Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2021Hau drauf
Der Aktivist und Hochschullehrer Andreas Malm plädiert für „kontrollierte politische Gewalt“ gegen Klimasünder. Nur wem helfen zerstörte SUVs wirklich?
Die eine Seite des Dilemmas, vor dem die landläufigen Proteste wider die Erderwärmung stehen, lautet so: „Am Ende werden es die Staaten sein, die den Übergang durchboxen müssen.“ Mit „Übergang“ ist das Ende der „Fossilwirtschaft“ gemeint. Die andere Seite des Dilemmas heißt: „Dass sie jedoch keineswegs die treibenden Kräfte dahinter sein werden, haben die Staaten mittlerweile unmissverständlich bewiesen.“ Im zweiten Satz werden die Staaten zu Komplizen der Verbrennungsindustrie erklärt, im ersten sollen dieselben Staaten gegen eben diese Verursacher vorgehen. Die beiden Sätze stehen direkt hintereinander, in einem Buch mit dem Titel „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“. Es gehört zu einer Reihe von Pamphleten, die der schwedische Aktivist und Hochschullehrer Andreas Malm gerade in schneller Folge der „kontrollierten politischen Gewalt“ wider die Klimakatastrophe gewidmet hat, mit großer Resonanz auch in eigentlich moderaten Medien. Der Dozent für Humanökologie an der Universität Lund will den Widerspruch zwischen den beiden Sätzen aufheben.
Wenn die Staaten der Welt sich innerhalb kurzer Zeit bei der Bekämpfung des Coronavirus zusammentun könnten, argumentiert er im ersten Werk mit dem Titel „Klimax“, könne Gleiches auch im Kampf gegen die Erderwärmung gelingen. Im dritten Pamphlet, „Der Fortschritt dieses Sturms – Gesellschaft in einer sich erwärmenden Welt“ betitelt, geht es um die drohende Veränderung des Klimas als den einzigen, unausweichlichen Maßstab für alle Theorie. Es kulminiert in der Forderung nach einer Polarisierung: entweder ein radikaler, allgemeiner Kampf wider die Erwärmung des Klimas, mit allen Mitteln, die der Staat aufbringen kann. Oder nichts.
Das Buch „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“, das mittlere der Pamphlete enthält deswegen nicht nur eine Reihe von anschaulichen Bekenntnissen zur demonstrativen Sachbeschädigung, sondern auch eine Kasuistik, zu welchen Zwecken, unter welchen Bedingungen und mit welchen Einschränkungen Geländewagen zerkratzt und Raffinerien sabotiert werden sollen. Auch Gewalt gegen Menschen wird erwogen. Sie wird verworfen, doch keineswegs, weil es unfreundlich wäre, den allzu wohlhabenden Nachbarn aus seinem prächtigen Automobil zu „zerren“, sondern weil „Gewaltlosigkeit eine doppelt so hohe Erfolgswahrscheinlichkeit aufweist“.
Es fällt Andreas Malm nicht auf, wie zynisch diese Rechnung ist. Denn er ist sich gewiss, einen Menschheitskampf um die Erhaltung der Welt ausfechten zu müssen: „Der Notstand ist bereits da, das Fass des Erträglichen rasch übergelaufen.“ In diesem Kampf erscheint ihm jedes Mittel recht, wenn es denn nur Erfolg verspricht.
Und tatsächlich gefährdet ja die Erwärmung der Erde die Lebensgrundlagen von Milliarden Menschen. Diese Bedrohung geht über alle Grenzen hinweg und lässt dort, wo sie zuschlägt, keinen Unterschied zwischen großen oder kleinen, jungen oder alten, gelben oder grünen Menschen gelten. Und doch sind nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen. Die kommende Katastrophe nimmt sich anders aus, wenn man sie vom Allgäu aus betrachtet, als wenn man sie auf einem Atoll im Pazifik erlebt. Eine Dürre, die sich über mehrere Monate erstreckt, bedeutet für Äthiopien etwas anderes als für Südschweden. Und wenn die Nordostpassage auch im Winter zu befahren sein sollte, wird es Menschen geben, die damit neue Geschäfte machen.
