren müssen, wie dies einem Ehrenmann zukam. Nicht nur alle Diplomaten, wie Meyer-Arndt meint, sondern alle Staaten, wie Schröder verdeutlicht, wurden als Individuen begriffen - Frucht des Historismus und des Kults des je Individuellen; "individuum est ineffabile", hatte Goethe gesagt, und Friedrich Meinecke wird es nach dem Krieg zitieren. Jeder Staat war eine Insel, souverän und unverwechselbar; der eine mochte diese, der andere jene "Allianz" anstreben. Man bildete "Ententen" und "Bünde", vertrug sich, ging wieder auf Distanz, dann folgte unweigerlich wieder eine Annäherung, und das Ganze wurde mit immer komplizierteren Spielregeln versehen, deren Dialektik auch gestandene Spieler, sprich Diplomaten, zu überfordern begann - nicht zu reden von der fleischgewordenen Inkompetenz in der Wilhelmstraße. Ganze vier Mann wussten in Berlin um das Geheimnis der Marinekonvention! Die glaubten, raffiniert zu sein, subtil und gerissen - ihre Gegenspieler in London, Paris und St. Petersburg waren noch raffinierter, noch subtiler und noch gerissener, und am Ende half dann nur noch ein grober Keil auf einen groben Klotz: Der Weltkrieg war da!

Erstaunt merkten die Maschinisten des Machtgetriebes, dass sie nur die Frettchen in einem Laufrad gewesen waren. Und auch die Vorstellung, in Europa hätten sich - ähnlich wie im "Kalten Krieg" - zwei "Blöcke" gegenübergestanden, ist falsch. Jederzeit war diplomatisch gesehen alles möglich - noch gab es keine Ideologie, die die Beziehungen der Staaten untereinander zementiert hätte, alles war fließend und geschmeidig, ließ sich immer wieder neu und anders formen. Die englisch-russische Marinekonvention war ein solcher Versuch, den Schröder bis in die kleinsten Einzelheiten hinein analysiert - und sie war heiße Luft. Die trug allerdings zu einer Verpestung der diplomatischen Atmosphäre bei, und das ausgerechnet im heißen Juli 1914. Nur das ist ihre historische Bedeutung. Immer wieder drängt es sich auf: Alle Diplomatie war Leerlauf, alle politische "Kunst" führte letztlich zu nichts. Als der Krieg zur Verblüffung aller wirklich da war, wollte niemand schuld gewesen sein.

Ein leeres Getriebe der Welt. Darüber ging der Blick auf das Wesentliche verloren: der Blick auf das Wohl und Wehe der Menschen, die in Europa lebten. Sie interessierten höchstens als militärisches "Menschenmaterial", und da schienen "die Russen" im Vorteil; bis 1917 sollte es 1,7 Millionen russische Soldaten geben - ohne Reserven. Dagegen wie gegen alle finsteren Pläne "der anderen" musste man etwas tun, war man Österreicher, Deutscher, Franzose oder Engländer. Das heißt, die Staaten mussten etwas tun, und so wurde das Allianzenschmieden beziehungsweise -zerstören nie hektischer betrieben als in den letzten Wochen vor dem Weltkrieg - ohne dass auch nur eine der Mächte im Traum daran gedacht hätte, so einen Weltkrieg wirklich und wahrhaftig führen zu müssen.

