Die Begeisterung für Fußball kann sich auch im Sammeln von Postkarten äußern. Als ein Ergebnis dieser Leidenschaft lässt sich dieses Buch betrachten. Die Ansichtskarten setzen eine Imagination legendärer, provinzieller oder oder exotischer Orte frei. Fußballstadien sind zu sehen, die heute die Massen in ihren Bann ziehen, aber auch viele, die sich verändert haben oder verschwunden sind. Zu den Bildern erzählen bekannte Autoren wie Cees Noteboom, Wiglaf Droste, Rene Martens u. a. ihre Geschichte
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2003Zen-Garten im Zentrum eines irdischen Kults
Die Wesen, die diesen Planeten bewohnen, müssen sehr gläubig sein. Sie bauen ihre Behausungen dicht an dicht, ja in vielen Gegenden stapeln sie sie sogar übereinander, nur damit möglichst viel Raum bleibt für den rätselhaften kultischen Platz, jenes grünschimmernde Karree, auf dem laut Bekunden einiger ekstatischer Terrarier die Wahrheit liegt. Es muss ein glücklicher Planet sein, denn alle huldigen sie dieser Religion: Die still vor sich hin strahlenden Rechtecke mit ihrer strengen Geometrie und den leeren weißen Holzkästen sind über den ganzen Planeten verteilt zu finden, und die Gläubigen darin machen meist einen aufgeräumten Eindruck.
Wie Aufnahmen aus dem All sehen die Ansichtskarten von Alma-Ata bis Zaire aus, die Herbert Perl von den Fußballplätzen der Welt gesammelt hat, osteuropäische Stadien in stalinistischem Postkartengrau neben verwaschenem Kodachrome aus Rio. Ob es sich um den Bolzplatz im isländischen Dorf Fuglaf Jordur, das Berner Wankdorfstadion oder das Bernabeu-Raumschiff in Madrid handelt – aus der Luft scheinen die Plätze und Stadien das Kraftzentrum des jeweiligen Ortes zu sein. Bei dem mittleren Bild vom Wankdorfstadion kann man sich fragen, ob die in rätselhaften Schlangenlinien geparkten Autos rings um das Stadion, ähnlich wie die Kreise in schottischen Kornfeldern, allen außerirdischen Fußballfans eine Botschaft – „Rahn schießt!” oder „Traurig nur, dass sie dieses Spiel zu einem Film verwursten werden” – signalisieren sollen.
Wiglaf Droste, Dietrich Kuhlbrodt und einige andere Anhänger des Kultes steuern feinstoffliche Texte über Flutlicht, Onanie und das „beste Publikum der Welt”, die Fans des FC Liverpool im Stadion an der Anfield Road, bei. Und im Vorwort schreibt Cees Noteboom: „Wenn alle wieder fort sind, die Spieler auf ihre Zeitungsseiten und die Zuschauer in ihre Häuser, um in der Zeitung von den Spielern zu lesen, liegt dieses nun so verlassene Rechteck wieder grün in sich gekehrt da, so still wie ein Zen-Garten.” (Herbert Perl, Hrsg.: Ansichtssache Fußballplatz. ConferencePoint Verlag, Hamburg 2003. 160 Seiten, 24 Euro.)
ALEX RÜHLE
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Die Wesen, die diesen Planeten bewohnen, müssen sehr gläubig sein. Sie bauen ihre Behausungen dicht an dicht, ja in vielen Gegenden stapeln sie sie sogar übereinander, nur damit möglichst viel Raum bleibt für den rätselhaften kultischen Platz, jenes grünschimmernde Karree, auf dem laut Bekunden einiger ekstatischer Terrarier die Wahrheit liegt. Es muss ein glücklicher Planet sein, denn alle huldigen sie dieser Religion: Die still vor sich hin strahlenden Rechtecke mit ihrer strengen Geometrie und den leeren weißen Holzkästen sind über den ganzen Planeten verteilt zu finden, und die Gläubigen darin machen meist einen aufgeräumten Eindruck.
