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Die Autorin zieht ein Resümee ihrer Ermittlungstätigkeit im Bereich der strafrechtlichen Ahndung nationalsozialistischen Unrechts. Die Arbeit schildert die juristische Aufarbeitung in den unterschiedlichen Rechtssystemen, die in beiden Teilen Deutschlands galten. Nationalsozialistische Gewaltverbrechen werden Kriegsverbrechen gegenübergestellt.

Produktbeschreibung
Die Autorin zieht ein Resümee ihrer Ermittlungstätigkeit im Bereich der strafrechtlichen Ahndung nationalsozialistischen Unrechts. Die Arbeit schildert die juristische Aufarbeitung in den unterschiedlichen Rechtssystemen, die in beiden Teilen Deutschlands galten. Nationalsozialistische Gewaltverbrechen werden Kriegsverbrechen gegenübergestellt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2015

Was die Staatsanwältin sah
Ursula Solf stellt die Suche nach NS-Tätern in beiden deutschen Staaten gegenüber

Über nationalsozialistisches Unrecht und seine juristische Aufarbeitung sind in den vergangenen Jahrzehnten manche Monographien erschienen. Welchen Beitrag können da die "Reflexionen einer Staatsanwältin" leisten, die von 1983 bis 2003 in der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen tätig war? Diese in Ludwigsburg ansässige Dienststelle hatte nach ihrem Organisationsstatut als Vorermittlungsbehörde alle gerichtsverwertbaren Materialien zu sammeln und auszuwerten mit dem Ziel, große Tatkomplexe an die örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften abzugeben.

Zu den ersten Erfahrungen, die die Staatsanwältin gemacht hatte, gehörte die Beobachtung, dass die Zahl der Verurteilungen wegen NS-Straftaten in den 1950er Jahren rapide zurückgegangen sei. "Personen, die nationalsozialistisches Unrecht begangen hatten, mussten als solche erst einmal erkannt werden. NS-Täter lebten unauffällig in der jeweiligen Gesellschaft. Im Osten waren sie gute Sozialisten, im Westen gute Demokraten. Sie waren nicht mehr zu resozialisieren wie übliche Straftäter, sie waren resozialisiert. Die Vergangenheit wurde verschwiegen. Eine Schlussstrich-Mentalität breitete sich aus."

Die Verfasserin beschreibt dann die verschiedenen Ansätze zur Ahndung der NS-Gewaltverbrechen in den beiden deutschen Staaten mit ihren unterschiedlichen Rechtssystemen: einerseits der Rechtsstaat der im Grundgesetz verankerten freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik, andererseits die "sozialistische Gesetzlichkeit", basierend auf der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der DDR. Der Schwerpunkt des Buches liegt in der "praxisnahen Darstellung der Verfolgung nationalsozialistischen Unrechts in der Deutschen Demokratischen Republik im Spiegel des nationalen deutschen Strafrechts in der Bundesrepublik".

An ausgewählten Beispielen legt sie dar, wie in der DDR die "sozialistische Gesetzlichkeit" instrumentalisiert wurde, um den Sozialismus zu verwirklichen. Jeder NS-Prozess sei für die DDR eine politische Demonstration gewesen, "den Faschismus und das Dritte Reich überwunden zu haben". NS-Täter, die einem faschistischen System gedient hatten, gefährdeten angeblich den Sozialismus und wurden zu Staatsfeinden erklärt: "Sie galt es aufzuspüren und zu eliminieren." Diese Aufgabe fiel dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als Geheimdienst zu. Das MfS bekämpfte die Gegner des Sozialismus und ermittelte in diesem Rahmen auch gegen NS-Täter als Feinde des Sozialismus.

Grundsätzlich mussten Staatsanwälte und Richter übernehmen und ausführen, was die Staatssicherheit vorgegeben hatte. Durch die unbeschränkte Arbeitsweise als Geheimdienst gewann die Staatssicherheit Erkenntnisse, die nach deutschem Strafrecht in einem Prozess nicht verwertbar gewesen seien. Unter Missachtung von Persönlichkeits- und Freiheitsrechten nicht nur der Verdächtigen, sondern auch unbeteiligter Personen, die in der Bundesrepublik grundgesetzlich geschützt sind, ermittelte die Staatssicherheit durch geheimdienstliche Methoden gegen tatsächliche und vermeintliche NS-Täter. Nach amtlichen Feststellungen in der Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen ergingen aufgrund der Ermittlungen der Staatssicherheit als Untersuchungsorgan von 1964 bis 1989 insgesamt 77 Verurteilungen wegen Tötungsdelikten. In zehn Fällen sei die Todesstrafe verhängt worden, zuletzt 1977. Bei einer Neuauflage sei empfohlen, ein Personenverzeichnis beizufügen sowie einen versierten Lektor zu beteiligen, der historische Defizite ausgleichen könnte.

HANS-JÜRGEN DÖSCHER

Ursula Solf: Reflexionen einer Staatsanwältin. Nationalsozialistisches Unrecht und seine juristische Aufarbeitung. Verlag Chirita & Norz, Berlin 2015. 332 S., 19,- [Euro].

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