Produktdetails
- Série Noire
- Verlag: Distel
- Seitenzahl: 190
- Erscheinungstermin: 25. Januar 2019
- Deutsch
- Abmessung: 192mm x 116mm x 14mm
- Gewicht: 201g
- ISBN-13: 9783942136136
- ISBN-10: 3942136139
- Artikelnr.: 54277092
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.01.2019Nach den Glaubenskriegen
In Tito Topins Dystopie werden Atheisten gejagt
Nicht erst seit die "Gelben Westen" für Unruhe sorgen und die Spaltung der französischen Gesellschaft sichtbar werden lassen, kommen aus Frankreich irritierende Signale, die alte Selbstverständlichkeiten brüchig werden lassen. Und manchmal weiß die Literatur dabei mehr über unterschwellige Ängste und Befindlichkeiten als Politik und Wissenschaft. Jérôme Leroys Roman "Die Verdunkelten", in diesem Herbst erschienen (siehe F.A.Z. vom 1. Oktober), ist eine kleine Dystopie aus der nahen Zukunft. Der gesellschaftliche Zusammenhalt erodiert, und viele Menschen wollen einfach nur aus ihrem bisherigen Leben in den dauernden Schatten verschwinden.
In Tito Topins neuem Buch "Tanzt! Singt! Morgen wird es schlechter" hat sich die nahe Zukunft nicht nur in Frankreich verdüstert. Die ganze Welt ist auf dem Weg in die Theokratie. Amerikanische Reformierte, Katholiken, Juden, Sunniten, Schiiten sind "der Glaubenskriege überdrüssig". Stattdessen gilt, "dass der Feind nicht derjenige war, der eine andere Religion praktizierte als die eigene, sondern derjenige, der gar keine hatte". Deshalb hat Topins Roman Noir auch den französischen Originaltitel "L' exil des mécréants", das Exil der Ungläubigen.
Nicht nur an der Regierungsspitze stehen Kleriker, auch die Polizei wird von kirchlichen Würdenträgern geleitet, und noch die obskurste Sekte, die sich auf ein monotheistisches Vorbild beruft, wird eher geduldet als ein unbescholtener Atheist. Ähnlich wie Leroy entwirft auch Topin kein detailliertes Porträt der nicht so schönen neuen Welt. Das Morgen ähnelt unserer Gegenwart, es ist ihr manchmal zum Verwechseln ähnlich, was natürlich darauf verweisen soll, dass auch wir gar nicht so weit weg sind von Verhältnissen, in denen der Laizismus ausgedient hat. Dafür muss man gar nicht bis nach Saudi-Arabien schauen. Die Türkei tut es auch schon.
Der sechsundachtzigjährige Tito Topin hat für ein solches Szenario genug von der Welt gesehen. In Casablanca geboren, wanderte er Mitte der fünfziger Jahre nach Brasilien aus, kehrte Anfang der Sechziger wieder zurück, um ein paar Jahre später nach Paris überzusiedeln, wo er heute noch lebt. Seine Kriminalromane profitieren davon, dass er als Illustrator, Grafiker und Drehbuchautor gearbeitet hat. Sein Erzählen ist sehr anschaulich und knapp, eine Szene wird erfasst wie in einem schnellen Kameraschwenk, es wird nicht ausgeschmückt oder interpretiert. Man stürzt mitten hinein in den Roman, auf einen Pariser Bahnhof, wo die Menschen sich drängen, um einen der Züge in die letzten Regionen der Freiheit zu bekommen: "Ein Paar stritt sich um einen dicken Koffer. Eine Katze miaute verzweifelt in einem vergessenen Käfig. Zurückgeworfene Köpfe, aufgerissene Münder, aus denen unverständliche Wörter sprudelten, ausgestreckte Zeigefinger."
Unter diesen Menschen ist der Journalist Boris, der sich als Pastor verkleidet hat. In besseren Zeiten genoss er noch Polizeischutz wegen einer Fatwa, die man über ihn verhängt hatte; nun fahndet die Polizei nach ihm, weil er über die pädophilen Vergehen eines Bischofs geschrieben hat. Auf dem Weg nach Süden, erst nach Avignon und dann nach Lissabon, wohin sich viele flüchten, fast wie in der Nazizeit, wird der Roman zum Road Movie. Boris zieht Soledad, seine große Liebe von einst, ins Geschehen hinein, unterwegs tun sie sich mit einem alternden Bankräuber und einer schwangeren jungen Frau zusammen. Ein Killer, ein guter Muslim, ist ihnen im Auftrag der Polizei auf der Spur.
Diese klassische Plotline ist das Gerüst des Buches. Topin reichert es an mit viel galligem Humor und nicht wenig Brutalität, das Tempo zieht einen mit, vor allem dank dieser kurzen, schnellen Passagen, die so flüssig und plastisch geschrieben sind wie gut geschnittene Actionsequenzen in einem Thriller. Die Lässigkeit dieser Prosa nimmt dem dystopischen Setting zugleich ein wenig von seiner Schwere. Und ganz nebenbei beweist Tito Topin, dass eine packende Geschichte sich auch auf schlanken hundertneunzig Seiten erzählen lässt.
PETER KÖRTE
Tito Topin: "Tanzt! Singt! Morgen wird es schlechter". Série noire.
Aus dem Französischen
von Katarina Grän. DistelLiteraturVerlag,
Heilbronn 2018.
