Produktdetails
  • Verlag: Mondadori (Arnoldo), Mailand
  • Nachdr.
  • Seitenzahl: 112
  • Erscheinungstermin: 28. Oktober 2008
  • Italienisch
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 312g
  • ISBN-13: 9788806190965
  • ISBN-10: 8806190962
  • Artikelnr.: 25339375
Autorenporträt
Valeria Parrella, 1974 in Neapel geboren, studierte Sprachwissenschaften, arbeitete als Buchhändlerin, lebt in Neapel.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.08.2009

Der Wille zum Überleben
In ihrem Roman „Zeit des Wartens” erzählt die neapolitanische Schriftstellerin Valeria Parrella die Geschichte einer Frühgeburt
Maria landet an einem Ort zwischen den Welten. In einem Limbus. Oder, wie es der Originaltitel des schmalen Romans von Valeria Parrella umschreibt, in einem spazio bianco, einem weißen Raum, einem Zwischenraum. Schauplatz der Geschichte ist nämlich eine intensivmedizinische Krankenhausstation für Frühchen.
Die neapolitanische Schriftstellerin erzählt in ihrem autobiographisch inspirierten Buch von einer Erfahrung, die selten Gegenstand der Literatur ist: die 42-jährige Lehrerin Maria bekommt im sechsten Monat Wehen und bringt ihre Tochter vorzeitig zur Welt. Das winzige Mädchen, das sie Irene nennt, wird in einen Brutkasten verfrachtet, an ein Sauerstoffgerät angeschlossen und durch eine Sonde ernährt. Vierzig Tage lang muss Maria warten, ob sich die Lungen entwickeln und das Kind alleine wird atmen können. Über die möglichen Folgen der Frühgeburt und die gesundheitlichen Schäden lässt man sie im Ungewissen. Maria bemüht sich, irgendwie weiterzuleben. Sie steht morgens auf, geht ins Krankenhaus, steht am Brutkasten der kleinen Tochter, befragt die Ärzte.
Valeria Parrella springt direkt hinein in das Innere ihrer Heldin und lässt den Leser teilhaben an dem totalen Ausnahmezustand, in den Maria hineingleitet. Statt die Ängste und Panikattacken raunend heraufzubeschwören, vermittelt die Autorin den Zustand ihrer Protagonistin über ihren Blick auf die Umgebung, Dialoge und Alltagsszenen.
Gegen den Ärztejargon
Eine Weile lang ist Maria außer Stande, zu jemandem vorzudringen, der sich jenseits der Sphäre des Krankenhauses befindet. Der Vater der kleinen Tochter hat sich schon zu Beginn der Schwangerschaft aus dem Staub gemacht, ihre Eltern sind verstorben, und die Freunde können die existentielle Dimension der Erfahrung nur erahnen. Die Dramatik der Situation wird durch die schmucklose, sparsame Sprache, die Parrella ihrer Heldin in den Mund legt, noch unterstrichen. „Die Sache war die: meine Tochter Irene lag im Sterben, und ich konnte mit niemandem darüber reden”, heißt es im Prolog lakonisch. „Zeit des Wartens”, so der leicht kitschige Titel der deutschen Übersetzung, ist auch die Geschichte einer Selbstbehauptung, denn nach und nach gelingt es Maria, mit der Lage zurechtzukommen. Als sie sich, auf dem Klodeckel stehend, bei geöffnetem Fenster eine Zigarette anzündet und Neapel unter sich liegen sieht, gewinnt sie für einen Augenblick ihre Autonomie zurück. Sie wehrt sich gegen den Fachjargon der Ärzte, verbündet sich mit anderen Müttern und nimmt schließlich ihre Arbeit als Lehrerin in einer Abendschule wieder auf. Ein anderes Mal wählt sie während einer Visite die Nummer der Polizei und zwingt damit den Chefarzt, den Fehler einer Krankenschwester zuzugeben und die Medikation neu zu berechnen. Eingewoben in Marias innere Monologe sind außerdem Erinnerungsfetzen an ihre Kindheit und Bruchstücke ihrer Biographie, die wie kleine Inseln in dem zwanghaft um die Tochter kreisenden Gedankenstrom hervorlugen. Dass Maria diese Phase durchsteht, liegt vor allem an ihrem Neapolitanertum: sie lässt sich nicht unterkriegen.
Die 1974 in Neapel geborene Valeria Parrella hat die Eigenarten dieses Menschenschlags schon in ihren ersten beiden Erzählungsbänden „Die Signora, die ich werden wollte” (2005) und „Der erfundene Freund” (2006) umrissen und dabei jeden Anklang an die übliche Pizza-Mandoline-O-sole-mio-Folklore vermieden. Mit ihrer knappen Schreibweise zählt sie zu einer Gruppe von Raymond-Carver-Adepten, die in Italien schon Anfang der neunziger Jahre auftauchten. Ähnlich wie der Emilianer Paolo Nori und der Turiner Giuseppe Culiccchia mit ihren unterkühlten Entwicklungsromanen über junge Männer betreibt auch Valeria Parrella einen stilistischen Minimalismus, der in einem reizvollen Kontrast zu ihren süditalienischen Sujets steht. Mit schnellen Schnitten, Pingpong-Dialogen und einer Art Schnappschuss-Ästhetik schilderte sie in ihren Erzählungen den Werdegang einer Camorrabraut, den Darwinismus der Straße oder den neapolitanischen Hang zum Aberglauben.
In ihrem neuen Buch geht sie einen Schritt weiter. Sie wagt sich an das im madonnenversessenen Italien hoch aufgeladene Thema der Mutterschaft heran und präsentiert es ohne jeden Anflug von Sentimentalität. Den widersprüchlichen Charakter ihrer Stadt vermittelt sie vor allem über ihre prägnanten Figuren: nicht nur die Heldin selbst, auch der Hilfsarbeiter Gaetano, der mit dem Schulabschluss zum ersten Mal in seinem Leben etwas für sich tut oder die Friseuse Luisa, die sich resigniert an die Verhältnisse in der camorradurchseuchten Peripherie anpasst, sind scharf konturierte Charaktere. „Zeit des Wartens” ist ein Roman über Mutterschaft, die zu einer Chiffre für die Fährnisse der Existenz wird. MAIKE ALBATH
VALERIA PARRELLA: Zeit des Wartens. Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Anja Nattefort. C. Bertelsmann, München 2009, 128 S., 14,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr