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Judith N. Shklar gilt als wichtigste Theoretikerin des Liberalismus im 20. Jahrhundert und steht in ihrer amerikanischen Heimat gleichberechtigt neben Größen wie Hannah Arendt oder John Rawls. Bekannt vor allem für das Konzept des "Liberalismus der Furcht" ist ihr Werk ungleich vielfältiger, umfasst ideengeschichtliche Studien nicht weniger als Reflexionen über Ungerechtigkeit und Staatsbürgerschaft. "ad Judith Shklar" nimmt sich der Denkerin in ihrer ganzen Komplexität und in drei Schritten an: Eine ausführliche Werkbiografie gibt einen umfassenden Überblick über ihr Leben und Schaffen; sie…mehr

Produktbeschreibung
Judith N. Shklar gilt als wichtigste Theoretikerin des Liberalismus im 20. Jahrhundert und steht in ihrer amerikanischen Heimat gleichberechtigt neben Größen wie Hannah Arendt oder John Rawls. Bekannt vor allem für das Konzept des "Liberalismus der Furcht" ist ihr Werk ungleich vielfältiger, umfasst ideengeschichtliche Studien nicht weniger als Reflexionen über Ungerechtigkeit und Staatsbürgerschaft. "ad Judith Shklar" nimmt sich der Denkerin in ihrer ganzen Komplexität und in drei Schritten an: Eine ausführliche Werkbiografie gibt einen umfassenden Überblick über ihr Leben und Schaffen; sie erzählt die Fluchtgeschichte der Emigrantin Shklar während des Zweiten Weltkriegs sowie die Schwierigkeiten, denen sie als Frau in ihrer akademischen Karriere ausgesetzt war. Unter dem Titel "Judith Shklar heute" untersucht der zweite Teil die Aktualität ihres Denkens am Beispiel von drei drängenden Themen: -Wie können in einer liberalen Demokratie die Stimmen der Opfer ungleich verteilter Macht gehört und repräsentiert werden? -Wie muss der Begriff politischer Ungerechtigkeit im Kontext der Klimakrise neu justiert werden?-Und wie lassen sich die aktuellen Fragen nach Flucht, Migration und Integration mit Shklars politischer Theorie verstehen? Eine detaillierte Bibliografie, die für das Studium ihres Werkes unerlässlich ist, schließt den Band ab.Judith Shklar, 1928 - 1992, war eine aus Riga stammende Politologieprofessorin an der Harvard University. Sie gilt als die wichtigste Theoretikerin des Liberalismus im 20. Jahrhundert.
Autorenporträt
Hannes Bajohr, 1984 in Berlin geboren, ist Übersetzer und Herausgeber der Werke Judith N. Shklars. Er wohnt in New York und Berlin und gehört zum literarischen Experimentalkollektiv oxoa. Publikationen und Herausgeberschaften.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Es lohnt sich laut Rezensent Christian Schüle, diesen Band über die Philosophin und Politikwissenschaftlerin Judith N. Shklar zu lesen, auch wenn die Versuche der Autoren, Shklars Gedanken weiter zu denken, nicht allzu weit führen. Die Politikwissenschaftlerin Rieke Trimçev und der Philosoph Philosoph Hannes Bajohr beschreiben Shklar Schüle zufolge als eine Liberale, deren Denken keiner politischen Position eindeutig zuzurechnen ist, deren Grundgedanken jedoch anschließbar sind an linksliberale Traditionen. Im Zentrum steht eine Parteiname für die Schwächsten, rekonstruiert Schüle mit den Autoren, Shklars Denken geht nicht vom Streben nach hohen Gütern aus, sondern vom Vermeiden des Schlimmsten. Dadurch rückten Opferschicksale in den Blick, jenseits von dieser Opferperspektive akzeptiere Shklar keine gedanklichen Sicherheiten. Das alles ist gut rekonstruiert, findet Schüle, der allerdings mit dem Buch weniger Freude hat, sobald es sich mit Blick auf Themen wie Migration und Minderheitenrechte daran macht, Shklars Gedanken in die Gegenwart hinein weiterzuspinnen. Als politisches Programm taugt Shklars Rede von "passiver Ungerechtigkeit" kaum, findet Schüle, auch weil Opferansprüche nicht unbedingt mit Unrecht zu tun haben müssen, sondern auch auf Selbstgerechtigkeit verweisen können. Als Buch über den derzeit vielerorts unter Druck stehenden Liberalismus kann der Rezensent das Buch freilich dennoch empfehlen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2024

