Sie ist die Ur-Ahnin der deutschsprachigen Comedy - und hierzulande doch völlig unbekannt. Deutschland war zu klein für eine Persönlichkeit ihres Formats: Ihre Karriere führte sie bis in den New Yorker New Yorker. Ein Nachlassfund entdeckt uns erstmals die Cartoonistin, Gag-Schreiberin, Karikaturistin und TV-Autorin Ricarda Willimann - eine Sensation wie gemacht für die Andere Bibliothek.
Ein unwahrscheinlicher Sperrmüllfund vor dem Marbacher Literaturarchiv, der die Kulturgeschichte umschreiben wird: Anhand des nie gelesenen Tagebuchs und der Skizzenhefte von Ricarda Willimann lernen wir die keineswegs exemplarische Biographie einer vielseitig begabten, rastlosen Humoristin kennen, die in Fernsehstudios und Zeitschriftenredaktionen bleibende Spuren hinterlassen hat. Es wird klar: Das letzte halbe Jahrhundert der (nicht nur!) bundesrepublikanischen Comedy und Satire lässt sich ohne ihren Einfluss nicht erzählen.
Ob in den 1980er-Jahren in der Redaktion der Titanic, die ohne sie nie entstanden wäre, in den Studios der TV-Spaßmacher oder als Ideengeberin des großen Loriot - es gibt kaum einen Bereich deutschsprachiger Humoristik, in dem sie nicht gewirkt hätte, bis sie ihre Karriere im Ausland krönte, wo sie unter anderem die Cartoonisten des New Yorker in der Kunst der Pointe unterwies.
Die Generationen der Spaßmacher nach ihr haben sie nicht vergessen - und doch ist der emsig im Hintergrund schreibenden und zeichnenden Willimann und ihrem einzigartigen Witztalent bisher kein Denkmal gesetzt worden. Mit diesem Band, der neben Tagebucheinträgen und Cartoons und Karikaturen aus ihrem Skizzenbuch auch TV-Sketche für Loriot und Frank Elstner enthält, wird das Leben einer außergewöhnlichen Figur der Unterhaltungsbranche nachvollziehbar. Wir erleben eine dauerrauchende Gretel-Dampf-in-allen-Gassen, die schon zur »show runnerin« wurde, bevor es diese Berufsbezeichnung gab, und folgen ihr durch ihre Berliner Jugend in den 1950er- und 60er-Jahren (»Zwei wichtige Dinge aus der Kindheit habe ich mir bis heute bewahrt: das Stehlen und das Lügen.«), nach Frankfurt zu den Anfängen der Titanic in den 80ern (ihr prophetischer Cover-Entwurf »Warum nicht mal eine Frau?« war damals Martin Sonneborn zu progressiv) bis in die USA.
Angereichert sind Ricarda Willimanns eigene Texte und Zeichnungen durch die Erinnerungen der Prominenz des Show- und Satiregeschäfts, die ihr hier endlich ihre Reverenz erweisen: Moritz Hürtgen stellt ihren »Rauchergedichte«-Zyklus vor, der seinerzeit unter Pseudonym erschien. Miriam Wurster und Paula Irmschler gedenken Willimanns als Vorbild an Zeichenstift und Schreibmaschine. Wigald Boning berichtet von ihrem letzten TV-Auftritt in seiner Sendung »Im Schwitzkasten«, in der sich Talkshowgastgeber und Gast nackt in der Sauna begegneten. Dominik Bauer schreibt erstmals über die im Jahr 2011 gerichtlich untersagte Ricarda-Willimann-Retrospektive. Max Goldt bedauert, ihrem Rat ein einziges Mal gefolgt zu sein. Frank Elstner erzählt, wie er mit Ricarda morgens Rosé aus der Kaffeetasse trank - und Tex Rubinowitz spricht erstmals von seiner großen, aber kurzen Liebe zu Ricarda Willimann.
