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Das Buch stellt die politische, soziale und kulturelle Rolle der Kirchen im deutschen Sprachraum von der Christianisierung der Germanen bis zur Gegenwart in einem umfassenden Gesamtüberblick dar. Die klare chronologische Gliederung, eine übersichtliche Bibliographie, Glossar, Personen- und Sachregister erleichtern den punktuellen Zugriff.

Produktbeschreibung
Das Buch stellt die politische, soziale und kulturelle Rolle der Kirchen im deutschen Sprachraum von der Christianisierung der Germanen bis zur Gegenwart in einem umfassenden Gesamtüberblick dar. Die klare chronologische Gliederung, eine übersichtliche Bibliographie, Glossar, Personen- und Sachregister erleichtern den punktuellen Zugriff.
Autorenporträt
Andreas Gestrich, Prof. Dr., geboren 1952, Historiker, lehrt neuere Geschichte an der Universität Trier und ist derzeit Direktor des Deutschen Historischen Instituts London. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sozial- und Religionsgeschichte sowie historische Friedensforschung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.08.1997

Hildegard verzweifelt gesucht
Ohne Theologen, ohne Wegweiser und Landkarte: Eine Kirchengeschichte der Deutschen

Nach dem Sturz des Dritten Reiches stritten die Historiker darüber, ob es jemals eine einheitliche Geschichte der Deutschen gegeben habe. Das Problem, nach einiger Zeit stillgelegt, bricht jetzt an der deutschen Kirchengeschichte wieder auf. Der Leipziger Kirchenhistoriker Albert Hauck mußte schon an der Wende des zwanzigsten Jahrhunderts in seiner magistralen "Kirchengeschichte Deutschlands" all sein Können aufbieten, um die verfließenden Konturen zu fixieren. Das Opus magnum blieb unvollendet, im fünfzehnten Jahrhundert bricht es ab. Vor Hauck waren bereits Friedrich Wilhelm Rettberg in Marburg und Johann Friedrich in München an der Aufgabe gescheitert. Johannes Wallmanns "Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation" aus dem Jahr 1973 - seither mehrfach aufgelegt - behandelt nur die Neuzeit.

Gewisse Konturen gewinnt die Kirchengeschichte erstmals mit der östlichen Schwerpunktverlagerung des Frankenreichs im achten Jahrhundert. Wer aber wollte das übernationale Reich Karls des Großen umstandslos fränkisch-deutsch nennen? Die Schwierigkeit, aus dem abendländischen Mittelalter eine Kirchengeschichte der Deutschen auszufällen, hält bis zum Übergang in die Neuzeit an. Fester Boden ist erst in der Epoche des deutschen Nationalstaates erreicht.

Solche Feststellungen ziehen eine schwerwiegende Frage nach sich. Was sind die Ziele einer Kirchengeschichte der Deutschen? Soll sie einen Beitrag zur Nationalgeschichte leisten? Nach dem Untergang der Nationalgeschichtsschreibung älteren Stils die Entwicklung oder - wie man früher sagte - das Werden von Volk und Nation aus nunmehr christlich-kirchlicher Sicht darzustellen dürfte schwerlich ihr Anliegen sein. Geht es um die Nachzeichnung von Prozessen der Christianisierung und Dechristianisierung in einem geopolitischen und kulturellen Raum? Oder sollen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Kirchengeschichte auf (nachmals) deutschem Boden im Horizont der europäischen Kirchengeschichte, sodann auch der weltweiten Geschichte des Christentums beschrieben werden?

Den Autoren der vorliegenden Synthese im Taschenformat liegt eine allgemeinverständliche und detaillierte Darstellung am Herzen. Mit den neueren Forschungen zur Volksfrömmigkeit, zur religiösen Alltagsgeschichte und zur Sozialgeschichte kirchlicher Institutionen sind sie im großen und ganzen gut vertraut. In manchen Passagen eröffnen sie interessante Perspektiven. Einen Rahmen, einen Einbettungsvorschlag für ihr Thema sucht man jedoch vergebens. Ungeachtet seiner Ansprüche auf methodische Modernität, bleibt das Buch doch ohne Konzept.

Peter Dinzelbacher sah sich in seinem Vorwort veranlaßt, eine Attacke gegen die Kirchenhistoriker vorzutragen: "In den deutschsprachigen Ländern gehören alle universitären Lehrstühle für Kirchengeschichte theologischen Fakultäten und sind in der Praxis nahezu ausnahmslos Priestern beziehungsweise ordinierten Pfarrern vorbehalten." Das klingt ungut und ist möglicherweise auch so gemeint. Kirchenhistoriker (lies: Theologen) hat Dinzelbacher aus seinem Autorenteam "ganz bewußt" ausgeschlossen. Sie übermalen ihm die historischen Gegenstände zu sehr mit den Farben der Theologie. Solche Vorwürfe erfordern Geduld. Dem Polemiker zum Trost: Kaum einer der von ihm Attackierten wird den Spieß umkehren und nunmehr gegen Allgemeinhistoriker in der Kirchengeschichte zu Felde ziehen. Der Austausch zwischen den Disziplinen ist notwendig. Nachholbedarf besteht vor allem bei der Geschichte der Neuzeit und der Moderne.

Die Autoren achten, wie zu rühmen ist, auf unpolemische Behandlung der beiden großen Konfessionen und auf hinreichende Berücksichtigung der Freikirchen und religiösen Sondergemeinschaften - die sie freilich "Sekten" nennen. Außerdem legen sie Wert auf die Mischung von Ereignis-, Sozial- und Frömmigkeitsgeschichte. Liegt in diesem Typus von Kirchengeschichte im Vergleich mit der von Dinzelbacher befehdeten Kirchengeschichtsschreibung der Theologen schon eine höhere Qualität? Ist gar ein Programm zu erkennen?

Falls man mit einem versöhnlichen "Ja" antwortet, bleibt immer noch jene andere Frage offen, die Frage nach dem Konzept einer Darstellung der "Kirchen in der deutschen Geschichte". Man kann den Text hin und her wenden, wie man will, die Autoren bleiben an diesem Punkte stumm. Wie mischen und entmischen sich im frühen Mittelalter die mediterran-antiken, die europäisch-abendländischen und die deutschen Anteile? Wie stehen auf dem Boden der Christianitas im Hoch- und Spätmittelalter die protonationalen Kulturen zueinander? Wie gestalten sich die Verhältnisse während der Reformation und der Aufklärung? Kurz, wie nationalspezifisch kann oder soll eine Kirchengeschichte der Deutschen sein?

Von der richtigen Einsicht in die Komplexität der Probleme getragen und nicht selten von ihnen überwältigt, unterliegen die Autoren einer Art von historiographischem Vagantentum; es ist die Folge der mangelnden Bestimmung des historischen Sujets. Über den Presbyter Arius im fernen Alexandria findet sich fast eine halbe Seite, über Hildegard von Bingen nicht eine einzige Zeile. Das Bestreben zur Unterbringung möglichst vieler Informationen auf engem Raum rückt die Darstellung in die Nähe eines Nachschlagewerks. Um so bedauerlicher bleibt, daß sich dem Buch keine tiefergreifenden Ideen über eine Kirchengeschichte der Deutschen im Spannungsfeld der Zeiten und Kulturen des Christentums entlocken lassen. KURT NOWAK.

Winfried Becker, Günter Christ, Andreas Gestrich, Lothar Kolmer: "Die Kirchen in der deutschen Geschichte". Von der Christianisierung der Germanen bis zur Gegenwart. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1996. 692 S., geb., 49,- DM.

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