Die Kriegsidee war immer nur das Folterinstrument, das man den anderen vorwies. Wirklich gebrauchen wollte es niemand - warum auch? Alles lief prachtvoll, die Zeiten wurden immer besser, die Massen - gesichtslos wie eh und je - immer friedlicher, weil satter. Und die "Wilden" außerhalb Europas schienen sich mit ihrem Helotendasein abgefunden zu haben, so etwas wie Tsushima durfte allerdings nicht mehr vorkommen; dort hatten sich die Europäer von "den Gelben" regelrecht vorführen lassen. Europäer: Die Russen waren bewusst und gewollt seit den Zeiten Katharinas der Großen Europäer, und die Marinekonvention mit England sollte das unterstreichen. Diese war ein unbedeutendes und unfertiges Mosaiksteinchen im Puzzle der europäischen Beziehungen; den Engländern schien die Anwesenheit der russischen Flotte in der Ostsee nützlich, den Russen sollte die angestrebte Konvention Kitt sein, bezog sich das "cordiale" bislang doch nur auf Frankreich. Frankreich war daran gelegen, die Russen via London enger an die Entente zu binden, und in Pommern landen wollten nur Phantasten, zeitweise gehörte auch Winston Churchill zu ihnen. Aber aus alledem wurde nichts, Gavrilo Princip schoss dazwischen. Da hat man wieder den Kern der Sache: Es scheint, dass wirklich und wahrhaftig allein dieser Mann und sein Revolver am 28. Juni 1914 den Ersten Weltkrieg nicht nur ausgelöst, sondern verursacht hat. Dieser Meinung sind nicht nur pointiert Lüder Meyer-Arndt, unausgesprochen Stephen Schröder (David Stevenson und Neill Ferguson stießen jüngst ins gleiche Horn), sondern inzwischen auch viele andere Historiker. Ist das nicht eine absurde Vorstellung? Sie passt in kein erkenntnistheoretisches oder geschichtsphilosophisches Schema. Die Sache ist buchstäblich verrückt, unerklärlich, und welcher Historiker möchte sich damit abfinden? Er sucht immer nach Erklärungen, und nun kommt ihm der Verdacht: Es gibt keine!

Das ist Folge des Umstands, dass wir seit 90 Jahren alle denkbaren und viele undenkbaren Erklärungen des Ersten Weltkriegs gesucht und gefunden haben. Es gibt nichts mehr in der Wirklichkeit der Welt von 1914, das wir nicht zu wissen glauben. Und trotzdem wissen wir das Wesentliche nicht, denn es ist nicht vernünftig, die Instrumente unserer Vernunft versagen. "Ignoramus": Ist das die Quintessenz von allem? Oder müssen wir wie einst Sisyphos den Stein wieder einmal nach oben rollen, wohl wissend, dass er wieder zu Tal donnern wird? Beide Bücher regen zu solchen Fragen an, beantworten können sie sie nicht. Der Rezensent auch nicht.

Lüder Meyer-Arndt: "Die Julikrise 1914". Wie Deutschland in den Ersten Weltkrieg stolperte. Böhlau Verlag, Köln 2006. 407 S., 24,90 [Euro].

Stephen Schröder: "Die englisch-russische Marinekonvention". Das Deutsche Reich und die Flottenverhandlungen der Tripelentente am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006. 790 S., 79,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Langatmig und tapfer" zeichne Stephen Schröder die diplomatischen Verhandlungen der englisch-russischen Marinekonvention am Vorabend des ersten Weltkriegs nach, notiert Michael Salewski. Wie Schröder den diplomatischen "Leerlauf" beschreibt, die Selbstbezüglichkeit und Inkompetenz der Akteure, das leuchtet dem Rezensenten trotz einiger Längen unmittelbar ein. Zudem hat er gelernt, dass Staaten damals als Individuen begriffen wurden und sich fatalerweise auch so benahmen, und dass es keineswegs zwei gegenüberstehende Blöcke in Europa gab, sondern höchst flüssige und vergängliche Allianzen das Bild bestimmten. "Jederzeit war diplomatisch gesehen alles möglich." Krieg habe keiner der Mächte gewollt. Die von Schröder und anderen Kollegen vertretene These, dass allein Gavrilo Princip mit seinem Mord des Erzherzogs Franz Ferdinand und seiner Frau das millionenfache Schlachten nicht nur ausgelöst, sondern tatsächlich verursacht hat, kann der Rezensent nicht fassen. Zu seinem Entsetzen kommt sie ihm aber gar nicht so unwahrscheinlich vor.

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