Vor allem aber bleiben die Ursachen des Klimawandels erhalten, in ökonomischer wie in politischer Hinsicht. Der Automobilhersteller BMW wirbt seit Kurzem für seine batteriegetriebenen Fahrzeuge mit den Slogans der Umweltbewegung, mit „There is no Planet B“ und „Tomorrow is too late“. Das geschieht nicht etwa, weil sich die Firma in ein „Klimacamp“ verwandeln wollte. Vielmehr will man an der neuen, politisch erzwungenen Technik verdienen, so wie man zuvor mit Dieselmotoren Geld gemacht hat. Und so ist es überall: Wenn Außenminister Maas erklärt, die „Energiewende“ entscheide über „Deutschlands Rolle in einer postfossilen Welt“, dann will er den Kampf gegen die Erderwärmung nutzen, um dem eigenen Staat einen Vorteil im Wettbewerb der Nationen zu verschaffen, auf Kosten der weniger leistungsfähigen, ärmeren Länder. Und wenn sich die Staatspräsidenten der Welt treffen, um ein Klimaabkommen zu schließen, dann geht es vielleicht auch darum, die Erwärmung zu mindern. Zugleich legen sie fest, unter welchen Bedingungen sie ihre Geschäfte mit dem Klima mit- und gegeneinander verfolgen wollen. Wer solche Akte als „institutionalisiertes Geschwafel“ bezeichnet, wie Malm es tut, verharmlost die diplomatischen Verteilungskämpfe.
Der Aktivist will nicht in politischen Kategorien, das heißt: in Interessen denken. Für ihn stellt sich der Kampf gegen den Klimawandel als ein grundsätzlich moralisches Problem dar. Deswegen nimmt er nicht wahr, dass Politiker, wenn sie von Menschheitsfragen reden, die partikularen Interessen ihrer Nation meinen. Und er sieht nicht, dass staatliche Maßnahmen, wenn sie ein erhebliches Maß an Finanzmacht und Ingenieurskunst aufbieten, um das ökologische Gefahrenpotential des eigenen Handelns zu reduzieren, in der Klimapolitik stets nur eine Variable in der Verfolgung nationaler Interessen erkennt. Stattdessen glaubt er sich durch die politische Propaganda in seiner Verantwortung für die Rettung der Welt bestätigt.
Und so wird er, im stolzen Bewusstsein, unbedingt auf der Seite der Guten zu stehen, zum Jakobiner, der, wie es sich für einen solchen Radikalen gehört, die Gegner zu benennen weiß, wenn nötig unter Nennung des vollen Namens und der Adresse. Sein Zorn und seine Lust an der Sabotage gelten den „herrschenden Klassen“ mit ihren Fahrzeugen, die „keinem erkennbaren Bedürfnis dienen“. Sie gelten den Yachten und SUVs und allen anderen bekannten Übeltätern, den Energiekonzernen zum Beispiel: „Die Bewegung ist ihnen bereits auf den Fersen.“ Sie gelten auch, im jüngsten Pamphlet, vermeintlichen Bundesgenossen wie dem französischen Philosophen Bruno Latour, einem Anhänger der Gaia-Hypothese, dem Andreas Malm vorwirft, nicht radikal genug zu sein. Umgekehrt scheint Malm genau zu wissen, wie ein umweltverträgliches Leben zu führen sei, in Demut und Bescheidenheit.
Es stimmt aber nicht, dass ein „globaler Kapitalismus“ das Coronavirus mittels kollektiv abgesprochener „Notfallmaßnahmen“ bekämpfte. Das taten die einzelnen Staaten, in steter und substanzieller Konkurrenz gegeneinander, erkennbar zum Beispiel daran, in welchem Maß der Kampf gegen das Virus von Vergleichen zwischen den Nationen begleitet wurde.