Mit Beitragen von Maren Amini, Dominik Bauer, Wigald Boning, Bernd Eilert, Torsten Gaitzsch, Max Goldt, Arnold Hau, Joachim Hentschel, Jakob Hein, Moritz Hürtgen, Paula Irmschler, Alexander Kühn, Robert von Lucius, Julia Mateus, Til Mette, Denis Metz, Claudia Römer, Tex Rubinowitz, Anja Rützel, Schilling & Blum, Christian Y. Schmidt, David Schuh, Ulrike Sterblich, Margarete Stokowski, Tim Wolff, Martina Werner, Miriam Wurster, Michael Ziegelwagner.
Jan Böhmermann: »Ricarda Willimann ist die lustigste Frau Deutschlands.«
Anke Engelke: »Ricarda Willimann? Oh Gott, der schulde ich doch noch tausend Mark.«
Elias Hauck: »Ricarda Willimann hat sich selbst ungern 'Karikaturistin' genannt. Das Wort war ihr einfach zu lang.«
Ein unwahrscheinlicher Sperrmüllfund vor dem Marbacher Literaturarchiv, der die Kulturgeschichte umschreiben wird: Anhand des nie gelesenen Tagebuchs und der Skizzenhefte von Ricarda Willimann lernen wir die keineswegs exemplarische Biographie einer vielseitig begabten, rastlosen Humoristin kennen, die in Fernsehstudios und Zeitschriftenredaktionen bleibende Spuren hinterlassen hat. Es wird klar: Das letzte halbe Jahrhundert der (nicht nur!) bundesrepublikanischen Comedy und Satire lässt sich ohne ihren Einfluss nicht erzählen.
Ob in den 1980er-Jahren in der Redaktion der Titanic, die ohne sie nie entstanden wäre, in den Studios der TV-Spaßmacher oder als Ideengeberin des großen Loriot - es gibt kaum einen Bereich deutschsprachiger Humoristik, in dem sie nicht gewirkt hätte, bis sie ihre Karriere im Ausland krönte, wo sie unter anderem die Cartoonisten des New Yorker in der Kunst der Pointe unterwies.
Die Generationen der Spaßmacher nach ihr haben sie nicht vergessen - und doch ist der emsig im Hintergrund schreibenden und zeichnenden Willimann und ihrem einzigartigen Witztalent bisher kein Denkmal gesetzt worden. Mit diesem Band, der neben Tagebucheinträgen und Cartoons und Karikaturen aus ihrem Skizzenbuch auch TV-Sketche für Loriot und Frank Elstner enthält, wird das Leben einer außergewöhnlichen Figur der Unterhaltungsbranche nachvollziehbar. Wir erleben eine dauerrauchende Gretel-Dampf-in-allen-Gassen, die schon zur »show runnerin« wurde, bevor es diese Berufsbezeichnung gab, und folgen ihr durch ihre Berliner Jugend in den 1950er- und 60er-Jahren (»Zwei wichtige Dinge aus der Kindheit habe ich mir bis heute bewahrt: das Stehlen und das Lügen.«), nach Frankfurt zu den Anfängen der Titanic in den 80ern (ihr prophetischer Cover-Entwurf »Warum nicht mal eine Frau?« war damals Martin Sonneborn zu progressiv) bis in die USA.
Angereichert sind Ricarda Willimanns eigene Texte und Zeichnungen durch die Erinnerungen der Prominenz des Show- und Satiregeschäfts, die ihr hier endlich ihre Reverenz erweisen: Moritz Hürtgen stellt ihren »Rauchergedichte«-Zyklus vor, der seinerzeit unter Pseudonym erschien. Miriam Wurster und Paula Irmschler gedenken Willimanns als Vorbild an Zeichenstift und Schreibmaschine. Wigald Boning berichtet von ihrem letzten TV-Auftritt in seiner Sendung »Im Schwitzkasten«, in der sich Talkshowgastgeber und Gast nackt in der Sauna begegneten. Dominik Bauer schreibt erstmals über die im Jahr 2011 gerichtlich untersagte Ricarda-Willimann-Retrospektive. Max Goldt bedauert, ihrem Rat ein einziges Mal gefolgt zu sein. Frank Elstner erzählt, wie er mit Ricarda morgens Rosé aus der Kaffeetasse trank - und Tex Rubinowitz spricht erstmals von seiner großen, aber kurzen Liebe zu Ricarda Willimann.
