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Das 17. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Krisen, eine Epoche zerbrechender Ordnung, deren Menschen vom Gefühl der Bedrohung und Instabilität beherrscht werden. Renommierte Historiker vermitteln mit diesem Band einen Einblick in die von Kriegen, Aufständen und Revolten, aber auch von absolutistischer Prachtentfaltung geprägte Lebenswelt der barocken Gesellschaft, indem sie Vertreter einzelner Stände und Berufsgruppen porträtieren.

Produktbeschreibung
Das 17. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Krisen, eine Epoche zerbrechender Ordnung, deren Menschen vom Gefühl der Bedrohung und Instabilität beherrscht werden. Renommierte Historiker vermitteln mit diesem Band einen Einblick in die von Kriegen, Aufständen und Revolten, aber auch von absolutistischer Prachtentfaltung geprägte Lebenswelt der barocken Gesellschaft, indem sie Vertreter einzelner Stände und Berufsgruppen porträtieren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.1997

Das Phantom des Welttheaters
Die Wissenschaft sucht den Barockmenschen

Vom "Barockmenschen" weiß die populäre Vorstellung spätestens seit Willi Flemings unsäglicher Kulturgeschichte des siebzehnten Jahrhunderts, er sei extrovertiert gewesen, auftrumpfend, seiner selbst gewiß; mit herrischem Gestus sich als Gebieter einer Welt prästabilierter Harmonie gerierend, die Augen rollend unter dem Gewölk der mächtigen Allongeperücke; beleibter Jupiter, Mäzen und Kriegsfürst, für den Potentaten wie August der Starke oder Ludwig XIV. die idealen Muster abgeben. Doch zugleich war er nicht mehr als ein "Wohnhauß grimmer Schmerzen" und ein "Schauplatz herber Angst"; Andreas Gryphius, von dem diese Bilder stammen, verglich ihn mit schmelzendem Schnee, Reif, Tau und Schatten.

Die Anschauung, alles Irdische sei eitel, die Welt ein Theater, bezeichnet das Denken der Epoche ebenso, wie das Pochen auf Ehre und die Jagd nach Ruhm zu ihr gehören. Der Mensch des Barock zeigt sich demütig im Büßergewand, präsentiert sich im goldenen Harnisch; er errichtet Schlösser von nie gekannter Pracht, wird zugleich durch den Beichtvater darüber belehrt, daß erst nach dem letzten Vorhang das wirkliche Stück beginne, erst mit dem Tod das Erwachen komme aus jenem schweren Traum, den man Leben nennt. Tiefe Religiosität ist der Generalbaß des Zeitalters; zugleich erobern sich Empirie und Rationalismus weiteres Terrain, das, was man später "moderne Wissenschaft" nennen wird, gewinnt Kontur.

Das von Rosario Villari herausgegebene Buch - die gelungene deutsche Übersetzung einer leicht modifizierten italienischen Originalausgabe - führt in die Mitte dieses vielgestaltigen, ja zerrissenen Zeitalters. Der "Barockmensch" wird seziert zu Einzelfiguren, komponiert aus individuellen Schicksalen, die sich als mit Allgemeinerem aufgeladen erweisen. Es ist Programm, daß nicht der Fürst, sterblicher Gott, Demiurg des unsterblichen Staates, Symbolgestalt des Zeitalters, Gegenstand eines Kapitels ist. Vielmehr werden seinem Apparat, seinen Financiers und Ministern ausführliche Einzeldarstellungen gewidmet; die italienische Fassung enthielt auch einen hier nicht abgedruckten Text über den "Sekretär". Der von Henry Kamen vorgestellte "Staatsmann" betreibt sein Handwerk gemäß den Regeln einer von ethischen Erwägungen bestimmten Räson, in zähem, oft vergeblichem Ringen mit den Umständen und schon durch die Bindung an Fürsten und Könige meist auf kleinste Spielräume eingeschränkt.

Die Frageraster der Einzelkapitel reflektieren eher ein sozial- und kulturgeschichtliches Erkenntnisinteresse, als daß es um historische Anthropologie im eigentlichen Verständnis ginge. Natürlich muß manches ausgeklammert bleiben, so insbesondere - und mit nicht ganz überzeugender Begründung - die ländliche Welt, wo doch immerhin die weit überwiegende Mehrheit der "Barockmenschen" lebte. Ergebnis ist eine impressionistische Skizze, kein ausgeführtes Fresko - notwendige Folge der Option für die biographische Annäherung, bei der die einzelnen Essays allerdings nicht verbleiben. So liest sich Geoffrey Parkers Kapitel "Der Soldat" wie eine Studie zur Sozialgeschichte des Militärs, zu Strategie und Kriegstechnik im "eisernen Jahrhundert"; James S. Amelangs Abschnitt über den "Bürger" handelt ganz allgemein von der Kultur und der sozialen Situation des Bürgertums. Claudia Opitz konfrontiert den Leser mit starken Frauen: mit Hausmüttern, Landesfürstinnen und Regentinnen - wie Mario Rosas Essay über die "Ordensschwester" stellt das von ihr verfaßte Kapitel ein gelungenes Stück Geschlechtergeschichte dar. Paolo Rossis brillanter Text führt dem Leser vor Augen, was das Wesen der "wissenschaftlichen Revolution" ausmacht, jenes Paradigmenwechsels, dessen Resultat der moderne "Wissenschaftler" ist.

Die paradoxe Welt eingebildeter Wirklichkeiten auf der Nachtseite der Epoche zeigen Brian P. Levacks Ausführungen über die "Hexe", die freilich nicht immer den Forschungsstand reflektieren. Ihr Unglück war, daß die Kämpfe um die Form der frühneuzeitlichen Staaten bis in die zweite Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts hinein aufs engste mit einer manchmal hysterische Ausmaße annehmenden religiös-moralischen Ambition verbunden blieben; die immer effizienter arbeitenden Organe der Staatsmacht schreckten nicht vor Versuchen zurück, ihre Utopien vom "Gottesstaat" unter Anwendung härtester Gewalt in die Wirklichkeit zu zwingen.

Zu den wichtigsten Aspekten der Epoche zählt, daß sich dies ändert. Aus den Wirren der Kämpfe um das Wegerecht auf den Straßen zum Heil bilden sich politische Ordnungsformen heraus, die zusehends vom Religiösen abstrahieren. Wandel, Entwicklungen, Prozesse werden indes vom Schatten des Golems, den das Buch erzeugt, sehr weitgehend überdeckt. Wie "barock" schließlich all die Leute, die in Villaris Kabinett Revue passieren, gewesen sind, ist ein Frage, die man besser gar nicht erst stellt. Der Leitbegriff taugt vermutlich eher für eine Periodisierung, die größere kulturhistorische Zusammenhänge im Blick hat und auf ältere idealistische Reduktionen zurückzugreifen bereit ist. Die Diskussion darüber aber ist ein weites Feld, auf das Autoren und Herausgeber sich nicht hinauswagen. BERND ROECK

Rosario Villari (Hrsg.): "Der Mensch des Barock". Aus dem Englischen von Christoph Münz und Rolf Schubert, aus dem Italienischen von Andreas Simon, aus dem Französischen von Susanne Edel. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1997. 384 S., Abb., geb., 58,- DM.

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