Es trifft auch nicht zu, dass Klimastreiks „über den Globus fegen“, sich „wie ein Lauffeuer ausbreiten“ oder „immer größere, waghalsigere Aktionen“ die Öffentlichkeit erregen.
Abgesehen von Übertreibung scheint den Aktionen der Klimaaktivisten um Andreas Malm vielmehr ein Moment von Selbstgenuss innezuwohnen. So schwelgt er in der Erinnerung an eine Julinacht in Stockholm, in der er mit einigen Genossen die Luft aus den Reifen parkender SUVs ließ, und er berichtet von der „freudigen Erregung“, die sich nach der Überwindung der Zäune einstellte, die ein Kraftwerk in Brandenburg umgeben: „Für einen pulsierenden, bewusstseinserweiternden Moment hatten wir ein Stück der unseren Planeten zerstörenden Infrastruktur in Händen.“ Das Gefühl mag angenehm gewesen sein, der Globus hat wenig davon.
Wer ein Menschheitsanliegen zu vertreten meint, das so unabweisbar ist, dass man nicht einmal genau hingucken muss, um schon im Recht zu sein, dem erscheint jeder Vorbehalt als „pathologische menschliche Irrationalität“. Für die radikalste Form von Unvernunft stehen bei Andreas Malm schon am Ende des Buches „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ die Zweifler am Klimawandel, wie sie sich unter amerikanischen Republikanern oder in der AfD finden: Die „Aufgabe, das fossile Kapital zu verteidigen“ sei, behauptet er, „an die extreme Rechte Europas und anderswo weitergereicht worden“.
Der angeblichen Geschichte dieser militanten Unvernunft ist ein weiteres neues, bislan noch nicht übersetztes Buch gewidmet, das Andreas Malm zusammen mit einer schwedischen Autorengruppe verfasst hat, die sich den Namen „The Zetkin Collective“ gab. „White Skin, Black Fuel: On the Danger of Fossil Fascism“ heißt es.
Rechtsextreme, Faschisten, Nationalsozialisten und andere radikale Nationalisten, so die These des Buches, hätten immer schon eine besondere Neigung zum Verbrennen fossiler Materialien gepflegt. Das „narzisstische“ Streben einer nationalistischen Rechten nach Überlegenheit gegenüber anderen Völkern und Rassen sei verknüpft mit dem Wunsch nach Verfügung über nationalisierbare Energien („unser Öl“, „unsere Kohle“), während die Träger erneuerbarer Energien, also vor allem Wind und Wasser, nicht ausschließlich an einen Staat zu binden seien.
Malm und sein Kollektiv verfolgen diese Idee von der Dampfmaschine bis in die Gegenwart und hauptsächlich am Beispiel der rechtspopulistischen Parteien in Europa, mit exemplarischen Exkursen nach Brasilien und in die Vereinigten Staaten. Nun mag Jair Bolsonaro ein unangenehmer Mensch sein: Vollkommen irrational handelt er nicht. Eher wohlwissend, dass sein Land im Wettbewerb der Staaten allenfalls eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt, hält er die Rede vom Klimawandel für eine Übertreibung, die den Interessen seiner Nation schaden soll, zum Vorteil anderer Staaten.
Ähnlich dachte seinerzeit Donald Trump, als er den Klimaschutz zu einem Hindernis bei der Durchsetzung amerikanischer Interessen erklärte. Es mag sein, dass eine solche Strategie nicht langfristig angelegt ist und der wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Aber sie hat einen politischen Zweck. Sie klärt die bestehenden Machtverhältnisse und gehorcht deswegen einem Kalkül mit Prioritäten. Wer, wie Andreas Malm und das „Zetkin Collective“, glaubt, im Zweifel an der Erderwärmung kündige sich ein Faschismus an, der letztlich auf den Untergang der Welt sinne, nimmt seine Gegner nicht ernst.