Gegen jede Übermacht
„Liberalismus der Furcht“: Im Werk der 1992 verstorbenen Politologin Judith Shklar findet
sich der Freiheitsbegriff der Stunde. Was bedeutet er für unsere Gegenwart?
VON GUSTAV SEIBT
Judith Shklar gehört zu den Denkern, die mit einem einzigen griffigen Schlagwort berühmt geworden sind. Bei Shklar ist es der „Liberalismus der Furcht“. Dahinter steckt die Überlegung, dass Furcht die elementare, die Menschen am tiefsten erfassende Form der Unfreiheit ist. Und die furchtbarste Furcht ist die vor Grausamkeit, zunächst als körperlicher Grausamkeit – etwa in Folter –, aber auch in allen anderen Formen von Erniedrigung, Verachtung, Schikane. So geht Shklars politisches Denken nicht von einem positiven Ideal aus, gar einem „Wert“, etwa von „Gerechtigkeit“ oder von zivilen Tugenden. Ihr Ansatzpunkt liegt bei einem Laster – dem schlimmsten in Shklars Denken –, nämlich der Grausamkeit, und bei einem höchsten Übel, der Furcht.
Das hat etwas unmittelbar Einleuchtendes, denn jeder Gebrauch von Freiheit – wie immer man diese versteht – setzt Angstfreiheit voraus. Furcht (oder Angst), so könnte man zuspitzen, ist der Statthalter der Unfreiheit im Subjekt. Sie verstetigt sich als Furcht vor der Furcht, dem grundlegenden Merkmal repressiver Ordnungen. Vorausgesetzt ist dabei die allen Menschen gemeinsame körperliche und seelische Verletzbarkeit – aktuell spricht man von „Vulnerabilität“, das natürliche Schmerz- und Angstgedächtnis.
Das klingt simpel und minimalistisch und könnte dazu verführen, Shklars Freiheitsbegriff als radikalisierte Form jener „negativen Freiheit“ (der Freiheit von etwas, etwa von staatlichen Zumutungen) zu verstehen, die Isaiah Berlin in der Zeit des Kalten Kriegs von der positiven Freiheit abhob, der Freiheit zu etwas, etwa zur Selbstverwirklichung, zu politischer Gestaltung, zu Utopien. Die Trennung funktioniert allerdings nicht kategorisch, denn ohne negative Freiheit kann es keine positive geben, was auch Berlin wusste.
Im Cold-War-Liberalism diente die Trennung dem Zweck, potenziell gewalttätige Formen utopischer Politik einzuhegen. Dieser negative Freiheitsbegriff lebt bis heute weiter in vulgären Formen eines Internet- und Gossenliberalismus, der alle Gemeinwohlzumutungen brüsk mit dem Verweis auf die individuelle Freiheit des „Ichs“ abschmettert, vom Tempolimit bis zum Impfen, vom Steuerzahlen bis zur Bekämpfung des Klimawandels. Selbst die Einigung auf eine geteilte Wirklichkeit als Basis für politisches Aushandeln in einer Demokratie gerät in diesem Trotzköpfchen-, Schnitzel- und Auspuffliberalismus unter Feuer. Keine Welt mehr hinter tausend „Meinungen“!
Dass solche boulevardisierten Freiheitsvorstellungen sich nicht auf den Liberalismus der Furcht berufen können, das zeigt die gründliche, werkbiografische und problemorientierte Darstellung, die Hannes Bajohr und Rieke Trimçev jetzt vorgelegt haben, die beste Einführung in Shklars komplexes Denken, die auf Deutsch zu haben ist. Durch die biografische Einleitung und eine vollständige Bibliografie von Shklars Schriften hat sie Handbuchcharakter; zugleich wagt sie anhand von drei Problemfeldern eine Aktualisierung und Anwendung von Shklars Denken auf heutige Fragen.
Judith Shklar, die von 1928 bis 1992 lebte, stammte aus einer wohlhabenden, mehrsprachigen – Deutsch war dabei – jüdischen Familie aus Riga, die es 1939 knapp aus dem zunächst sowjetisch besetzen Lettland über Schweden, die Sowjetunion und Japan in die Vereinigten Staaten und Kanada schaffte. Die Familie floh vor den geballten Schrecken des totalitären Zeitalters: Nationalismus, Antisemitismus und Kommunismus. Sie erfuhr auf der Flucht die Beängstigungen von Heimatverlust und Staatenlosigkeit.