192 S., br., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In Tito Topins Dystopie werden Atheisten gejagt
Nicht erst seit die "Gelben Westen" für Unruhe sorgen und die Spaltung der französischen Gesellschaft sichtbar werden lassen, kommen aus Frankreich irritierende Signale, die alte Selbstverständlichkeiten brüchig werden lassen. Und manchmal weiß die Literatur dabei mehr über unterschwellige Ängste und Befindlichkeiten als Politik und Wissenschaft. Jérôme Leroys Roman "Die Verdunkelten", in diesem Herbst erschienen (siehe F.A.Z. vom 1. Oktober), ist eine kleine Dystopie aus der nahen Zukunft. Der gesellschaftliche Zusammenhalt erodiert, und viele Menschen wollen einfach nur aus ihrem bisherigen Leben in den dauernden Schatten verschwinden.
In Tito Topins neuem Buch "Tanzt! Singt! Morgen wird es schlechter" hat sich die nahe Zukunft nicht nur in Frankreich verdüstert. Die ganze Welt ist auf dem Weg in die Theokratie. Amerikanische Reformierte, Katholiken, Juden, Sunniten, Schiiten sind "der Glaubenskriege überdrüssig". Stattdessen gilt, "dass der Feind nicht derjenige war, der eine andere Religion praktizierte als die eigene, sondern derjenige, der gar keine hatte". Deshalb hat Topins Roman Noir auch den französischen Originaltitel "L' exil des mécréants", das Exil der Ungläubigen.
Nicht nur an der Regierungsspitze stehen Kleriker, auch die Polizei wird von kirchlichen Würdenträgern geleitet, und noch die obskurste Sekte, die sich auf ein monotheistisches Vorbild beruft, wird eher geduldet als ein unbescholtener Atheist. Ähnlich wie Leroy entwirft auch Topin kein detailliertes Porträt der nicht so schönen neuen Welt. Das Morgen ähnelt unserer Gegenwart, es ist ihr manchmal zum Verwechseln ähnlich, was natürlich darauf verweisen soll, dass auch wir gar nicht so weit weg sind von Verhältnissen, in denen der Laizismus ausgedient hat. Dafür muss man gar nicht bis nach Saudi-Arabien schauen. Die Türkei tut es auch schon.
Der sechsundachtzigjährige Tito Topin hat für ein solches Szenario genug von der Welt gesehen. In Casablanca geboren, wanderte er Mitte der fünfziger Jahre nach Brasilien aus, kehrte Anfang der Sechziger wieder zurück, um ein paar Jahre später nach Paris überzusiedeln, wo er heute noch lebt. Seine Kriminalromane profitieren davon, dass er als Illustrator, Grafiker und Drehbuchautor gearbeitet hat. Sein Erzählen ist sehr anschaulich und knapp, eine Szene wird erfasst wie in einem schnellen Kameraschwenk, es wird nicht ausgeschmückt oder interpretiert. Man stürzt mitten hinein in den Roman, auf einen Pariser Bahnhof, wo die Menschen sich drängen, um einen der Züge in die letzten Regionen der Freiheit zu bekommen: "Ein Paar stritt sich um einen dicken Koffer. Eine Katze miaute verzweifelt in einem vergessenen Käfig. Zurückgeworfene Köpfe, aufgerissene Münder, aus denen unverständliche Wörter sprudelten, ausgestreckte Zeigefinger."
Unter diesen Menschen ist der Journalist Boris, der sich als Pastor verkleidet hat. In besseren Zeiten genoss er noch Polizeischutz wegen einer Fatwa, die man über ihn verhängt hatte; nun fahndet die Polizei nach ihm, weil er über die pädophilen Vergehen eines Bischofs geschrieben hat. Auf dem Weg nach Süden, erst nach Avignon und dann nach Lissabon, wohin sich viele flüchten, fast wie in der Nazizeit, wird der Roman zum Road Movie. Boris zieht Soledad, seine große Liebe von einst, ins Geschehen hinein, unterwegs tun sie sich mit einem alternden Bankräuber und einer schwangeren jungen Frau zusammen. Ein Killer, ein guter Muslim, ist ihnen im Auftrag der Polizei auf der Spur.
Diese klassische Plotline ist das Gerüst des Buches. Topin reichert es an mit viel galligem Humor und nicht wenig Brutalität, das Tempo zieht einen mit, vor allem dank dieser kurzen, schnellen Passagen, die so flüssig und plastisch geschrieben sind wie gut geschnittene Actionsequenzen in einem Thriller. Die Lässigkeit dieser Prosa nimmt dem dystopischen Setting zugleich ein wenig von seiner Schwere. Und ganz nebenbei beweist Tito Topin, dass eine packende Geschichte sich auch auf schlanken hundertneunzig Seiten erzählen lässt.
PETER KÖRTE
Tito Topin: "Tanzt! Singt! Morgen wird es schlechter". Série noire.
Aus dem Französischen
von Katarina Grän. DistelLiteraturVerlag,
Heilbronn 2018.
192 S., br., 14,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Peter Körte lernt bei Tito Topin, dass sich spannend und dystopisch auch auf knappem Raum erzählen lässt. Topins Geschichte einer nahen Zukunft, in der herrschende Theokratien Kirchenkritiker auf die Flucht durch Europa treiben wie in der Nazizeit, profitiert laut Rezensent von den Erfahrungen des Autors als Drehbuchautor. Knapp, anschaulich und mitreißend sind die Szenen, die sich zu einem actionreichen Road Movie ausweiten, wie Körte erläutert. So klassisch die Plotline, so erstaunlich der Humor und die Gewalt, mit denen Topin seinen Text anreichert, findet Körte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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