Schlimmer noch: Die Behauptung, die Zweifler an der Theorie der Erderwärmung seien von einer Art „kollektivem Todestrieb“ beherrscht, entschuldigt die radikalen Nationalisten. Sie erscheinen als Opfer ihrer Instinkte. Sie können nichts dafür, weswegen alles Reden und Argumentieren im selben Maß vergeblich sein dürfte, wie das Zuschlagen als das kommende Mittel der Wahl erscheint. „Wenn Abgase also weiterhin in die Luft geblasen werden und die Temperaturen weiter in die Höhe schießen,“ schreibt Andreas Malm, „sollten physische Angriffe auf die Quellen der immer verheerenderen, immer weniger zu leugnenden Desaster auf immer breitere gesellschaftliche Akzeptanz stoßen.“ Ein solches Szenario dürfte dem Bürgerkrieg nahekommen. Sahen viele SUVs nicht schon immer so aus, als wären sie für einen solchen Einsatz gedacht? Und werden sie von Teilen der Umweltbewegung nicht aus demselben Grund so sehnend gehasst?
THOMAS STEINFELD
Auch Gewalt gegen Menschen
wird erwogen, aber verworfen –
nicht effektiv genug
„Wir hatten ein Stück der
unseren Planeten zerstörenden
Infrastruktur in Händen“
Andreas Malm,
The Zetkin Collective: White Skin, Black Fuel. On the Danger of Fossil Fascism. Verso Books, London 2021.
576 Seiten, 20 Euro.
Andreas Malm:
Wie man eine Pipeline
in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen. Aus dem
Englischen von
David Frühauf.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2020.
234 Seiten, 18 Euro.
Andreas Malm,
geboren 1977, ist Dozent für Humanökologie an der Universität Lund.
Er gilt als eine der
prominentesten Stimmen des okolögischen
Marxismus.
Foto: Code Rood
Demonstrative Sachbeschädigung: Ausgebrannte Porsches auf dem Gelände eines Autohändlers in Köln 2019. Aktivisten der linksautonomen Szene bekannten sich zu dem Brandanschlag im Namen des Klimaschutz .
Foto: henning Kaiser/dpa
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Der Aktivist und Hochschullehrer Andreas Malm plädiert für „kontrollierte politische Gewalt“ gegen Klimasünder. Nur wem helfen zerstörte SUVs wirklich?
Die eine Seite des Dilemmas, vor dem die landläufigen Proteste wider die Erderwärmung stehen, lautet so: „Am Ende werden es die Staaten sein, die den Übergang durchboxen müssen.“ Mit „Übergang“ ist das Ende der „Fossilwirtschaft“ gemeint. Die andere Seite des Dilemmas heißt: „Dass sie jedoch keineswegs die treibenden Kräfte dahinter sein werden, haben die Staaten mittlerweile unmissverständlich bewiesen.“ Im zweiten Satz werden die Staaten zu Komplizen der Verbrennungsindustrie erklärt, im ersten sollen dieselben Staaten gegen eben diese Verursacher vorgehen. Die beiden Sätze stehen direkt hintereinander, in einem Buch mit dem Titel „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“. Es gehört zu einer Reihe von Pamphleten, die der schwedische Aktivist und Hochschullehrer Andreas Malm gerade in schneller Folge der „kontrollierten politischen Gewalt“ wider die Klimakatastrophe gewidmet hat, mit großer Resonanz auch in eigentlich moderaten Medien. Der Dozent für Humanökologie an der Universität Lund will den Widerspruch zwischen den beiden Sätzen aufheben.
Wenn die Staaten der Welt sich innerhalb kurzer Zeit bei der Bekämpfung des Coronavirus zusammentun könnten, argumentiert er im ersten Werk mit dem Titel „Klimax“, könne Gleiches auch im Kampf gegen die Erderwärmung gelingen. Im dritten Pamphlet, „Der Fortschritt dieses Sturms – Gesellschaft in einer sich erwärmenden Welt“ betitelt, geht es um die drohende Veränderung des Klimas als den einzigen, unausweichlichen Maßstab für alle Theorie. Es kulminiert in der Forderung nach einer Polarisierung: entweder ein radikaler, allgemeiner Kampf wider die Erwärmung des Klimas, mit allen Mitteln, die der Staat aufbringen kann. Oder nichts.