Wie Aufnahmen aus dem All sehen die Ansichtskarten von Alma-Ata bis Zaire aus, die Herbert Perl von den Fußballplätzen der Welt gesammelt hat, osteuropäische Stadien in stalinistischem Postkartengrau neben verwaschenem Kodachrome aus Rio. Ob es sich um den Bolzplatz im isländischen Dorf Fuglaf Jordur, das Berner Wankdorfstadion oder das Bernabeu-Raumschiff in Madrid handelt – aus der Luft scheinen die Plätze und Stadien das Kraftzentrum des jeweiligen Ortes zu sein. Bei dem mittleren Bild vom Wankdorfstadion kann man sich fragen, ob die in rätselhaften Schlangenlinien geparkten Autos rings um das Stadion, ähnlich wie die Kreise in schottischen Kornfeldern, allen außerirdischen Fußballfans eine Botschaft – „Rahn schießt!” oder „Traurig nur, dass sie dieses Spiel zu einem Film verwursten werden” – signalisieren sollen.
Wiglaf Droste, Dietrich Kuhlbrodt und einige andere Anhänger des Kultes steuern feinstoffliche Texte über Flutlicht, Onanie und das „beste Publikum der Welt”, die Fans des FC Liverpool im Stadion an der Anfield Road, bei. Und im Vorwort schreibt Cees Noteboom: „Wenn alle wieder fort sind, die Spieler auf ihre Zeitungsseiten und die Zuschauer in ihre Häuser, um in der Zeitung von den Spielern zu lesen, liegt dieses nun so verlassene Rechteck wieder grün in sich gekehrt da, so still wie ein Zen-Garten.” (Herbert Perl, Hrsg.: Ansichtssache Fußballplatz. ConferencePoint Verlag, Hamburg 2003. 160 Seiten, 24 Euro.)
ALEX RÜHLE
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2003Das Eckige muß ins Runde: Postkarten von den Stadien der Welt
Jeder Fußballfan weiß, daß es nichts Erhebenderes gibt als den Moment, wenn man das Stadion betritt, der Blick aufs Spielfeld fällt und die Augen übergehen vor lauter Grüngrüngrün. Die Amerikaner veredeln beim Baseball die Spielfeldform zum Diamanten und dessen Reinheit zum Ausdruck nationaler Unschuld, im Fußball ist alles etwas Prosaischer und deshalb immer nur vom Rasenrechteck die Rede. Wie das Stadion drum herum aussieht, ist dem Fan in der Regel einerlei: Früher waren die Tribünen aus Holz, heute sind sie eben aus Beton, Hauptsache, die Jungs hängen sich ordentlich rein. Natürlich waren bestimmte Stadien offenbar anders als die anderen, weil schon die Art, wie Sportreporter ihre Namen aussprachen, von einer einzigartigen Aura kündete: Wembley, San Siro, Maracana, aber bereits der Name Wankdorfstadion schien für Nachgeborene seltsam unvereinbar mit seiner historischen Bedeutung. Immerhin besaßen Stadien noch ordentliche Namen wie Kampfbahn Rote Erde, inzwischen werden sie meistbietend verkauft und kommen deshalb kaum mehr über die Lippen.
Bisher war es so, daß das Interesse für Fußball den halben Erdkundeunterricht ersetzte, auch wenn die Kenntnis, daß der Betzenberg in Kaiserslautern und der Bökelberg in Mönchengladbach liegt, in der Regel nur mit einer vagen Ahnung verbunden war, wo die Städte selbst liegen. Von diesen Dingen handelt ein wunderbares Buch namens "Ansichtssache Fußballplatz", in dem Herausgeber Herbert Perl Postkarten zum Thema aus aller Welt versammelt - und dazu Texte von Fachleuten wie René Martens, Christoph Biermann, Ludger Schulze, Dietrich Kuhlbrodt und Wiglaf Droste. Dazu erzählt Mark Obert aus Chile, wo der Anblick von Stadien ja auch daran erinnert, daß sie als Gefangenenlager mißbraucht wurden. Im Vordergrund steht jedoch, was Cees Nooteboom im Vorwort den Blick der Außerirdischen nennt, der ratlos an den grünen Rechtecken hängenbliebe. Tatsächlich ergibt sich durch die Postkarten eine merkwürdig exzentrische Perspektive auf die Städte, weil plötzlich im kleinsten Dorf wie der größten Metropole der Anstoßkreis zum Zentrum wird. Ob Oran oder Brazzaville, Niebüll oder Dundee, Tromsö oder Krasnojarsk, je mehr von diesen forsch kolorierten Ansichten man sieht, desto weniger versteht man selbst die Bedeutung dieser Schüsseln, desto mehr erscheinen sie wie kuriose Kultstätten, die in die Wüstenei am Rande der Städte gestellt wurden. Es läßt sich aber sagen: Wo es für Fußballspieler schon schwierig genug ist, das Runde ins Eckige zu kriegen, ist es für Architekten offenbar häufig noch schwieriger, das Rechteckige ins Ovale zu packen.