Die hochbegabte Judith musste sich ihren Weg durch die kanadischen und amerikanischen Universitäten auch gegen die damals noch vorherrschende institutionelle Zurücksetzung von Frauen erkämpfen. Dass sie auf einen Lehrstuhl in Harvard gelangte, hatte sie einer überragenden, Begabung, aber auch beträchtlicher Willenskraft und Furchtlosigkeit zu verdanken. In diesem schwierigen und doch erfolgreichen Leben lassen sich die wichtigsten Motive von Shklars Leben als Erfahrungen identifizieren. Der Ausgangspunkt vom schlimmsten Übel und von der menschlichen Verletzlichkeit ist, so pointieren die beiden Autoren, weniger eine Doktrin als ein Kriterium für politisches Urteilen und Aushandeln in einem Raum, der durch das Grausamkeitsverbot überhaupt erst eröffnet wird. Dieses ist Anfang, nicht bereits Ziel freiheitlicher Politik.
Zugleich dient es als hochauflösende Wahrnehmungshilfe auch für versteckte Formen des Grausamen, aller Arten von Machtasymmetrien, die der Grausamkeit erst das Feld bereiten. Denn jede Form von Übermacht, nicht nur physische Gewalt, sondern auch bürokratische Schikane, moralische Herabwürdigung, sprachliche Konventionen, nicht zuletzt materielle Ungleichheit, kann der Grausamkeit und der Furcht Vorschub leisten.
Die Antwort muss Gewaltenteilung und Machtstreuung auf allen Ebenen sein, nicht nur im Rechtsstaat und in einer republikanischen Verfassung, sondern auch bei materiellen und kulturellen Ressourcen. Mit dem Liberalismus der Furcht lässt sich mühelos der Sozialstaat mit seinen Umverteilungen begründen, aber nur bis zu dem Punkt, wo auch der umverteilende Staat übermächtig und bürokratisch-repressiv, gar gewalttätig egalitär zu werden droht. Shklar befürwortet das Privateigentum als Stütze gesellschaftlicher Machtstreuung, würde aber nie die Übermacht globaler Milliardäre gutheißen.
Wie Shklars skeptisches, von Montaignes und Montesquieus pessimistischer Anthropologie mitgeprägtes Denken aktualisiert werden kann, das buchstabieren die beiden Autoren für drei heutige Problemfelder aus. Es geht um Fragen von Opferdiskursen und Identitäten, um den Klimawandel und um Einwanderung und Staatsbürgerschaft.
Das Grausamkeitsverbot gebietet es etwa, den Opfern mit ihren eigenen Stimmen Gehör zu verschaffen. Das rechtfertigt bis zu einem gewissen Grad identitäre Diskurse, die gesellschaftlich verleugnete Erfahrungen in eigener Sprache verbalisieren; es verlangt auf der anderen Seite aber „rationale Empathie“, die nicht vor vermeintlicher Unvermittelbarkeit kapituliert oder sich in moralischer Vereinnahmung gefällt. Opfer kann in Shklars Denken jeder werden. Es geht, auch hier, um liberale Balancen.
Eine der bedrückendsten sozialen Asymmetrien ist der Besitz oder Nichtbesitz von Staatsbürgerschaft. Hier spricht Shklar aus eigener Erfahrung, und Bajohr und Trimçev folgen ihr mit einfühlsamer Genauigkeit. Shklar möchte nämlich Staatsbürgerschaft nicht an Loyalität und emotionale Zugehörigkeit (gar „Leitkultur“) knüpfen, sondern an Verpflichtung (obligation) auf Recht und Gesetz. Das Recht steckt den Freiheitsraum für Verschiedene in einer „Gesellschaft von Fremden“ ab. Eines bedrückenden Kommunitarismus, der dem Fremden seine unvermeidliche Andersartigkeit mit Assimilationsforderungen beschneidet, bedarf es nicht. Menschen haben multiple Identitäten, und sie sollen die Freiheit dazu haben.
Diese Freiheit ist im Liberalismus der Furcht nicht „negativ“ oder „positiv“, sie ist beides, ineinander verstrickt. Die positive Freiheit des Einzelnen (des vom autoritären Liberalismus so absolut gesetzten „Ichs“) ist ohne die negative Freiheit der Mitmenschen und Mitbürgerinnen nicht zu haben.
Wie anspruchsvoll, immer neu zu erörtern und zu modifizieren die Aufgabe ist, Grausamkeit und Furcht zu verhindern, das lässt dieser gelungene Grundriss ahnen. Minimalismus? Nein: ein großer Raum des Denkens.
Die Antwort muss sein:
Gewaltenteilung und
Machtstreuung
Hannes Bajohr,
Rieke Trimçev:
ad Judith Shklar.
Leben, Werk, Gegenwart. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2024.
284 Seiten, 16 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2024