Das Buch „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“, das mittlere der Pamphlete enthält deswegen nicht nur eine Reihe von anschaulichen Bekenntnissen zur demonstrativen Sachbeschädigung, sondern auch eine Kasuistik, zu welchen Zwecken, unter welchen Bedingungen und mit welchen Einschränkungen Geländewagen zerkratzt und Raffinerien sabotiert werden sollen. Auch Gewalt gegen Menschen wird erwogen. Sie wird verworfen, doch keineswegs, weil es unfreundlich wäre, den allzu wohlhabenden Nachbarn aus seinem prächtigen Automobil zu „zerren“, sondern weil „Gewaltlosigkeit eine doppelt so hohe Erfolgswahrscheinlichkeit aufweist“.
Es fällt Andreas Malm nicht auf, wie zynisch diese Rechnung ist. Denn er ist sich gewiss, einen Menschheitskampf um die Erhaltung der Welt ausfechten zu müssen: „Der Notstand ist bereits da, das Fass des Erträglichen rasch übergelaufen.“ In diesem Kampf erscheint ihm jedes Mittel recht, wenn es denn nur Erfolg verspricht.
Und tatsächlich gefährdet ja die Erwärmung der Erde die Lebensgrundlagen von Milliarden Menschen. Diese Bedrohung geht über alle Grenzen hinweg und lässt dort, wo sie zuschlägt, keinen Unterschied zwischen großen oder kleinen, jungen oder alten, gelben oder grünen Menschen gelten. Und doch sind nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen. Die kommende Katastrophe nimmt sich anders aus, wenn man sie vom Allgäu aus betrachtet, als wenn man sie auf einem Atoll im Pazifik erlebt. Eine Dürre, die sich über mehrere Monate erstreckt, bedeutet für Äthiopien etwas anderes als für Südschweden. Und wenn die Nordostpassage auch im Winter zu befahren sein sollte, wird es Menschen geben, die damit neue Geschäfte machen.
Vor allem aber bleiben die Ursachen des Klimawandels erhalten, in ökonomischer wie in politischer Hinsicht. Der Automobilhersteller BMW wirbt seit Kurzem für seine batteriegetriebenen Fahrzeuge mit den Slogans der Umweltbewegung, mit „There is no Planet B“ und „Tomorrow is too late“. Das geschieht nicht etwa, weil sich die Firma in ein „Klimacamp“ verwandeln wollte. Vielmehr will man an der neuen, politisch erzwungenen Technik verdienen, so wie man zuvor mit Dieselmotoren Geld gemacht hat. Und so ist es überall: Wenn Außenminister Maas erklärt, die „Energiewende“ entscheide über „Deutschlands Rolle in einer postfossilen Welt“, dann will er den Kampf gegen die Erderwärmung nutzen, um dem eigenen Staat einen Vorteil im Wettbewerb der Nationen zu verschaffen, auf Kosten der weniger leistungsfähigen, ärmeren Länder. Und wenn sich die Staatspräsidenten der Welt treffen, um ein Klimaabkommen zu schließen, dann geht es vielleicht auch darum, die Erwärmung zu mindern. Zugleich legen sie fest, unter welchen Bedingungen sie ihre Geschäfte mit dem Klima mit- und gegeneinander verfolgen wollen. Wer solche Akte als „institutionalisiertes Geschwafel“ bezeichnet, wie Malm es tut, verharmlost die diplomatischen Verteilungskämpfe.
