Bevor ich nach meiner Alkoholentwöhnungsbehandung entlassen wurde, habe ich mich mit Worten von Thomas Mann, geschrieben 1906 in einem kleinen Aufsatz „Über den Alkohol“*, verabschiedet:
„Stimmung ist nicht Betrunkenheit. Stimmung ist Ausgeschlafenheit, frische tägliche Arbeit, Spazieren gehen,
reine Luft, wenig Menschen, gute Bücher, Friede, Friede…“
Mich plagte die Frage, ob und wie ich den…mehrBevor ich nach meiner Alkoholentwöhnungsbehandung entlassen wurde, habe ich mich mit Worten von Thomas Mann, geschrieben 1906 in einem kleinen Aufsatz „Über den Alkohol“*, verabschiedet:
„Stimmung ist nicht Betrunkenheit. Stimmung ist Ausgeschlafenheit, frische tägliche Arbeit, Spazieren gehen, reine Luft, wenig Menschen, gute Bücher, Friede, Friede…“
Mich plagte die Frage, ob und wie ich den Weg in die dauerhafte Abstinenz finden würde, war ich damals doch hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Zweifel und in völliger Unkenntnis, wie denn ein Leben ohne Alkohol aussehen könnte. P. Böttcher beendete eben mit dieser Fragestellung sein erstes Buch „Trockenzeit“. Antworten gibt er nach 13 Jahren Trockenheit im 2. Buch. Und immer wieder die Frage für Ab- und unabhängige: Wie kann man auf Dauer ohne Alkohol leben? Zu finden sind unterschiedliche Lebensgeschichten und Denkanstöße. Patentlösungen sucht man erfreulicherweise vergebens, wenn auch der Drang von Betroffenen danach verständlich ist. Da ist die Geschichte von Günthers Flug in die Freiheit. Günther, Polizist, der nach der Therapie seinem Leben wieder einen Sinn gibt, weil er sich seinen Traum vom Fliegen verwirklichen kann. Die Zulassungskommission erteilt ihm, dem trockenen Trinker, die Fluglizenz. Für Günther ein Grund mehr, nüchtern zu bleiben.
Spannend und anrührend zugleich die Lebensbeichte des Chefarztes einer Suchtklinik, der jahrelang ein Doppelleben als Süchtiger führte. Auf einem Flughafen beobachtete er drei junge Männer, die gelassen und frei ihre alkoholischen und alkoholfreien Getränke wählten. Er hatte nur eine Wahlmöglichkeit – den Alkohol. Fred, Förster in vierter Generation, hört wieder die Vögel singen. Er vernahm, dass auf ihn Wetten abgeschlossen worden seien, wie lange er es ohne Alkohol aushalten würde. „Der Trinker als geeignetes Wettobjekt“, unvorstellbar! Wie ein roter Faden zieht sich die Feststellung durch das ganze Buch, dass ein Trinker ein ganz normaler Mensch ist »und es selbst in den schlimmsten Phasen seiner Sucht bleibt«. Amüsant und doch mit der gebotenen Ernsthaftigkeit schildert der Autor die unzähligen, Jahrzehnte währenden Suchtforschungen, deren Ergebnisse den Betroffenen die stille Hoffnung geben können, dass Wunderpillen gegen die Versuchung Alkohol oder als Bremse für maßvolles Trin¬ken das Licht der Welt erblicken. Würmer, Fruchtfliegen und Mäuse sind keine Menschen. So bleiben die Veränderungsarbeit des Betroffenen selbst und „die Hauptlast des Therapeuten, den Abhängigen das geistige Handwerkszeug zu liefern, dauerhaft trocken zu bleiben“. Der Feststellung des Autors, der aus eigenem Erfahrungsschatz schreibt, dass derjenige, der »dem Trinken nicht mit aller Konsequenz Einhalt gebietet, sei¬nem Leben schlimmstenfalls viel zu früh ein Ende setzt« kann ich aus meiner beruflichen Tätigkeit nur zu¬stimmen. Den Alkoholkranken gebührt Verständnis, auch wenn sie bei der Bewältigung ihrer Sucht scheitern können. Ulf, dem Versicherungsvertreter oder Christoph, dem Landwirt widmet Böttcher die letzten Seiten seines Buches statt eines Nachwortes Nachrufe. Ich schätze sehr, dass der Autor auf die besonders drastische Form der Darstellung seines Schicksals sowie das der Weggefährten verzichtet. Stattdessen werden die Beobachtungen sensibel und unspektakulär erzählt. Für mich war das Buch eine Bestätigung der eigenen Erfahrung, dass für einen Trinker das Thema Alkohol auch bei anhaltender Abstinenz immer ein Thema bleibt. Der Autor macht „Betroffenen Mut und regt zur offenen Selbstanalyse“ an. Er beschreibt das Leid der Angehörigen und macht in beeindruckender Weise zugleich deutlich, dass viele trockene Alkoholiker die Bewältigung ihrer Sucht in entscheidendem Maße auch ihren engsten Angehörigen verdanken. Ein Buch für Alkoholab – und unabhängige, das lesenswert ist, kein Ratgeber sein will und doch viele Denkanstöße gibt sowie ein Mehr an Verständnis für diese Krankheit erzeugt. Ein trockener Alkoholiker seit 7 Jahren