Mit Beitragen von Maren Amini, Dominik Bauer, Wigald Boning, Bernd Eilert, Torsten Gaitzsch, Max Goldt, Arnold Hau, Joachim Hentschel, Jakob Hein, Moritz Hürtgen, Paula Irmschler, Alexander Kühn, Robert von Lucius, Julia Mateus, Til Mette, Denis Metz, Claudia Römer, Tex Rubinowitz, Anja Rützel, Schilling & Blum, Christian Y. Schmidt, David Schuh, Ulrike Sterblich, Margarete Stokowski, Tim Wolff, Martina Werner, Miriam Wurster, Michael Ziegelwagner.
Jan Böhmermann: »Ricarda Willimann ist die lustigste Frau Deutschlands.«
Anke Engelke: »Ricarda Willimann? Oh Gott, der schulde ich doch noch tausend Mark.«
Elias Hauck: »Ricarda Willimann hat sich selbst ungern 'Karikaturistin' genannt. Das Wort war ihr einfach zu lang.«
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Einen "liebevollen Nachruf zu Lebzeiten" sieht Oliver Jungen in dem großen Editionsprojekt "Wer war ich?", das Karriere und Witz von Ricarda Willimann aufbereitet und sich zur Aufgabe gemacht hat, ihre Pionierleistungen auf dem Gebiet des deutschen Humors nachzuvollziehen. In sarkastisch-ironisierendem Ton wird leichte Skepsis des Rezensenten deutlich, ob Willimanns Leben und Wirken nun tatsächlich so pionierhaft war, aber so oder so, die Texte findet er, auch wenn der Witz sich irgendwann ein wenig erschöpft, ganz gut, noch besser gefallen ihm die Zeichnungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2022Sensationeller als Rilke?
Die letzte Humoristengeneration hat sich an der Anderen Bibliothek festgeklebt, um auf einen Knüller aufmerksam zu machen: Alle deutschsprachigen Komiker der Nachkriegszeit haben bei demselben Vorbild geklaut. Der Name dieses Witzwunders ist Ricarda Willimann. Noch nie gehört? Aber jetzt!
Das war ja klar. Dass es einen Grund für die ganze Malaise geben muss, für Ottos kotzenden Mops, Karl Dalls Dirndljagd am Kilimandscharo oder Hirschhausens Gesamterscheinung, also für das Trauerspiel deutscher Humor (unter dem Handelsnamen "Titanic" auch in einfacher Sprache erhältlich). Dass nun ausgerechnet eine Frau alle Schuld auf sich zu nehmen hat, ist wohl ein vergifteter Sieg für den deutschen Feminismus (kein Lustspiel), aber es hilft ja nichts: Es war, wie es war (Erika Fried), und es war - die Willimann. Alles. Auf sie gehen Loriots Lohse-Sketche ebenso zurück wie Georg Kreislers Taubenvergifterlied, die Kichersendung "Der Klügere kippt nach" sowie sämtliche Witze der Neuen Frankfurter Schule, die ansonsten so dröge geworden wäre wie die alte. Sogar die letale Schwundstufe des Humors, die Comedy, soll Ricarda Willimann eingeschleppt haben.
Das zumindest behauptet und belegt nun ein editorisch-philologisches Großprojekt in der zu Unrecht für bollerwitzfrei gehaltenen Anderen Bibliothek Hans Magnus Enzensbergers selig, deren Maestro at large, Christian Döring, auf seine letzten Herausgebertage - bevor auch hier eine Frau übernimmt - ohne falsche Scham die innere Ulknudel raus- und die Scherzexperten der "Titanic" hereinlässt. Als Herausgeber des Bands 452, "Ricarda Willimann: Wer war ich?", fungiert Elias Hauck, seines Zeichens Cartoonzeichner und die halbe Miete des Duos Hauck & Bauer, das sich regelmäßig im Magazin "Titanic" sowie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verewigt. Hauck hat alle Virtuosen des Witzes in Wort und Feder, die sich von Berlin bis Frankfurt am Main zu Recht einiges auf ihr komisches Talent einbilden, dazu bekommen, an dieser erschütternden Biographie (samt Tagebuch-Edition) Ricarda Willimanns mitzuarbeiten.