Der Aktivist will nicht in politischen Kategorien, das heißt: in Interessen denken. Für ihn stellt sich der Kampf gegen den Klimawandel als ein grundsätzlich moralisches Problem dar. Deswegen nimmt er nicht wahr, dass Politiker, wenn sie von Menschheitsfragen reden, die partikularen Interessen ihrer Nation meinen. Und er sieht nicht, dass staatliche Maßnahmen, wenn sie ein erhebliches Maß an Finanzmacht und Ingenieurskunst aufbieten, um das ökologische Gefahrenpotential des eigenen Handelns zu reduzieren, in der Klimapolitik stets nur eine Variable in der Verfolgung nationaler Interessen erkennt. Stattdessen glaubt er sich durch die politische Propaganda in seiner Verantwortung für die Rettung der Welt bestätigt.
Und so wird er, im stolzen Bewusstsein, unbedingt auf der Seite der Guten zu stehen, zum Jakobiner, der, wie es sich für einen solchen Radikalen gehört, die Gegner zu benennen weiß, wenn nötig unter Nennung des vollen Namens und der Adresse. Sein Zorn und seine Lust an der Sabotage gelten den „herrschenden Klassen“ mit ihren Fahrzeugen, die „keinem erkennbaren Bedürfnis dienen“. Sie gelten den Yachten und SUVs und allen anderen bekannten Übeltätern, den Energiekonzernen zum Beispiel: „Die Bewegung ist ihnen bereits auf den Fersen.“ Sie gelten auch, im jüngsten Pamphlet, vermeintlichen Bundesgenossen wie dem französischen Philosophen Bruno Latour, einem Anhänger der Gaia-Hypothese, dem Andreas Malm vorwirft, nicht radikal genug zu sein. Umgekehrt scheint Malm genau zu wissen, wie ein umweltverträgliches Leben zu führen sei, in Demut und Bescheidenheit.
Es stimmt aber nicht, dass ein „globaler Kapitalismus“ das Coronavirus mittels kollektiv abgesprochener „Notfallmaßnahmen“ bekämpfte. Das taten die einzelnen Staaten, in steter und substanzieller Konkurrenz gegeneinander, erkennbar zum Beispiel daran, in welchem Maß der Kampf gegen das Virus von Vergleichen zwischen den Nationen begleitet wurde.
Es trifft auch nicht zu, dass Klimastreiks „über den Globus fegen“, sich „wie ein Lauffeuer ausbreiten“ oder „immer größere, waghalsigere Aktionen“ die Öffentlichkeit erregen.
Abgesehen von Übertreibung scheint den Aktionen der Klimaaktivisten um Andreas Malm vielmehr ein Moment von Selbstgenuss innezuwohnen. So schwelgt er in der Erinnerung an eine Julinacht in Stockholm, in der er mit einigen Genossen die Luft aus den Reifen parkender SUVs ließ, und er berichtet von der „freudigen Erregung“, die sich nach der Überwindung der Zäune einstellte, die ein Kraftwerk in Brandenburg umgeben: „Für einen pulsierenden, bewusstseinserweiternden Moment hatten wir ein Stück der unseren Planeten zerstörenden Infrastruktur in Händen.“ Das Gefühl mag angenehm gewesen sein, der Globus hat wenig davon.
Wer ein Menschheitsanliegen zu vertreten meint, das so unabweisbar ist, dass man nicht einmal genau hingucken muss, um schon im Recht zu sein, dem erscheint jeder Vorbehalt als „pathologische menschliche Irrationalität“. Für die radikalste Form von Unvernunft stehen bei Andreas Malm schon am Ende des Buches „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ die Zweifler am Klimawandel, wie sie sich unter amerikanischen Republikanern oder in der AfD finden: Die „Aufgabe, das fossile Kapital zu verteidigen“ sei, behauptet er, „an die extreme Rechte Europas und anderswo weitergereicht worden“.
Der angeblichen Geschichte dieser militanten Unvernunft ist ein weiteres neues, bislan noch nicht übersetztes Buch gewidmet, das Andreas Malm zusammen mit einer schwedischen Autorengruppe verfasst hat, die sich den Namen „The Zetkin Collective“ gab. „White Skin, Black Fuel: On the Danger of Fossil Fascism“ heißt es.
