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Produktdetails
Trackliste
CD
1Leben heißt sterben lernen00:03:57
2Weiter00:04:38
3Muster00:03:55
4Zu dumm um frei zu sein00:03:12
5Jugendliche00:02:39
6Die Infektion00:04:10
7Zum ersten Mal00:03:28
8Der See00:03:42
9Der Weg00:03:29
10Tiere in der Großstadt00:03:36
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2007

Blöder Vogel Jugend
Mehr Licht! Rocko Schamoni nimmt Abschied vom Pop

"Abschied ist ein bisschen wie Sterben", textete schon Ralph Siegels kongenialer Autorenpartner Bernd Meinunger 1980 für Katja Ebstein. Meinunger, Meister der aussterbenden Zunft der weltweisen Schlagertexter, kennt sich aus: Abschiednehmen ist tatsächlich oft wie Sterben, und Sterben muss man lernen - nicht zuletzt dafür ist es da, das Leben. Und so singt Rocko Schamoni, Hamburger Sänger, Entertainer und Szene-Großwesir, nun auf seinem soeben erschienenen Abschiedsalbum gleich im ersten Song: "Leben, Leben heißt sterben lernen / Leben heißt sich entfernen / Leben heißt aufzugeben, das Leben." Das Beste aber ist: Er meint das vermutlich auch wirklich so. Schamoni geht es um Leben und Tod.

Wer den inzwischen Vierzigjährigen ein wenig kennt, weiß: Das Depressive lag ihm schon immer. Sowohl als künstlerische Pose als auch als vermeintliche Zwangsperspektive. Insofern passt bei Schamoni, den viele vor allem als Punk-Kasper, smarten Disco-Blödel und Telefon-Terroristen der freigeistigen Entertainer-Zusammenrottung "Studio Braun" schätzen, das Klischee vom traurigen Clown perfekt, der nicht zuletzt aufgrund seiner eigenen Zerschmetterung die groteske Komik der Dinge spüren und benennen kann.

Allerdings hat Schamoni die Trauer auch direkt in sein Werk getragen und nicht nur als Backstage-Kater ausgelebt. Sie war immer da. Umgekehrt war er hinter der Bühne oft tausendmal komischer als noch eben im Konzert. Doch diesmal - folgerichtig auf seinem Abschiedsalbum - lässt er alle Lustigkeiten sausen. Und das bereits im ersten Song: "Leben heißt sterben lernen" bleibt dem Hörer schon nach einmaligem Durchlauf auch für den Rest der Platte im Kopf hängen. Die gute Stimmung ist jedenfalls versaut.

Dabei geht es keinesfalls düster zu auf diesem Album. Ernst schon eher. Schamoni, der durch Punk vorm Ernst des Lebens Gerettete, tut hier etwas, wofür ihm Musikfreunde über dreißig nur zutiefst danken können: Er macht Schluss mit lustig, spuckt den ganzen gemütlichen Klassenfahrtspoppern und Indie-Kuschelrockern ins Poesiealbum und sagt, worum es geht - ums Sterben, verdammt noch mal! Und ums Leben. Nicht um Echtheit, Furchtlosigkeit, nicht darum, sich treu zu bleiben oder was der pralle Topf der Jugendthemen sonst noch alles bereithalten mag. Und in der Popmusik, das man das überhaupt noch sagen muss, sollte es nach Punk, Disco, New Wave eigentlich auch nicht mehr um solchen Quatsch gehen dürfen, aber herrje . . .

Sosehr der Auftaktsong aber wie ein gelynchter Clown über der Platte baumelt: Auch der Rest des Albums glänzt geheimnisvoll und betörend, wie es hierzulande sonst höchstens noch vorkam, wenn der andere große Abschiednehmer dieser Tage, Schamonis Freund Jochen Distelmeyer (der soeben seine Band "Blumfeld" auflöste), Neues veröffentlichte. An dessen zuletzt jedoch zunehmend nach Klarheit strebende Lieder erinnert der Song "Weiter". Doch während bei Distelmeyer kritische Zuversicht eingekehrt zu sein scheint, bleibt Schamoni am Ende finster: "Können wir uns wieder sehen? / Können wir gemeinsam gehen? / Ganz ehrlich, ich glaub es nicht / Am Ende erlischt das Licht." Wieder: Abschied und Sterben; der Rest der Welt aber macht weiter.

Es gibt zwei weitere herausragende Songs: zum einen den desillusionierten Hit "Zu dumm um frei zu sein", über dessen verächtliche Strophen man gerne schmunzeln wollte, wenn Schamonis Erkenntnis nicht letztlich so niederschmetternd und beängstigend wäre: "Niemand leistet euch Widerstand / Unsere Welt liegt in eurer Hand"; letztlich eine ernüchterte Ergänzung zu "Blumfelds" "Diktatur der Angepassten". In dem fast schon beängstigend hysterischen "Jugendliche" wiederum arbeitet sich Schamoni an einem weiteren Lieblingsthema ab: wie man die Jugend lebenslänglich spürt wie einen Stachel, wie eine Pflicht vielleicht auch, eine Bürde. Und wie man doch nicht anders kann, als mit ihren neuen lauten Vertretern zu fremdeln, die zu kritisieren man sich als der Jugend Verpflichteter jedoch verbieten muss. Diesem sonderbaren Widerspruch ringt er einige großartige Gedanken ab. Es ist ein Song, der fast komisch sein könnte, wenn er nicht letztlich auch wieder so ein schmerzhafter Abschied wäre. Spätestens hier ahnt man, warum Schamoni nicht mehr mag. Die Jugend macht weiter, er hingegen muss sterben lernen.

Musikalisch ist der Perfektionist Schamoni auf dieser Farewell-Platte so nah am makellosen Pop wie noch nie. Seine technischen Fähigkeiten und seine Stimme mögen limitiert sein, doch dank seiner schärfsten Waffen - seinem untrüglichen Stil und seinem Humor - ist er in jeder Sekunde dieses Albums mehr Pop, als hierzulande auszuhalten ist. Natürlich, auch wenn Schamoni sich aus dem Pop-Geschäft zurückzieht, wird er uns erhalten bleiben, wird Bücher schreiben und andere Dinge tun, für die uns allen schlichtweg die Vorstellungskraft fehlt. Trotzdem: In die Lücke, die dieser Mann hinterlässt, passen mehr gute Bands und Musiker, als dieses Land hervorzubringen überhaupt in der Lage ist.

ERIC PFEIL

Rocko Schamoni & Little Machine, ohne Titel. Trikont 0359 (Indigo)

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