Nach und nach zeichnen sich die Umrisse eines wilden, vor Liebhabern strotzenden (Tex Rubinowitz war also beileibe nicht der einzige) Lebens ab, das in der Tat larger than life, also im schmutzigsten Sinne fiktiv genannt werden muss. Es reichte von Wien über Köln und die F-Stadt bis nach New York und Argentinien, von der "Fix und Foxi"-Redaktion (Willimann war die treibende Kraft in Rolf Kaukas Verlag, verrät uns Ulrike Sterblich, die es ganz sicher von ihrer Kindheitsfreundin Melanie weiß) über das Eduscho-Lektorat "Kaffeesatz" bis in die Fernsehredaktionen des Landes. Margarete Stokowski hat mit Ricarda Willimann Parfum geklaut, Tim Wolff versucht sich als Exeget ihrer späten Briefe ("Rosskastanien haben Vorfahrt"). Dass Harald Schmidt lieber Organist in Nürtingen geblieben wäre, als seinen Late-Night-Schlamassel zu moderieren, war ja bekannt. Aber dass er von jener Dame, die schon Letterman groß gemacht hatte, zu seiner Show gedrängt worden ist, ist eine weitere neue Erkenntnis, die David Schuh aufgearbeitet hat.
Von Julia Mateus, der aktuellen "Titanic"-Chefredakteurin, erfahren wir, dass die objektophile Willimann, nicht nur eine Witzwutz, "zeitweise mit einem Kontrabass liiert" war. Paula Irmschler beleuchtet ihr ominöses Verschwinden vor der Bäckerei Eifler am Frankfurter Hauptbahnhof, und Moritz Hürtgen macht sich die Mühe, die äußerst lukrativ Markennamen verwendende willimannsche Lyrik ("Doch sonntags fahren wir nie fort / im Bett schmeckt uns die Extra-Lord") in Beziehung zu den ähnlich lukrativen, wenn natürlich auch schlichteren "Obi-Regentonnenvariationen" von Jan Wagner zu setzen. Rilke, kaum ausgepackt in Marbach, kann jedenfalls wieder einpacken.
Mühe machen auf Dauer allerdings auch die lustigsten Texte, wenn sie immer demselben Muster folgen und derart kreuzharmlos sind. Die unfairerweise von Hauck oder Döring weiter hinten platzierten Beiträge haben es daher schwer, noch einmal Begeisterung zu wecken für die Aufdeckung, hinter was die vielleicht aus guten Gründen bislang unbekannte Willimann noch alles stecken soll. So viele Flaschen Pommes frites kann niemand trinken. Da zeigt sich der deutsche Humor in seiner ganzen Narrhallamarschpenetranz. Es ist auch ganz sicher auf diesen gemünzt, was uns Max Goldt wissend zuflüstert: "Nun ist Ricarda alt und in der Tat schon leicht wackelig. Man sagt so etwas nicht gern. Doch was sagt man schon gern außer 'Hallo'?" (Na, "Palim, palim" natürlich, lieber M. G.)
Zündender als all die Anekdoten über den personifizierten deutschen Witz sind die Zeichnungen im Band, und das liegt nicht zuletzt daran, dass darunter einige der besten Bildbomben der letzten Äonen sind, die natürlich auch bloß bei der Willimann geklaut waren. Im Fall von Hauck & Bauer hat das ein Geschmäckle, haben sie doch einst den Fernsehclown Florian Schroeder verklagt, weil der ihren lustigsten Comic ("Nun, Ihr Kind ist nicht hochbegabt. Sie sind nur beide sehr, sehr dumm") nachspielte. Und jetzt kommt heraus, sie haben das selbst entwendet. Auch Til Mettes köstliche Zeichnung zweier Champagner-Bonzen im Liegestuhl am Meer - "So ungefähr muss es Leuten gehen, die nur noch das Nötigste haben" - ist in der verdammt ähnlichen Variante der Ricarda Willimann nicht weniger toll.