Rechtsextreme, Faschisten, Nationalsozialisten und andere radikale Nationalisten, so die These des Buches, hätten immer schon eine besondere Neigung zum Verbrennen fossiler Materialien gepflegt. Das „narzisstische“ Streben einer nationalistischen Rechten nach Überlegenheit gegenüber anderen Völkern und Rassen sei verknüpft mit dem Wunsch nach Verfügung über nationalisierbare Energien („unser Öl“, „unsere Kohle“), während die Träger erneuerbarer Energien, also vor allem Wind und Wasser, nicht ausschließlich an einen Staat zu binden seien.
Malm und sein Kollektiv verfolgen diese Idee von der Dampfmaschine bis in die Gegenwart und hauptsächlich am Beispiel der rechtspopulistischen Parteien in Europa, mit exemplarischen Exkursen nach Brasilien und in die Vereinigten Staaten. Nun mag Jair Bolsonaro ein unangenehmer Mensch sein: Vollkommen irrational handelt er nicht. Eher wohlwissend, dass sein Land im Wettbewerb der Staaten allenfalls eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt, hält er die Rede vom Klimawandel für eine Übertreibung, die den Interessen seiner Nation schaden soll, zum Vorteil anderer Staaten.
Ähnlich dachte seinerzeit Donald Trump, als er den Klimaschutz zu einem Hindernis bei der Durchsetzung amerikanischer Interessen erklärte. Es mag sein, dass eine solche Strategie nicht langfristig angelegt ist und der wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Aber sie hat einen politischen Zweck. Sie klärt die bestehenden Machtverhältnisse und gehorcht deswegen einem Kalkül mit Prioritäten. Wer, wie Andreas Malm und das „Zetkin Collective“, glaubt, im Zweifel an der Erderwärmung kündige sich ein Faschismus an, der letztlich auf den Untergang der Welt sinne, nimmt seine Gegner nicht ernst.
Schlimmer noch: Die Behauptung, die Zweifler an der Theorie der Erderwärmung seien von einer Art „kollektivem Todestrieb“ beherrscht, entschuldigt die radikalen Nationalisten. Sie erscheinen als Opfer ihrer Instinkte. Sie können nichts dafür, weswegen alles Reden und Argumentieren im selben Maß vergeblich sein dürfte, wie das Zuschlagen als das kommende Mittel der Wahl erscheint. „Wenn Abgase also weiterhin in die Luft geblasen werden und die Temperaturen weiter in die Höhe schießen,“ schreibt Andreas Malm, „sollten physische Angriffe auf die Quellen der immer verheerenderen, immer weniger zu leugnenden Desaster auf immer breitere gesellschaftliche Akzeptanz stoßen.“ Ein solches Szenario dürfte dem Bürgerkrieg nahekommen. Sahen viele SUVs nicht schon immer so aus, als wären sie für einen solchen Einsatz gedacht? Und werden sie von Teilen der Umweltbewegung nicht aus demselben Grund so sehnend gehasst?
THOMAS STEINFELD
Auch Gewalt gegen Menschen
wird erwogen, aber verworfen –
nicht effektiv genug
„Wir hatten ein Stück der
unseren Planeten zerstörenden
Infrastruktur in Händen“
Andreas Malm,
The Zetkin Collective: White Skin, Black Fuel. On the Danger of Fossil Fascism. Verso Books, London 2021.
576 Seiten, 20 Euro.
Andreas Malm:
Wie man eine Pipeline
in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen. Aus dem
Englischen von
David Frühauf.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2020.
234 Seiten, 18 Euro.
Andreas Malm,
geboren 1977, ist Dozent für Humanökologie an der Universität Lund.
Er gilt als eine der
prominentesten Stimmen des okolögischen
Marxismus.
Foto: Code Rood
Demonstrative Sachbeschädigung: Ausgebrannte Porsches auf dem Gelände eines Autohändlers in Köln 2019. Aktivisten der linksautonomen Szene bekannten sich zu dem Brandanschlag im Namen des Klimaschutz .
Foto: henning Kaiser/dpa
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