Die Vermeidung des Schlimmsten
Hannes Bajohr und Rieke Trimçev erproben Judith Shklars Liberalismus in aktuellen Debatten

Von Liberalismus reden viele, wenige meinen dasselbe. Für die amerikanische Politologin Judith N. Shklar gab es nur eine "zu rechtfertigende Bedeutung" von Liberalismus: "Jeder erwachsene Mensch sollte in der Lage sein, ohne Furcht und Vorurteil so viele Entscheidungen über so viele Aspekte seines Lebens zu fällen, wie es mit der gleichen Freiheit eines jeden anderen erwachsenen Menschen vereinbar ist." Die Definition findet sich in Shklars Essay "Der Liberalismus der Furcht", veröffentlicht 1989, jenem Jahr, in dem die Sowjetunion zusammenbrach und in dem auch Shklars Fachkollege Francis Fukuyama einen (später auf Buchlänge ausgeweiteten) Aufsatz publizierte, in dem er den globalen Siegeszug der liberalen Demokratie und damit das Ende der Geschichte diagnostizierte.

Die These war damals optimistisch, heute wirkt sie mindestens blauäugig. Shklar hingegen bietet einen Liberalismus, der nicht weniger selbstbewusst auftritt, sich aber von jeder geschichtsphilosophisch imprägnierten Siegesgewissheit fernhält. Anders als Fukuyama sah sie im Liberalismus eben keine unausweichliche Begleiterscheinung der Moderne. Stattdessen hob sie hervor, dass die Tyrannei in den letzten zwei Jahrhunderten die Regel gewesen sei, liberale Gesellschaften hätten nur kurz und ausnahmsweise prosperiert. Ihr zentraler Gedanke: Liberalismus sollte nicht mit Glücksversprechen und Idealen aufwarten, sondern sich auf die Vermeidung des Schlimmsten konzentrieren, auf die Eindämmung der Grausamkeit und der Furcht vor Grausamkeit. Denn wer sich fürchtet, der kann nicht frei handeln.

In den USA gehört Shklar seit Langem zu den kanonischen Impulsgebern des politischen Denkens. Hierzulande sind die Zeiten, in denen ihr Name nur Eingeweihten ein Begriff war, inzwischen auch vorbei. Maßgeblich dazu beigetragen hat der Philosoph Hannes Bajohr, als er vor gut einem Jahrzehnt begann, Shklars Schriften zu übersetzen und herauszugeben. Nun hat Bajohr gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Rieke Trimçev einen einführenden Kommentar zu Shklars Gesamtwerk verfasst. Darin finden sich neben einer prägnanten Skizze zu Leben und Schaffen der 1992 verstorbenen Theoretikerin drei Essays, in denen ihr Denken auf den aktuellen Debattenschlachtfeldern um Identitätspolitik, Klimakrise und Migration erprobt wird.

Shklar, die 1928 als Tochter jüdischer Eltern in Riga geboren wurde und deren Familie 1939 vor Nazis und Kommunisten unter abenteuerlichen Umständen nach Kanada floh, wird als ebenso typische wie eigenwillige Repräsentantin einer Intellektuellenkohorte charakterisiert, die dem totalitaristischen Schrecken des zwanzigsten Jahrhunderts knapp entkam und aus dieser Erfahrung heraus schrieb. Bei Shklar gesellte sich noch ein grundlegender Skeptizismus hinzu. So ging sie, was ihre eigenen Ansätze betraf, demonstrativ auf Distanz zur europäischen metaphysischen Denktradition, der sie sich als Ideengeschichtlerin dennoch unermüdlich widmete. 1956 promovierte Shklar in Harvard, später erhielt sie dort als eine der ersten Frauen überhaupt eine Professur. Dem Feminismus ihrer Zeit stand sie kritisch gegenüber, noch kritischer den Studentenprotesten.