In den sorgsam edierten Tagebüchern findet sich ebenfalls manche Perle wie diese: "Lustiger Verleser: 'Vollhorst' statt 'Albrecht Dürer'". Und mindestens so lehrreich wie der frühe Otto Waalkes ist das Buch ebenfalls, oder hätten Sie gewusst, dass die englische Übersetzung von "Otto Normalverbraucher" einfach "Udo Jürgens" lautet? Inzwischen ist die Willimann leider dement (Fachbegriff: "Comedy"), aber diesen liebevollen Nachruf zu Lebzeiten hat sie verdient. OLIVER JUNGEN
Ricarda Willimann: "Wer war ich?" Ein humoristisches Jahrhundertereignis". Wiederentdeckt von Elias Hauck.
Die Andere Bibliothek, Berlin 2022. 312 S., Abb., geb., 44,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die letzte Humoristengeneration hat sich an der Anderen Bibliothek festgeklebt, um auf einen Knüller aufmerksam zu machen: Alle deutschsprachigen Komiker der Nachkriegszeit haben bei demselben Vorbild geklaut. Der Name dieses Witzwunders ist Ricarda Willimann. Noch nie gehört? Aber jetzt!
Das war ja klar. Dass es einen Grund für die ganze Malaise geben muss, für Ottos kotzenden Mops, Karl Dalls Dirndljagd am Kilimandscharo oder Hirschhausens Gesamterscheinung, also für das Trauerspiel deutscher Humor (unter dem Handelsnamen "Titanic" auch in einfacher Sprache erhältlich). Dass nun ausgerechnet eine Frau alle Schuld auf sich zu nehmen hat, ist wohl ein vergifteter Sieg für den deutschen Feminismus (kein Lustspiel), aber es hilft ja nichts: Es war, wie es war (Erika Fried), und es war - die Willimann. Alles. Auf sie gehen Loriots Lohse-Sketche ebenso zurück wie Georg Kreislers Taubenvergifterlied, die Kichersendung "Der Klügere kippt nach" sowie sämtliche Witze der Neuen Frankfurter Schule, die ansonsten so dröge geworden wäre wie die alte. Sogar die letale Schwundstufe des Humors, die Comedy, soll Ricarda Willimann eingeschleppt haben.
Das zumindest behauptet und belegt nun ein editorisch-philologisches Großprojekt in der zu Unrecht für bollerwitzfrei gehaltenen Anderen Bibliothek Hans Magnus Enzensbergers selig, deren Maestro at large, Christian Döring, auf seine letzten Herausgebertage - bevor auch hier eine Frau übernimmt - ohne falsche Scham die innere Ulknudel raus- und die Scherzexperten der "Titanic" hereinlässt. Als Herausgeber des Bands 452, "Ricarda Willimann: Wer war ich?", fungiert Elias Hauck, seines Zeichens Cartoonzeichner und die halbe Miete des Duos Hauck & Bauer, das sich regelmäßig im Magazin "Titanic" sowie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verewigt. Hauck hat alle Virtuosen des Witzes in Wort und Feder, die sich von Berlin bis Frankfurt am Main zu Recht einiges auf ihr komisches Talent einbilden, dazu bekommen, an dieser erschütternden Biographie (samt Tagebuch-Edition) Ricarda Willimanns mitzuarbeiten.
Nach und nach zeichnen sich die Umrisse eines wilden, vor Liebhabern strotzenden (Tex Rubinowitz war also beileibe nicht der einzige) Lebens ab, das in der Tat larger than life, also im schmutzigsten Sinne fiktiv genannt werden muss. Es reichte von Wien über Köln und die F-Stadt bis nach New York und Argentinien, von der "Fix und Foxi"-Redaktion (Willimann war die treibende Kraft in Rolf Kaukas Verlag, verrät uns Ulrike Sterblich, die es ganz sicher von ihrer Kindheitsfreundin Melanie weiß) über das Eduscho-Lektorat "Kaffeesatz" bis in die Fernsehredaktionen des Landes. Margarete Stokowski hat mit Ricarda Willimann Parfum geklaut, Tim Wolff versucht sich als Exeget ihrer späten Briefe ("Rosskastanien haben Vorfahrt"). Dass Harald Schmidt lieber Organist in Nürtingen geblieben wäre, als seinen Late-Night-Schlamassel zu moderieren, war ja bekannt. Aber dass er von jener Dame, die schon Letterman groß gemacht hatte, zu seiner Show gedrängt worden ist, ist eine weitere neue Erkenntnis, die David Schuh aufgearbeitet hat.