malt.
Herbert Perl (Hg.): Ansichtssache Fußballplatz. ConferencePoint Verlag, Hamburg 2003. 160 Seiten mit 78 farbigen Ansichtskarten, 24 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jeder Fußballfan weiß, daß es nichts Erhebenderes gibt als den Moment, wenn man das Stadion betritt, der Blick aufs Spielfeld fällt und die Augen übergehen vor lauter Grüngrüngrün. Die Amerikaner veredeln beim Baseball die Spielfeldform zum Diamanten und dessen Reinheit zum Ausdruck nationaler Unschuld, im Fußball ist alles etwas Prosaischer und deshalb immer nur vom Rasenrechteck die Rede. Wie das Stadion drum herum aussieht, ist dem Fan in der Regel einerlei: Früher waren die Tribünen aus Holz, heute sind sie eben aus Beton, Hauptsache, die Jungs hängen sich ordentlich rein. Natürlich waren bestimmte Stadien offenbar anders als die anderen, weil schon die Art, wie Sportreporter ihre Namen aussprachen, von einer einzigartigen Aura kündete: Wembley, San Siro, Maracana, aber bereits der Name Wankdorfstadion schien für Nachgeborene seltsam unvereinbar mit seiner historischen Bedeutung. Immerhin besaßen Stadien noch ordentliche Namen wie Kampfbahn Rote Erde, inzwischen werden sie meistbietend verkauft und kommen deshalb kaum mehr über die Lippen.
Bisher war es so, daß das Interesse für Fußball den halben Erdkundeunterricht ersetzte, auch wenn die Kenntnis, daß der Betzenberg in Kaiserslautern und der Bökelberg in Mönchengladbach liegt, in der Regel nur mit einer vagen Ahnung verbunden war, wo die Städte selbst liegen. Von diesen Dingen handelt ein wunderbares Buch namens "Ansichtssache Fußballplatz", in dem Herausgeber Herbert Perl Postkarten zum Thema aus aller Welt versammelt - und dazu Texte von Fachleuten wie René Martens, Christoph Biermann, Ludger Schulze, Dietrich Kuhlbrodt und Wiglaf Droste. Dazu erzählt Mark Obert aus Chile, wo der Anblick von Stadien ja auch daran erinnert, daß sie als Gefangenenlager mißbraucht wurden. Im Vordergrund steht jedoch, was Cees Nooteboom im Vorwort den Blick der Außerirdischen nennt, der ratlos an den grünen Rechtecken hängenbliebe. Tatsächlich ergibt sich durch die Postkarten eine merkwürdig exzentrische Perspektive auf die Städte, weil plötzlich im kleinsten Dorf wie der größten Metropole der Anstoßkreis zum Zentrum wird. Ob Oran oder Brazzaville, Niebüll oder Dundee, Tromsö oder Krasnojarsk, je mehr von diesen forsch kolorierten Ansichten man sieht, desto weniger versteht man selbst die Bedeutung dieser Schüsseln, desto mehr erscheinen sie wie kuriose Kultstätten, die in die Wüstenei am Rande der Städte gestellt wurden. Es läßt sich aber sagen: Wo es für Fußballspieler schon schwierig genug ist, das Runde ins Eckige zu kriegen, ist es für Architekten offenbar häufig noch schwieriger, das Rechteckige ins Ovale zu packen.
malt.
Herbert Perl (Hg.): Ansichtssache Fußballplatz. ConferencePoint Verlag, Hamburg 2003. 160 Seiten mit 78 farbigen Ansichtskarten, 24 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main