Da mag es auf den ersten Blick verwundern, dass Bajohr und Trimçev bei Shklar vor allem Anknüpfungsmaterial für heutige linksliberale und emanzipatorische Positionen finden, insbesondere in Sachen Minderheitenrechte, Seenotrettung und Einbürgerung. Doch das Autorenduo belegt diese Lesart gründlich. So hat Shklars "Der Liberalismus der Furcht", ihr meistrezipierter Text, mit seiner defensiv-minimalistisch anmutenden Forderung nach bloßer Grausamkeitsvermeidung bisweilen Deutungen angeregt, die seine Verfasserin dem konservativen oder dem Laissez-faire-Liberalismus zurechnen. Wie vorschnell diese Interpretationen sind, wird durch gewissenhafte Werkdurchforstung aufgezeigt. Insbesondere in "Über Ungerechtigkeit" (1990) buchstabierte Shklar ihren eindeutig sozialliberalen Grundgedanken aus: Die Freiheit des Einzelnen kann nicht losgelöst von der Freiheit der Schwächsten gedacht werden.

Andere Aktualisierungsversuche von Shklars Werk sind weniger überzeugend geraten. Vor allem jene, in denen es um eine französische Graphic Novel über die afroamerikanische Bürgerrechtlerin Claudette Colvin geht. Ein amerikanischer Verlag zeigte zunächst Interesse an der Übersetzung, meldete dann aber doch Bedenken wegen "kultureller Aneignung" an. Denn die Illustratorin von Colvins Lebensgeschichte war weiß. Die französische Feministin Caroline Fourest hat diesen Fall vor vier Jahren in ihrer Streitschrift "Generation Beleidigt" als Beispiel für kontraproduktiven Aktivismus angeprangert, der sich unter der Flagge des Antirassismus doch nur wieder in rassifizierende Kategorien verheddert. Trimçev und Bajohr widersprechen Fourest energisch und berufen sich auf Shklars "sekundären Snobismus". Damit gemeint sind die "ausschließenden Gruppenbildungen gleichgesinnter Menschen", wie sie in pluralen Gesellschaften unweigerlich auftreten. Für Shklar war dieses Geklüngel an sich keine liberale Tugend, sehr wohl aber von "indirektem Wert". Denn nur unter "seinesgleichen" könne der Mensch wahre "Intimität, Gleichheit und Brüderlichkeit" erfahren. Dass es für Mitglieder einer diskriminierten Minderheit, wie Trimçev und Bajohr betonen, manchmal von existenzieller Notwenigkeit sei, sich in Gruppen zusammenzuschließen, zu denen Mehrheitsmenschen keinen Zutritt haben sollten, steht so zwar nicht im Snobismus-Kapitel aus Shklars "Ganz normale Laster" (1984), der Gedanke leuchtet aber trotzdem ein. Allerdings bleibt die Frage, inwiefern der amerikanische Verlag im geschilderten Fall denn nun Teil einer schützenswerten Minorität sein soll. Handelt es sich nicht eher um ein Unternehmen, das wohlfeile Symbolpolitik auf Kosten eines Individuums, der Illustratorin, betreibt?

Grundsätzlich kann man dem Band jedoch nicht vorwerfen, Shklar zur Vordenkerin der Identitätspolitik umzudeuten. Denn der urliberale Kernbestand ihres Denkens wird unmissverständlich herausgearbeitet: Shklars Bekenntnis zum Pluralismus, ihre Ablehnung jeder "Ideologie der Einigkeit" und jeder verabsolutierenden Gemeinschaftsutopie, die keine Gesellschaft mehr um und neben sich duldet. Nur war bei Shklar eben nichts in Stein gemeißelt. So sehr sie auf die Grenzziehung zwischen privat und öffentlich, zwischen Unrecht und Unglück bestand, so fluide, kontext- und zeitabhängig wollte sie diese Grenze verstanden wissen, ohne dabei in Relativismus zu verfallen. Shklars Liberalismus lieferte kein Sicherheitsnetz aus Regeln und positiven Handlungsanweisungen, sondern bloß das "Bewusstsein der Bodenlosigkeit von Politik" und ein nimmermüdes Exerzitium an "liberaler Urteilskraft", wie Bajohr und Trimçev es formulieren. Beide gehen gelegentlich ein wenig waghalsig mit Shklar über Shklar hinaus, zeigen dabei dennoch eindrücklich, dass der Liberalismus der Furcht nichts für Angsthasen ist. MARIANNA LIEDER

Hannes Bajohr und Rieke Trimçev: "ad Judith N. Shklar". Leben - Werk - Gegenwart.

EVA, Hamburg 2024. 284 S., Abb., br., 22,- Euro.

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