Von Julia Mateus, der aktuellen "Titanic"-Chefredakteurin, erfahren wir, dass die objektophile Willimann, nicht nur eine Witzwutz, "zeitweise mit einem Kontrabass liiert" war. Paula Irmschler beleuchtet ihr ominöses Verschwinden vor der Bäckerei Eifler am Frankfurter Hauptbahnhof, und Moritz Hürtgen macht sich die Mühe, die äußerst lukrativ Markennamen verwendende willimannsche Lyrik ("Doch sonntags fahren wir nie fort / im Bett schmeckt uns die Extra-Lord") in Beziehung zu den ähnlich lukrativen, wenn natürlich auch schlichteren "Obi-Regentonnenvariationen" von Jan Wagner zu setzen. Rilke, kaum ausgepackt in Marbach, kann jedenfalls wieder einpacken.
Mühe machen auf Dauer allerdings auch die lustigsten Texte, wenn sie immer demselben Muster folgen und derart kreuzharmlos sind. Die unfairerweise von Hauck oder Döring weiter hinten platzierten Beiträge haben es daher schwer, noch einmal Begeisterung zu wecken für die Aufdeckung, hinter was die vielleicht aus guten Gründen bislang unbekannte Willimann noch alles stecken soll. So viele Flaschen Pommes frites kann niemand trinken. Da zeigt sich der deutsche Humor in seiner ganzen Narrhallamarschpenetranz. Es ist auch ganz sicher auf diesen gemünzt, was uns Max Goldt wissend zuflüstert: "Nun ist Ricarda alt und in der Tat schon leicht wackelig. Man sagt so etwas nicht gern. Doch was sagt man schon gern außer 'Hallo'?" (Na, "Palim, palim" natürlich, lieber M. G.)
Zündender als all die Anekdoten über den personifizierten deutschen Witz sind die Zeichnungen im Band, und das liegt nicht zuletzt daran, dass darunter einige der besten Bildbomben der letzten Äonen sind, die natürlich auch bloß bei der Willimann geklaut waren. Im Fall von Hauck & Bauer hat das ein Geschmäckle, haben sie doch einst den Fernsehclown Florian Schroeder verklagt, weil der ihren lustigsten Comic ("Nun, Ihr Kind ist nicht hochbegabt. Sie sind nur beide sehr, sehr dumm") nachspielte. Und jetzt kommt heraus, sie haben das selbst entwendet. Auch Til Mettes köstliche Zeichnung zweier Champagner-Bonzen im Liegestuhl am Meer - "So ungefähr muss es Leuten gehen, die nur noch das Nötigste haben" - ist in der verdammt ähnlichen Variante der Ricarda Willimann nicht weniger toll.
In den sorgsam edierten Tagebüchern findet sich ebenfalls manche Perle wie diese: "Lustiger Verleser: 'Vollhorst' statt 'Albrecht Dürer'". Und mindestens so lehrreich wie der frühe Otto Waalkes ist das Buch ebenfalls, oder hätten Sie gewusst, dass die englische Übersetzung von "Otto Normalverbraucher" einfach "Udo Jürgens" lautet? Inzwischen ist die Willimann leider dement (Fachbegriff: "Comedy"), aber diesen liebevollen Nachruf zu Lebzeiten hat sie verdient. OLIVER JUNGEN
Ricarda Willimann: "Wer war ich?" Ein humoristisches Jahrhundertereignis". Wiederentdeckt von Elias Hauck.
Die Andere Bibliothek, Berlin 2022. 312 S., Abb., geb., 44,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Es ist eine Schande, dass kein Mensch von dieser Frau gehört hat.« Ralf Stiftel Westfälischer Anzeiger 20221223